Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Urteil vom 13.03.1995 - 12 U 2766/93 - Zusammenfassung der Haftungsverteilung in allen Fällen der Kollision des Geradausverkehrs mit einem Linksabbieger bei ampelgeregelter Kreuzung
KG Berlin v. 13.03.1995: Zusammenfassung der damaligen Haftungsverteilung in allen Fällen der Kollision des Geradausverkehrs mit einem Linksabbieger bei ampelgeregelter Kreuzung
Siehe auch Kollision mit Abbiegepfeil und Linksabbiegen
Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 13.03.1995 - 12 U 2766/93) hat seine die Quotenbildung prägenden Grundsätze für alle denkbaren Fälle wie folgt zusammengefasst:
"Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats haftet der Linksabbieger wegen der besonderen Sorgfaltspflichten nach § 9 I und III StVO grundsätzlich in vollem Umfang, wenn er mit einem Teilnehmer des geradeausfahrenden Gegenverkehrs kollidiert. Dasselbe gilt, wenn die Kreuzung mit einer Lichtsignalanlage und einem grünen Abbiegepfeil (§ 7 Nr. 1 S. 4 und 5 StVO) versehen ist und der Gegenverkehr die Haltelinie bei grünem Licht oder früher Gelbphase - auch hier überfährt der Gegenverkehr die Haltelinie erlaubt - passiert. Denn in diesem Fall kann der Geradeausverkehr darauf vertrauen, dass der Linksabbieger sein Vorrecht beachten wird. Überfährt der Gegenverkehr unerlaubt in später Gelbphase oder bei beginnender Rotphase die Haltelinie und leuchtet der grüne Abbiegepfeil - was nach den Schaltplänen die Regel ist - noch nicht auf, behält er gleichfalls sein Vorrecht. Der Linksabbieger bleibt also wartepflichtig.
Erst wenn der Linksabbieger nach Aufleuchten des grünen Pfeiles abbiegt, trifft die volle Haftung den Geradeausverkehr: In diesen Fällen greift zugunsten des Linksabbiegers ein doppelter Vertrauenstatbestand ein. Er geht dahin, dass nach Aufleuchten des Pfeiles die Ampelanlage für den Gegenverkehr bereits einige Zeit rotes Licht abstrahlen werde, ferner, dass der Gegenverkehr das Rotsignal beachten werde. In diesem Fall kann der Linksabbieger vollen Ersatz fordern oder mit Erfolg Ansprüche abwehren (KG VerkMitt 1987, 37; 1990, 51; NZV 1991, 271 = DAR 1991, 336 = VerkMitt 1991, 75 = VersR 1992, 587; NZV 1994, 31 = VerkMitt 1993, 92; DAR 1994, 153, VerkMitt 1994, 28).
Im Hinblick auf die dem Linksabbieger nach § 9 I und III StVO obliegenden Sorgfaltspflichten spricht gegen den Linksabbieger der Beweis des ersten Anscheins; während der BGH (NZV 1992, 203 = DAR 1992, 143 = NJW-RR 1992, 350 = VersR 1992, 203 = MDR 1992, 129 = VerkMitt 1992 Nr. 27) offenbar eine solche Beweislastverteilung verneint, hat nach der Rechtsprechung des Senats demzufolge der Linksabbieger zu beweisen, dass er erst bei aufleuchtendem Grünpfeil abgebogen ist (Senat VerkMitt 1994, 28). Andernfalls trägt er seinen Schaden selbst.
Bleibt trotz Beweisaufnahme ungeklärt, ob der grüne Abbiegepfeil aufleuchtete, führt die Beweisaufnahme also insoweit zu einem "non liquet", dann haftet nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (VerkMitt 1987, 37; VerkMitt 1990, 51; NZV 1991, 271) der Linksabbieger wegen der ihm obliegenden erhöhten Sorgfaltspflichten und der von dem kreuzenden Verkehr ausgehenden erhöhten Betriebsgefahr nach einer Quote von 2/3, kann also seinen Schaden lediglich nach einer Quote von 1/3 ersetzt verlangen, während der BGH (NZV 1992, 108; ebenso OLG Hamm NZV 1990, 189 = VersR 1992, 67 = DAR 1991, 177) von einer hälftigen Verteilung des Schadens ausgeht. Eine derartige Quotierung (2/3 zu 1/3) setzt nach der Rechtsprechung des Senats indes voraus, dass erhebliche Umstände für die Richtigkeit der Behauptung des Linksabbiegers sprechen, er sei erst bei dem Aufleuchten des grünen Abbiegepfeils abgebogen (KG VerkMitt 1986, 91; 1994, 28; DAR 1994, 193).
Lassen sich derartige erhebliche Umstände hinsichtlich des Grünpfeils dagegen nicht feststellen, gilt diese Quotierung oder eine Schadensteilung nicht ohne weiteres; sie gilt insbesondere dann nicht, wenn ungeklärt bleibt, in welcher für ihn maßgeblichen Ampelphase der Geradeausverkehr vor Aufleuchten des Grünpfeils eingefahren ist (bei Grün / frühem Gelb oder bei spätem Gelb / frühem Rot; denn in keinem dieser Fälle ist für den Linksabbieger die Wartepflicht entfallen: Der Abbieger muss nämlich vor dem Aufleuchten des Abbiegepfeiles stets damit rechnen, dass Fahrzeuge des Gegenverkehrs in der letzten Gelb- oder ersten Rotphase in den Kreuzungsbereich einfahren (BGH VersR 1955, 226; Senat NZV 1991, 271; Senat bei Darkow DAR 1972, 147 zu II 7; OLG Düsseldorf VersR 1977, 85 L.). Der Linksabbieger darf zwar vor Aufleuchten des grünen Pfeiles weiterfahren, er muss aber die sich aus § 9 III 1 StVO ergebende besondere Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Gegenverkehr beachten und trägt deshalb beim Abbiegen ein erhöhtes Risiko (Senat NZV 1991, 271).
Lässt sich dagegen positiv feststellen, bei welcher Ampelphase der sich im Gegenverkehr befindende Verkehrsteilnehmer in eine Kreuzung oder in einen Einmündungsbereich einfährt, gilt:
Fährt er bei frühem "Gelb" ein, haftet der Abbieger voll (Senat Urt. v. 01.04.1985 - 12 U 4246/94).
Fährt er bei spätem "Gelb" oder frühem "Rot" ein, so steht ihm ein Ersatzanspruch lediglich nach einer Quote von 2/3 und dem Abbieger nach einer Quote von 1/3 zu (Senat Urt. v. 29.10.1984 - 12 U 1124/94). Bei spätem "Gelb" oder frühem "Rot" macht die Rechtsprechung in der Regel keinen Unterschied.
Fährt der Verkehrsteilnehmer im Geradeausverkehr bei spätem "Rot" ein, so erhält er - wenn überhaupt, nur allenfalls - 1/4 seines Schadens ersetzt (Senat Urt. v. 03.12.1984 - 12 U 1286/84); grundsätzlich trägt er seinen Schaden selbst (Senat Urt. v. 02.04.1990 - 12 U 2177/89; vgl. ausführlich Senat NZV 1991, 271).
Die Rechtsprechung des Senats zur ungeklärten Ampelschaltung hinsichtlich des Grünpfeils mit einer Quotierung von 1/3 zu Lasten des Geradeausverkehrs setzt zwar voraus, dass erhebliche Umstände für die Richtigkeit der Behauptung des Linksabbiegers sprechen, er sei erst bei Aufleuchten des grünen Abbiegepfeils abgebogen; für diese Feststellung ist jedoch eine Beweisaufnahme nicht zwingend erforderlich; es kann ausreichen, dass sich aus dem beiderseitigen Parteivorbringen in Verbindung mit dem unstreitigen Sachverhalt bei einer Gesamtwürdigung erhebliche Umstände für die Richtigkeit der Unfalldarstellung des Linksabbiegers ergeben. Stets müssen jedoch für die Richtigkeit seiner Behauptung erhebliche unstreitige oder bewiesene Umstände sprechen; die bloße Parteibehauptung des Linksabbiegers bei gleichgewichtiger gegensätzlicher Parteibehauptung des Geradeausfahrers reicht hier jedenfalls nicht aus (Senat Urt. v. 24.09.1992 - 12 U 4662/91; Urt. v. 09.11.1992 - 12 U 4940/91; Urt. v. 06.05.1993 - 12 1983/92)."
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