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Oberverwaltungsgericht Münster Beschluss vom 09.01.2018 - 16 B 534/17 - EU-Führerschein und Wohnsitzprinzip

OVG Münster v. 09.01.2018: Zum Charakter sog. amtlicher Auskünfte des Ausstellerstaates eines EU-Führerscheins




Das Oberverwaltungsgericht Münster (Beschluss vom 09.01.2018 - 16 B 534/17) hat entschieden:

1.  Der Senat ist der Auffassung, dass wirklich nur vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Auskünfte und deutlich auf eine bloße Umgehung des Wohnsitzerfordernisses durch den Inhaber der in Frage stehenden EU oder EWR Fahrerlaubnis hinweisende Umstände berücksichtigt werden können.

2.  2. Die von einem örtlichen Mitarbeiter bzw. einer örtlichen Mitarbeiterin unterzeichnete Angabe des Transportministeriums der Tschechischen Republik, ein mindestens 185-tägiger Aufenthalt des Antragstellers bzw. die näheren Umstände und Gründe dieses Aufenthalts seien unbekannt, ist kein ausreichendes Indiz für einen bloßen Kurzaufenthalt oder Scheinwohnsitz des Betroffenen in Tschechien.


Siehe auch
Das Wohnsitzprinzip bei der Erteilung eines EU-Führerscheins
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Gründe:


Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der vom Antragsteller erhobenen Klage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 15. März 2017 wiederherzustellen.
Bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO sind die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung beizumessenden Erfolgsaussichten von erheblicher Bedeutung. Ergibt die Prüfung, dass der Widerspruch oder die Klage offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Im entgegengesetzten Fall der offensichtlich fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs bleibt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolglos, sofern ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse besteht. Lässt sich weder in die eine noch in die andere Richtung ein offensichtliches Ergebnis absehen, ist eine von den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs gelöste Interessenabwägung vorzunehmen. Letzteres ist hier der Fall, weil sich die Rechts- und Tatsachenlage als offen erweist. Die von einer Prognose des Verfahrensausgangs in der Hauptsache absehende Abwägung führt zum Überwiegen der für das private Interesse des Antragstellers streitenden Gesichtspunkte, also für dessen Anliegen, sofort wieder am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können.




Rechtsgrundlage der angefochtenen Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 15. März 2017 kann nur § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Satz 2 FeV sein. Danach gilt die Berechtigung von Inhabern einer gültigen (ausländischen) EU- oder EWR- Fahrerlaubnis mit ordentlichem Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, in deren jeweiligem Umfang Kraftfahrzeuge im Inland zu führen, unter anderem nicht für Personen, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler i. S. d. § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben; falls diese Berechtigung nicht gegeben ist, kann die Behörde einen feststellenden Verwaltungsakt hierüber erlassen.

Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV zeichnet die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof zum sog. Führerscheintourismus nach. Diese Rechtsprechung sieht in der Sanktionierung von Verstößen gegen die Bestimmungen des unionsrechtlichen Fahrerlaubnisrechts über die einzelstaatliche Zuständigkeit zur Erteilung von Fahrerlaubnissen die einzige Handhabe, um auch gegen den Führerscheintourismus vorzugehen. Die Frage, ob im Einzelfall von einem solchen Verstoß ausgegangen werden kann, orientiert sich im Wesentlichen an den Bestimmungen der gemeinschafts- bzw. unionsrechtlichen Führerscheinrichtlinien und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.

Insoweit kann dahinstehen, ob für den vorliegenden Rechtsstreit die Bestimmungen der sog. 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein, ABl. L 237, S. 1; im Folgenden: Richtlinie 91/439/EWG) oder diejenigen der sog. 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein, ABl. L 403, S. 18; im Folgenden: Richtlinie 2006/126/EG) anzuwenden sind. Denn die für den Fall bedeutsamen Bestimmungen über die grundsätzliche wechselseitige Anerkennungspflicht von Fahrerlaubnissen, über die örtliche bzw. internationale Zuständigkeit der Fahrerlaubnisbehörden und über denkbare Ausnahmen vom Anerkennungsmechanismus stimmen weiten Umfangs überein. Insbesondere kann der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
   - vgl. Urteile vom 1. März 2012 - Rs. C- 467/10 (Akyüz) -, NJW 2012, 1341 = DAR 2012, 192 = Blutalkohol 49 (2012), 154 - juris, Rn. 40, 64 und 77, und vom 26. April 2012 - Rs. C- 419/10 (Hofmann) -, NJW 2012, 1935 = DAR 2012, 319 = Blutalkohol 49 (2012), 256 - juris, Rn. 44, 47 und 65 ff. -

entnommen werden, dass die wechselseitige Anerkennungspflicht in beiden Richtlinien denselben Regeln unterfällt und etwa die Bestimmung des Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2006/126/EG trotz geänderten Wortlautes keine weitergehenden Ausnahmen von der Anerkennungspflicht vorsieht bzw. ermöglicht als die entsprechende Vorläuferbestimmung der Richtlinie 91/439/EWG.



Zu der vorliegend für die Anerkennungsfähigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis des Antragstellers maßgeblichen Frage der Einhaltung der innereuropäischen Zuständigkeit für die Erteilung von Fahrerlaubnissen hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass nach der Ausstellung eines Führerscheins durch Behörden eines Mitgliedstaats die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt seien, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen nachzuprüfen. Vielmehr sei der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber dieses Führerscheins am Tag der Erteilung des Führerscheins diese Voraussetzungen erfüllt habe.
   Vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - Rs. C-​329/06 und C-​343/06 (Wiedemann u. a.) -, NJW 2008, 2403 = Blutalkohol 45 (2008), 255 = DÖV 2008, 723 = NZV 2008, 641 = juris, Rn. 53 m. w. N.

Zu diesen Voraussetzungen zähle auch die (staatliche) Zuständigkeit für die Erteilung einer Fahrerlaubnis. Folglich sei ein Mitgliedstaat nur dann berechtigt, einen in einem anderen EU-​/EWR-​Staat ausgestellten Führerschein nicht anzuerkennen, wenn er dies ohne Eingriff in die Zuständigkeiten des Ausstellermitgliedstaats, wie insbesondere dessen ausschließliche und unumschränkte Zuständigkeit, den Wohnsitz des Inhabers in seinem Hoheitsgebiet zu prüfen, tun könne,
   vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - Rs. C- 445/08 (Wierer) -, NJW 2010, 217 = DAR 2009, 637 = Blutalkohol 46 (2009), 408 (Rn. 55),

also wenn nicht (nur) anhand von Informationen des Aufnahmemitgliedstaats, sondern aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststehe, dass die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes nicht beachtet worden sei. Die bei einem solchermaßen festgestellten Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis anzuerkennende Ausnahme von der Pflicht, in anderen Mitgliedstaaten erteilte Fahrerlaubnisse ohne Formalitäten anzuerkennen, dürfe nicht weit verstanden werden, da sonst der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung völlig ausgehöhlt werde. Daher sei die vorstehend angesprochene Aufzählung der Erkenntnisquellen, auf die sich der Aufnahmemitgliedstaat stützen könne, um die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu verweigern, abschließend und erschöpfend. Damit eine Information eines Ausstellermitgliedstaats, wonach der Inhaber eines Führerscheins dort bei dessen Ausstellung nicht wohnhaft gewesen sei, als unbestreitbar eingestuft werden könne, müsse sie von einer Behörde dieses Staates herrühren. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-​/EWR-​Fahrerlaubnissen stehe einer auf irgendeine andere Information gestützten Weigerung entgegen. Es sei nicht ausgeschlossen, die von den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaats erlangten Informationen als solche Informationen anzusehen. Dagegen könnten - etwa - Erläuterungen oder Informationen, die der Inhaber eines Führerscheins im Verwaltungsverfahren oder im gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer ihm nach dem innerstaatlichen Recht des Aufnahmemitgliedstaats obliegenden Mitwirkungspflicht erteilt hat, nicht als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen über einen im Zeitpunkt der Ausstellung seines Führerscheins bestehenden Wohnsitz außerhalb des ausstellenden Staates qualifiziert werden. Es sei Sache des (vorlegenden) Gerichts zu prüfen, ob Informationen - etwa auf diplomatischen Wegen erlangte Mitteilungen von zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats -, als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen eingestuft werden könnten. Das (vorlegende) Gericht müsse die genannten Informationen gegebenenfalls auch bewerten und beurteilen, ob es sich um unbestreitbare Informationen handele, die belegten, dass der Inhaber des Führerscheins zum Ausstellungszeitpunkt seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats gehabt habe. Das (vorlegende) Gericht könne im Rahmen der Beurteilung der ihm vorliegenden, vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen alle Umstände des bei ihm anhängigen Verfahrens und dabei insbesondere den etwaigen Umstand berücksichtigen, dass sich der Inhaber des Führerscheins nach diesen Informationen nur für ganz kurze Zeit im Gebiet des im Ausstellermitgliedstaates aufgehalten und dort einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck errichtet habe, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen.
   Vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - Rs. C- 467/10 (Akyüz) -, a. a. O., Rn. 62 bis 75.

Aus der nicht unmittelbar aus sich heraus verständlichen Verknüpfung der Beschränkung auf Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat einerseits und der Möglichkeit der Berücksichtigung "alle[r] Umstände des [...] anhängigen Verfahrens" andererseits wird in der neueren verwaltungsgerichtlichen Judikatur gefolgert, dass eine mehrstufige Prüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen vorzunehmen sei, wobei auf der ersten Stufe ausschließlich Verlautbarungen aus dem Ausstellermitgliedstaat zu würdigen seien, während im Falle so erlangter Hinweise etwa auf einen "ganz kurzen" Aufenthalt des Fahrerlaubnisinhabers im Ausstellermitgliedstaat und auf einen "rein fiktiven" Wohnsitz dann in einem zweiten Prüfungsabschnitt auf sonstige, insbesondere aus dem Aufnahmemitgliedstaat stammende oder vom betroffenen Fahrerlaubnisinhaber selbst herrührende Informationen zurückgegriffen werden könne.
   So OVG Rh.-​Pf., Beschluss vom 15. Januar 2016 - 10 B 11099/15 -, NJW 2016, 2052 = DAR 2016, 218 = VRS 130 (2016), 47 = Blutalkohol 53 (2016), 201 = juris, Rn. 4; ähnlich Bay. VGH, Beschluss vom 23. Januar 2017 - 11 ZB 16.2458 -, juris, Rn. 12 f.

In anderen Entscheidungen wird - in der Sache wohl keinen Unterschied begründend - von einem auf Erkenntnisse aus dem Ausstellermitgliedstaat beschränkten Prüfungsrahmen einerseits und der Möglichkeit der Ausfüllung dieses Rahmens auch durch die Nutzung sonstiger Erkenntnismittel gesprochen.
   So Bay. VGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 11 CS 11.2795 -​, ZfSch 2012, 416 = juris, Rn. 9 bis 31; Nds. OVG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 12 ME 22/16 -, DAR 2017, 97 = juris, Rn. 17, und vom 29. März 2016 - 12 ME 32/16 -, NJW 2016, 2132 = juris, Rn. 9.

Der Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an, allerdings mit der Maßgabe, dass im Ausgangspunkt (wirklich) nur vom Ausstellermitgliedstaat herrührende und deutlich auf eine bloße Umgehung des Wohnsitzerfordernisses durch den Inhaber der in Frage stehenden EU- oder EWR-​Fahrerlaubnis hinweisende Umstände berücksichtigt werden können.

Anders etwa OVG Rh.-​Pf., Beschluss vom 15. Januar 2016 - 10 B 11099/15 -, a. a. O., juris, Rn. 6, wo schon auf der ersten Prüfungsstufe auf den melderechtlichen Wohnsitz des Betroffenen in Deutschland als Indiztatsache zurückgegriffen worden ist.




Auch erscheint es dem Senat als zu weitgehend, das bloße Ausbleiben angeforderter ergänzender Informationen aus dem Ausstellermitgliedstaat - etwa durch den formularmäßigen Hinweis, die näheren Umstände des Aufenthalts des Betroffenen seien unbekannt ("unknown") - als Indiz für einen Wohnsitzverstoß zu bewerten. Denn der Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass auch die Erklärung der nationalen Behörden des Ausstellermitgliedstaats, sie hätten die Wohnsitzvoraussetzung nicht geprüft, nicht beweise, dass der Inhaber seinen Wohnsitz nicht im Gebiet dieses Mitgliedstaats gehabt hat.
   Vgl. EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - C- 445/08 (Wierer) -, a. a. O., Rn. 55.

Vor diesem Hintergrund ist die auch von einem örtlichen Mitarbeiter bzw. einer örtlichen Mitarbeiterin aus M. unterzeichnete Angabe des Transportministeriums der Tschechischen Republik vom 13. Juni/12. Juli 2016, ein mindestens 185-​tägiger Aufenthalt des Antragstellers bzw. die näheren Umstände und Gründe dieses Aufenthalts seien unbekannt, kein im oben genannten Sinne ausreichendes Indiz für - etwa - einen bloßen Kurzaufenthalt oder Scheinwohnsitz des Antragstellers in Tschechien. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der behauptete Aufenthalt des Antragstellers in Tschechien zur Zeit der Anfrage durch das Kraftfahrt- Bundesamt bereits etwa acht Jahre zurücklag und nähere Angaben zum - privaten und/oder beruflichen - Zweck des Aufenthalts seinerzeit ohnehin nicht mit hinlänglicher Gewissheit abgefragt und niedergelegt worden sein dürften. Andererseits hat der Antragsteller eine Bestätigung ("Potvrzení") des tschechischen Innenministeriums ("Ministerstvo vnitra") über einen beruflichen Aufenthalt ("povolený pobyt") vom 4. Dezember 2007 bis zum 13. November 2008 unter einer konkreten Anschrift in Tschechien vorgelegt, deren Authentizität und Wahrheitsgehalt nicht ohne weiteres in Frage gestellt werden können. Die genannte Aufenthaltsdauer liegt oberhalb der 185-​Tage-​Marke und umfasst auch das Datum der Fahrerlaubniserteilung (2. September 2008).



Soweit sich Zweifel an der zuletzt genannten Verlautbarung ergeben, beruhen diese darauf, dass der Antragsteller im Zeitraum zwischen dem 30. Oktober 2001 und dem 26. November 2011 ununterbrochen unter der Anschrift N. straße 39 in J. gemeldet war. Indes handelt es sich bei dieser Gegebenheit um eine solche, die nicht schon auf der ersten Stufe, also bei der Auffindung bloßer Hinweise auf einen möglichen Wohnsitzverstoß, sondern erst bzw. allenfalls bei bereits greifbaren Zweifeln an der Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses, also auf der zweiten Stufe bzw. rahmenausfüllend, zur Geltung gebracht werden kann. Auf Verlautbarungen des Ausstellermitgliedstaates gegründete Zweifel ergeben sich indessen, wie dargelegt, nicht.

Der zuletzt genannte Umstand berechtigt aber die Fahrerlaubnisbehörde bzw. das Gericht der Hauptsache, noch nähere Kenntnisse durch Anfragen an Behörden des Ausstellermitgliedstaates einzuholen, wobei vorliegend etwa an eine Klärung der Frage zu denken wäre, wie die Unkenntnis des Transportministeriums der Tschechischen Republik über die Aufenthaltsverhältnisse des Antragstellers zu verstehen ist. Es kommt insoweit sowohl in Betracht, dass dem Ministerium, etwa wegen des Zeitablaufs, keine Erkenntnismöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen, als auch, dass dem Ministerium ein realer Aufenthalt oder jedenfalls eine ordnungsgemäße Meldung des Antragstellers in Tschechien bekannt wäre, wenn es diese gegeben hätte, so dass aus der Unkenntnis auf einen fehlenden Aufenthalt des Antragstellers geschlossen werden könnte. Weiter könnte, wie dies auch der Senat in Einzelfällen weiterhin tut, eine Anfrage an das Gemeinsame Zentrum der deutsch- tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit Q. -​T. gerichtet werden, das sich nach den bestehenden Erfahrungen seinerseits an tschechische Behörden wenden würde.

Die demnach eröffnete "reine", das heißt von den summarisch eingeschätzten Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage gelöste Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Die Trunkenheitsfahrt des Antragstellers (§ 316 Abs. 1 und Abs. 2 StGB), die seinerzeit zur Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis durch das Amtsgericht J. geführt hat, fand am 24. August 2003 statt, liegt mithin mehr als vierzehn Jahre zurück. Nähere Erkenntnisse zu der Trunkenheitsfahrt sind aus dem Verwaltungsvorgang nicht ersichtlich, so dass nicht festgestellt werden kann, ob die damals bei dem Antragsteller ermittelte Blutalkoholkonzentration den Schluss auf eine - jedenfalls damals - verfestigte Alkoholproblematik zugelassen hat. Die Tilgungsreife der damaligen Fahrerlaubnisentziehung einschließlich der zugrundeliegenden Verkehrsstraftat wird in weniger als einem Jahr eintreten, nämlich am 4. November 2018 (vgl. § 65 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 StVG in der aktuell geltenden, zuletzt durch Art. 1 Nr. 29 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 28. November 2016 (BGBl. I S. 2722) geänderten Fassung i. V. m. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 StVG in der bis zum 30. April 2014 geltenden Fassung; nachfolgend: StVG a. F.), was zur Folge hat, dass sie nach dem Ablauf der zusätzlichen einjährigen Überliegefrist gelöscht wird (§ 29 Abs. 7 Satz 1 StVG a. F.) und dem Betroffenen nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden kann. Das bedeutet, dass schon in relativ naher Zukunft keine rechtlichen Konsequenzen aus der damaligen Fahrerlaubnisentziehung und der dazu führenden Verkehrsstraftat des Antragstellers mehr gezogen werden dürfen. Abgesehen davon nimmt der Antragsteller seit dem 2. September 2008, dem Tag der Erteilung der in Rede stehenden tschechischen Fahrerlaubnis, wieder am motorisierten Straßenverkehr teil. Da davon ausgegangen werden kann, dass er auch, vermutlich sogar überwiegend, in Deutschland Kraftfahrzeuge geführt hat, kann aus dem Fehlen von aktenkundigen Hinweisen von Polizei, Staatsanwaltschaft oder dem Kraftfahrt- Bundesamt auf neuerliche Verfehlungen des Antragstellers geschlossen werden, dass dieser seit nunmehr über neun Jahren unauffällig gefahren ist. Als (weiterhin) zweifelsbegründend könnte allenfalls noch angeführt werden, dass der Antragsteller im Jahr 2008 den fragwürdigen Ausweg des Fahrerlaubniserwerbs in Tschechien, also einem der klassischen Ziele des verbreiteten Führerscheintourismus, gewählt und sich so zumindest objektiv den strengeren Wiedererteilungsbestimmungen des deutschen Rechts entzogen hat. Gleichwohl ist es in der Gesamtschau mit den weiteren genannten Gesichtspunkten vertretbar, dem privaten Mobilitätsinteresse des Antragstellers den Vorrang vor dem allenfalls noch geringfügig berührten Aspekt der Sicherheit des Straßenverkehrs bzw. der anderen Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrzeugführern einzuräumen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 und § 66 Abs. 3 GKG).

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