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Landgericht Düsseldorf Urteil vom 08.09.2017 - 9 O 197/16 - Regressaddition bei mehreren Obliegenheitsverletzungen n

LG Düsseldorf v. 08.09.2017: Regressanspruch wegen Leistungsfreiheit aufgrund der Verletzung der Obliegenheiten durch das Fahren der Versicherungsnehmerin in alkoholisiertem Zustand und des unerlaubten Entfernens




Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 08.09.2017 - 9 O 197/16) hat entschieden:

1. Seitens der Kraftfahrthaftpflichtversicherung besteht ein Regressanspruch wegen Leistungsfreiheit aufgrund der Verletzung der Obliegenheiten durch das Fahren der Versicherungsnehmerin in alkoholisiertem Zustand und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort. Die Regresshöchstbeträge werden addiert.

2. Ein Rückgriff wegen des Fahrens im alkoholisierten Zustand ist nicht wegen Unzurechnungsfähigkeit des Versicherungsnehmers ausgeschlossen, wenn dieser nicht den Beweis einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit führen kann. Darüber hinaus würde bei Annahme einer Unzurechnungsfähigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalls eine grobe Fahrlässigkeit vorliegen, welche eine Leistungskürzung auf Null rechtfertigt.


Siehe auch
Addition der Regressbeträge bei Obliegenheitsverletzungen vor und nach dem Versicherungsfall sowie bei der Verursachung mehrerer Versicherungsfälle
und
Alkohol und Kfz-Versicherungsrecht

Tatbestand:


Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem am 08.04.2015 bestandenen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag in Anspruch.

Die Beklagte verursachte am 08.04.2015 mit dem bei der Klägerin versicherten Fahrzeug Audi A6 mit dem amtlichen Kennzeichen ... gegen 15:46 Uhr einen Verkehrsunfall mit Sachschaden. Zum Zeitpunkt des Unfalls war sie alkoholisiert. Sie entfernte sich fußläufig vom Unfallort, ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen.

Von Beamten der hinzugerufenen Polizei wurde sie kurze Zeit später an ihrer Wohnanschrift angetroffen. Ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 1,23 mg/l. Zwei daraufhin angeordnete und durchgeführte Blutuntersuchungen um 17:00 Uhr und 17:30 Uhr ergaben Promillewert von 2,83 bzw. 2,74 Promille. Ausweislich des im Strafverfahren eingeholten rechtsmedizinischen Gutachtens (Anlage K9) ergibt sich daraus unter Berücksichtigung eines Sicherheitszuschlages von 0,2 Promille eine Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt des Unfalls von 3,27 Promille. Der Sachverständige ... kommt in dem vorgenannten Gutachten zur Annahme einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit, in Anbetracht des situationsadäquaten Verhaltens unmittelbar nach dem Unfall und dem dokumentierten klaren Bewusstsein sei jedoch nicht von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auszugehen; auch liege kein Hinweis auf eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit vor.

Die Klägerin regulierte den durch den Unfall verursachten Fremdschaden in Höhe von weit über 10.000 EUR. Wegen der einzelnen zur Begründung der Klage herangezogenen Positionen wird auf die Klageschrift verwiesen.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG im Innenverhältnis zur Beklagten gemäß D. 3.3 AKB bis zu einer Höhe von 5000 EUR und gemäß E. 7.3 AKB bis zu einer Höhe von 2500 EUR leistungsfrei geworden.

Auf Antrag der Klägerin es gegen die Beklagte wegen Versäumung des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 01.02.2017 Versäumnisurteil vom selben Tage ergangen, durch das sie antragsgemäß verurteilt worden ist, an die Klägerin 7.500,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.10.2015 zu zahlen.

Gegen dieses Urteil, das ihr am 17.02.2017 zugestellt worden ist, hat sie mit anwaltlichem Schriftsatz vom 02.03.2017, der am selben Tage bei Gericht eingegangen ist, Einspruch eingelegt.




Die Klägerin beantragt nunmehr,

   das Versäumnisurteil vom 01.02.2017 aufrechtzuerhalten.

Die Beklagte beantragt,

   das Versäumnisurteil vom 01.02.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe zum Zeitpunkt der Geschehnisse vom 08.04.2015 ohne Schuld gehandelt. Sie habe am besagten Tag in erheblicher Weise Alkohol zu sich genommen; dazu sei es gekommen, weil es seinerzeit einen schlimmen Vorfall in der Familie der Beklagten gegeben habe, den sie nicht verkraftet habe. Für die Unfähigkeit, das Unrecht ihrer Tathandlungen einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln spreche nicht zuletzt auch die hohe Blutalkoholkonzentration von 3,27 Promille.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.




Entscheidungsgründe:


Auf den form- und fristgerecht eingelegten Einspruch, durch den Rechtsstreit in die Lage vor der Säumnis zurückversetzt worden ist, war das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten, da die Klage begründet ist.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Regressanspruch § 426 Abs. 1 BGB. Im Innenverhältnis zur Beklagten ist die Klägerin leistungsfrei geworden, weil sie in den Versicherungsbedingungen festgelegte Obliegenheiten verletzt hat. Sie hat den Pkw in alkoholisiertem Zustand geführt und sich nach dem Unfallereignis unerlaubt vom Unfallort entfernt.

Die darin liegenden Verletzungen ihrer Obliegenheiten vor und nach Eintritt des Versicherungsfalles haben die Addition der Beträge, bis zu denen der Versicherer Leistungsfreiheit in Anspruch nehmen kann, zur Folge (BGH, Urteil vom 14.09.2005 - IV ZR 216/04 -, NZV 2006, 78; OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.10.2003 - I-​4 U 71/03 -, VersR 2004, 1129).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Rückgriff der Klägerin wegen der im Fahren im alkoholisierten Zustand liegenden Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht wegen Unzurechnungsfähigkeit der Beklagten ausgeschlossen. Der Versicherungsnehmer, hier die Beklagte, hat ihm günstige Ausnahmen bei nachgewiesenem Vorsatz zu beweisen, so insbesondere die Berufung auf mangelnde Zurechnungsfähigkeit bei Taten unter Alkoholeinfluss, § 827 Satz 2 BGB (Büsken in: Münchener Kommentar zum VVG, 2. Auflage 2017, Kap. 300 Rn. 151 m. w. N.). Dies gelingt der Beklagten mit ihrem auch nach Erörterung bewusst undeutlichen Vortrag, der sich ebenso wenig zu ihren sonstigen Trinkgewohnheiten verhält, nicht. Solange ein Täter nicht den Zustand einer Zurechnungsunfähigkeit im Sinne von § 827 BGB erreicht, ein Ausschluss der Wahrnehmungsfähigkeit oder der freien Willensbestimmung also noch nicht eingetreten ist, bleibt vorsätzliches Handeln möglich (BGH, Urt. v. 09.11.2005 - IV ZR 146/04 -, BeckRS 2005, 14322 m. w. N.). Nachvollziehbare Anhaltspunkte dazu hat die Beklagte nicht benannt.

Selbst wenn die Beklagte bei Antritt ihrer Trunkenheitsfahrt oder bei Eintritt des Versicherungsfalls unzurechnungsfähig im Sinne von § 827 Satz 1 BGB gewesen sein sollte, hätte sie jedenfalls grob fahrlässig gehandelt; in diesem Fall und der absoluten Fahruntüchtigkeit wäre auch bei grober Fahrlässigkeit eine Leistungskürzung auf Null gerechtfertigt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.09.2016 - I-​4 108/15 - m. w. N.). Es fehlt jeglicher Vortrag, welche Vorkehrungen die Beklagte getroffen hat, um zu verhindern, dass sie sich an das Steuer des Fahrzeuges setzen würde, obwohl sie wusste, alkoholische Getränke zu konsumieren. Auch auf den Hinweis im Termin zur mündlichen Verhandlung ist weitergehender Vortrag nicht erfolgt; vielmehr ist klargestellt worden, dass der Vortrag bewusst wenig konkret gehalten worden ist.

Auch dem Rückgriff wegen der nach Eintritt des Versicherungsfalles eingetretenen Obliegenheitsverletzung durch das unerlaubte Entfernen der Beklagten vom Unfallort kann die Beklagte nicht mit Erfolg entgegenhalten, sie sei schuldunfähig gewesen. Ungeachtet der Frage, ob das im Strafverfahren eingeholte rechtsmedizinische Gutachten vorliegend zu verwerten ist, hat die Beklagte jedenfalls weder im einzelnen vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass die darin getroffenen Annahmen, die sich die Klägerin zu eigen gemacht hat, unzutreffend sind. Soweit sie ausführt, der Sachverständige habe sich offensichtlich allein leiten lassen vom ärztlichen Bericht anlässlich der Blutentnahme, in dem angeführt sei, dass das Bewusstsein klar und die Sprache deutlich gewesen sei, wird dies durch ihren Vortrag, dies müsse mit Nachdruck bestritten werden, nicht infrage gestellt. Eine abweichende Tatsachenschilderung enthält dies nicht. Erst recht geht die Beklagte nicht auf die Würdigung des Sachverständigen ein, aufgrund ihres situationsadäquaten Verhaltens unmittelbar nach dem Unfall sei nicht von einer Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auszugehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

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