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Landgericht Osnabrück Urteil vom 02.07.2018 - 7 S 404/17 - Erhöhte Betriebsgefahr durch gefährliche Fahrmanöver

LG Osnabrück v. 02.07.2018: Erhöhung der Betriebsgefahr durch riskante Fahrweise


Das Landgericht Osnabrück (Urteil vom 02.07.2018 - 7 S 404/17) hat entschieden:

   Eine Erhöhung der Betriebsgefahr setzt nicht zwingend eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise voraus; auch ein unnötiges und besonders riskantes sowie unfallträchtiges Fahrmanöver kann die Betriebsgefahr eines Fahrzeugs deutlich erhöhen.




Siehe auch

Verkehrswidriges Verhalten des Fahrzeugführers und Bewertung der Betriebsgefahr

und

Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung

Gründe:


I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 04.12.2015 auf der ... außerhalb geschlossener Ortschaften ereignet hat.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen haben sich insoweit nicht ergeben, für die Kammer haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen würden.

Das Amtsgericht hat der Klage mit der angefochtenen Entscheidung in Höhe von 1.548,56 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat dabei eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten zugrunde gelegt und dies maßgeblich damit begründet, dass ein Anscheinsbeweis gegen die Beklagten streite, weil sich der Unfall im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Einbiegen der Beklagten zu 1.) von einer untergeordneten in eine übergeordnete Straße ereignet habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Der Kläger hat seine mit Schriftsatz vom 02.11.2017 gegen dieses Urteil eingelegte Berufung, deren Ziel eine Verurteilung der Beklagten zu 100 % war, mit Schriftsatz vom 14.06.2018 zurückgenommen, nachdem die Kammer ihm insoweit Prozesskostenhilfe versagt hatte.

Die Beklagten verfolgen mit ihrer unter dem 24.10.2017 eingelegten Berufung weiterhin das Ziel einer vollständigen Klageabweisung mit der Begründung, dass aufgrund des atypischen Geschehensablaufes keineswegs ein Anscheinsbeweis zu Lasten der Beklagten greife, sondern - im Gegenteil - von einer alleinigen Haftung des Klägers auszugehen sei, weil nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass der Kläger ohne Notwendigkeit links an der Beklagten zu 1.) vorbeigezogen sei und diese dann „ausgebremst“ habe.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet, so dass das angefochtene Urteil wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern war.

Der Kläger hat gegen die gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 774,28 € gem. §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 BGB, jeweils i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG, §§ 421 ff. BGB.

Die Aktivlegitimation des Klägers hat das Amtsgericht zutreffend bejaht, sie wird von den Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Abrede genommen. Ebenfalls zutreffend ist das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Unfall weder für den Sohn des Klägers, der dessen PKW führte, noch für die Beklagte zu 1.) höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG oder ein - nachweisbar - unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte.

Die wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge waren daher gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG gegeneinander abzuwägen, wobei in diese Abwägung nur zugestandene, unstreitige und nach Maßgabe des § 286 ZPO bewiesene Umstände einzustellen sind, die sich auf das Unfallereignis ausgewirkt haben.




Die Kammer ist nach erneuter Beratung unter Berücksichtigung der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2018 zu der Auffassung gelangt, dass die Haftungsanteile vorliegend mit 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Klägers zu bemessen sind. Hierfür waren folgende Erwägungen maßgeblich:

Wie die Kammer in ihrem Beschluss vom 12.03.2018, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, bereits ausgeführt hat, streitet vorliegend kein Anscheinsbeweis gegen die Beklagte zu 1.). Sowohl für einen Anscheinsbeweis unter dem Gesichtspunkt des Auffahrunfalls als auch für einen prima-​facie-​Beweis wegen eines engen örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges mit dem Auffahren der Beklagten zu 1.) von einer untergeordneten auf eine bevorrechtigte Straße fehlt es vorliegend an der erforderlichen Typizität des Geschehensablaufes.

Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme steht ein konkreter Verstoß gegen die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung weder für den Sohn des Klägers noch für die Beklagte zu 1.) mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit fest. Zunächst einmal steht nicht fest, dass die Beklagte dem Sohn des Klägers unter Verstoß gegen § 8 Abs. 1, 2 StVO die Vorfahrt genommen hat. Weil der Sachverständige nämlich zur tatsächlichen Annäherungsgeschwindigkeit des Sohnes des Klägers keine Feststellungen hat treffen können, auch wenn er es aus technischer Sicht für unwahrscheinlich hielt, dass der Zeuge ... - wie der Kläger behauptet hat und von den Zeugen ... und ... bestätigt wurde - sich mit lediglich 70 km/h näherte, ist nicht auszuschließen, dass die Beklagte zu 1.) unter Einhaltung der Sorgfaltsanforderungen des § 8 Abs. 2 StVO auf die bevorrechtigte Straße auffuhr. Wenn nämlich der Zeuge ... - was nach den Ausführungen des Sachverständigen durchaus nicht fernliegend ist - sich dem späteren Kollisionsort mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h näherte, befand er sich zu dem Zeitpunkt, als die Beklagte zu 1.) ihren Anfahrentschluss fasste, gerade noch außerhalb des einsehbaren Bereichs. Dann wäre der Beklagten zu 1.) keine Pflichtverletzung vorzuwerfen, andererseits stünde damit aber auch noch nicht fest, dass der Unfall für sie unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVO war.

Auch ein konkreter Verkehrsverstoß des das Fahrzeug des Klägers führenden Zeugen ... ist jedoch nicht bewiesen, auch wenn für ihn der Unfall nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in jedem Falle vermeidbar war, insbesondere auch unter Berücksichtigung der denkbaren Annäherungsgeschwindigkeiten. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung ist ebenso wenig in einem für § 286 ZPO ausreichenden Maße bewiesen wie das von den Beklagten behauptete mutwillige „Ausbremsen“ der Beklagten zu 1.) durch den Sohn des Klägers zum Zwecke der Maßregelung. Weshalb es zu der scharfen Abbremsung des Zeugen ... nach dem Vorbeiziehen am Fahrzeug der Beklagten zu 1.) kam, hat der Sachverständige nicht eindeutig festzustellen vermocht, wenngleich seinen mündlichen Ausführungen im Termin vor dem Amtsgericht am 07.09.2017 zu entnehmen ist, dass das vom Kläger behauptete Schleudern zumindest unwahrscheinlich ist. Der Sachverständige ... hat erklärt, dass das von den Beklagten behauptete „Ausbremsen“ technisch möglich sei, sich aber nicht weiter verifizieren lasse.

Es bleiben für die Abwägung nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG daher die Betriebsgefahren, die von den beteiligten Fahrzeugen ausgingen und sich in dem Unfallereignis realisierten.

Hierbei ist die Kammer auf der Grundlage des teils unstreitigen, teils durch die erstinstanzliche Beweisaufnahme bewiesenen Sachverhaltes der Auffassung, dass auf Seiten des Klägers aufgrund der unnötig riskanten Fahrweise seines Sohnes ... von einer deutlich erhöhten Betriebsgefahr auszugehen ist.



Nach der Rechtsprechung des BGH kann die allgemeine Betriebsgefahr durch besondere Umstände erhöht sein, namentlich durch eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise der bei dem Betrieb tätigen Personen, was dann bei der Schadensteilung mit zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 27.06.2000, VI ZR 126/99, bei Juris, Rz. 23 m.w.N.; s. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2014, 1 U 71/13, bei Juris). Die Betriebsgefahr erhöhende Umstände können allerdings zu Lasten eines Unfallbeteiligten nur dann berücksichtigt werden, wenn sie zum einen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder gem. § 286 ZPO bewiesen sind, und wenn sie sich auch (nachweislich) auf den Unfall ausgewirkt haben (BGH, a.a.O., Rz. 23; s. auch BGH, Urteil vom 10.01.1995, VI ZR 247/94, bei Juris, zur Berücksichtigung der Alkoholisierung eines Unfallbeteiligten). Eine Erhöhung der Betriebsgefahr in diesem Sinne setzt allerdings nicht zwingend eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise voraus. Vielmehr ist die Betriebsgefahr immer dann erhöht, wenn durch das Hinzutreten besonderer Umstände die regelmäßig und notwendigerweise mit dem Betrieb eines Fahrzeugs verbundene Gefahr vergrößert wird (OLG Saarbrücken, Urteil vom 05.04.2005, 4 U 167/04, bei Juris, Rz. 33 m.w.N.). Dabei kommen unabhängig von einer vorwerfbar sorgfaltswidrigen Handlung der mit dem Betrieb des Fahrzeugs befassten Personen auch sonstige objektive Umstände in Betracht, die das Gefahrenpotential des Fahrzeugs erhöhen (OLG Saarbrücken, a.a.O., zum Fall eines bei Nacht wegen einer Reifenpanne am rechten Fahrbahnrand einer Autobahn abgestellten LKW).

Auch wenn vorliegend nicht eindeutig bewiesen ist, dass der Sohn des Klägers einen (ggf. bußgeldbewehrten oder sogar strafbaren) Verkehrsverstoß begangen hat, ist die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der gut nachvollziehbaren und inhaltlich überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, davon überzeugt, dass der Sohn des Klägers durch das ebenso unnötige wie riskante Vorbeiziehen am PKW der Beklagten zu 1.) mit anschließender Abbremsung bis zum Stillstand die von dem PKW Audi A 6 des Klägers ausgehende Betriebsgefahr derart erhöht hat, dass sie sich in der anschließenden Kollision deutlich stärker ausgewirkt hat als die Betriebsgefahr, die von dem PKW Opel Agila der Beklagten zu 1.) ausging.

Nach den Feststellungen des Sachverständigen hätte der Sohn des Klägers bei einer angenommenen - aber unwahrscheinlichen - Annäherungsgeschwindigkeit von 70 km/h bei rechtzeitiger Einleitung von Abwehrmaßnahmen den PKW gefahrlos hinter dem Opel Agila bis auf dessen Geschwindigkeit abbremsen können. Bei Annahme einer Geschwindigkeit von 70 km/h müsse der Sohn des Klägers aber erst so spät reagiert haben, dass ein Ausweichen bzw. Spurwechsel kaum noch durchführbar gewesen wäre, so dass es wahrscheinlich zur Kollision im Spurwechsel gekommen wäre. Aber auch das Ausweichen nach links sei in dieser Situation ungewöhnlich.

Bei einer angenommenen Annäherungsgeschwindigkeit von 120 km/h, so der Sachverständige weiter, wären die Abstände zwischen den Fahrzeugen so gewesen, dass der Sohn des Klägers sich zum Zeitpunkt des Anfahrens durch die Beklagte zu 1.) noch etwa 157 m entfernt befunden und sodann bei einer Entfernung von ca. 109 m Abwehrmaßnahmen eingeleitet hätte. Aufgrund der Abstände hätte er dann bremsend in die mittlere Fahrspur wechseln und links an dem PKW der Beklagten zu 1.) vorbeifahren können. Ebenso wäre es für ihn jedoch bei Erkennen des Anfahrens der Beklagten zu 1.) möglich gewesen, selbst aus einer Geschwindigkeit von 100 km/h hinter dem Opel abzubremsen.

Unabhängig von der Annäherungssituation sei es jedoch, so der Sachverständige abschließend, nach dem erfolgten Ausscheren in die mittlere Fahrspur und der Vorbeifahrt an dem PKW der Beklagten zu 1.) für den Sohn des Klägers nicht erforderlich gewesen, die Bremsung weiter auszuführen und letztlich anzuhalten. Vielmehr wäre eine Fortsetzung der Fahrt nach dem Vorbeifahren an dem PKW der Beklagten zu 1.) gefahrlos möglich gewesen.

Durch das schriftliche Gutachten und insbesondere die ergänzenden mündlichen Ausführungen des Sachverständigen widerlegt ist die Darstellung des Klägers bzw. auch die Aussage des Zeugen ..., dieser habe nicht hinter dem PKW der Beklagten zu 1.) bis zum Stillstand abbremsen, sondern zwangsläufig nach links ausweichen müssen, sei dabei ins Schleudern gekommen und vor dem PKW der Beklagten zu 1.) zum Stehen gekommen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen war es nämlich, wie ausgeführt, bei jeder angenommenen Annäherungsgeschwindigkeit möglich, rechtzeitig hinter dem PKW der Beklagten zu 1.) abzubremsen. Ein Abbremsen bis zum Stillstand wäre dabei nicht einmal nötig gewesen, weil eine Reduzierung der Geschwindigkeit auf diejenige des nun vor dem Klägerfahrzeug befindlichen PKW der Beklagten zu 1.) ausgereicht hätte. Aber auch wenn der Sohn des Klägers sich stattdessen entschlossen hat, nach links auszuweichen, wäre es ihm ohne weiteres möglich gewesen, danach die Fahrt fortzusetzen, statt vor dem PKW der Beklagten zu 1.) bis zum Stillstand abzubremsen. Der angebliche Schleudervorgang ist nach den für die Kammer überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen aufgrund des Spurenbildes, der Position des Klägerfahrzeuges nach der Kollision und auch dessen Ausstattung mit ESP-​Technik nicht plausibel.

Damit steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Sohn des Klägers ohne Not ein besonders riskantes und unfallträchtiges Fahrmanöver durchführte, welches die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs deutlich erhöhte und sich konkret in der anschließenden Kollision auswirkte, so dass eine Haftungsverteilung von 2/3 (Kläger) zu 1/3 (Beklagte) angemessen erscheint.

Was die einzelnen Schadenspositionen betrifft, hat die Kammer die zutreffenden Ausführungen auf Seite 8 des amtsgerichtlichen Urteils zugrunde gelegt, die in der Berufungsinstanz auch von keiner Partei angegriffen wurden.

Die vom Amtsgericht zutreffend abgewiesenen Nebenforderungen sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

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