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OLG Karlsruhe Beschluss vom 05.07.2018 - 2 Rv 4 Ss 332/18 - Keine Anerkennung eines während vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis erteilten EU-Führerscheins

OLG Karlsruhe v. 05.07.2018: Keine Anerkennung eines während vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis erteilten EU-Führerscheins


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 05.07.2018 - 2 Rv 4 Ss 332/18) hat entschieden:

   Ein während der vorläufigen Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis von einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union erteilter Führerschein berechtigt nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet.



Siehe auch

Fahrens ohne Fahrerlaubnis

und

Stichwörter zum Thema EU-Führerschein


Gründe:


I.

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht Bad Säckingen wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte am 21.03.2015 in L. mit einem PKW am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen. Das Amtsgericht ging davon aus, dass der Angeklagte nicht über eine gültige Fahrerlaubnis verfügte, weil ihm die deutsche Fahrerlaubnis nach vorläufiger Entziehung gemäß § 111a StPO am 17.10.2013 durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Waldshut-​Tiengen vom 26.02.2014, mit dem zugleich eine Sperrfrist von zehn Monaten für die Wiedererteilung bestimmt worden war, entzogen worden war und ein dem Angeklagten von Polen ausgestellter Führerschein ihn deshalb nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigte, weil dieser Führerschein am 24.01.2014 und damit während der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erteilt wurde.

Mit seiner Revision macht der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend. Insbesondere vertritt er den Standpunkt, dass die vorläufige Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis der Erteilung des polnischen Führerscheins und dem Gebrauch hiervon im Tatzeitpunkt nicht entgegenstand.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, die Revision durch Beschluss als unbegründet zu verwerfen. Zu ihrer Antragsschrift vom 29.05.2018 hat der Revisionsführer am 19.06.2018 eine Gegenerklärung abgegeben.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), die Überprüfung des Urteils hat keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

1. Die erhobenen Verfahrensrügen sind sämtlich nicht in einer den Begründungsanforderungen genügenden Weise ausgeführt und deshalb unzulässig.

a) Gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO müssen zur Begründung einer Verfahrensrüge die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. Die Verfahrenstatsachen sind danach richtig sowie so vollständig, genau und aus sich heraus verständlich darzulegen, dass das Revisionsgericht allein auf ihrer Grundlage ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob der Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (st. Rspr. des BGH, zuletzt etwa NStZ 2017, 722). Dies verpflichtet - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 112, 185) - auch zum Vortrag von Tatsachen, die dem Erfolg der Rüge entgegenstehen können (st. Rspr. des BGH, zuletzt etwa Beschluss vom 27.04.2017 - 4 StR 614/16, juris). Diesen Anforderungen genügen alle verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht.




b) Soweit die rechtsfehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen behauptet wird, gehört zum notwendigen Revisionsvorbringen u.a. die Mitteilung des Inhalts des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses (BGHSt 3, 213 und Beschluss vom 23.09.2015 - 2 StR 485/14, juris), der vorliegend jedoch - worauf in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft zutreffen hingewiesen wird - in der Begründungsschrift nur unvollständig wiedergegeben wird.

Im Übrigen wären die Rügen auch unbegründet. Mit den Beweisanträgen 2 und 3 verfolgte der Angeklagte - in der Begründung des Beweisantrags 2 wird dies ausdrücklich ausgeführt - das Ziel, dem Gericht die Überzeugung zu verschaffen, dass der Angeklagte bei der Begehung der Tat fest davon überzeugt war, aufgrund seines polnischen Führerscheins zur Teilnahme am Straßenverkehr berechtigt zu sein, worauf die mit dem Beweisantrag 3 behaupteten Handlungen bzw. Unterlassungen von Behörden und Verwaltungsgericht schon deshalb keinen Einfluss gehabt können, weil sie nach der Begehung der Tat lagen. Im Übrigen hat das Amtsgericht das mit den Beweisanträgen verfolgte Beweisziel seinem Urteil zugrunde gelegt und den Angeklagten deshalb nur wegen fahrlässiger Begehung verurteilt. Soweit mit den weiteren Beweisanträgen 4 und 5 bewiesen werden sollte, dass die Führerscheinbehörde in der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten über die Rechtswirkung des Führerscheins bestimmte - nach seiner Auffassung unrichtige - rechtliche Bewertungen vorgenommen hat, hat das Amtsgericht dies in seinem Urteil ebenfalls berücksichtigt. Danach kann bezüglich aller Beweisanträge jedenfalls ausgeschlossen werden, dass sich die unterbliebene Beweiserhebung zulasten des Angeklagten ausgewirkt haben kann und das Urteil darauf beruht (§ 337 StPO).

Aus demselben Grund greift die gleichfalls erhobene Aufklärungsrüge nicht durch, die ohnehin aus den in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründen nicht zulässig ausgeführt ist.

c) Soweit ein zweifacher Verstoß gegen § 338 Nr. 5 StPO behauptet wird, fehlt es ebenfalls an einer zulässig ausgeführten Rüge.

Hinsichtlich der in der Revisionsbegründung aufgeworfenen Frage, ob die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft von einer Referendarin mit den Befugnissen nach § 9 Abs. 2 AGGVG BW wahrgenommen wurde, fehlt es bereits an der erforderlichen bestimmten Behauptung einer Rechtsverletzung, nachdem nur vorgetragen wird, „es kann nicht ausgeschlossen werden“, dass der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft die erforderliche Qualifikation gefehlt habe (BGH, Urteil vom 04.09.2014 - 1 StR 75/14 und Beschluss vom 31.05.2016 - 1 StR 22/16, jeweils juris).

Der Zulässigkeit der weiteren Rüge, die Hauptverhandlung sei unzulässigerweise in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt worden, steht entgegen, dass dazu in der Begründungsschrift unrichtig vorgetragen wird (BGH, Beschluss vom 27.09.2016 - 4 StR 263/16, juris). Dass der nicht an der Hauptverhandlung teilnehmende Angeklagte seinen Verteidiger zur Vertretung gemäß § 411 Abs. 2 StPO bevollmächtigt hatte, ergibt sich dem Vortrag in der Begründungsschrift zuwider aus der bei den Akten befindlichen schriftlichen Vollmacht. Da die Behauptung fehlender Vertretungsvollmacht von dem Verteidiger aufgestellt wird, der die Vollmacht selbst zu den Akten gereicht, den Angeklagten in der Hauptverhandlung vertreten und die Revision begründet hat, muss der Senat insoweit von bewusst wahrheitswidrigem Vorbringen ausgehen.

d) Aus den vorgenannten Gründen ist auch die erhobene Inbegriffsrüge unzulässig. Der mit vorgelegter schriftlicher Vertretungsvollmacht versehene Verteidiger konnte für den Angeklagten eine Einlassung abgeben, die das Gericht bei seinem Urteil verwerten durfte (BGHSt 9, 356; BayObLG MDR 1983, 429).

e) Die zur Beanstandung einer nicht berücksichtigten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung erforderliche Verfahrensrüge hätte schließlich u.a. eine Darlegung des Verfahrensgangs - jedenfalls in den wesentlichen Zügen - ab dem Zeitpunkt bedurft, in dem der Angeklagte vom Tatvorwurf in Kenntnis gesetzt wurde (Senat, Beschlüsse vom 08.05.2017 - 2 Rv 8 Ss 186/17 - und vom 17.07.2017 - Rv 10 Ss 312/17; BGH NStZ 2004, 504 und Urteil vom 04.09.2014 a.a.O.). Insoweit versäumt es der Revisionsführer aber bereits, den für die Beurteilung des Verfahrensgangs ganz wesentlichen Umstand mitzuteilen, dass das Verfahren auf seinen Antrag hin mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Säckingen vom 01.02.2016 bis zum Abschluss des parallel laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt und erst nach Vorliegen des Urteils des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21.02.2017 wieder aufgegriffen wurde.

2. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge deckt ebenfalls keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

a) Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.

Insbesondere ist die im angefochtenen Urteil vorgenommene rechtliche Bewertung zutreffend, dass der polnische Führerschein den Angeklagten im Tatzeitpunkt nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in Deutschland berechtigte, weil der polnische Führerschein zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, als dem Angeklagten die deutsche Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass nach den Urteilsgründen unklar bleibt, ob der Angeklagte zur Tatzeit seinen Wohnsitz in Deutschland oder in Polen hatte. Ersterenfalls ergibt sich die fehlende Berechtigung zum Gebrauch des polnischen Führerscheins in Deutschland aus § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, andernfalls aus § 29 Abs. 3 Nr. 3 FeV.



Diese Bestimmungen stehen im Einklang mit übergeordnetem europäischem Recht, ohne dass es dazu eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV bedarf. Denn die Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) besteht nur, wenn die Auslegung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass sie keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel lässt, oder noch nicht Gegenstand einer Entscheidung durch den EuGH war (EuGH, Urteil vom 06.10.1982, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257). Das ist vorliegend nicht der Fall.

Nach der Auffassung des Senats ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 4 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein (ABl. L 403 S. 18) (im Folgenden: 3. FS-​RL) eindeutig und unzweifelhaft, dass die Erteilung des polnischen Führerscheins in Widerspruch zu Art. 11 Abs. 4 Satz 1 3. FS-​RL erfolgte und deshalb entgegen Art. 2 Abs. 1 3. FS-​RL keine Verpflichtung zur Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland bestand. Denn Art. 11 Abs. 4 Satz 1 3. FS-​RL verbietet es einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Als Voraussetzung des Verbots wird damit nicht nur die - umfassende und endgültige - Entziehung, sondern mit den Begriffen „eingeschränkt“ und „ausgesetzt“ auch die Fälle inhaltlicher Beschränkung oder zeitlicher Gültigkeitsaufhebung benannt (vgl. EuGH, Urteil vom 20.11.2008 - C-​1/07, Slg. 2008, I 8571 = NJW 2008, 3767 Rn. 30, 36: Fahrverbot als Unterfall der befristeten Aussetzung). Dieses Verbot, das sich zudem in den Fällen bloßer Gültigkeitsbeschränkung auch daraus ergibt, dass bei einem bereits bestehenden Führerschein kein weiterer erteilt werden darf (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 lit. a und b 3. FS-​RL; EuGH a.a.O. Rn. 40) besteht deshalb in allen Fällen, in denen die national erteilte Berechtigung, sei es auch nur vorübergehend wie im Fall der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO, ihre Gültigkeit verliert. Durch Art. 11 Abs. 4 Satz 2 3. FS-​RL wird klargestellt, dass die Anerkennungspflicht nach Art. 2 Abs. 1 3. FS-​RL für einen unter Verstoß gegen dieses Verbot in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerschein nicht gilt.

Der EuGH hat diese Auslegung zudem in mehreren Entscheidungen bestätigt.

Im Urteil vom 20.11.2008 (a.a.O. Rn. 36) ist dazu ausgeführt:

   „In einer solchen Situation [der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis, der die spätere Entziehung nachfolgt] ist auf der Grundlage der Richtlinie 91/439[/EWG des Rates vom 29.07.1991, ABl. L 237 S. 1] und insbesondere ihres Art. 8 Abs. 4 die Befugnis der zuständigen Behörden und der Gerichte eines Mitgliedstaats, die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins abzulehnen, den eine Person in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, während sie im erstgenannten Mitgliedstaat einer Maßnahme der befristeten Aussetzung der Fahrerlaubnis unterlag, uneingeschränkt und endgültig anzuerkennen, wenn auf die befristete Aussetzung ein Entzug der Fahrerlaubnis folgt, mit dem dieselbe Tat geahndet wird (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 3. Juli 2008, Möginger, C-​225/07, Randnr. 41). Der Umstand, dass der Entzug der Fahrerlaubnis nach dem Zeitpunkt der Erteilung des neuen Führerscheins angeordnet wird, ist insoweit ohne Bedeutung, da die Gründe, die diese Maßnahme rechtfertigen, zu eben diesem Zeitpunkt bereits vorlagen (vgl. im Umkehrschluss Urteil Kapper, Randnr. 74). [...] Jede andere Auslegung nähme der in Art. 8 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 91/439 vorgesehenen Befugnis eines Mitgliedstaats, es abzulehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, den eine Person, die in seinem Hoheitsgebiet einer Maßnahme des Entzugs der Fahrerlaubnis unterlag, in einem anderen Mitgliedstaat erworben hat, jeden Inhalt.“


Diese Rechtsprechung hat der EuGH auch nach Erlass der 3. FS-​RL fortgeführt (Urteil vom 21.05.2015, C-​339/14, ABl. EU 2015 Nr. C 236, 19-​20 = NJW 2015, 3217). b) Näherer Ausführungen zu dem dem Angeklagten vom Amtsgericht der Sache nach zugebilligten Verbotsirrtum bedurfte es danach nicht. Denn im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage, die auch die zuständigen Behörden im Streit mit dem Angeklagten vertreten haben, steht ohne nähere dazu getroffene Feststellungen fest, dass der Irrtum des Angeklagten durch Einholung einer Auskunft bei der zuständigen Behörde hätte beseitigt werden können und damit vermeidbar war (vgl. BGH NJW 1996, 1604). 3. Der Strafausspruch weist zwar einen Rechtsfehler auf, der aber nicht zur Aufhebung führt, weil das Urteil nicht hierauf beruht (§ 337 StPO). Das angefochtene Urteil lässt allerdings nicht hinreichend sicher erkennen, ob das Amtsgericht die gebotene (BGH, Beschluss vom 24.07.1996 - 2 StR 294/96, juris) Prüfung einer Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB vorgenommen hat. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte nach der im Zusammenhang mit der Erörterung des Verbotsirrtums getroffenen - rechtlich vertretbaren und deshalb revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden - Bewertung des Amtsgerichts „versucht hat, Gesetzeslücken auszunutzen“ (UA S. 6), erscheint es jedoch bereits ausgeschlossen, dass das Amtsgericht die mögliche Milderung des Strafrahmens vorgenommen hätte. Jedenfalls aber hätte die Milderung nur zur Herabsetzung der Strafobergrenze geführt. Der Senat kann danach ausschließen, dass der Rechtsfehler die Bemessung der am unteren Ende des Strafrahmens liegende, insgesamt sehr maßvolle Strafhöhe beeinflusst haben kann.

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