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Amtsgericht Tübingen Urteil vom 22.08.2017 - 16 OWi 14 Js 11536/17 - Annahme von Vorsatz bei einem Abstandsverstoß durch eine Videoaufnahme

AG Tübingen v. 22.08.2017: Zur Annahme von Vorsatz bei einem Abstandsverstoß durch eine Videoaufnahme


Das Amtsgericht Tübingen (Urteil vom 22.08.2017 - 16 OWi 14 Js 11536/17) hat entschieden:

     1.  Bei dem Abstandsmesssystem Vidit VKS 3.0 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren

     2.  Aus einer Videoaufzeichnung einer Abstandsmessung kann auf ein vorsätzliches Verhalten des Betroffenen geschlossen werden, wenn aus dem Video kein Fahrvorgang zu erkennen ist, der eine Verkürzung des Sicherheitsabstandes hervorgerufen haben könnte und der Betroffene über einen Fahrzeitraum von 11 Sekunden den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.


Siehe auch
Die Video-Messanlage VIDIT VKS
und
Standardisierte Messverfahren


Gründe:


I.

Der Betroffene ist am ...1985 in F. geboren. Er wohnt in S. Er ist verheiratet. Seine Berufsbezeichnung ist Geschäftsführer. Er hat seinen Arbeitgeber gewechselt und für seinen neuen Arbeitgeber einen Unternehmenskauf in den Vereinigten Staaten verantwortet. Deshalb wird er sich bis Ende des Jahres 2017 häufig in den Vereinigten Staaten aufhalten. Die finanziellen Verhältnisse sind gut.

Das Fahreignungsregister vom 21.09.2016 enthält folgende Eintragungen:

   Am 24.03.2014 nutzte der Betroffene als Führer eines PKW auf der Bundesautobahn 81 in Gärtringen den Seitenstreifen zum Zweck des schnelleren Vorwärtskommens.

Am 14.06.2014 überschritt der Betroffene als Führer eines PKW auf der Autobahn 81 bei Sindelfingen die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 58 km/h. Neben einer Geldbuße von 265,00 Euro wurde gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von einer Dauer von einem Monat verhängt. Dieses lief am 30.11.2014 ab.

Am 19.06.2015 überschritt der Betroffene als Führer eines PKW in Irschenberg die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h.





II.

Am 15.08.2016 führte der Betroffene ein Fahrzeug PKW Volkswagen mit dem KFZ-​Kennzeichen ... auf Bundesautobahn 81 von Süden in Richtung Stuttgart. Um 08:55 Uhr befand er sich auf der Gemarkung S.

Dort richtete der Zeuge B. eine Messstelle für Abstandsunterschreitungen ein und führte von 08:15 Uhr bis 13:00 Uhr eine Verkehrskontrolle durch. Auf einer Brücke oberhalb der Autobahn nahm er zumindest zwei Kameras in Betrieb. Eine Kamera fertigte Fernaufnahmen von dem Verkehrsfluss. Auf den Abbildungen dieser Kamera sind weder die Fahrzeugführer noch die Kennzeichen der Kraftfahrzeuge zu erkennen.

Die andere Kamera begann Aufzeichnungen, wenn der Verdacht einer Geschwindigkeitsüberschreitung oder Abstandsunterschreitung vorlag. Einen solchen Verdacht ermittelt das System selbstständig. Der Zeuge B. gab dem System vor, nur bei gewissen Anhaltspunkten aufzuzeichnen. Üblicherweise wählt der Zeuge B. eine Geschwindigkeit von 110 km/h und eine Abstandsunterschreitung um mindestens 3/10 des halbes Tachowerts.

Die Messung wird durchgeführt mit einem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 des Herstellers Vidit Systems GmbH mit der Fabriknummer DE1003BW. Dieses Verkehrskontrollsystem wurde vom Landesamt für Mess- und Eichwesen Rheinland Pfalz am 28.01.2016 geeicht, die Gültigkeit reicht bis zum 31.12.2017. Im Zeitraum zwischen Eichung und Messung fanden keine Eingriffe in das System statt.




Nach der Beobachtungsphase baute der Zeuge B. die Kameras wieder ab. Später wertete er die Aufzeichnungen in seiner Dienststelle mit dem Auswertesystem VKS 3.0, Softwareversion VKS 3.2.3D, aus. Das Auswertesystem ist ausweislich des Landesamts für Mess- und Eichwesen Rheinland Pfalz vom 14.12.2015 geeicht bis 31.12.2016. Auch in dieses System fanden seit der Eichung keine Eingriffe statt.

Der Zeuge B. nahm im Mai 2014 an einer Schulung zur Bedienung und Auswertung des Systems VKS 3.2.3D teil. Er war auch für die Einrichtung der Messstelle geschult.

Bei der Auswertung schaute sich der Zeuge B. die vorhandene Fotos und Videos an und legte in zwei Fotos, auf denen das vom Betroffenen geführte Fahrzeug zu erkennen ist, mit Hilfe des Programmes zwei Hilfslinien an. Diese Hilfslinien legte er jeweils unter die Vorderachse des Betroffenen und dessen vorausfahrenden Fahrzeug. Aufgrund der Lage der Hilfslinien errechnete das Programm den Abstand zwischen den beiden Vorderachsständen. Der Zeuge B. ermittelte sodann auf gleiche Weise den Abstand der Vorder- zur Hinterachse des vorausfahrenden Fahrzeugs mit 2,50 Metern. Bei der konkreten Messung stellte das System eine Geschwindigkeit von 139 km/h ohne Toleranz (134 km/h nach Toleranzabzug) sowie einen Abstand von 21 m abzüglich 2,50 m, somit 18,50 m oder aufgerundet 19 m fest.

Der Sicherheitsabstand beträgt bei einer Geschwindigkeit von 134 Km/h 55,83 Meter. Der halbe Tachowert beträgt 67 km/h.

Der Betroffene fuhr über einen Beobachtungszeitraum von 11 Sekunden mit nahezu gleich bleibendem Abstand hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug her. Während dieser Zeit fand kein Spurwechsel statt. Der Betroffene wusste, dass er zu dicht auffuhr und den Richtwert von der Hälfte der gefahrenen Geschwindigkeit in Metern als Abstand nicht einhielt. Er wollte schneller fahren und nahm in Kauf, den Sicherheitsabstand zu unterschreiten. Der Betroffene hatte die Möglichkeit, den Abstand anhand der Begrenzungspfosten zumindest grob einzuschätzen.

Das Regierungspräsidium K. ermittelte den Betroffenen als verantwortlichen Fahrzeugführer und erließ gegen ihn am 19.12.2016 einen Bußgeldbescheid, der ihm am 22.12.2016 zugestellt wurde. Über seinen Verteidiger legte er gegen diesen Bußgeldbescheid am 23.12.2016 Einspruch ein.




III.

Der Sachverhalt ist für das Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme erwiesen.

Das Gericht hat den Betroffenen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Pflicht entbunden, persönlich zu erscheinen.

1.) Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Gericht die Angaben des Verteidigers übernommen und außerdem die Einlassung des Betroffenen vom 17. Juli 2017 gem. § 249 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG verlesen. Danach habe er den Arbeitgeber gewechselt und sei für diesen mit der Unternehmensübernahme in den Vereinigten Staaten beschäftigt. Die Verlesung ist nach § 249 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG zulässig, weil es sich bei dem vorgelegten Schriftsatz um eine Urkunde im Sinne des § 249 StPO handelt und diese auch an das Gericht bestimmt war. Das Gericht kann sie auch verlesen, wenn der Betroffene in der Hauptverhandlung schweigt (BGH, Urteil vom 24. August 1993 - 1 StR 380/93 - BGH St 39, 305). Dann steht auch einer Verlesung nichts im Wege, wenn der Betroffene auf eigenen Antrag vom persönlichen Erscheinen entbunden war.

Aus der Tatsache, dass der Betroffene Geschäftsführer ist und eine Unternehmensübernahme in den Vereinigten Staaten begleitet, schließt das Gericht auf gute wirtschaftliche Verhältnisse. Es handelt sich hierbei um eine anspruchsvolle und zeitintensive Tätigkeit. Das Gericht ist überzeugt, dass der Betroffene hierfür auch angemessen vergütet wird. Sonst hätte er zur Überzeugung des Gerichts nicht seinen Arbeitgeber gewechselt.

Die Feststellungen zu den Voreintragungen beruhen auf der Verlesung des Fahreignungsregisterauszugs vom 21.09.2016, die das Gericht gem. § 249 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG verlesen hat.

2.) Der Betroffene räumte weiterhin über seinen Verteidiger ein, das Fahrzeug Volkswagen Golf mit dem Kennzeichen ... am Tattag geführt zu haben. Das Gericht hat keinen Anlass, an dieser Einlassung zu zweifeln.

3.) Die Feststellungen zum Abstandsverstoß beruhen auf der Vernehmung des Zeugen B., auf der Verlesung der Eichscheine, des Messprotokolls und der Schulungsbescheinigung sowie insbesondere auf der Inaugenscheinnahme des Videos. Das Video zeigt über einen Zeitraum von etwa 15 Sekunden zur vorgeworfenen Tatzeit am vorgeworfenen Tatort den Verkehrsfluss auf einer Autobahn. Wegen weiterer Einzelheiten bezieht sich das Gericht gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das Video „Video_TS.ifo“, das auf der CD Bl. 14a gespeichert ist. Das Gericht hat weiterhin die Lichtbilder Bl. 7 d. A. in Augenschein genommen. Die beiden Bilder oben rechts zeigen zweimal das vom Betroffenen geführte und das vorausfahrende Fahrzeug, die jeweils auf der linken Fahrspur fahren und ein Lastwagengespann auf der rechten Fahrspur überholen. Auf beiden Bildern sind weiße Hilfslinien zu erkennen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abbildung verweist das Gericht gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die Lichtbilder.

a) Aus den gem. § 249 StPO verlesenen Eichscheinen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 mit der Fabrikationsnummer DE1003BW gültig geeicht war. Dies betrifft sowohl das Überwachungssystem selbst als auch das Auswertesystem. Weiter ergibt sich aus den Eichscheinen, dass das Verkehrskontrollsystem 3.0 eine Zulassung der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) unter der Zulassungsnummer 18.19/01.02 besitzt. Aus den Eichscheinen ergibt sich, dass das Gerät entsprechend den Vorgaben in dieser entsprechenden PTB-​Richtlinie gültig geeicht war.

b) Aufgrund des verlesenen Schulungszertifikates Bl. 14 d. A. gem. § 249 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG ist das Gericht außerdem davon überzeugt, dass der Zeuge B. an einem Schulungslehrgang teilgenommen hat und befähigt ist, das Verkehrskontrollsystem 3.2.3D ordnungsgemäß zu bedienen. Das Gericht hat weiter gem. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO das Messprotokoll verlesen (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 26. April 2014 - III-​1 Rbs 105/14 - NStZ-​RR 2014, 287). Danach ist das Gericht davon überzeugt, dass der Zeuge B. bei der Messung die Mindestaufstellhöhe der Kamera eingehalten hat, einen Zeitabgleich durchgeführt hat, die Sicherungsmarken und Eichplomben geprüft hat und seit der letzten Eichung keine eichrelevanten Eingriffe durchgeführt worden sind.




c) Auf den Beweisantrag des Verteidigers, zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene den Abstand zum vorausfahrenden PKW nicht um weniger als 3/10 des halbes Tachowertes, mithin nicht um weniger als 20,10 m bei einer gefahren Geschwindigkeit von 134 km/h unterschritten hat, den Zeugen B. zu vernehmen, hat das Gericht außerdem den Zeugen B. vernommen.

Der Zeuge B. gab an, an die konkrete Messung keine Erinnerung zu haben. Bei der Messstelle in S. sei es so, dass er sich auf einer Brücke über der Fahrbahn positioniere. Auf dieser Brücke gebe es Schneefanggitter. Hierin befänden sich Öffnungen, durch die die Kamers geführt würden, um den fließenden Verkehr aufnehmen zu können. Dadurch sei zugleich gewährleistet, dass die Mindestaufstellhöhe immer eingehalten werde.

Bei den Messungen verwende er immer mindestens zwei Kameras. Die Tatkamera laufe während der Beobachtung durchgehend. Sie ermögliche auch im Nahbereich keine Vergrößerungen und zeige weder Fahrzeuginsassen noch Kennzeichen. Daneben gebe es die Identitätskamera. Diese mache grundsätzlich keine Bilder. Sie werde von der Software automatisch aktiviert, wenn sich der Verdacht einer Ordnungswidrigkeit ergebe. Die Verdachtsmomente könne der Zeuge selbst bestimmen. In der Regel gebe er ein, dass alle Geschwindigkeiten über 110 km/h und alle Abstandsunterschreitungen unter mehr als 3/10 des halben Tachowertes aufgezeichnet würden. Welche Einstellungen er konkret am 15.08.2016 eingestellt habe, wisse der Zeuge allerdings nicht mehr.

Bei der Messstelle in S. liege die Sichttiefe bei 700 bis 800 m.

Der Zeuge gab weiter an, selbst die Messstelle eingerichtet zu haben und legt auch ein entsprechendes Messstellenprotokoll zur Akte. Es gebe vier Passpunkte, die 124 m voneinander entfernt seien. Nach 54 m Abstand befänden sich zwei Kontrollpunkte. Die Einrichtung habe mittels geeigneter Längenmesswerkzeuge stattgefunden. Er sei auch in der Einrichtung der entsprechenden Messstellen geschult. Er sei insoweit auch Multiplikator und besitze auch einen Schulungsnachweis.

Nach der Messung packe der Zeuge die Gerätschaften ein und verbringe sie auf die Dienststelle, wo er, sobald sich Zeit finde, die Daten auswerte. Er lege den Datenstick aus dem Überwachungsgerät in den Auswertecomputer ein und bewerte dann die aufgenommenen Daten und Lichtbilder. Die Auswertung erfolge in dem Messbereich von 124 m. In diesem Bereich generiere das Programm auf seine Aufforderung automatisch Messlinien. Diese lege der Zeuge dann PC-​gesteuert auf die Radaufstandspunkte der Vorderachsen des Fahrzeugs des Betroffenen und des vorausfahrenden Fahrzeugs. So sei es in der Bedienungsanleitung ersichtlich, nähere Vorgaben der Polizeibehörde gebe es dazu nicht.

Die Kamera fertige fortlaufend Bilder an. Von diesen wähle er zwei geeignete aus. Das zweite Bild wähle er in der Regel in der Nähe der Nullinie aus, das andere Bild liege dann mindestens 25 Meter zurück.

Zunächst ermittele er die beiden vorderen Reifenaufstandsflächen und lasse das Programm daraus den Abstand errechnen. Diesen korrigiere er, da für den Verstoß der Abstand zwischen der Vorderachse des betroffenen Fahrzeugs und der Hinterachse des vorausfahrenden Fahrzeugs gemessen werde. Zu diesem Zweck lege er eine Linie auf die hintere Achse des vorausfahrenden Fahrzeuges, die andere bleibe auf der Vorderachse des vorausfahrenden Fahrzeugs. Dadurch ermittele er den Korrekturwert. Die Fahrzeugüberstände würden dem Betroffenen „geschenkt“. So gehe er bei beiden ausgewählten Bildern vor.

Die Aussage des Zeugen B. war für das Gericht nachvollziehbar und glaubhaft. Der Zeuge gab offen zu, sich an die konkrete Messung nicht mehr zu erinnern. Anhaltspunkte für Fehler in der Aussage konnte das Gericht nicht erkennen. Vielmehr gab der Zeuge persönliche Erfahrungen und seine persönliche Arbeitsweise wieder.

Aus der Aussage des Zeugen B. schließt das Gericht, dass er das Messsystem vorschriftsmäßig bedient hat. Die gefahrene Geschwindigkeit ermittelt das Gerät durch eine Weg-​Zeit-​Betrachtung im Messstellenbereich. Die Entfernung der beiden Fahrzeuge zueinander hat der Zeuge ermittelt, indem er, unterstützt vom Auswerteprogramm, auf zwei unterschiedlichen Lichtbildern jeweils Hilfslinien unter die vorderen Radaufstandsflächen gelegt hat. So hat er zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten den Abstand der beiden Fahrzeuge zueinander ermittelt. Anschließend hat er einen plausiblen Abzug vorgenommen, indem er den Abstand zwischen der Vorder- und der Hinterachse des vorfahrenden Fahrzeuges nachgemessen hat.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Zeuge B. die Messstelle entsprechend den Vorgaben der Bauartzulassung eingerichtet hat. Er hat dies so ausgesagt und auf Nachfrage des Verteidigers bestätigt, bei der Einrichtung geeichte Längenmesswerkzeuge verwendet zu haben. Er sei auch insoweit entsprechend geschult. Von der Verteidigung wurden an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen keine Zweifel angemeldet. Auch das Gericht bezweifelt den Wahrheitsgehalt der Aussage nicht. Deshalb hält es das Gericht nach der Vernehmung des Zeugen B. für erwiesen, dass dieser nach entsprechender Schulung die Messstelle entsprechend der Bauartzulassung eingerichtet hat.

d)

Bei dem Abstandsmesssystem VKS 3.0 handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. April 2016 - 3 (4) SsBs 121/16 - ZFSch 2016, 531). Das Verfahren besitzt, wie sich aus den Eichscheinen ergibt, eine Zulassung der Physikalisch Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. In diesem Fall hat die Bundesanstalt in einem antizipierten Sachverständigengutachten bereits vorweggenommen, dass sich das Gerät bei entsprechender Bedienung für die Feststellung von Abstandsverstößen eignet (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 18. April 2016 - 2 Ss (OWi) 57/16 - NStZ-​RR 2016, 253). Es ist deshalb ausreichend, wenn das Gericht die konkrete Messmethode, das Messergebnis und die Toleranzabzüge mitteilt.

Diese ergeben sich aus dem gem. §§ 249 StPO, 71 Abs. 1 OWiG verlesenen Messergebnis Bl. 7 d. A. wie folgt:

   verwendetes Gerät: VKS 3.0, Fabrikationsnummer DE1003BW
Geschwindigkeit Messwert: 139 km/h
Toleranz: 5 km/h
zugrunde gelegter Wert: 134 km/h
Abstand Messwert: 21 m
Abzug: 2,50 m
Resultat: 18,50 m
vorwerfbarer Wert: 19 m

Dem Gericht ist dabei bewusst, dass das Messergebnis zum Abstand im vorliegenden Fall nicht voll automatisch erfolgt, sondern der Zeuge B. die Hilfslinien an einer geeigneten Stelle platzieren muss. Dies schließt jedoch nicht grundsätzlich aus, dass das Messverfahren standardisiert ist (OLG Karlsruhe a. a. O.).

Soweit der Zeuge B. die Hilfslinien angesetzt hat, vermag das Gericht keine Fehler in der Bedienung zu erkennen. Der Zeuge hat geschildert, dass er die Hilfslinien jeweils unter die Radaufstandsflächen gesetzt hat und dies der Bedienungsanleitung entspricht. Zwar mögen hier gewisse Ungenauigkeiten vorkommen, weil der Zeuge B. die Radaufstandsfläche möglicherweise, insbesondere auf dem Bild, das weiter von der Kamera entfernt ist, nicht zu 100 Prozent exakt trifft. Jedoch entnimmt das Gericht den in Augenschein genommenen Lichtbildern Bl. 7, rechts oben, dass die weißen, die Fahrbahn querenden Hilfslinien augenscheinlich an der Stelle sind, an der die Vorderreifen der jeweiligen Fahrzeuge die Fahrbahn berühren.

e) Weiter hat das Gericht das beiliegende Video mit dem Titel „Video_TS.ifo“ in Augenschein genommen.

α) Der Inaugenscheinnahme stehen keine grundrechtlichen Eingriffe entgegen. Die Dauerüberwachung des fließenden Verkehrs ist im vorliegenden Fall nicht mit einem systematisch angelegten, mitanlassbezogenen Eingriff in die Grundrechte einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern verbunden (anders als in der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 20.05.2012 - 2 BvR 2072/10, zitiert nach Juris). Die Aufzeichnungen der Tatkamera lassen es nicht zu, die Kennzeichen der Fahrzeuge zu entziffern oder die Insassen zu erkennen. Dies ergibt sich aus der Aussage des Zeugen B. und wird auch durch die Inaugenscheinnahme bestätigt. Auf den Videos wird lediglich ein allgemeiner Verkehrsfluss abgebildet. Durch diese Aufzeichnung sind die unbeteiligten Fahrzeugführer nicht in ihren Grundrechten betroffen.

Hinsichtlich der Aufzeichnungen durch die Identitätskamera ist die Aufzeichnung nach §§ 46 OWiG, 100h Abs. 1 Nr. 1 StPO zulässig. Die Identitätskamera schaltet sich nach der glaubhaften Aussage des Zeugen B. nur dann automatisch ein, wenn ein konkreter Verdacht einer Ordnungswidrigkeit besteht. Die Verwendung der Videoaufzeichnung zum Nachweis des Abstandsverstoßes berührt nicht den absoluten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Betroffenen oder dessen enge Privatsphäre. Der Betroffene hat sich vielmehr durch seine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt. Hinzu kommt, dass der aufgezeichnete und festgehaltene Lebenssachverhalt des Betroffenen auf einen sehr kurzen Zeitraum (etwa 15 Sek.) begrenzt ist. Danach hält das Gericht die Aufzeichnung des Fahrvorganges für zulässig (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Januar 2010 - 4 Ss 1525/09 - NJW 2010, 1219; OLG Bamberg, Beschluss vom 4. August 2015 - 3 Ss Owi 874/15 - zitiert nach juris).

β) Auf dem folglich verwertbaren Video ist das Fahrzeug des Betroffenen über einen weiten Streckenabschnitt zu erkennen. Der Zeuge B. gab diesen Abschnitt mit 700 bis 800 m an. Hierbei handelt es sich um eine ungefähre Angabe, die jedoch zutreffend sein kann. Das Gericht erkennt auf dem Lichtbild Bl. 7 oben rechts sechs Leitpfosten (Anlage 4 laufende Nummer 11 StVO = Zeichen 620), die in der Regel im Abstand von 50 m stehen sollen. Die Aufzeichnung reicht noch weiter zurück. Über mindestens 300 Meter ist jedoch das Fahrverhalten für das Gericht gut zu erkennen. Insgesamt dauert die Aufzeichnung 11 Sekunden, bis das Fahrzeug des Betroffenen aus dem Sichtbereich herausfährt. Bei einer Geschwindigkeit von 134 km/h legt das Fahrzeug in einer Sekunde 134/3,6 = 37,22 Meter zurück, in 11 Sekunden folglich 11 x 37,22 = 409,42 Meter.

Während dieser gesamten Strecke (409,42 Meter), in der sich das Fahrzeug des Betroffenen und das vorausfahrende Fahrzeug der Kamera nähern, bleibt der Abstand des Betroffenen zum vorausfahrenden Fahrzeug augenscheinlich gleich. Es wirkt, als wären beide Fahrzeuge wie zwei Waggons eines Zuges aneinanderangekoppelt. Insbesondere ist während des gesamten aufgezeichneten Vorganges nicht zu erkennen, dass das dem Betroffenen zuletzt vorausfahrende Fahrzeug während des aufgezeichneten Vorgangs auf die vom Betroffenen genutzte Fahrspur ausgeschert wäre.

Es ist zwar zu Beginn der Messung ein Ausschervorgang von der rechten auf die linke Fahrspur zu erkennen, dieser findet jedoch hinter dem Fahrzeug des Betroffenen statt.

Γ)

Das Gericht schließt aus dem aufgezeichneten Fahrvorgang, dass es dem Betroffenen, obwohl er schon über 130 km/h fuhr und damit schon die Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen erreicht hatte, nicht schnell genug ging. Er wollte das ihm vorausfahrende Fahrzeug überholen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Betroffene sonst permanent und so dicht hinter dem vorausfahrenden Fahrzeug fuhr. Ihm war gleichgültig, dass er zu diesem Zweck den Sicherheitsabstand nicht einhielt. Dies wäre ihm aber problemlos möglich und auch zumutbar gewesen. Er hätte sein Fahrzeug nur ganz geringfügig verzögern müssen, um den Abstand einzuhalten. Er hätte hierfür allein während des aufgezeichneten Fahrvorgangs 11 Sekunden oder 400 Meter Zeit gehabt.

Damit ist das Gericht hinreichend von dem vorgeworfenen Sachverhalt überzeugt.


IV.

1.) Indem der Betroffene bei einer Geschwindigkeit vom 134 km/h einen Abstand von 19 m einhielt, hat er den nach § 4 Abs. 1 StVO erforderlichen Sicherheitsabstand unterschritten. Bei normalen Sichtverhältnissen, von denen nach dem Video auszugehen ist, ist der ausreichende Abstand die in 1,5 Sekunden durchfahrene Strecke (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage München 2017, § 4 StVO, Rn. 7). Bei einer Geschwindigkeit von 134 km/h legt der Betroffene 37,22 m in 1 sek. oder 55,83 m in 1,5 sek zurück. Der Sicherheitsabstand nach § 4 Abs. 1 StVO beträgt daher bei 134 km/h 55,83 Meter.

Die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes (19 statt 55,83 m) erfolgte auch nicht nur ganz vorübergehend. Sie erfolgte vielmehr über die komplette Länge der Aufzeichnung, also über mindestens 409 m. Der Zeuge B. hat den Abstand gleichbleibend an zwei unterschiedlichen Messpunkten, die schon etwa 40 m voneinander entfernt sind, ermittelt. Schon dies wäre eine nicht nur ganz vorübergehende Unterschreitung. Tatsächlich verhielt sich der Betroffene während der gesamten Aufzeichnung über 409 m so, dass er den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht einhielt.

Es ist auch aus dem Video kein Fahrvorgang zu erkennen, der eine Verkürzung des Sicherheitsabstandes hervorgerufen haben könnte, etwa ein Einscheren.

Deshalb ist das Gericht auch davon überzeugt, dass der Betroffene vorsätzlich gehandelt hat. Er konnte nämlich anhand der deutlich sichtbaren Begrenzungspfosten seinen Abstand einschätzen. Da der Betroffene über einen Fahrzeitraum von 400 Metern oder 11 Sekunden überhaupt nicht daran dachte, den Abstand zu kontrollieren, ist das Gericht davon überzeugt, dass der Betroffene vorsätzlich unterlassen hat, den Sicherheitsabstand einzuhalten.

2.) Den Hilfsbeweisanträgen musste das Gericht nicht nachgehen.

a) Ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene den Abstand um nicht weniger als 20,10 Meter unterschritten hat, weil im „Fernbereich“ das vor dem Betroffenen geführte Fahrzeug auf die Überholspur ausgeschert sei, ist nicht einzuholen. Diese Entscheidung beruht auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG. Das Gericht hält den Sachverhalt insoweit für geklärt. Der Beweisantrag impliziert, dass auf der Beobachtungsstrecke ein Fahrspurwechsel vor dem vom Betroffenen geführten Fahrzeug stattgefunden hat. Dies ist jedoch auf dem Video nicht zu erkennen. Mit der Inaugenscheinnahme des Videos ist der Sachverhalt hinreichend geklärt. Auch der weitere behauptete Vortrag des Verteidigers, dass sich der Betroffene dem vorausfahrenden Fahrzeug mit höherer Geschwindigkeit genähert habe, dann abgebremst habe und den Abstand auf mehr als 20,10 Meter vergrößert habe, findet in der Videoaufzeichnung keine Stütze. Das vom Betroffenen gesteuerte Fahrzeug fährt über eine Länge von etwa 400 Metern immer hinter dem selben Fahrzeug her, der Abstand bleibt augenscheinlich gleich. Der Sachverhalt ist auch insoweit durch die Inaugenscheinnahme des Videos hinreichend aufgeklärt. Das Gericht übt folglich sein in § 77 Abs. 2 OWiG eingeräumtes Ermessen dahin aus, dem Antrag nicht nachzukommen.

b) Die Verhandlung war auch nicht aufgrund der Aussage des Zeugen B. und des vorgelegten Messstelleneinrichtungsprotokolls auszusetzen.

Gegenstand der Verurteilung ist die Tat, wie sie sich nach Ablauf der Hauptverhandlung darstellt. Eine Aussetzung der Hauptverhandlung kann das Gericht nach eigenem Ermessen gemäß § 246 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG anordnen, wenn ein zu vernehmender Zeuge oder eine zu beweisende Tatsache so spät vorgebracht worden ist, dass es dem Gegner an der zur Einziehung von Erkundigungen erforderlichen Zeit gefehlt hat. Die Vorschrift räumt dem Gericht Ermessen ein, bei dessen Ausübung das Gericht auch die Bedeutung des zu erhebenden Beweises und die Art des Beweismittels berücksichtigt (OLG Stuttgart, Urteil vom 16. Februar 1990 - 1 Ss 649/89 - NStZ 1990, 356).

Der Verteidiger hat keinen konkreten Beweisantrag gestellt. Er hat lediglich angegeben, dass er die Aussage des Zeugen B. prüfen wolle. Der Zeuge B. hat zuvor ein Messprotokoll zur Akte gereicht und angegeben, dass er die Messstelle eingerichtet habe. Der Zeuge B. hat sodann angegeben, dass er für das Einrichten einer Messstelle geschult sei.

Das Gericht übte sein Ermessen gemäß § 246 StPO dahin aus, die Hauptverhandlung nicht zu unterbrechen. Ob der Zeuge glaubhaft ausgesagt hat oder nicht, ist zuvorderst eine Frage der Beweiswürdigung. Die Verteidigung hat zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte vorgetragen, an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen B. zu zweifeln. Auch dem Gericht sind solche Zweifel nicht gekommen. Deshalb hat das Gericht sein Ermessen dahin ausgeübt, die Hauptverhandlung nicht auszusetzen, sondern der Entscheidungsfindung die glaubhafte Aussage des Zeugen zugrunde zu legen.

V.

§ 24 StVG sieht als Rechtsfolge eine Geldbuße bis zu 2.000,00 Euro vor.

Die Verwaltungsbehörde hat sich entschlossen, ein Bußgeld zu verhängen. Diese Entscheidung ist nicht ermessensfehlerhaft. Auch das Gericht hält eine Ahndung für geboten.

1.) Der Bußgeldkatalog sieht im vorliegenden Fall bei einer Unterschreitung des Abstandes um mehr als 3/10 des halben Tachowertes eine Geldbuße von 240,00 Euro vor. Der halbe Tachowert beträgt 67 km/h, ein zehntel in Metern also 6,7 Meter. Drei zehntel betragen 20,10 Meter.

Da das Gericht von vorsätzlicher Begehungsweise ausgeht, hat das Gericht die Geldbuße verdoppelt. Außerdem hat das Gericht noch einen geringen Aufschlag vorgenommen, weil der Betroffene vorgeahndet ist. Unter den Vorahndungen befinden sich zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen. Die dritte Eintragung beruht darauf, dass der Betroffene zum schnelleren Vorwärtskommen einen gesperrten Fahrstreifen benutzt hat. Aus den Voreintragungen schließt das Gericht darauf, dass der Betroffene gerne zu schnell fährt und auf ein eigenes, schnelles Vorwärtskommen auch unter Außerachtlassung der Rechte anderer Verkehrsteilnehmer bedacht ist. Dies rechtfertigt die festgesetzte Geldbuße.

Als Berater bei einer Unternehmensübertragung ist er auch ohne weiteres in der Lage, diese Geldbuße zu bezahlen.

2.)

Das Gericht hat außerdem nach § 25 StVG ein Fahrverbot verhängt.

§ 25 StVG gibt dem Gericht einen Rahmen von ein bis drei Monaten vor.

Der Bußgeldkatalog sieht für den Regelfall bereits ein Fahrverbot von einem Monat Dauer vor.

Dieses braucht das Gericht nicht näher zu begründen. Das Gericht muss sich nur der Möglichkeit bewusst sein, hiervon auch absehen zu können (König a. a. O., § 25 StVG, Rn 21).

Das Gericht meint jedoch nicht, dass ein Absehen vom Fahrverbot angezeigt ist. Der Betroffene hat mit der Tat gezeigt, dass er ersichtlich nicht gewillt ist, sich an die Straßenverkehrsregeln zu halten.

Das Gericht hat vielmehr berücksichtigt, dass der Betroffene nach eigenem Vortrag sich in den kommenden sechs Monaten überwiegend im Ausland aufhält. Damit kann Sinn und Zweck des Fahrverbotes, nämlich zur Besinnung (König a. a. O., § 25 StVG, Rn 11) auf den Betroffenen einzuwirken, nur sehr eingeschränkt erfolgen. Darüber hinaus musste der Betroffene in nicht allzu ferner Vergangenheit bereits ein Fahrverbot verbüßen, ohne dass dies zu einer merklichen Verbesserung seines Fahrkönnens beigetragen hätte. Die abzuurteilende Tat ist der zweite Verstoß gegen Straßenverkehrsregeln seit der Verbüßung des Fahrverbots.

Um dem Betroffenen das Unrecht seiner Tat eindringlich vor Augen zu führen, hält das Gericht ein Fahrverbot von zwei Monaten für tat- und schuldangemessen.

Dem Betroffenen war die Viermonatsfrist nach § 25 Abs. 2a StVG einzuräumen, da das letzte Fahrverbot am 14. Juni 2014 verhängt worden war.

VI.

Als Verurteilter trägt der Betroffene die Kosten des Verfahrens, §§ 46 Abs. 1 OWiG, 465 StPO.

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