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BGH Urteil vom 28.08.2018 - VI ZR 518/16 - Ersatz vermehrter Bedürfnisse nach Verkehrsunfallverletzung

BGH v. 28.08.2018: Ersatz vermehrter Bedürfnisse nach Verkehrsunfallverletzung


Der BGH (Urteil vom 28.08.2018 - VI ZR 518/16) hat entschieden:

  1.  Zu den vermehrten Bedürfnissen im Sinne des § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB gehören sowohl die Kosten für die Beschäftigung einer Pflegeperson als auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht.

  2.  Der ersatzfähige Aufwand zur Befriedigung vermehrter Bedürfnisse bestimmt sich nach den Dispositionen, die ein verständiger Geschädigter in seiner besonderen Lage treffen würde.

  3.  Kommen zum Ausgleich der Pflegebedürftigkeit verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichem Kostenaufwand in Betracht, so bestimmt sich die Höhe des Anspruchs danach, welcher Bedarf in der vom Geschädigten in zumutbarer Weise gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfällt.

  4.  Die Frage, ob der Geschädigte seine Lebensgestaltung in zumutbarer Weise gewählt hat, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Eine für sämtliche Fallgestaltungen geltende Obergrenze in dem Sinne, dass der Ersatz der für die häusliche Pflege anfallenden Kosten generell auf den doppelten Betrag (oder ein anderes Vielfaches) der jeweiligen Heimunterbringungskosten beschränkt wäre, existiert nicht.



Siehe auch

Vermehrte Bedürfnisse nach Unfallverletzungen und bei Personenschaden

und

Stichwörter zum Thema Personenschaden


Tatbestand:


Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer nach einem Verkehrsunfall auf Ersatz vermehrter Bedürfnisse in Anspruch.

Die am 3. Dezember 1982 geborene Klägerin wurde am 16. August 2003 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie erlitt bei dem Unfall ein Schädel-​Hirn-​Trauma 3. Grades mit Stammhirneinblutung, Blut im rechten Hinterhorn, bifrontalen Kontusionsherden mit okzipitaler Schädelfraktur und einem Hirnödem sowie einer Kompressionsfraktur BWK 5-​7. Als Folge der Verletzungen bestehen ein posttraumatisches hirnorganisches Psychosyndrom mit Verwirrtheit, aggressiven Verhaltenstendenzen und kognitiven Störungen sowie eine spastische Hemiparese rechts, eine Stand- und Gangataxie sowie eine Dysarthrophonie. Infolge der Schädigung der Hirnsubstanz ist es bei der Klägerin zu Wesensveränderungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Antriebsarmut sowie einer Unfähigkeit, komplexe kognitive Situationen adäquat zu erfassen und zu bewältigen, gekommen. Die Klägerin ist in ihrer zeitlichen, örtlichen und personellen Orientierung erheblich beeinträchtigt und leidet unter erheblichen Einschränkungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit. Darüber hinaus besteht eine gestörte Eigenwahrnehmung. Die Klägerin sieht sich selbst als gesund an und in der Lebenssituation, in der sie sich vor dem Schadensereignis befand. Aufgrund der bestehenden Beschwerden ist sie nicht in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen, sondern bedarf der Pflege und Betreuung durch Dritte.

Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers. Ihre volle Einstandspflicht dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit. In einem Vorprozess wurde sie verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis 31. Oktober 2009 sowie für den Zeitraum vom 22. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011 Pflegekosten in Höhe von 68.202,40 € zu ersetzen. Das Urteil ist rechtskräftig.




Mit ihrer im vorliegenden Verfahren erhobenen Klage begehrt die Klägerin den Ersatz weiteren Pflegeaufwands sowie die Zahlung einer Geldrente wegen vermehrter Bedürfnisse. Dabei legt sie ihrem Begehren einen Pflegebedarf von 13,7 Stunden aktiver Betreuung und 10,3 Stunden Bereitschaftszeiten täglich zugrunde. Für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 verlangt sie die Zahlung von 23.574,90 € für Pflegeleistungen ihrer Angehörigen. Für den Zeitraum vom 1. Februar 2011 bis zum 31. Dezember 2012 begehrt sie noch 43.234,44 € für die Pflege durch einen Pflegedienst sowie 47.143,65 € für die Pflege durch Angehörige. Für die Zeit ab 1. Januar 2013 begehrt sie eine monatliche Rente in Höhe von 13.414,48 € für die Betreuung durch einen Pflegedienst. Insoweit haben die Parteien die Klage für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis April 2015 teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat den Anspruch auf Ausgleich der von Angehörigen in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 erbrachten Pflegetätigkeit als verjährt angesehen und der Klage im Übrigen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Anschlussberufung der Klägerin hat es die Beklagte verurteilt, der Klägerin 23.574,90 € für Pflegeleistungen ihrer Angehörigen in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 zu zahlen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.


Entscheidungsgründe:


I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz vermehrter Bedürfnisse in Form der geltend gemachten Kosten für ihre häusliche Pflege aus § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB i.V.m. §§ 7, 17, 18 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung zu. Der Pflegebedarf des Geschädigten bestimme sich nach den Dispositionen, die ein verständiger Geschädigter in seiner besonderen Lage getroffen hätte. Kämen zum Ausgleich der Pflegebedürftigkeit verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichem Kostenaufwand in Betracht, so bestimme sich die Höhe des Anspruchs danach, wie der Bedarf in der vom Geschädigten in zumutbarer Weise gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfalle. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte in die Situation, in der er sich befinde, unfreiwillig durch das Verhalten des Versicherungsnehmers der Beklagten hineingeraten sei. Der Geschädigte habe grundsätzlich ein Recht auf Fortsetzung seines früheren Lebens. Aus diesem Grund verbiete sich die Festlegung einer starren Obergrenze derart, dass höchstens der Höchstbetrag einer vollstationären Pflege oder das Doppelte eines solchen Betrags für die häusliche Pflege zu erstatten sei. Vom rechtlichen Ansatz her müsse es ein Schwerstgeschädigter grundsätzlich nicht erdulden, in ein Heim "abgeschoben" zu werden.




Im Streitfall sei nach den Ausführungen der Sachverständigen ein Pflegebedarf von 24 Stunden täglich gegeben. Die Klägerin sei wegen ihrer Gesundheitsstörungen außer Stande, allein zu Recht zu kommen. Sie nehme ihre Helfer bis zu deren Erschöpfung in Anspruch, rufe sie aktiv herbei oder zwinge sie durch ihr Tun zur Präsenz. Getrieben von enormer Unruhe und von Tics und Eskalationen im Verhalten sowie Durchschlaf-​, Orientierungs-​, Konzentrations- und Strukturierungsstörungen gekennzeichnet bedürfe die Klägerin fortwährender Kontrolle und Stimulation. Die Zeiten aktiver Fürsorge seien mit 17,5 Stunden täglich zu bemessen, wohingegen sich die Bereitschaftszeiten auf 6,5 Zeitstunden beliefen. Die sachgerechte Betreuung und Versorgung der Klägerin könne nur durch fachlich geeignetes und dementsprechend ausgebildetes Personal sichergestellt werden. Nicht die körperlichen Handicaps der Klägerin, sondern ihre psychisch-​emotionalen Beeinträchtigungen begründeten die Notwendigkeit des Einsatzes gezielt ausgebildeten Personals, um eine langfristige und kontinuierliche, für die Klägerin gebotene Fürsorge durch feste Bezugspersonen zu garantieren. Die fachliche Eignung sei sowohl aus den Defiziten der Klägerin zu begründen als auch im Hinblick auf die psychische Gesundheit der Bezugspersonen. Ein Pflegehelfer könne diesen Anspruch nicht befriedigen. Die ständigen, von der Klägerin ausgelösten Dispute und Krisensituationen hätten in einen hohen Personalverschleiß gemündet; Bezugspersonen hätten erklärt, die Betreuung nicht länger aushalten zu können. Zur Sicherstellung einer gezielten Versorgung der Klägerin seien examinierte Pflegefachkräfte, idealerweise mit einer Zusatzausbildung für fachpsychiatrische Pflege heranzuziehen. Am geeignetsten für die Versorgung der Klägerin sei der Beruf des Heilerziehungspflegers. Heilerziehungspfleger seien für die pädagogische und pflegerische Begleitung und Hilfe von Menschen mit körperlicher, geistiger und seelischer Behinderung verantwortlich.

Heilerziehungspfleger seien der Entgeltgruppe 7 nach TV-​L (Ost) zuzuordnen. Das schwere psychisch-​psychiatrische Erkrankungsbild der Klägerin gebiete es, den Stundenlohn nicht an einem Berufseinsteiger zu orientieren, sondern mindestens von einer Entwicklungsstufe 2, mittelfristig von der Entwicklungsstufe 3 auszugehen. Da die Klägerin in der Zeit von Oktober 2010 bis Dezember 2012 nicht gezielt berufskundig betreut worden sei, müsse die Kostenkalkulation auch dahingehend vorgenommen werden. Diesbezüglich sei auf die Entgeltgruppe 6 nach TV-​L (Ost) Bezug zu nehmen gewesen. Für die Zeit von Oktober 2010 bis Dezember 2012 beliefen sich die erforderlichen Pflegekosten deshalb auf 104.790,90 €. Für das Jahr 2013 seien für die erforderliche ganztägige Betreuung und Fürsorge durch eine Fachkraft für Heilerziehungspflege Kosten in Höhe von monatlich 13.554,01 € pro Monat erforderlich. Für 2014 beliefen sich die Kosten aufgrund der Tarifanpassung auf 13.972,73 € monatlich. Hinzu kämen noch Kosten für Hauswirtschaftsdienste in Höhe von 187,92 € monatlich.

Die Klägerin könne aufgrund ihrer geistigen Beeinträchtigung nicht in einer Tagespflegeeinrichtung integriert werden, in der andere Behinderte behandelt würden. Nur über einen sehr langen Zeitraum könne versucht werden, eine gewisse Besserung eintreten zu lassen. Hier seien viele kleinteilige Therapieschritte notwendig, die eine normale Krankenschwester von ihrer Ausbildung her nicht leisten könne. Ziel dieser Therapie sei durchaus, die Klägerin nicht in einer andauernden Isolation zu lassen, sondern wieder an gesellschaftliche Aktivitäten und die Möglichkeit der Teilnahme an Gruppen heranzuführen. Dass der Aufenthalt in einem Pflegeheim mit gesellschaftlichen Aktivitäten oder Teilnahme an Gruppen verbunden wäre, dass es also der Klägerin im Heim besser ginge als im eigenen Haus oder auch nur genauso gut, sei eine eher fernliegende Vorstellung. Es sei nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht vorgetragen worden, welche konkrete Heimeinrichtung zum dauerhaften Aufenthalt der Klägerin geeignet sein könnte. Pflegeheime seien auch typischerweise nicht auf Therapie oder Rehabilitation der Bewohner ausgerichtet. Es sei deshalb gerechtfertigt, dass der Klägerin ab 2013 eine Rente zugesprochen werde, die eine professionelle Vollzeitbetreuung im gewohnten Umfeld ermögliche. Die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit sei nicht überschritten. Die Klägerin nehme ihre Umgebung bewusst wahr. Dass sie und ihre Betreuerin sich für ein Wohnen im häuslichen Umfeld und nicht in einem Pflegeheim entschieden hätten, sei nicht zu beanstanden und von der Beklagten hinzunehmen. Bei Würdigung aller Gesamtumstände könne der Klägerin ein Umzug in ein Pflegeheim nicht zugemutet werden.

Die Klägerin könne von der Beklagten auch die geltend gemachten Kosten für die Pflege durch ihre Angehörigen in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 verlangen. Dieser Anspruch sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht verjährt. Die Klägerin habe die Kosten für die Angehörigenpflege im genannten Zeitraum auf der Basis eines Stundensatzes von 9 € für die aktiven Betreuungsleistungen in 13,7 Stunden und von 4,50 € für die Bereitschaftszeiten von 10,3 Stunden täglich berechnet. Den Stundensatz in Höhe von 4,50 € pro Bereitschaftsstunde habe die Beklagte nicht mehr angegriffen. Nachdem sie den Stundensatz in der Klageerwiderung noch bestritten habe, greife sie das Urteil in der Berufungsbegründung insoweit nicht an, als dieses auf das Senatsurteil im Vorprozess Bezug nehme, in dem der Stundensatz von 4,50 € nicht beanstandet worden sei. Auch die Zahl der Bereitschaftsstunden habe sie im Berufungsverfahren nicht angegriffen. Das in der Klageerwiderung enthaltene Bestreiten sei mit Rechtskraft des Urteils im Vorprozess unbeachtlich geworden, in dem Stundensatz, Pflege- und Bereitschaftszeiten der Angehörigen festgestellt worden seien.




II.

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz der vermehrten Bedürfnisse zusteht, die ihr infolge der unfallbedingten dauernden Beeinträchtigung ihrer Gesundheit entstanden sind (§ 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB, § 11 Satz 1 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung). Es hat auch zutreffend angenommen, dass zu den vermehrten Bedürfnisse sowohl die Kosten für die Beschäftigung einer Pflegeperson als auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht, gehören (vgl. Senatsurteile vom 10. November 1998 - VI ZR 354/97, BGHZ 140, 39 Rn. 13; vom 12. April 2011 - VI ZR 158/10, BGHZ 189, 158; vom 19. Mai 1981 - VI ZR 108/79, VersR 1982, 238; vom 8. Juni 1999 - VI ZR 244/98, VersR 1999, 1156 Rn. 7, 14; Zoll, NJW 2014, 967, 970). Die dem Geschädigten gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit durch nahe Angehörige ist im Rahmen des Erforderlichen gemäß § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB unabhängig davon angemessen abzugelten, ob diese einen Verdienstausfall erlitten haben (Senatsurteil vom 8. Juni 1999 - VI ZR 244/98, VersR 1999, 1156, 1157). Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richtet sich dabei grundsätzlich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft (Senatsurteil vom 10. November 1998 - VI ZR 354/97, BGHZ 140, 39, 44 f.).

2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Bestimmung der Höhe des Ersatzanspruchs.

a) Das Berufungsgericht hat den als Ausgleich des Betreuungsaufwands der Angehörigen in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 zu zahlenden Betrag rechtsfehlerhaft ermittelt. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Klägerin zur Höhe des einer entgeltlich eingesetzten Pflegekraft zu zahlenden Stundensatzes und zur erforderlichen Stundenzahl als unstreitig zugrunde gelegt und das entsprechende Bestreiten der Beklagten in der Klageerwiderung als unbeachtlich qualifiziert hat, weil die Beklagte hierauf in der Berufungsinstanz nicht ausdrücklich zurückgekommen ist. Das Berufungsgericht hat übersehen, dass das Vorbringen der Beklagten ohne weiteres in der Berufungsinstanz angefallen war (vgl. BGH Urteil vom 27. September 2006 - VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16 mwN; Beschluss vom 4. Mai 2011 - XII ZR 86/10, NJW-​RR 2011, 1009 Rn. 18) und für die in der ersten Instanz insoweit siegreiche Beklagte nach dem bisherigen Verfahrensverlauf kein Anlass bestand, ihr Vorbringen in der Berufungserwiderung ausdrücklich zu wiederholen.

aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofs als auch des Bundesverfassungsgerichts obliegt es dem Berufungsbeklagten nur, seine Verteidigungsmittel insoweit vorzubringen, als es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Er darf sich in seiner Berufungserwiderung grundsätzlich darauf beschränken, die zu seinen Gunsten ergangene Entscheidung zu verteidigen und neue Angriffsmittel des Berufungsklägers abzuwehren. Eine Regelung, die es dem Berufungsbeklagten auferlegt, erstinstanzliches Vorbringen zu wiederholen oder jedenfalls in Bezug zu nehmen, existiert nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2007 - XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 Rn. 43, 44 mwN; Beschlüsse vom 18. November 2009 - IV ZR 69/07, juris Rn. 5; vom 31. Juli 2013 - IV ZR 158/12, juris Rn. 16; BVerfG, NJW 2000, 131; NJW 2015, 1746 Rn. 17).

bb) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten nicht als unbeachtlich ansehen. Die Beklagte hatte die von der Klägerin abgerechneten Stundensätze und die Pflege- und Bereitschaftszeiten ihrer Angehörigen in der Klageerwiderung konkret bestritten. Sie hatte insbesondere unter Beweisantritt geltend gemacht, dass eine Pflegehilfskraft im Bundesdurchschnitt einen Nettostundenlohn von etwa 6 € erhalte und dass auf dieser Grundlage auch die Betreuungsleistungen der Angehörigen abzurechnen seien. Für Zeiten, in denen die Angehörigen die Klägerin lediglich beaufsichtigten, sei eine Vergütung in Höhe von 50 %, d.h. 3 € netto geboten. Die notwendigen Pflege- und Betreuungszeiten betrügen nach dem Gutachten L.    (Anlage K 1) lediglich 13,7 Stunden täglich, von denen die Klägerin 4,7 Stunden beaufsichtigt werden müsse. Dieses Vorbringen der Beklagten zu den in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007 erbrachten Betreuungsleistungen ist für das Urteil 1. Instanz unerheblich geblieben, weil das Landgericht den diesbezüglichen Ersatzanspruch als verjährt angesehen hat.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist das Bestreiten der Beklagten auch nicht durch die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess unbeachtlich geworden, in dem die Beklagte dazu verpflichtet worden ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. Juli 2007 bis 31. Oktober 2009 und für die Zeit vom 22. Oktober 2010 bis 31. Januar 2011 Pflegekosten zu erstatten. Denn die in diesem Urteil zugrunde gelegten Stundensätze und Pflege- und Bereitschaftszeiten sind nicht mit Rechtskraftwirkung für den Streitfall festgestellt worden. In Rechtskraft erwächst gemäß § 322 Abs. 1 ZPO nur die in dem Urteil ausgesprochene Rechtsfolge, nicht hingegen Vorfragen, aus denen der Richter den Schluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen der vom Kläger beanspruchten Rechtsfolge zieht (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2012 - VIII ZR 50/12, WuM 2013, 165, 167 mwN). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts musste die Beklagte nach dem Urteil im Vorprozess auch nicht klarstellen, dass sie die Höhe des geltend gemachten Anspruchs weiter bestreiten wolle. Die Revision rügt zu Recht, dass es einer Partei nicht obliegt, ihren Vortrag nach einer Entscheidung in einem anderen Verfahren, die abweichende Zeiträume betrifft, zu wiederholen.

Ein erneutes Bestreiten der Beklagten war auch nicht deshalb geboten, weil das Landgericht bei der Bemessung des Ersatzanspruchs wegen des von Angehörigen der Klägerin in der Zeit vom 1. Februar 2011 bis 31. Dezember 2012 erbrachten Betreuungsaufwands diejenigen Pflegezeiten und Stundensätze zugrunde gelegt hat, die der Klägerin auch im Vorprozess zugebilligt worden waren. Da das Landgericht für den hier maßgeblichen Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2007 nicht festgestellt hat, dass auch insoweit die im Vorprozess angenommenen Pflegezeiten und Stundensätze heranzuziehen seien, sondern die Klage wegen Verjährung abgewiesen hat, durfte sich die Beklagte darauf beschränken, die zu ihren Gunsten ergangene Entscheidung zu verteidigen.

b) Die Revision wendet sich auch mit Erfolg gegen die Bestimmung der Höhe des Ersatzanspruchs wegen vermehrter Bedürfnisse für die Zeit ab 1. Februar 2012.

aa) Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass sich der ersatzfähige Aufwand zur Befriedigung vermehrter Bedürfnisse, insbesondere des Pflegebedarfs, nach den Dispositionen bestimmt, die ein verständiger Geschädigter in seiner besonderen Lage treffen würde (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, juris Rn. 31, insoweit in BGHZ 163, 351 nicht abgedruckt; vom 8. November 1977 - VI ZR 117/75, VersR 1978, 149, 150 mwN; vom 8. Juni 1999 - VI ZR 244/98, VersR 1999, 1156, 1157). Maßgebend ist grundsätzlich, was ein verständiger Geschädigter an Mitteln aufwenden würde, wenn er diese selbst zu tragen hätte und tragen könnte (vgl. Senatsurteile vom 13. Juli 1971 - VI ZR 260/69, VersR 1971, 1045, juris Rn. 15; vom 8. November 1977 - VI ZR 117/75, VersR 1978, 149, 150, juris Rn. 19). Kommen zum Ausgleich der Pflegebedürftigkeit verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichem Kostenaufwand in Betracht (z.B. Einstellung einer Pflegekraft, Unterbringung in einem Pflegeheim oder Versorgung durch einen Familienangehörigen), so bestimmt sich die Höhe des Anspruchs danach, welcher Bedarf in der vom Geschädigten in zumutbarer Weise gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfällt (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2005 - VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, juris Rn. 31; vom 8. November 1977 - VI ZR 117/75, VersR 1978, 149, 150 mwN; vom 8. Juni 1999 - VI ZR 244/98, VersR 1999, 1156, 1157).

Die Frage, ob der Geschädigte seine Lebensgestaltung in zumutbarer Weise gewählt hat, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Ersatz vermehrter Bedürfnisse einen Ausgleich für die Nachteile schaffen soll, die dem Geschädigten infolge dauernder Störungen seines körperlichen Wohlbefindens entstehen (vgl. Senatsurteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 108/79, VersR 1982, 238, 239; vom 20. Januar 2004 - VI ZR 46/03, VersR 2004, 482; Zoll NJW 2014, 967). Er will es dem Geschädigten ermöglichen, sein gewohntes Leben trotz der erlittenen dauerhaften Beeinträchtigungen möglichst weitgehend aufrecht zu erhalten (vgl. OLG Hamm, VersR 1992, 459, 460 - Revision nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 11. Juni 1991 - VI ZR 307/90, NZV 1991, 387; MüKoBGB/Wagner, BGB, 7. Aufl., § 843 Rn. 68; Staudinger/Vieweg, BGB, Neubearbeitung 2015, § 843 Rn. 21; Zoll NJW 2014, 967, 968 ff.; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 29 Rn. 32; Geigel/Pardey, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., 4. Kapitel, Rn. 38). Dem entspricht es, dass ein Schwerstgeschädigter, sofern er dies will, in die ihm vertrauten früheren Lebensumstände zurückgeführt wird. Er muss sich grundsätzlich selbst dann nicht auf die Möglichkeit der Pflege in einer stationären Einrichtung verweisen lassen, wenn dies kostengünstiger wäre (OLG Koblenz, VersR 2002, 244, 245 - Revision nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 24. April 2001 - VI ZR 357/00; OLG Bremen, VersR 1999, 1030, 1031 f. - Revision nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 24. November 1998 - VI ZR 169/98; OLG Bamberg, VersR 2005, 1593, 1594 f.; OLG Frankfurt, Urteil vom 14. August 2014 - 12 U 15/09, juris Rn. 45; OLG Stuttgart, VersR 1977, 1038, juris Rn. 52; BeckOK BGB/Spindler, BGB, 46. Ed., § 843 Rn. 23 [Stand: 1. Mai 2018]; Staudinger/Vieweg, aaO; Zoll NJW 2014, 967, 969 ff.; Geigel/Pardey, aaO Rn. 48). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die häusliche Pflege mit unverhältnismäßigen, für den Schädiger auch unter Berücksichtigung der Belange des Geschädigten nach Treu und Glauben nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden ist. Hiervon ist grundsätzlich erst dann auszugehen, wenn die Kosten der häuslichen Pflege in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zu der Qualität der Versorgung des Geschädigten stehen (vgl. OLG Bremen, VersR 1999, 1030 - Revision nicht angenommen durch Senatsbeschluss vom 24. November 1998 - VI ZR 169/98; Zoll, NJW 2014, 967, 969 f.; Staudinger/Vieweg, aaO; BeckOK BGB/Spindler BGB aaO; ähnlich MüKoBGB/Wagner, aaO Rn. 76). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, verbietet sich vor diesem Hintergrund die Festlegung einer für sämtliche Fallgestaltungen geltenden Obergrenze in dem Sinne, dass der Ersatz der für die häusliche Pflege anfallenden Kosten generell auf den doppelten Betrag (oder ein anderes Vielfaches) der jeweiligen Heimunterbringungskosten beschränkt wäre (a.A. Hoffmann, ZfS 2007, 428, 429 f.; wohl auch OLG Koblenz, VersR 2002, 244, 245).

bb) Es bestehen aber Zweifel, ob sich das Berufungsgericht des Umstands bewusst gewesen ist, dass der allein streitgegenständlichen Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse (vgl. Senatsurteile vom 22. Mai 1984 - VI ZR 228/82, VersR 1984, 782 juris Rn. 19; vom 29. Oktober 1985 - VI ZR 56/84, VersR 1986, 96, juris Rn. 10 ff.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Auflage, Einleitung Rn. 73) solche Aufwendungen nicht zuzurechnen sind, die der Heilbehandlung des Geschädigten dienen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Aufwendungen zur Befriedigung vermehrter Bedürfnisse von Heilungskosten abzugrenzen (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1955 - VI ZR 134/54, VersR 1956, 22, 23; vom 19. Mai 1981 - VI ZR 108/79, VersR 1982, 238 f.; vom 29. Oktober 1985 - VI ZR 56/84, VersR 1986, 96, juris Rn. 10 ff.; vom 20. Januar 2004 - VI ZR 46/03, VersR 2004, 482, juris Rn. 4; Zoll, NJW 2014, 967, 969; Staudinger/Vieweg, aaO, Rn. 4). Die Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse umfasst alle unfreiwilligen Mehraufwendungen, die den Zweck haben, die Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten infolge dauernder Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen, dauernd und regelmäßig erforderlich sind und außerdem nicht - wie etwa Heilungskosten - der Wiederherstellung der Gesundheit dienen (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1955 - VI ZR 134/54, VersR 1956, 22, 23; vom 19. Mai 1981 - VI ZR 108/79, VersR 1982, 238 f.; vom 20. Januar 2004 - VI ZR 46/03, VersR 2004, 482, juris Rn. 4).

Wie die Revision zu Recht rügt, liest sich das Berufungsurteil in einigen Passagen so, als wenn das Berufungsgericht auch solche Mehraufwendungen zu den vermehrten Bedürfnissen rechnete, die der Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Denn es verneint eine Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens der Klägerin bzw. ihrer Betreuerin durch Unterlassen einer adäquaten Therapie unter anderem mit der Begründung, die Hinzuziehung der - besonders teuren - Heilerziehungspfleger diene auch "einer Verbesserung des Zustands der Klägerin". Die Möglichkeit, dass es der Klägerin in einem Pflegeheim mit gesellschaftlichen Aktivitäten besser ginge als im eigenen Haus, verneint es unter anderem mit dem Argument, ein solches Pflegeheim sei für die Klägerin ungeeignet, weil es "typischerweise nicht auf Therapie- oder Rehabilitation der Bewohner ausgerichtet" sei.



III.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und an das Berufungsgericht zur erneuten Prüfung unter den aufgezeigten Gesichtspunkten zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Parteien in den Rechtsmittelschriften zu befassen.


Berichtigungsbeschluss vom 6. November 2018
Das Senatsurteil vom 28. August 2018 wird gemäß § 319 Abs. 1 ZPO dahingehend berichtigt, dass es in Randnummer 19 statt "für die Zeit ab 1. Februar 2012" heißt: für die Zeit ab 1. Februar 2011".

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