Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Kammergericht Berlin Beschluss vom 08.11.2018 - 3 Ws (B) 249/18 – 162 Ss 114/18 - Heilung eines Zustellungsmangels durch nachträgliche Vollmacht

KG Berlin v. 08.11.2018: Die nachträgliche Ausstellung der Verteidigervollmacht heilt anfängliche Zustellungsmängel


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 08.11.2018 - 3 Ws (B) 249/18 – 162 Ss 114/18) hat entschieden:

   Ist in einer einem Rechtsanwalt schriftlich erteilten Vollmacht die Entgegennahme von Zustellungen ausdrücklich ausgeschlossen und wird an diesen gleichwohl zugestellt, so heilt die spätere Ausstellung einer Verteidigervollmacht den zuvor bestehenden Zustellungsmangel.


Siehe auch
Die Vollmacht des Rechtsanwalts
und
Zustellung des Bußgeldbescheides und Verjährungsunterbrechung


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 220,00 Euro verurteilt, nach § 25 Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen.

Gegen das am 18. Juni 2018 verkündete Urteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. Juni 2018 Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit dem am 17. August 2018 per Telefax beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz wurde die gegen das dem Verteidiger am 23. Juli 2018 zugestellte Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde begründet.

Die Rechtsbeschwerde macht vor allem das Verfahrenshindernis der Verjährung geltend. Hierzu wird vorgetragen, Rechtsanwalt K. sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids vom 22. Januar 2018 nicht Verteidiger und mithin nicht zustellungsbevollmächtigt gewesen. Die mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2017 zu den Akten gereichte Vollmacht habe sich lediglich auf die beantragte Akteneinsicht bezogen. Die Entgegennahme von Zustellungen sei hierin jedoch ausdrücklich ausgeschlossen worden. Die dennoch am 25. Januar 2018 mittels Einwurf in den Kanzleibriefkasten erfolgte Zustellung sei daher unwirksam. Empfangsberechtigt sei der Rechtsanwalt vielmehr erst mit der am 28. Januar 2018 erteilten Verteidigervollmacht geworden. Die Verjährung sei mithin nicht wirksam durch Erlass des Bußgeldbescheids unterbrochen worden. Das Verfahren sei daher einzustellen.




Mit Beschluss vom 28. August 2018 hat das Amtsgericht Tiergarten die gegen das Urteil eingelegte Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen, da - so der Kenntnisstand des Bußgeldrichters - die Beschwerdeanträge nicht bis zum Ablauf der gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 StPO bestimmten Frist angebracht worden seien.

Hierauf hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. September 2018 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. August 2018 eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 2. Oktober 2018 beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet zu verwerfen, das als sofortige Beschwerde bezeichnete Rechtsmittel als Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zu werten und den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. August 2018 hierauf aufzuheben. Die Rechtsbeschwerde sei nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Der nunmehrige Verteidiger sei zum Zeitpunkt der Zustellung des Bußgeldbescheids zumindest aufgrund einer rechtsgeschäftlich erteilten Zustellungsvollmacht zustellungsbevollmächtigt gewesen.

Die Gegenerklärung des Verteidigers vom 24. Oktober 2018 lag dem Senat bei seiner Entscheidung vor.

Der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. August 2018 war aufzuheben.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.





II.

1. Die nach § 300 StPO als Antrag auf Entscheidung der Rechtsbeschwerdegericht gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 346 Abs. 2 StPO auszulegende sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 28. August 2018 ist zulässig und auch begründet.

Der Antrag ist binnen der Wochenfrist gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 346 Abs. 2 Satz 1 StPO nach Verwerfung der Rechtsbeschwerde durch den am 3. September 2018 zugestellten Beschluss am 7. September 2018 gestellt worden.

Der Antrag ist auch begründet. Die Rechtsbeschwerde wurde rechtzeitig begründet. Die durch Zustellung des Urteils am 23. Juli 2018 in Lauf gesetzte Frist der § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO war mit dem am 17. August 2018 eingegangenen, die Rechtsbeschwerde begründenden Schriftsatz gewahrt.

Der aufgrund einer unvollständigen Akte ergangene Verwerfungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 28. August 2018 war mithin aufzuheben.

Einer Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist bedarf es nicht. Dieser Antrag ist gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 12. August 2015 - 2 StR 86/15 - BeckRS 2015, 16595; OLG München, Beschluss vom 24. Juni 2009 - 5 St RR 157/09 - BeckRS 2009, 19552).

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

a) Die Rüge formellen Rechts weist keine nähere Begründung auf und ist als Verfahrensrüge nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt. Das gleiche gilt für die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

b) Die auf die ordnungsgemäß erhobene Sachrüge von Amts wegen veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die festgestellte Ordnungswidrigkeit - entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers - nicht verjährt ist.

-1 Gemäß § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung für Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG bis zum Erlass des Bußgeldbescheides drei Monaten, danach sechs Monate.

Die Verjährungsfrist des § 26 Abs. 3 StVG der am 8. November 2017 begangenen Ordnungswidrigkeit ist zunächst durch die Übermittlung des Anhörungsbogens am 28. November 2017 an den Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG unterbrochen worden.

-2 In der Folge ist die Verjährung durch den Erlass des Bußgeldbescheids am 22. Januar 2018 gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. Die Zustellung des Bußgeldbescheids ist spätestens am 28. Januar 2018 gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 und 2 OWiG i.V.m. § 7 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung i.V.m. § 8 VwZG fingiert. Der Bußgeldbescheid ist mithin innerhalb von zwei Wochen nach dessen Erlass zugestellt. Zugleich wurde die Verjährungsfrist nach § 26 Abs. 3 StVG auf sechs Monate verlängert.

Der Senat kann es im Ergebnis offen lassen, ob Rechtsanwalt K. zum Zeitpunkt der Zustellung aus den im amtsgerichtlichen Urteil aufgeführten Gründen nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG ermächtigt war, Zustellungen entgegenzunehmen oder zumindest - wovon die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme ausgeht - aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht, die neben der gesetzlichen nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG bestehen kann, zustellungsbevollmächtigt war (vgl. hierzu KG NStZ-​RR 2016, 289). Denn jedenfalls wäre ein etwaiger Zustellungsmangel geheilt.

Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG gelten im Zustellungsverfahren die landesrechtlichen Vorschriften zur Zustellung. Nach § 7 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung gilt das Verwaltungszustellungsgesetz. Dementsprechend findet § 8 VwZG Anwendung, nach dem ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung von zwingenden Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat.

Das Rechtsbeschwerdevorbringen und damit eine (zunächst) fehlende Empfangsvollmacht des Rechtsanwalts K. unterstellt, hätte der Bußgeldbescheid dem Betroffenen zugestellt werden müssen. Wegen dieses Verstoßes gegen zwingende Zustellungsvorschriften ist der Anwendungsbereich des § 8 VwZG eröffnet.

Die Heilung ist dadurch eingetreten, dass der Beschwerdeführer dem Rechtsanwalt am 28. Januar 2018 eine Verteidigervollmacht erteilt hat und seit diesem Tag gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG kraft Gesetzes empfangsberechtigt war.

Ohne Belang für die Heilung nach § 8 VwZG ist hierbei, dass dem Rechtsanwalt der Bußgeldbescheid zugegangen ist, bevor er empfangsberechtigt wurde. Nach allgemeiner Auffassung erfordern es nämlich Sinn und Zweck der Heilungsvorschriften diese auch dann anzuwenden, wenn ein Rechtsanwalt erst durch spätere Bevollmächtigung zum Verfahrensbeteiligten wird und er bereits vorher in den Besitz eines zuzustellenden Schriftstücks gelangt ist. Hat er zu diesem Zeitpunkt das Schriftstück noch im Besitz, dann hat er es mit der Bevollmächtigung gemäß § 8 VwZG erhalten, so dass es als zugestellt gilt (BVerwG NVwZ 1999, 178; OLG Düsseldorf NJW 2008, 2727).

Nach dem Rechtsbeschwerdevorbringen ist der Bußgeldbescheid - wie auch aus der Postzustellungsurkunde ersichtlich - dem Rechtsanwalt am 25. Januar 2018 tatsächlich zugegangen. Da bereits drei Tage nach Zustellung die Verteidigervollmacht erteilt wurde, ist - auch mangels gegenteiligen Anhaltspunkte - davon auszugehen, dass der Rechtanwalt zu diesem Zeitpunkt noch immer im Besitz des Bußgeldbescheids war. Der Betroffene hat nach der Bußgeldakte eine Ablichtung des Bescheids erhalten, so dass auch kein erkennbares Bedürfnis für eine eventuelle vorherige Weitergabe des Bescheids an den Betroffenen durch den Rechtsanwalt besteht. Im Übrigen wäre auch in diesem Fall eine Heilung nach § 8 VwZG zu prüfen (vgl. hierzu OLG Hamm DAR 2017, 642).

Die Bußgeldbehörde hatte auch den von den Heilungsvorschriften vorausgesetzten Zustellungswillen.

Dieser erfordert, dass die Behörde eine förmliche Zustellung tatsächlich vornehmen wollte, was schon immer dann anzunehmen ist, wenn die Behörde - wie hier - das zuzustellende Schriftstück dem Empfänger zuleitet. Es kommt nicht darauf an, dass der behördliche Wille auch auf die Einhaltung der für die Zustellungsart erforderlichen Förmlichkeiten gerichtet ist (BVerwG a.a.O; Smollich in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 1. Aufl. 2014 VwZG § 8 Rn.2).

Mithin ist der Verstoß gegen die Zustellungsvorschriften geheilt worden.

c) Durch die mit Wirkung ex nunc erfolgte Heilung gilt der Bescheid spätestens am 28. Januar 2018 als zugestellt, so dass die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen wurde. Zugleich verlängerte sich die Verjährungsfrist für die Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG auf sechs Monate. Nach Eingang der Akte beim Amtsgericht wurde die Verjährung durch die Anberaumung des Hauptverhandlungstermins am 17. April 2018 erneut unterbrochen und durch den Erlass des Urteils am 18. Juni 2018 gemäß § 32 Abs. 2 OWiG schließlich gehemmt.



Das vom Betroffenen geltend gemachte Verfahrenshindernis der Verjährung besteht somit nicht.

d) Die auf die Sachrüge gebotene weitere umfassende Überprüfung des Urteils offenbart weder hinsichtlich des Schuld- noch des Rechtsfolgenausspruchs einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebieten würde.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum