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Oberlandesgericht Koblenz Urteil vom 08.05.1991 - 5 U 1812/90 - Verwendung von Nutzpferden als Zugtiere bei Karnevalsumzug

OLG Koblenz v. 08.05.1991: Verwendung von Nutzpferden als Zugtiere bei Karnevalsumzug


Das Oberlandesgericht Koblenz (Urteil vom 08.05.1991 - 5 U 1812/90) hat entschieden:

  1.  Benutzt ein Pferdehalter die Tiere im allgemeinen als Holzrückpferde im Wald und setzt er sie ausnahmsweise bei einem Karnevalsumzug als Zugtiere vor einer alten Feuerwehrspritze ein, so kann er sich gleichwohl auf das Entlastungsprivileg für Nutztiere (BGB § 833 S 2) berufen.

  2.  Auch bei zwei "lammfrommen" Kaltblütern ist ein unberechenbares tierisches Verhalten nicht ausgeschlossen.

  3.  Bleibt unklar, warum Pferde ausgebrochen sind, so geht diese Unklarheit zu Lasten des Halters.



Siehe auch
Karnevalsumzug und Verkehrsrecht
und
Tierhalterhaftung - Tiergefahr - Haftungsabwägung gegenüber der Betriebsgefahr von Fahrzeugen<


Tatbestand:


Der Beklagte ist Eigentümer und Halter zweier Pferde. Auf Bitten der freiwilligen Feuerwehr in W. erklärte er sich bereit, mit den beiden Pferden als Gespann an dem Karnevalszug 1989 teilzunehmen. Die Pferde sollten eine alte Feuerwehrspritze ziehen. Als der Zug sich noch formierte, brachen die vor die Feuerwehrspritze gespannten Pferde aus. Sie überrannten die am Straßenrand stehende Klägerin. Die Klägerin erlitt hierdurch Verletzungen, deren Umfang im einzelnen zwischen den Parteien streitig ist.

Die Klägerin hat im Klagewege ein Schmerzensgeld sowie Ersatz von ihr behaupteter materieller Schäden verlangt. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, der Unfall stelle ein völlig unvorhersehbares Geschehen dar. Er habe jegliche Sorgfalt angewandt, um ein solches Ereignis auszuschließen. Hierzu hat der Beklagte näher vorgetragen. Einzelheiten seines Sachvortrags sowie deren rechtliche Würdigung sind zwischen den Parteien streitig.




Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch das angefochtene Urteil die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses Urteils nimmt der Senat zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Der Beklagte ist der Auffassung, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an die Führung des Entlastungsbeweises nach § 833 BGB gestellt. Er habe alle erforderlichen Sorgfaltsmaßnahmen getroffen, um einen solchen Unfall zu vermeiden.

Der Beklagte beantragt,

   unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend, tritt dem neuen Sachvortrag des Beklagten entgegen und ist der Auffassung, auf den Entlastungsbeweis gemäß § 833 Satz 2 BGB könne sich der Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil der Einsatz der Pferde zum Zeitpunkt des Unfalls nicht in Zusammenhang mit dem Beruf oder der Erwerbstätigkeit des Beklagten gestanden habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, daß der Beklagte sich gegenüber der Klägerin gemäß § 833 Satz 1 BGB schadensersatzpflichtig gemacht und den Entlastungsbeweis gemäß § 833 Satz 2 BGB nicht geführt hat. Die Voraussetzungen für den Erlaß eines Grundurteils liegen gleichfalls vor.

Unstreitig ist der Beklagte Halter der beiden Pferde, die die Verletzung der Klägerin verursacht haben. Gemäß § 833 Satz 1 BGB ist der Halter zum Schadensersatz verpflichtet, wenn durch ein Tier die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Verletzung "durch ein Tier" bedeutet, daß sich bei dem Unfall die sogenannte Tiergefahr verwirklicht haben muß. Das war hier sicher der Fall, da die beiden Pferde scheuten und durchgingen. Auch der Beklagte stellt dies nicht in Abrede.

Entgegen der Meinung der Klägerin ist es dem Beklagten nicht von vornherein aus Rechtsgründen verwehrt, sich auf die Möglichkeit des Entlastungsbeweises gemäß § 833 Satz 2 BGB zu berufen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Beklagte seine Pferde beruflich einsetzt. Sie arbeiten als Holzrückpferde im Wald. Daß sie zum Unfallzeitpunkt anderweitig verwendet wurden, ist unbeachtlich. Maßgeblich für die Anwendung des § 833 Satz 2 BGB ist die allgemeine Zweckbestimmung eines Tieres, nicht die augenblickliche tatsächliche Nutzung (BGH Betrieb 1971, 333, 334). Der Beklagte hat allerdings den ihm obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt, an dessen Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (OLG Frankfurt VersR 82, 908). Er hat weder bewiesen, daß er bei der Beaufsichtigung der Tiere die verkehrserforderliche Sorgfalt beobachtet hat noch, daß der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.

Welche Anforderungen an die verkehrserforderliche Sorgfalt zu stellen sind, richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls (BGH NJW 1986, 2501, 2502). Der Senat verkennt nicht, daß es sich hier um zwei Kaltblüter handelte, die als lammfromm galten und sich bisher immer friedfertig verhalten hatten. Das allein entlastet den Beklagten aber noch nicht, da eine allgemeine Friedfertigkeit ein unberechenbares tierisches Verhalten gerade nicht ausschließt (BGH NJW 86, 2501, 2502). Deshalb war es erforderlich, auch gegen ein unberechenbares tierisches Verhalten ausreichend Vorsorge zu treffen. Der Kläger hat zwar eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen. Insbesondere hielt er selbst die Pferde am Zügel, während zwei Helfer der freiwilligen Feuerwehr sie jeweils am Zaumzeug festhielten. Nach Auffassung des Senats war das aber nicht ausreichend. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß beide Pferde zuvor noch niemals als Gespann in einem Umzug eingesetzt worden waren und daß sie normalerweise auch keinen Wagen zogen. Das hat der Zeuge S bekundet. Zur hinreichenden Beaufsichtigung nach § 833 Satz 2 BGB gehört auch die Auswahl geeigneter Tiere (Palandt BGB 50. Aufl. § 833 Rdnr. 19). Dem Senat erscheinen diese Tiere trotz ihrer sonstigen Friedfertigkeit zum hier vorgesehenen Zweck ungeeignet. Beide waren es nicht gewöhnt, als Gespann zu gehen. Auch einen Wagen hatten sie normalerweise nicht gezogen. Der Beklagte hatte lediglich einige Tage vor dem Umzug ausprobiert, ob sie überhaupt vor einem Wagen gingen. Die Situation, in der die beiden Pferde eingesetzt wurden, war für sie ungewohnt und untypisch. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme arbeiteten sie normalerweise im Wald, wurden dorthin im Pferde-​Anhänger gebracht und gingen nur selten auf der Straße. Hier wurden sie in einer völlig anderen Umgebung eingesetzt und waren damit mannigfaltigen Eindrücken ausgesetzt, an die sie nicht gewöhnt waren. Das gilt auch dann, wenn an Ort und Stelle noch kein größerer Lärm war und sich auch dort noch keine größere Menschenansammlung gebildet hatte. Alle diese Umstände verstärken nach Auffassung des Senats die Gefahr einer unkontrollierbaren tierischen Reaktion so sehr, daß der Beklagte gegen seine Sorgfaltspflicht schon deshalb verstoßen hat, weil er die Pferde überhaupt bei dem Zug eingesetzt hat. Dagegen kann der Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, eine derart strenge Betrachtungsweise nehme einem Tierhalter überhaupt die Möglichkeit, ein Tier anderweitig in einer neuen Situation einzusetzen, ohne sich der Gefahr einer Haftung nach § 833 BGB auszusetzen. Natürlich ist das möglich. Dazu bedarf es aber eines langsamen und vorsichtigen Eingewöhnens und zwar zunächst in einer Umgebung und mit Personen, die dem Tier vertraut sind. Erst danach kommt eine allmähliche Steigerung in Betracht. All das ist hier nicht geschehen. Der Beklagte hatte vielmehr die beiden Pferde zuvor nur einmal vor dem Wagen gehen lassen und sie dann sofort in einer völlig ungewöhnlichen Situation eingesetzt.


Hinzu kommt, daß die Pferde nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag der Klägerin keine Scheuklappen trugen, was angesichts der ungewohnten Umgebung angezeigt gewesen wäre. Zusätzlich ist dem Beklagten ein Vorwurf auch deshalb zu machen, weil er die Pferde von zwei fremden Personen halten ließ, mit denen die Tiere nicht vertraut waren. Hierin liegt eine zusätzliche Pflichtwidrigkeit, wobei insoweit nach Auffassung des Senats auch viel für ein Organisationsverschulden des Zugveranstalters sprechen könnte.

Der Beklagte hat nicht den Nachweis geführt, daß der Unfall auch bei Anwendung der verkehrserforderlichen Sorgfalt ebenso eingetreten wäre. Wie bereits dargestellt, war es von vornherein falsch, die Pferde überhaupt bei dem Zug als Gespann mitwirken zu lassen. Wäre dies aber nicht geschehen, dann wäre es auch nicht zu dem Unfall gekommen. Im übrigen ist im Verfahren ungeklärt geblieben, was letztlich zum Ausbrechen der Pferde geführt hat. Diese Unklarheit geht zu Lasten des Halters (OLG Frankfurt VersR 82, 908; Palandt aaO § 833 Rdnr. 22). Er kann dann nämlich nicht nachweisen, daß es zu dem Unfall auch gekommen wäre, wenn er hier beispielsweise den Pferden Scheuklappen angelegt und als Helfer Personen herangezogen hätte, die den Pferden vertraut waren.

Festzustellen ist somit, daß der Beklagte der Klägerin gemäß § 833 Satz 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die Voraussetzungen zum Erlaß eines Grundurteils liegen vor. Wenngleich der Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und der materiellen Schäden der Klägerin zwischen den Parteien streitig ist, so steht doch fest, daß die Klägerin ein Schmerzensgeld verlangen kann und daß ihr auch materielle Schäden erwachsen sind. Sie hat zumindest nachgewiesen, daß sie wegen des Unfalls einen Teil der Pflegekosten und die Kosten einer ärztlichen Bescheinigung bezahlen mußte (vgl. Bl. 8, 9 GA).



Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert zweiter Instanz und Beschwer des Beklagten: 10.160 DM.

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