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Landgericht Berlin Beschluss vom 24.09.2018 - 538 Qs 99/18 und 538 Qs 100/18 -

LG Berlin v. 24.09.2018:




Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 24.09.2018 - 538 Qs 99/18 und 538 Qs 100/18) hat entschieden:

   Über die Verteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren ist nur in Ausnahmefällen geboten, wenn die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers erfordern oder ersichtlich ist, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.

Siehe auch
Beigeordneter Rechtsanwalt / Pflichtverteidiger
und
Verteidigung in Straf- und OWi-Sachen




Gründe:


I.

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, am 16. Dezember 2017 die zulässige Höchstgeschwindigkeit (60 km/h) innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h überschritten zu haben. Der Bußgeldbescheid vom 04. April 2018, der dem Betroffenen am 11. April 2018 zugestellt wurde, sieht eine Geldstrafe von 300 Euro vor und ordnet ein Fahrverbot von einem Monat an (§§ 17 OWiG, 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 Abs. 2 BkatV, 11.3.5 BKat). Gegen den Bußgeldbescheid legte der Betroffene mit Schreiben vom 17. April 2018, eingegangen bei der Bußgeldstelle am 18. April 2018, Einspruch ein. Mit Schreiben vom 17. Mai 2018, das dem Betroffenen am 31. Mai 2018 zugestellt wurde, beraumte das Amtsgericht Tiergarten den Termin zur Hauptverhandlung auf den 25. September 2018 an. Mit Schreiben vom 04. September 2018 teilte Rechtsanwalt Dr. H. mit, den Betroffenen zu vertreten und beantragte die Aufhebung des Hauptverhandlungstermins sowie seine Beiordnung als Pflichtverteidiger. Diese Anträge lehnte das Amtsgericht Tiergarten mit Beschlüssen vom 05. September 2018 ab. Gegen diese Beschlüsse richten sich die streitgegenständlichen Beschwerden, die bei der Kammer erst am 21. September 2018 eingegangen sind.





II.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung als Pflichtverteidiger ist zulässig, aber unbegründet. Es liegt kein Fall der notwendigen Verteidigung vor (§ 140 StPO i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 60 OWiG).

Es liegt kein Katalogtatbestand des § 140 Abs. 1 StPO vor.

Ferner hat das Amtsgericht Tiergarten eine Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO zu Recht abgelehnt. Über die Verteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (BGH, Urteil v. 12. März 1963, 1 StR 36/63, BeckRS 9998, 113926; Schmitt, in: Meyer-​Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, StPO, § 140 Rn. 22; Laufhütte/Willnow, in: KK/StPO, 7. Auflage 2013, § 140 Rn. 20). Weder gebieten vorliegend die Schwere der Tat oder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers noch ist ersichtlich, dass sich der Betroffene nicht selbst verteidigen kann.

Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Pflichtverteidigerbestellung in Bußgeldverfahren nur in Ausnahmefällen geboten ist (LG Köln, Beschluss v. 09. Dezember 2009, 105 Qs Owi 382/09, Rn. 4, juris; Bohnert/Krenberger/Krumm, in: Krenberger/Krumm, OWiG, 5. Auflage 2018, § 46 Rn. 40). Ein solcher Ausnahmefall ist nicht ersichtlich.


Hieran vermag auch das Beschwerdevorbringen nichts zu ändern. Die Hinweise auf die (fehlende) Expertise des bisherigen Wahlverteidigers sowie die (mögliche) Vermögenslosigkeit des Betroffenen sind für die Beurteilung einer notwendigen Verteidigung nicht von Bedeutung.

Die mögliche Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung basiert auf der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts, die auf bestimmte Grenzen der Geschwindigkeitsüberschreitung (40%) abstellt (KG #-Berlin, Beschluss v. 09. Juli 2018, 3 Ws (B) 154/18, Rn. 6, juris). Es ist mithin vorliegend keine umfangreiche und diffizile Beweisaufnahme zu erwarten, die einen Fall der notwendigen Verteidigung infolge der Schwierigkeit der Sachlage begründen könnte (vgl. zu den Voraussetzungen einer Beiordnung aufgrund komplexer Beweisaufnahmen Laufhütte/Willnow, in: KK/StPO, 7. Auflage 2013, § 140 Rn. 22). Der Sachverhalt ist vielmehr einfach gelagert und die Beweissituation gestaltet sich soweit ersichtlich ebenfalls nicht komplex.




Es ist durch die Beschwerdebegründung auch nicht nachvollziehbar dargelegt worden, inwiefern die Höhe des Bußgelds (300 Euro) oder die Länge des Fahrverbots (ein Monat) den Betroffenen in besonderer (existenzbedrohender) Weise treffen könnten. Diesen Rechtsfolgen kommt zunächst für sich genommen kein besonderes, die Pflichtverteidigerbestellung rechtfertigendes Gewicht zu (vgl. z.B. LG Köln, Beschluss v. 09. Dezember 2009, 105 Qs Owi 382/09, Rn. 5, juris, bzgl. einer Geldbuße von 640 Euro und einem einmonatigem Fahrverbot). Zwar können neben der unmittelbaren deliktsbezogenen Rechtsfolgenerwartung im Einzelfall auch sonstige schwerwiegende Nachteile einen Fall der notwendigen Verteidigung begründen – z.B. eine Entziehung der Fahrerlaubnis bei einem Berufskraftfahrer (LG Mainz, NZV 2009, 404f.; Schmitt, in: Meyer-​Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, StPO, § 140 Rn. 25; Laufhütte/Willnow, in: KK/StPO, 7. Auflage 2013, § 140 Rn. 21) –, jedoch begründen die nur pauschal vorgetragenen Belastungen für den Betroffenen soweit ersichtlich keinen vergleichbaren Schweregrad. Es ist nicht substantiiert dargetan, inwiefern der Betroffene besondere, über das normale Maß hinausgehende finanzielle oder berufliche Nachteile durch die angeordneten Rechtsfolgen erleiden würde. Insbesondere begründet die mittelbare Folge eines Fahrverbots infolge wiederholter Tatbegehung für sich genommen noch keinen Anwendungsfall der notwendigen Verteidigung (LG Mainz, NZV 2009, 404f.).


III.

Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Verlegung des Hauptverhandlungstermins wird als jedenfalls unbegründet verworfen.




Gemäß § 305 Satz 1 StPO unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, d.h. die im inneren Zusammenhang mit dem nachfolgenden Urteil stehen, ausschließlich seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen, grundsätzlich nicht der Beschwerde (KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 5, juris). Damit schließt die Vorschrift auch die Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung generell aus (KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 5, juris; KG Berlin, Beschluss v. 06. Oktober 2008, 3 Ws 341/08, Rn. 2, juris). Doch eine Anfechtung der abgelehnten Terminsverlegung ist ausnahmsweise dann zulässig, wenn sie darauf gestützt ist, dass die Entscheidung nicht lediglich unzweckmäßig war, sondern in rechtsfehlerhafter Ermessensausübung erfolgte und zu einer selbständigen Beschwer des Betroffenen führte (KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 5, juris; Schmitt, in: Meyer-​Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, StPO, § 213 Rn. 8). So liegt es hier. Der Betroffene trägt vor, dass der Beschluss des Amtsgerichts sein Recht auf Vertretung durch den Verteidiger seines Vertrauens missachte und macht damit im Ergebnis eine ihn beschwerende, rechtswidrige Ermessensausübung durch das Gericht bei der Ablehnung der Terminsverschiebung geltend.

Das Amtsgericht Tiergarten lehnte den Antrag auf Terminsverlegung jedoch zu Recht – ermessensfehlerfrei – ab. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerde deshalb bereits unzulässig ist (in diese Richtung KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 7f., juris), sie ist jedenfalls als unbegründet zu verwerfen (in diese Richtung Schmitt, in: Meyer-​Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, StPO, § 213 Rn. 8).

Die Verhinderung des gewählten Verteidigers für sich allein führt nicht ohne weiteres zu einem Anspruch auf Verlegung der Hauptverhandlung. Dies ergibt sich schon aus der Regelung des § 228 Abs. 2 StPO, wonach die Verhinderung des Wahlverteidigers dem rechtzeitig geladenen Angeklagten kein Recht gibt, die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen (OLG Stuttgart, Beschluss v. 21. Juni 2005, 5 Ws 81/05, Rn. 16, juris). Bei der Prüfung eines Terminsverlegungsantrags sind vielmehr sämtliche Gesichtspunkte des jeweiligen Einzelfalls in Betracht zu ziehen und sachgerecht zu gewichten, die für die Abwägung der Interessen aller Prozessbeteiligten mit den Interessen der Strafrechtspflege bedeutsam sind (KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 6, juris).

Neben dem Interesse des Betroffenen an einer effektiven Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens (OLG Frankfurt a.M., NStZ-​RR 2014, 250 (251)) muss daher insbesondere auch der im Strafverfahren im Allgemeinen (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) sowie im Ordnungswidrigkeitenrecht im Besonderen (§ 31 OWiG) geltende Beschleunigungsgrundsatz beachtet werden, der nicht nur dem Schutz des Betroffenen dient, sondern auch im öffentlichen Interesse liegt (KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 6 juris). Hierbei ist auch die Terminsplanung des Gerichts zu berücksichtigen (OLG Frankfurt a.M., NStZ-​RR 2014, 250f.; Schmitt, in: Meyer-​Goßner/Schmitt, 61. Auflage 2018, StPO, § 213 Rn. 7).




Der Terminstand der zuständigen Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten von mehr als vier Monaten würde einen neuen Termin frühestens Ende Januar 2019 erlauben, so dass es bei Verschiebung des vorgesehenen Hauptverhandlungstermins zu einer – entgegen der Beschwerdebegründung – nicht nur "relativ kurzen", sondern maßgeblichen und gewichtigen Verzögerung des Verfahrens käme (vgl. zur Relevanz dieses Gesichtspunkts bei der Beurteilung des Antrags auf Terminsverschiebung KG, Beschluss v. 09. Dezember 2016, 4 Ws 191/16, Rn. 7, juris).

Das Interesse des Betroffenen an der Vertretung durch Rechtsanwalt Dr. H. wiegt demgegenüber vorliegend aus verschiedenen Gründen geringer, so dass im Ergebnis keine Verletzung des Rechts, sich eines Verteidigers seines Vertrauens zu bedienen, anzunehmen ist.

Der Grund für die fehlende Verfügbarkeit des Wahlverteidigers Dr. H. liegt vorliegend weder in der Sphäre des Amtsgerichts (z.B. kurzfristige Terminierung) noch in externen unvorhersehbaren Ereignissen (z.B. überraschende Mandatsniederlegung) begründet. Sie ist auf die freie Entscheidung des Betroffenen zurückzuführen, einen neuen Verteidiger zu wählen, der urlaubsbedingt am vorgesehenen Hauptverhandlungstermin abwesend ist.

Wird ein mit der Sache bisher nicht vertrauter Verteidiger erst weit nach der Terminsladung und relativ kurzfristig vor dem Termin neu mandatiert, ist es dem Betroffenen zuzumuten, sicherzustellen, dass dieser Verteidiger den Termin auch wahrnehmen kann; ebenso wie der Verteidiger bei der Übernahme des Mandats offen liegende Terminkollisionen oder Abwesenheiten bedenken muss (OLG Frankfurt a.M., NStZ-​RR 2014, 250; OLG Stuttgart, Beschluss v. 21. Juni 2005, 5 Ws 81/05, Rn. 17, juris). Der Termin zur Hauptverhandlung (25. September 2018) ist dem Betroffenen seit dem 31. Mai 2018 bekannt. Er hatte mithin ausreichend Zeit, sich um einen an diesem Datum zur Verfügung stehenden Wahlverteidiger zu bemühen (vgl. LG Berlin, Beschluss v. 08. August 2012, 503 Qs 85/12).

Rechtsanwalt Dr. H. zeigte dem Amtsgericht erst mit Schreiben vom 04. September 2018 an, mit der Verteidigung des Betroffenen beauftragt worden und am anberaumten Termin verhindert zu sein. Der bisherige Wahlverteidiger Rechtsanwalt von V. legte die Verteidigung des Betroffenen in der Folge erst am 11. September 2018 nieder. Bei einer solchermaßen kurzfristigen Auswechslung des Wahlverteidigers kann eine Verlegung des unmittelbar anstehenden Hauptverhandlungstermin umso weniger erwartet werden.



Dies gilt insbesondere auch deshalb, da es sich vorliegend um einen einfach gelagerten Fall – ohne notwendige Verteidigung (siehe II.; vgl. § 228 Abs. 2 StPO) – handelt, so dass es für den Betroffenen auch zumutbar erscheint, sich durch einen anderen, am anberaumten Termin verfügbaren Wahlverteidiger vertreten zu lassen (OLG Frankfurt a.M., NStZ-​RR 2014, 250 (251)).

Wenn das Amtsgericht in einer solchen Situation den Belangen der ordnungsgemäßen, zügigen Erledigung des Verfahrens wie auch der Gesamtbelastung des Gerichts den Vorrang gibt, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Vielmehr wirkt das Gericht damit gerade den von der Beschwerdebegründung behaupteten "Nichteinhaltungen des Beschleunigungsgebots […] im Justizbereich" entgegen.


IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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