Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG ist der Richter vom Verbot der Beweisantizipation im Ordnungswidrigkeitenverfahren bereit und kann einen Beweisantrag ablehnen, wen |
1. | bereits eine Beweisaufnahme über eine entscheidungserhebliche Tatsache stattgefunden hat, |
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2. | der Sachverhalt nach Überzeugung des Richters dadurch geklärt ist und |
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3. | die beantragte Beweiserhebung zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. |
„Sie [Anm. des Senats: Die Rechtsbeschwerde] dringt mit den zulässig erhobenen Verfahrensrügen durch, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung der Ehefrau des Betroffenen, der Zeugin Y, zu Unrecht abgelehnt und es habe die Feststellungen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft. Das Amtsgericht führt aus, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei (§ 77 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 OWiG), weil der anthropologische Sachverständige Dr. ... ausgeschlossen habe, dass auf den bei den Akten befindlichen Belegfotos eine Frau als Fahrerin zu erkennen sei. Ferner habe der Betroffene sich in der Hauptverhandlung nicht eingelassen und somit die nunmehr benannte Zeugin ebenso wie in seinen früheren Einlassungen nicht als Fahrerin des Tatfahrzeugs ins Feld geführt. Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist das Gericht gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG verpflichtet, die Wahrheit vom Amts wegen zu erforschen. Den Umfang der Beweisaufnahme hat der Amtsrichter - unter Berücksichtigung der Bedeutung der Sache (§ 77 Abs. 1 Satz 2 OWiG) - nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmen. In § 77 Abs. 2 OWiG ist für die Beweisaufnahme im Bußgeldverfahren zudem eine über das Beweisantragsrecht der Strafprozessordnung (§ 244 Abs. 3 bis 5 StPO) hinausgehende Sondervorschrift normiert. Danach kann das Gericht, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag auch dann ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Hierzu müssen drei Voraussetzungen vorliegen: Es muss bereits eine Beweisaufnahme über eine entscheidungserhebliche Tatsache stattgefunden haben, aufgrund der Beweisaufnahme muss der Richter zu der Überzeugung gelangt sein, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden und die beantragte Beweiserhebung muss nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sein (vgl. OLG Celle NZV 2010, 634 f.; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 77 Rdnr. 11). Damit ist das Gericht unter Befreiung vom Verbot der Beweisantizipation befugt, Beweisanträge nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückzuweisen, wenn es seine nach § 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG prinzipiell fortbestehende Aufklärungspflicht nicht verletzt (vgl. OLG Celle NZV 2009, 575; Seitz/Bauer in Göhler, a. a. O., § 77 Rdnrn. 12, 14 und 16). Die weiteren Erwägungen betreffen nicht den Ablehnungsgrund des § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, sondern stützen sich auf das Recht des Betroffenen zu schweigen und die späte Benennung von Beweismitteln. Soweit damit in Wahrheit der Ablehnungsgrund des § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG angeführt werden soll, setzt dieser voraus, dass das verspätete Vorbringen ohne verständigen Grund erfolgt ist und dass die Beweiserhebung zur Aussetzung - nicht nur zur Unterbrechung - der Hauptverhandlung führen würde. Dass diese Voraussetzungen vorliegen, wird in dem Beschluss weder dargelegt noch drängt sich dies auf. Vielmehr wäre ein verständiger Grund, wenn durch ein früheres Vorbringen für einen Angehörigen die Gefahr einer Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit bestünde (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, a.a.O., § 77 Rdnr. 21). |