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Oberlandesgericht Brandenburg Urteil vom 17.01.2019 - 12 U 42/18 - Berücksichtigung langer Ausfallzeiten

OLG Brandenburg v. 17.01.2019: Zu langen Ausfallzeiten, die nicht den Anspruch des Geschädigten schmälern


Das Oberlandesgericht Brandenburg (Urteil vom 17.01.2019 - 12 U 42/18) hat entschieden:

  1.  Bei der Frage, inwieweit dem Geschädigten bei der Vornahme der Ersatzbeschaffung eine vorwerfbare Verzögerung anzulasten ist, ist nicht allein auf die von dem Sachverständigen veranschlagte Wiederbeschaffungsdauer von 10 bis 12 Arbeitstagen abzustellen, vielmehr ist dem Geschädigten auch ein angemessener Prüfungs- und Überlegungszeitraum zuzubilligen. Dabei kann es dem Geschädigten nicht als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB vorgeworfen werden, wenn er zunächst dem Schädiger bzw. dessen Versicherer eine Frist zur Regulierung setzt und den Ablauf dieser Frist abwartet, um zu erfahren, ob seitens des Versicherers Einwände gegen die Regulierung erhoben werden, bevor er selbst eigenes Vermögen aufbringt, um sich ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen.

  2.  Ein über die übliche Wiederbeschaffungszeit hinausgehender Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht dann, wenn der Geschädigte nicht über die für eine Ersatzbeschaffung notwendigen finanziellen Mittel verfügt und er den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer frühzeitig auf fehlende Geldmittel hingewiesen hat (vgl. KG NZV 2010, 209; OLG Düsseldorf DAR 2012, 253; OLG Karlsruhe NZV 2011, 546; OLG Naumburg NJW 2004, 3191). Dabei obliegt es dem Geschädigten, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast substantiiert vorzutragen, dass er nicht in der Lage war, sich die notwendigen Mittel notfalls durch Aufnahme eines Kredites zu verschaffen, da es sich um Umstände handelt, die aus seiner Sphäre stammen (vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 2010, 687; OLG Naumburg a.a.O.).


Siehe auch
Ausfallentschädigung - Dauer und Schadensminderung
und
Stichwörter zum Thema Ausfallentschädigung


Gründe:


Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung der Klägerin hat nur teilweise Erfolg, während die ebenfalls gemäß § 524 ZPO zulässige Anschlussberufung der Beklagten unbegründet ist.

1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des ihr infolge des Verkehrsunfalls vom 07.07.2016 entstandenen Schadens in voller Höhe gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 StVG zu.

Die grundsätzliche Einstandsverpflichtung der Beklagten ist in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist ihre Haftung nicht auf eine Quote von 80 % des infolge des Unfalls entstandenen Schadens beschränkt. Die gemäß §§ 17 Abs. 1 und Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG vorzunehmende Abwägung der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge der Beteiligten führt im Streitfall zu einer vollständigen Haftung der Beklagten, hinter der eine etwaige Haftung der Klägerin aufgrund des groben Verkehrsverstoßes des Zeugen T... in vollem Umfang zurücktritt. Die Klägerin hat weder gegen § 5 Abs. 4 bzw. Abs. 4 a StVO noch gegen § 9 Abs. 1 StVO verstoßen, da sie weder beabsichtigte zu überholen noch nach rechts in die ...straße abzubiegen. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen werden, die durch das Vorbringen der Beklagten in der Anschlussberufungsbegründung nicht entkräftet werden. Auch ein Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO liegt nicht vor, da die R... Straße in Höhe des Unfallortes vor der Einmündung der ...straße keine zwei Fahrstreifen in derselben Fahrtrichtung aufweist. Aus den vorgelegten Lichtbildern sowie der im Termin zur mündlichen Verhandlung vorliegenden Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) ist ersichtlich, dass die Straße nur einen Fahrstreifen in jeder Richtung aufweist, der unstreitig so schmal ist, dass keine zwei Fahrzeuge nebeneinander vorbeifahren können. Dem Landgericht ist auch dahingehend zuzustimmen, dass die Klägerin nicht damit rechnen musste, dass der Zeuge T... versuchen würde, ihr Fahrzeug verbotswidrig unter Inanspruchnahme des Gehweges rechts zu überholen. Dem steht nicht entgegen, dass die Zeugin S... bei ihrer Vernehmung vor dem Landgericht bekundet hat, dass „an dieser Stelle viele über den Gehweg abkürzen“, da nicht ersichtlich ist, dass dies der Klägerin bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Auch soweit die Beklagte argumentiert, die Klägerin habe damit rechnen müssen, dass einspurige Fahrzeuge wie Fahrräder oder Motorräder ihr Fahrzeug rechts hätten passieren können, hält der Senat an seiner in dem mit der Terminsverfügung erteilten Hinweis zum Ausdruck gekommenen Auffassung fest, dass sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen kann, weil der Zeuge T... nicht mit einem einspurigen Fahrzeug unterwegs war, unabhängig davon, dass § 5 Abs. 8 StVO nur für Radfahrer und Mofafahrer gilt. Der Einwand der Beklagten, das Verbot, einen Rückstau unter Mitbenutzung des Gehweges zu umfahren, diene lediglich dem Schutz der Fußgänger, greift demgegenüber nicht durch, da der Verstoß des Zeugen T... gegen § 5 Abs. 7 StVO durchaus dem Schutz des vorausfahrenden, verbotswidrig rechts überholten Fahrzeuges dient.




2. Der Höhe nach steht der Klägerin über die vom Landgericht ausgeurteilten Beträge hinaus ein weiterer Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für insgesamt 33 Tage zu je 35 € = 1.155 € zu. Abzüglich der vom Landgericht bereits zugesprochenen 420 € verbleibt somit ein restlicher Anspruch in Höhe von 735 €.

a) Grundsätzlich kann bei einer Ersatzbeschaffung Nutzungsausfallentschädigung nur für die übliche, vom Sachverständigen veranschlagte Lieferzeit beansprucht werden. Der Geschädigte muss daher die Ersatzbeschaffung aufgrund der ihm nach § 254 Abs. 2 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht ohne vorwerfbares, schuldhaftes Zögern innerhalb einer angemessenen Wiederbeschaffungszeit vornehmen. Welche Lieferzeit üblich ist, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. So wird in der Rechtsprechung bei einer Ersatzbeschaffung selbst eine Zeitspanne von rund zwei Monaten noch als im Rahmen der üblichen Länge angesehen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 13.02.2012 - 12 U 1265/10, RuS 2014, 46, juris Rn. 19; OLG Saarbrücken MDR 2007, 1190; König in Hentschel/König/ Dauer, Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 12 StVG Rn. 43).

Im Streitfall erscheint für die Bemessung der Nutzungsausfallentschädigung ein Zeitraum von 33 Kalendertagen bis zum Ablauf der mit Anwaltsschreiben vom 15.07.2016 gesetzten Frist bis zum 10.08.2016 angemessen. Bei der Frage, inwieweit dem Geschädigten bei der Vornahme der Ersatzbeschaffung eine vorwerfbare Verzögerung anzulasten ist, ist nicht allein auf die von dem Sachverständigen veranschlagte Wiederbeschaffungsdauer von 10 bis 12 Arbeitstagen abzustellen, vielmehr ist dem Geschädigten auch ein angemessener Prüfungs- und Überlegungszeitraum zuzubilligen. Dabei kann es dem Geschädigten nicht als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB vorgeworfen werden, wenn er zunächst dem Schädiger bzw. dessen Versicherer eine Frist zur Regulierung setzt und den Ablauf dieser Frist abwartet, um zu erfahren, ob seitens des Versicherers Einwände gegen die Regulierung erhoben werden, bevor er selbst eigenes Vermögen aufbringt, um sich ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Nachdem eine Regulierung bzw. eine Anerkennung der vollständigen Einstandspflicht durch den Kommunalen Schadensausgleich nicht erfolgt war, bestand auch für die Klägerin Veranlassung, sich umgehend um ein Ersatzfahrzeug zu bemühen.


b) Ein darüber hinaus bestehender Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht nicht.

Ein über die übliche Wiederbeschaffungszeit hinausgehender Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht dann, wenn der Geschädigte nicht über die für eine Ersatzbeschaffung notwendigen finanziellen Mittel verfügt und er den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer frühzeitig auf fehlende Geldmittel hingewiesen hat (vgl. KG NZV 2010, 209; OLG Düsseldorf DAR 2012, 253; OLG Karlsruhe NZV 2011, 546; OLG Naumburg NJW 2004, 3191). Dabei obliegt es dem Geschädigten, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast substantiiert vorzutragen, dass er nicht in der Lage war, sich die notwendigen Mittel notfalls durch Aufnahme eines Kredites zu verschaffen, da es sich um Umstände handelt, die aus seiner Sphäre stammen (vgl. OLG Düsseldorf NJW-​RR 2010, 687; OLG Naumburg a.a.O.).

Dieser sekundären Darlegungslast hat die Klägerin nicht genügt. Es erscheint bereits fraglich, ob hinsichtlich der notwendigen finanziellen Mittel auf die finanziellen Verhältnisse der Klägerin abzustellen ist, da Halterin des geschädigten Fahrzeuges die Tochter der Klägerin ist, die unstreitig über eigenes Vermögen in Form des Sparbuches verfügt hat. Selbst wenn man hier jedoch auf die finanziellen Verhältnisse der Klägerin abstellt, hat die Klägerin nicht konkret dargelegt, dass sie selbst nicht in der Lage war, sich aus eigenen Mitteln ein Ersatzfahrzeug zu beschaffen und hierfür auch keinen Kredit erhalten hätte. Sie hat lediglich pauschal vorgetragen, sie sei Rentnerin mit einem monatlichen Einkommen von ca. 1.000 € und generell nicht kreditwürdig. Weder sind entsprechende Einkommensnachweise vorgelegt worden, noch hat sie konkrete Angaben zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen getätigt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der mit dem Schriftsatz vom 27.08.2018 vorgelegten Bescheinigung der Sparkasse ... vom 23.08.2018. Ungeachtet der Frage, ob das neue Vorbringen der Klägerin in zweiter Instanz noch nach § 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen ist, ist aus diesem Formularschreiben bereits nicht ersichtlich, welchen Inhalt die Finanzierungsanfrage, auf die sich das Formularschreiben bezieht, gehabt hat. Im Übrigen hat der Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine ausreichende Sicherheit für eine Kreditgewährung in jedem Falle in Form des zu erwerbenden Ersatzfahrzeuges zur Verfügung gestanden hätte. Schließlich bestand für die Klägerin von Anfang an die Möglichkeit, ein Darlehen bei ihrer Tochter aufzunehmen, wie es letztlich dann auch geschehen ist.




Die Höhe der vom Landgericht zuerkannten Nutzungsausfallentschädigung von 35 € pro Tag ist von den Parteien mit der Berufung nicht infrage gestellt worden. Auch die weiteren Voraussetzungen einer Nutzungsausfallentschädigung - Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit - sind zwischen den Parteien nicht im Streit.

c) Auf die Frage der Gleichwertigkeit des Ersatzfahrzeuges kommt es letztlich nicht entscheidungserheblich an, da die Klägerin ohnehin nur den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) geltend macht. Zu Recht hat das Landgericht im Übrigen bei der Schadensbemessung die auf den Wiederbeschaffungswert entfallende Mehrwertsteuer in Höhe von 774,13 € berücksichtigt. Die Klägerin hat durch Vorlage des Kaufvertrages vom 08.10.2016 (Anlage K 9) belegt, dass bei Erwerb des Ersatzfahrzeuges eine Mehrwertsteuer von 19 % in Höhe von 2.067,65 € angefallen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Geschädigte zudem, wenn er ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis erwirbt, der dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Brutto-​Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges entspricht oder diesen übersteigt, im Wege konkreter Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des Brutto-​Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Kraftfahrzeuges unter Abzug des Restwertes ersetzt verlangen. Auf die Frage, ob und in welcher Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-​Wiederbeschaffungswert Umsatzsteuer enthalten ist, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 01.03.2005 - VI ZR 91/04, BGHZ 162, 270 ff.).



3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird gemäß § 3 ZPO i.V.m. §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 2 GKG auf 4.717,51 € festgesetzt.

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