1. | Die Durchführung einer abschnittsbezogenen Geschwindigkeitskontrolle (Section Control) greift in das Grundrecht der betroffenen Kraftfahrzeugführer auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein. Dies gilt auch für die (Nichttreffer-) Fälle, in denen ein Geschwindigkeitsverstoß durch die Anlage nicht festgestellt wird. |
2. | Die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle bedarf daher einer bereichsspezifischen, präzisen und normenklaren Rechtsgrundlage. |
3. | Eine solche Rechtsgrundlage lässt sich zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder im Bundes- noch im niedersächsischen Landesrecht finden. |
4. | Das Fehlen einer (hinreichend bestimmten) Rechtsgrundlage für die abschnittsbezogene Geschwindigkeitskontrolle ist auch nicht während eines sog. Pilotbetriebes der Anlage im überwiegenden öffentlichen Interesse hinzunehmen. |
den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, mittels des Geschwindigkeitsmessgerätes „Section Control“ auf der Bundesstraße B 6 in A-Stadt zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen das amtliche Kennzeichen eines jeden von ihm geführten Fahrzeugs zu erfassen und maschinell zu verarbeiten. |
die Klage abzuweisen. |
den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, mittels des Geschwindigkeitsmessgerätes „Section Control“ auf der Bundesstraße B 6 in A-Stadt zwischen den Anschlussstellen Gleidingen und Rethen das amtliche Kennzeichen eines jeden vom Kläger geführten Fahrzeugs zu erfassen und maschinell zu verarbeiten. |
„Ein Eingriff liegt insoweit grundsätzlich zunächst in der Erfassung personenbezogener Daten. Sie macht die Daten für die Behörden verfügbar und bildet die Basis für einen nachfolgenden Abgleich mit Suchbegriffen. An der Eingriffsqualität fehlt es lediglich, sofern Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, aber unmittelbar nach der Erfassung technisch wieder anonym, spurenlos und ohne Erkenntnisinteresse für die Behörden ausgesondert werden (vgl. BVerfGE 100, 313 <366>; 115, 320 <343>). Demgegenüber kann auch dann, wenn die Erfassung eines größeren Datenbestands letztlich nur Mittel zum Zweck für eine weitere Verkleinerung der Treffermenge bildet, in der Datenerhebung als solcher bereits ein Eingriff liegen. Maßgeblich ist, ob sich bei einer Gesamtbetrachtung mit Blick auf den durch den Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das behördliche Interesse an den betroffenen Daten bereits derart verdichtet hat, dass ein Betroffensein in einer einen Grundrechtseingriff auslösenden Qualität zu bejahen ist (vgl. BVerfGE 115, 320 <343>; 120, 378 <398>). Ein weiterer Eingriff liegt in dem Abgleich der Daten sowie in der folgenden Verwendung der gefilterten Daten.“ |
„Maßgeblich ist hierfür, dass Erfassung und Abgleich der Daten einen Kontrollvorgang begründen, der sich bewusst auf alle in die Kennzeichenkontrolle einbezogenen Personen erstreckt und erstrecken soll. Die Einbeziehung der Daten auch von Personen, deren Abgleich letztlich zu Nichttreffern führt, erfolgt nicht ungezielt und allein technikbedingt, sondern ist notwendiger und gewollter Teil der Kontrolle und gibt ihr als Fahndungsmaßnahme erst ihren Sinn. In der ex ante-Perspektive der Behörde, die für die Einrichtung einer Kennzeichenkontrolle maßgeblich ist, besteht ein spezifisch verdichtetes Interesse daran, die Kennzeichen aller an der Kennzeichenerfassungsanlage vorbeifahrenden oder sonst in die Kontrolle einbezogenen Fahrzeuge zu erfassen, weil es gerade um deren Kontrolle selbst geht. Zu diesem Zweck werden die Daten gezielt erhoben und kommt es auch auf deren Zuordenbarkeit zu den jeweiligen Personen an. Dass deren Auswertung automatisiert erfolgt, stellt dies nicht in Frage; vielmehr werden damit die Kontrollmöglichkeiten der Polizei wesentlich erweitert. Dem steht auch nicht entgegen, dass den Betroffenen im Nichttrefferfall wegen der sofortigen Löschung aller Daten weder Unannehmlichkeiten noch Konsequenzen erwachsen. Denn das ändert nichts daran, dass sie durch die Kennzeichenkontrolle einer staatlichen Maßnahme unterzogen werden, mit der sich ihnen gegenüber ein spezifisches Fahndungsinteresse zur Geltung bringt […].“ |
„[…] Solche hinreichende oder auch ‚bloße‘ Wahrscheinlichkeit gehört zur abstrakten genauso wie zur konkreten Gefahr; beide Gefahrenbegriffe stellen, was den zu erwartenden Eintritt eines Schadens anlangt, die gleichen Anforderungen der Wahrscheinlichkeit. Der Unterschied liegt nur in der Betrachtungsweise, bei der konkreten Gefahr ‚konkret‘, d.h. auf den Einzelfall, bei der abstrakten Gefahr ‚abstrakt-generell‘, also auf den typischen Fall bezogen. Eine konkrete Gefahr liegt danach vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall irgendwann, freilich in überschaubarer Zukunft, mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden muß; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (vgl. z.B. Drews-Wacke a.a.O. S. 390) und daher Anlaß besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, insbesondere einer Polizeiverordnung, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, daß auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann.“ |
„Eine [einengende verfassungskonforme Auslegung] kann bei Bestimmtheitsmängeln nur mit Rücksicht auf den Sinn und Zweck des Bestimmtheitsgebots erfolgen. Sie kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es an einem die wesentlichen Fragen umfassenden Regelungskern fehlt, der auf einen erklärten objektivierten Willen des Gesetzgebers zurückgeführt werden kann (vgl. BVerfGE 107, 104 <128 f.>). Wäre bei einer Vorschrift, die aus sich heraus weder bestimmte Ausschlusstatbestände enthält noch deutlich den Zweck erkennen lässt, dem die Regelung dienen soll, eine verfassungskonforme Auslegung gleichwohl zulässig, liefe der Gesetzesvorbehalt leer, der Eingriffe in ein Grundrecht einer gesetzlichen Regelung zuweist und den Gesetzgeber verpflichtet, Art und Umfang des Eingriffs selbst festzulegen (vgl. BVerfGE 107, 104 <128 f.>). Das Erfordernis einer hinreichenden objektivierten Basis setzt einer verfassungskonformen Einschränkung des Norminhalts insbesondere dann Grenzen, wenn sich die grundrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen - wie es beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Fall ist - gerade auf den Zweck der Eingriffsmaßnahme beziehen. Soll der Zweck des Gesetzes selbst einengend ausgelegt werden, kann jene Grenze der verfassungskonformen Interpretation, wonach der gesetzgeberische Zweck nicht in sein Gegenteil verkehrt werden darf (vgl. BVerfGE 83, 130 <144>), leichter als in anderen Fällen erreicht sein. Soll eine verfassungskonforme Einengung eines an sich verfassungswidrig weit gefassten Verwendungszwecks möglich sein, muss eine methodengerechte Auslegung daher zumindest Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der enger gefasste Zweck der maßgebliche sein sollte. Fehlt es daran, kann es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die vom Gesetzgeber weit gefasste Eingriffsnorm auf das verfassungsgemäße Maß zurückzuschneiden. Das gilt erst recht, wenn der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst unbestimmt gehalten und deshalb von einer entsprechenden Konkretisierung abgesehen hat.“ |