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Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 11.01.2019 - 9 U 81/18 - des Radwegbenutzung in falscher Richtung

OLG Hamm v. 11.01.2019: Mitverschulden einer Radfahrerin bei Benutzung des Radweges in falscher Fahrtrichtung


Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 11.01.2019 - 9 U 81/18) hat entschieden:

  1.  Die Benutzung des für diese Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radwegs auf der gegenüberliegenden linken Straßenseite, begründet ein anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO i.V.m § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO, welches sich der Geschädigte nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen muss.

  2.  Die vorzunehmende Haftungsverteilung gegenüber einem aus einem Grundstück auf die Straße einfahrenden Kraftfahrer rechtfertigt eine Haftung von 1/3 zu 2/3 zu Gunsten der Radfahrerin.


Siehe auch
RadfahrerUnfaelle.php
und
Radfahrerschutzhelm


Gründe:


I. Die Klägerin befuhr am 05.04.2011 gegen 10:40 h in N den Radweg der I-​Straße stadteinwärts entgegen der zugelassenen Fahrtrichtung. Der Beklagte zu 1 beabsichtigte aus der Einfahrt des Hauses Nr. ###, in dem die Beklagte zu 2 ihren Firmensitz hat, mit dem bei der Beklagten zu 3 krafthaftpflichtversicherten Kraftfahrzeug der Beklagten zu 2 auf die I-​Straße einzubiegen. Hierbei kam es zur Kollision mit der Klägerin, die frontal von dem anfahrenden Fahrzeug erfasst worden ist. Die Klägerin erlitt eine Tibiakopffraktur und eine Innenbandruptur links. Am 12.11.2012 zog sich die Klägerin in ihrer Wohnung einen Vorfußbruch zu, weil sie mit den von ihr benutzten Gehhilfen ins Straucheln geraten war.

Die Klägerin hat Ersatz ihres materiellen sowie ihres immateriellen Schadens, Feststellung der umfassenden Ersatzpflicht der Beklagten und Freistellung von den vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten verlangt.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien schriftliche medizinische Gutachten des Prof. Dr. T, Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie, und des Prof. Dr. I, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychoanalyse, eingeholt. Letzterer hat sein Gutachten vor dem Landgericht mündlich ergänzt und erläutert.




Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen und der in erster Instanz gestellten Klageanträge gem. § 540 ZPO verwiesen wird, hat das Landgericht unter teilweiser Abweisung der Klage ein über bereits gezahlte 6.000,- EUR hinausgehendes Schmerzensgeld von 19.000,- EUR, Ersatz des mit 2.813,57 EUR bemessenen Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom 05.04.2011 bis zum 30.04.2014 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 1.954,46 EUR zuerkannt. Weiterhin hat es die Beklagten verpflichtet, der Klägerin den dieser künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden, soweit nicht auf Dritte übergegangen, nach einer Haftungsquote von 2/3 zu ersetzen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der diese

   ihre erstinstanzlichen Klageanträge unter Berücksichtigung der von der Beklagten zu 3 auf die ausgeurteilten Beträge erfolgten Zahlungen weiterverfolgt, soweit diesen nicht durch das Landgericht stattgeben worden ist.

Sie rügt die Berücksichtigung eines Mitverschuldens bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge durch das Landgericht. Wegen ihres nur geringfügigen Verschuldens sei es angesichts des rücksichtslosen und grob fahrlässigen Verhaltens des Beklagten zu 1 gerechtfertigt, ihren Verursachungsbeitrag zurücktreten zu lassen. Ihre Einschränkung in der Haushaltsführungsfähigkeit sei, soweit diese unterhalb von 50% bemessen worden sei, unterbewertet.

Die Beklagten beantragen,

   die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den damit überreichten Unterlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Klägerin gem. § 141 ZPO angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den hierüber aufgenommenen Berichterstattervermerk verwiesen.


II.

Die Berufung der Klägerin hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner über die bisher ausgeurteilten Beträge hinaus ein weiterer Zahlbetrag von 2.164,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 09.07.2014 auf den Haushaltsführungsschaden zu. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

1. Die grundsätzliche Haftung der Beklagten für die Folgen des Verkehrsunfalls ergibt sich aus §§, 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, § 823 Abs. 1 und 2 BGB iVm § 229 StGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, § 11 StVG, §§ 249, 253, 843 BGB. Denn die Klägerin hat durch den Verkehrsunfall und damit bei dem Betrieb des von dem Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 3 krafthaftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs der Beklagten zu 2 im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG zunächst neben der Innenbandruptur auch eine laterale Tibiakopffraktur erlitten, für die auch der Beklagte zu 1 aufgrund seines schuldhaften Verhaltens am Zustandekommen des Verkehrsunfalls gem. § 18 Abs. 1 StVG, ebenso wie die Beklagte zu 3, gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG einzustehen hat. Ein Fall höherer Gewalt gem. § 7 Abs. 2 StVG ist von den Beklagten zutreffend nicht geltend gemacht worden. Die Haftung der Beklagten ist auch nicht gem. § 17 Abs. 3 StVG wegen Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses ausgeschlossen. Unabhängig davon, dass der Unfall für den Beklagten zu 1 nicht unabwendbar war, können sich die Beklagten hierauf bei einem Unfall unter Beteiligung eines nicht motorisierten Verkehrsteilnehmers nicht berufen.

2. Für die Frage der Haftungsquote kommt es maßgeblich auf die gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können. Diese Abwägung führt nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts nicht zum Zurücktreten des Verursachungsanteils der Klägerin sondern - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - zu einer Haftungsquote im Verhältnis der Parteien von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten. Sowohl auf Seiten der Klägerin, als auch auf Beklagtenseite ist ein sich ursächlich auswirkendes Verschulden in die Abwägung einzustellen.




2.1 Der Beklagte zu 1 hat fahrlässig gegen die erhöhten Sorgfaltspflichten nach § 10 S. 1 StVO verstoßen, wonach jede Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer bei der Ausfahrt aus einem Grundstück auszuschließen ist. "Anderer Verkehrsteilnehmer" ist jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, d.h. körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (vgl. BGH v. 25.11.1959 - 4 StR 424/59 - BGHSt 14, 24, 27 zu § 1 StVO; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 1 StVO Rn. 17 mwN). Darunter fällt zwar "primär" (BGH v. 15.12.2015 - VI ZR 6/15 - NJW 2016, 1098 Rn. 11) und "insbesondere" (BGH v. 25.04 1985 - III ZR 53/84 - NJW-​RR 1986, 189, 190), aber nicht nur der fließende Durchgangsverkehr auf der Straße, sondern auch derjenige, der auf der anderen Straßenseite selbst ein Fahrmanöver durchführt, um vom Fahrbahnrand anzufahren (vgl. BGH v. 15.05.2018 - VI ZR 231/17 - juris Rn. 12, MDR 2018, 991; OLG Karlsruhe v. 21.09.2017 - 4 U 16/16 - juris, NJW-​RR 2016, 352 Rn. 15; König, aaO, § 10 StVO Rn. 4, 10; Scholten in Freymann/Wellner, jurisPK-​Straßenverkehrsrecht, 2016, § 10 StVO Rn. 50). Diese Sorgfalt ist daher auch gegenüber einem Radfahrer zu beachten, der den Radweg entgegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO entgegen der Fahrtrichtung benutzt. Ebenso bleibt ein solcher Radfahrer gegenüber einem aus einer untergeordneten Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer vorfahrtsberechtigt (vgl. BGH v. 15.07.1986 - 4 StR 192/86 - juris; Senat v. 04.08.2017 - 9 U 173/16 - juris Rn. 21, ZfSchr 2018, 14 m.w.N).

2.2 Die Klägerin hat gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, weil sie entgegen § 2 Abs. 4 S. 2 StVO den Radweg auf der gegenüberliegenden linken Straßenseite benutzt hat, obwohl dieser für ihre Fahrtrichtung nicht freigegeben war, und sich in Fahrtrichtung der Klägerin auf der rechten Fahrbahn ein Radweg befand. Das muss sich die Klägerin als anspruchsminderndes Mit- bzw. Eigenverschulden nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen.

Die Klägerin entlastet dabei nicht, dass sie den linken Radweg nur für kurze Zeit benutzen wollte, nämlich bis sie in die links abgehende H-​Straße abbiegen wollte. Die Klägerin hätte, wenn sie die gegenüberliegende Straßenseite nutzen wollte, den linken Gehweg richtigerweise nur noch ihr Rad schiebend als Fußgängerin benutzen dürfen. (Senat v. 04.08. 2017 - I-​9 U 173/16 - juris Rn. 29).

Auch wenn die Bestimmung des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO ausschließlich den Gegen- und Überholverkehr auf dem Radweg schützt, und nicht etwa den Quer- und Einbiegeverkehr (BGH v. 15.07.1986 - 4 StR 192/86 - juris, BGHSt 34, 127-132), hat die Klägerin den Unfall unter Verstoß gegen § 1 II StVO dadurch mitverursacht, dass sie entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 4 S. 2 StVO den für ihre Fahrtrichtung nicht freigegebenen Radweg verbotenerweise in der falschen Richtung befahren hat. Die Klägerin hätte bedenken müssen, dass Kraftfahrer nicht nur im Bereich einmündender untergeordneter Straßen sondern auch bei der Ausfahrt aus einem Grundstück und dem Einbiegen auf eine Vorfahrtstraße nach rechts mit Verkehr von rechts häufig nicht rechnen. Da die Klägerin verkehrswidrig den linken Radweg benutzte, hätte sie besonders vorsichtig sein müssen um sicher zu gehen, dass der Beklagte zu 1 sie bemerkt hatte und das ihr zukommende Vorrecht beachten würde. Diese Sicherheit hätte sie erst nach Aufnahme von Blickkontakt mit dem Beklagten zu 1 haben können. Die Klägerin hat nach ihren eigenen Angaben aber keinen Blickkontakt mit dem Beklagten zu 1 aufgenommen und hat stattdessen vielmehr ohne Anhaltspunkte für einen entsprechenden Tatbestand darauf vertraut, der Beklagte zu 1 werde sie schon sehen und beachten (vgl. Senat v. 10.03.1995 - 9 U 208/94 - juris, OLGR Hamm 1998, 353) und das quer auf dem Gehweg stehende und an den Radweg angrenzende Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1 vorne umfahren, ohne sich entsprechend abzusichern, dass dies gefahrlos möglich sein würde.

2.3 Der Verkehrsverstoß der Klägerin war auch - wie der Unfallhergang gezeigt hat - kausal für das Unfallgeschehen. Die Kausalität des Verstoßes kann nicht mit der Begründung verneint werden, der Beklagte zu 1 hätte sie auch dann übersehen, wenn sie ihr Fahrrad auf dem Radweg an der Front des Kraftfahrzeugs vorbeigeschoben hätte. Denn sie habe sich unmittelbar vor dem Fahrzeug befunden, als der Beklagte zu 1 angefahren sei, so dass dieser seinen Blick gar nicht nach vorne gerichtet habe. Ungeachtet dessen, dass diese Betrachtung rein hypothetischer Natur ist, wäre es nicht zum Unfall gekommen, wenn die Klägerin ihr Fahrrad auf dem Gehweg hinter dem Heck des Fahrzeugs des Beklagten zu 1 vorbeigeschoben hätte.

2.4 Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile steht die Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu 1 wegen Verstoßes gegen § 10 S. 1 StVO im Vordergrund. Dem Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 ist ein erhebliches Gewicht beizumessen, denn das Ausfahren aus einem Grundstück in den öffentlichen Verkehrsraum ist nach der Straßenverkehrsordnung nur unter Beachtung der höchsten Sorgfalt erlaubt. Der Wartepflichtige ist in erster Linie dafür verantwortlich, dass Unfälle bei der Ausfahrt aus einem Grundstück vermieden werden. Er darf sich auch nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer verlassen, sondern muss mit der Möglichkeit rechnen, dass diese ihrerseits gegen Verkehrsregeln verstoßen. Das Verschulden des Beklagten zu 1 wiegt daher schwerer als das Fehlverhalten der Klägerin, der ein - allerdings vorsätzlicher - Verstoß nach § 1 Abs. 2 StVO anzulasten ist. Die Klägerin hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Beklagte zu 1 sie, die sich aus der falschen Richtung mit dem Fahrrad näherte, sehen und ihr das Vorrecht gewähren werde. Ihr Verschulden ist zwar nicht gering, aber keineswegs so hoch wie die Wartepflichtverletzung des Beklagten zu 1 einzustufen. Da auf Seiten der Beklagten außerdem die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs in die Abwägung miteinzubeziehen ist, trägt nach der Wertung des Senates eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten der Sach- und Rechtslage angemessen Rechnung. Für die alleinige Haftung der Beklagten, wie sie die Klägerin mit der Berufung anstrebt, ist kein Raum. Das Verhalten der Klägerin stellt sich als erheblich verkehrswidrig dar. Hierdurch hat sie die ihr als Verkehrsteilnehmerin obliegenden Pflichten verletzt, indem sie dasjenige unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Der objektiv grobe Pflichtverstoß der Klägerin ist auch subjektiv schlechthin nicht entschuldbar. Die elementare Verkehrsregeln verletzende Fahrweise der Klägerin musste sich dieser ohne Weiteres aufdrängen. Demgegenüber hat der Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 für die Klägerin zwar weit reichende Folgen. Den Stempel der groben Fahrlässigkeit bzw. der Unverzeihlichkeit - wie es der Prozessbevollmächtigte der Klägerin formuliert hat - trägt dieses Verhalten jedoch nicht. Der Beklagte zu 1 ist nicht unter bedenkenloser Zurückstellung der ihn treffenden Sorgfaltspflichten vorgegangen. Er hat sich vielmehr vorsichtig in den Straßenraum hineinzutasten versucht und zu diesem Zweck die ausdrückliche Verständigung mit einem von links auf dem Radweg herannahenden Radfahrer - dem im Ermittlungsverfahren eine schriftliche Aussage gemacht haben den Zeugen S - getroffen, der ihn auf die Straße einbiegen lassen wollte. Diese Situation verkennend hat die Klägerin das Fahrzeug des Beklagten vorne passieren wollen.

3. Der Klägerin steht ein auf § 11 StVG, § 253 BGB gestützter weiterer Schmerzensgeldanspruch, als durch das Landgericht zuerkannt, nicht zu. Denn der berechtigte Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ist durch die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 25.000,- EUR angemessen reguliert.

3.1 Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Schadensfolge erkennbar und objektiv vorhersehbar ist. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt, wobei den vom Antragsteller angeführten Dauerfolgen der Verletzungen besonderes Gewicht zukommt. Bei vorsätzlich begangenen Taten zum Nachteil des Geschädigten kommt der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes, die durch die strafrichterliche Verurteilung nicht kompensiert wird, besonderes Gewicht zu. Im Übrigen ist bei der Bezifferung des im Einzelfall jeweils angemessenen Schmerzensgeldes zur Wahrung der rechtlichen Gleichbehandlung zu beachten, dass sich der ausgeurteilte Betrag in das Gesamtsystem der von den Gerichten entwickelten Schmerzensgeldjudikatur einfügt. Dies bedeutet, dass seine Größenordnung dem Betragsrahmen entsprechen muss, der in der überwiegenden Spruchpraxis für vergleichbare Verletzungsgrade zuerkannt wird (Senat v. 27.05.2015 - 9 W 68/14 - juris Rn. 12).

3.2 Die Klägerin hat eine operativ zu versorgende Tibiakopffraktur und eine Innenbandruptur des linken Kniegelenks erlitten. Die Schrauben sind im Gelenk verblieben, nachdem der Versuch der Entfernung misslang. Die radiologischen Unfallfolgen in Bezug auf das Knie sind gleichwohl geringgradig. Zu rechnen ist allerdings mit einer posttraumatischen Kniearthrose. Die Klägerin entwickelte nach der Befunderhebung des Prof. Dr. I eine chronische Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren nach ICD-​10:F45.41 sowie eine rezidivierende Depression nach ICD-​10:F 33.0. Für das linke Bein besteht nach der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. T im Alltag eine deutlich herabgesetzte Gebrauchsfähigkeit. Bereits kurze Strecken sind für die Klägerin nicht zu bewältigen. Die von ihr beklagten Schmerzen müssen als gegeben und in der Person empfunden angesehen werden. Nach Auswertung des psychosomatischen Gutachtens hat Prof. Dr. T auf unfallchirurgischem Gebiet eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mehr als 50% angenommen. Die Klägerin hat sich anfangs unter Zuhilfenahme eines Rollstuhls, später mittels Rollators bzw. mittels Gehstützen, fortbewegt. Freizeitaktivitäten wie Radfahren werden nicht mehr ausgeübt. Yogaübungen sind der Klägerin nicht mehr in gewohntem Umfang möglich. Infolge unfallbedingter Einschränkung zog sich die Klägerin im Jahre 2012 einen Bruch des Vorfußes zu. Die Klägerin ist aus orthopädischer Sicht in ihrer Erwerbsfähigkeit und auch in ihrer Haushaltsführungsfähigkeit spürbar eingeschränkt. Die Dauerschädigung des linken Knies hat Prof. Dr. T mit 30 % eingestuft. Die weitergehenden erstinstanzlich geltend gemachten Beschwerden haben sich nach der Beweisaufnahme erster Instanz nicht als unfallbedingt bestätigt. Letzteres wird von der Berufung so hingenommen.


Zur Schmerzlinderung bekommt die Klägerin von ihrem Hausarzt regelmäßig Oxycodon, ein Opioid, verordnet. Vorstellungen beim Orthopäden erfolgen nicht mehr. Eine Schmerztherapie brachte nach Angaben der Klägerin keinen Erfolg. Die einmal im Monat stattfindenden Einzelgespräche im Rahmen der Psychotherapie täten ihr gut.

Die sich unfallbedingt eingestellte chronische Schmerzstörung hat die Klägerin zermürbt und in der Folge den Eintritt einer depressiven Phase herbeigeführt. Dass die Klägerin nach der Einschätzung von Prof. Dr. I eine deutliche Vulnerabilität hinsichtlich ihrer psychiatrischen Erkrankung aufweist, die die zu beobachtenden Einschränkungen in erheblichem Umfang mitbedingen und die psychische Reaktion in einem deutlichen Missverhältnis zu dem Verkehrsunfall als Auslöser steht, vermag weder die Kausalität noch den Zurechnungszusammenhang zwischen Unfallgeschehen und eingetretenen Unfallfolgen zu unterbrechen. Denn der Schädiger hat keinen Anspruch darauf, auf einen körperlich und psychisch völlig intakten Menschen zu treffen.

Da der Verletzte aber nur Anspruch auf ein angemessenes Schmerzensgeld hat, für dessen Festsetzung nach § 253 BGB Billigkeitsgesichtspunkten maßgebend sind, kann es bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung durchaus geboten sein zu berücksichtigen, dass die zum Schaden führende Handlung des Schädigers nur eine bereits vorhandene Schadensbereitschaft in der Konstitution des Geschädigten ausgelöst hat und die Gesundheitsbeeinträchtigungen Auswirkungen dieser Schadensanfälligkeit sind (vgl. BGH v. 05.11.1996 - VI ZR 275/95 - juris, NJW 1997, 455; OLG Düsseldorf v. 29.03. 2004 - I-​1 U 176/03 - juris Rn. 42; OLG Hamm v. 13.04.2018 - 7 U 4/18 - juris).

3.3 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Umstände hält auch der Senat das vom Landgericht insgesamt ausgeurteilte Schmerzensgeld für angemessen. Die Bemessung steht im Einklang mit der Schmerzensgeldrechtsprechung des Senats. In dem am selben Terminstag verhandelten Verfahren 9 U 28/18 hat der Senat ein Schmerzensgeld von 46.000,- EUR bei 100%iger Haftung und zögerlichem Regulierungsverhalten zuerkannt. Der nicht schadensgeneigte etwa 53jährige Kläger des dortigen Verfahrens hatte ebenfalls eine Tibiakopffraktur, ein Kompartmentsyndrom und weitere Frakturen des rechten Beins erlitten, die mit einem Fixateur mit den damit verbundenen Einschränkungen behandelt worden sind. Der stationäre Aufenthalt zog sich über mehrere Monate hin, während derer eine großflächige Hauttransplantation auf dem Oberschenkel vorgenommen worden ist. Mehrmonatige ambulante Rehabilitationsmaßnahmen folgten. Als Dauerfolgen sind eine mehrere Zentimeter messende Beinverkürzung und eine ausgeprägte Spitzfußstellung verblieben. Die bisherige berufliche Tätigkeit musste der Geschädigte einstellen, konnte aber andere betriebliche Aufgaben übernehmen.

4. Der Klägerin steht ein über den bisher zugesprochenen Betrag hinausgehender weiterer Haushaltsführungsschaden gem. § 843 BGB in Höhe von 2.164,34 EUR zu.

4.1 Das Landgericht hat zur Bemessung der Einschränkungen in der Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin auf die Einschätzung des Prof. Dr. I abgestellt, der diese im Bereich zwischen 10 und 20 % eingeordnet hat. Der Senat hat die Klägerin zu ihrer Einschränkung in der von ihr zu erbringenden Haushaltstätigkeit angehört und diese unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. T in dessen ergänzenden Stellungnahme vom 04.04.2017, in der dieser die Gebrauchsfähigkeit des linken Beines der Klägerin aufgrund der gutachterlichen Stellungnahme des Prof. Dr. I als deutlich herabgestuft angesehen hat, und der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % bei einem Kniedauerschaden von 30 % attestiert hat, erneut unter Heranziehung des § 287 ZPO bewertet. Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Senats aus einer Vielzahl von gleich gelagerten Verfahren und den dort zur Kenntnis gelangten medizinischen Beurteilungen, sowie den eigenen Erfahrungen der Senatsmitglieder in Bezug auf die Erbringung von Haushaltstätigkeiten, hat der Senat eine in Teilbereichen von der Einschätzung des Landgerichts abweichende Bewertung vorgenommen. Der Senat geht dabei von dem vom Landgericht zu Grunde gelegten Wochenbedarf von 26 Arbeitsstunden aus, von denen die Klägerin auch in der Berufung nur 13 Stunden als ihren Anteil geltend macht. Was die Höhe des Stundensatzes bei fiktiver Abrechnung anbetrifft, so legt der Senat nach seiner ständigen Rechtsprechung für den hier maßgebenden Zeitraum einen Stundensatz von 9,- EUR zu Grunde. Soweit das Landgericht der Klägerin gefolgt ist und deren Einschränkung in deren Haushaltsführungsfähigkeit mit 50 % bewertet hat, erfolgt nur eine Anpassung des Stundensatzes auf 9,- EUR, soweit ein Anspruch nicht aus anderen Gründen ausscheidet.

Im Einzelnen:

4.2 In Bezug auf die stationären Aufenthalte der Klägerin vom 05.04.2011 bis zum 20.11.2011 und vom 26.04.2012 bis 30.04.2012 hat das Landgericht eine 100%ige Einschränkung der Klägerin angenommen und unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils bei einem Stundensatz von 8,50 EUR Beträge in Höhe von 263,09 EUR und 42,11 EUR zuerkannt. Tatsächlich beschränkte sich die Haushaltsführungstätigkeit der Klägerin während des stationären Aufenthalts auf etwa 1,5 h Stunden die Woche, die für kontrollierende Tätigkeiten während der Abwesenheit der Klägerin erforderlich waren. Für diese Zeiträume hat die Klägerin daher bereits mehr erhalten, als ihr bei zutreffender rechtlicher Bewertung zuzusprechen gewesen wäre. Eine Anpassung des Stundensatzes von 8,50 EUR auf 9,- EUR unterbleibt daher.

4.3 Für den Zeitraum vom 01.05.2011 - 01.10.2011 (154 Tage zu je 1,86 h/tgl) fallen 286,44 h an. Da das Landgericht hier die Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit den Vorstellungen der Klägerin entsprechend mit 50% bemessen hat, ergibt sich bei einem Stundensatz von 9,- EUR unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens von 1/3 ein Betrag von 859,32 EUR. Hierauf wurden gezahlt sind 810,33, so dass ein offener Betrag von 48,99 EUR verbleibt.

4.4 Für den Zeitraum vom 02.10.2011 - 25.04.2012 (286 Tage zu je 1,86h/tgl) fallen 531,96 h an. Hier hat der Senat eine Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit entgegen dem Landgericht im Umfang von 40% angenommen. Bei einem Stundensatz von 9,- EUR und unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens ergibt dies 1.276,71 EUR. Tituliert sind hierauf bezogen 433,59 EUR. Es ergibt sich zu Gunsten der Klägerin eine Mehrforderung von 843,12 EUR.

Der Senat hat hier berücksichtigt, dass die Klägerin innerhalb der Wohnung nach ihren Angaben noch auf den Rollstuhl angewiesen war. Während Fenster- Bodenreinigungs- und Gartenarbeiten der Klägerin ebenso nicht möglich waren, wie das Verbringen der Wäsche in die im Keller gelegene Waschküche und das Bettenmachen und Betten beziehen, so war die Klägerin uneingeschränkt jedenfalls zur Koordinierung ihres Haushalts in der Lage. Auch die Zubereitung von Speisen war ihr grundsätzlich - wenn auch unter Erschwernis - möglich. Mit Einschränkungen war der Klägerin auch der Tageseinkauf und das Bügeln von Wäsche grundsätzlich möglich.

4.5 Für den Zeitraum vom 01.05.2012 - 31.05.2012 (31 Tage zu je 1,86 h/tgl) fallen 57,66 h an. Da das Landgericht hier die Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit den Vorstellungen der Klägerin entsprechend mit 50% bemessen hat, ergibt sich bei einem Stundensatz von 9,- EUR unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens ein Betrag von 172,98 EUR. Hierauf wurden gezahlt 157,86 EUR so dass ein offener Betrag von 15,12 EUR verbleibt.

4.6 Für den Zeitraum vom 01.06.2012 - 30.04.2014 (706 Tage zu je 1,86h/tgl) fallen 1.313,16 h an. Hier hat der Senat eine Einschränkung der Haushaltsführungstätigkeit entgegen dem Landgericht im Umfang von 30% angenommen. Bei einem Stundensatz von 9,- EUR und unter Berücksichtigung des Eigenverschuldens ergibt dies 2.363,69 EUR. Tituliert sind hierauf bezogen 1.106,58 EUR. Es ergibt sich zu Gunsten der Klägerin eine Mehrforderung von noch 1.257,11 EUR.




Der Senat hat hier berücksichtigt, dass die Klägerin innerhalb der Wohnung nach ihren Angaben inzwischen sich mittels Rollators und Gehstützen fortbewegen konnte. Fenster- Bodenreinigungs- und Gartenarbeiten waren der Klägerin weiterhin ebenso nicht möglich, wie das Verbringen der Wäsche in die im Keller gelegene Waschküche und das Bettenmachen und Betten beziehen. Die Klägerin war uneingeschränkt zur Koordinierung ihres Haushalts in der Lage. Aufgrund des Zugewinns an Mobilität war die Zubereitung von Speisen ihr jetzt eher möglich. In Bezug auf den Tageseinkauf brachte die Verwendung eines Rollators gegenüber dem Angewiesensein auf einen Rollstuhl eine spürbare Erleichterung. Das Bügeln von Wäsche wurde dadurch vereinfacht, dass dies im Sitzen auf einem Stuhl am auf Arbeitshöhe abgesenkten Bügelbrett möglich wurde.

Die Summe der offenen Beträge ergibt 2.164,34 EUR. Dieser Betrag ist gem. § 291 BGB antragsgemäß zu verzinsen.

5. Soweit die Klägerin die Feststellung der uneingeschränkten Haftung der Beklagten für materielle und immaterielle Zukunftsschäden begehrt, bleibt die Berufung ohne Erfolg. Hier muss sich die Klägerin, wie vom Landgericht ausgeurteilt, ihren Eigen- bzw. Mitverschuldensanteil anspruchsmindernd entgegenhalten lassen.

6. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Freistellung von weiteren vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltskosten, nachdem die Beklagte zu 3) die Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 EUR akzeptiert hat.

Der Prozessbevollmächtigte hat die außergerichtlichen Gebühren nach einem Gegenstandswert von 51.224,17 EUR abgerechnet, wobei der Feststellungsantrag nach dem Klagevortrag nicht geltend gemacht worden war. Erfolg hatte die Klage hinsichtlich des weiteren zuerkannten Schmerzensgeldes von 19.000,- EUR (bzw. 25.000,- EUR) und des zuerkannten Haushaltsführungsschadens.

Der Gegenstandswert beträgt danach bis zu 30.000,- EUR (29.977,91 EUR). Der Wert der einfachen Gebühr beträgt nach der Anlage 2 zum RVG ab dem 01.08.2013 863,- EUR. Bei Ansatz einer 1,5 Gebühr, wie vom Landgericht berücksichtigt und von der Berufung übersehen, ergibt dies vorgerichtliche Gebühren iHv 1.564,26 EUR. Ein weitergehender Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Gebühren besteht nach dem erstinstanzlichen Urteilsausspruch hierzu nicht mehr.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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