Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Oberlandesgericht Nürnberg Beschluss vom 04.02.2019 - 2 W 2133/18 - Ablehnung eines Sachverständigen

OLG Nürnberg v. 04.02.2019: Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit


Das Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 04.02.2019 - 2 W 2133/18) hat entschieden:

   Zwar rechtfertigt die unterlassene Benachrichtigung beider Parteien von einem Ortstermin die Ablehnung eines Sachverständigen in der Regel nicht. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der Sachverständige die Werkstatt mit der Zerlegung des Motors im Rahmen eines Ortstermins betraut, die bereits zuvor im Auftrag einer Partei eine Schadensanalyse und insbesondere eine Ursacheneinschätzung abgegeben hat.


Siehe auch
Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit
und
Stichwörter zum Thema Sachverständigen-Gutachten


Gründe:


I.

Mit Schriftsatz vom 26.05.2017 beantragte der Antragsteller, durch einen Sachverständigen Feststellungen zu einem von ihm behaupteten Motorschaden an einem Fahrzeug zu treffen, das er vom Antragsgegner gekauft hatte. In der Antragsschrift wird ausgeführt:

   „In der Autoreparaturwerkstatt Sch. wurde eine Schadensanalyse vorgenommen. Bei Abnahme der Ölwanne waren Späne im Öl vorhanden. Dies weist auf einen Motorschaden hin. Es wurde festgestellt, dass der Motor geöffnet worden war. Es liegt nach Mitteilung der Autowerkstatt J. Sch. ein Pleuelschaden vor. Es müsse eine Kurbelwelle, die Pleuel und Lager ausgetauscht werden.“

Mit Beweisbeschluss vom 16.08.2017 beauftragte das Landgericht den Sachverständigen B. damit, ein Gutachten zu dem vom Antragsteller behaupteten Motorschaden zu erstatten. Unter Punkt 4. heißt es:

   „Der Sachverständige wird gebeten, die Parteien und deren Vertreter vom Besichtigungstermin rechtzeitig zu benachrichtigen.“

Auf Sachstandsanfrage des Landgerichts teilte der Sachverständige mit Schreiben vom 02.05.2018 mit, dass für 23.05.2018 ein Untersuchungstermin des streitgegenständlichen Fahrzeugs angesetzt worden sei. Das Schreiben wurde den Parteien übersandt.




Am 23.05.2018 wurde der Motor aus dem nicht mehr fahrfähigen Fahrzeug im Auftrag des Sachverständigen in der Autowerkstatt Sch. ausgebaut. Und am 24.05.2018 erfolgte dort die Zerlegung des Motors durch Mitarbeiter dieser Werkstatt unter Anleitung und Aufsicht des Sachverständigen. Zu keinem der beiden Termine hatte der Sachverständige die Parteien geladen.

Am 05.06.2018 legte der Sachverständige sein schriftliches „Technisches Gutachten“ vom 29.05.2018 vor. Eine Abschrift von diesem wurde dem Bevollmächtigten des Antragsgegners zur Stellungnahme bis 20.07.2018 am 13.06.2018 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 17.07.2018, der am 18.07.2018 beim Landgericht eingegangen ist, lehnte der Antragsgegner den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab und beantragte, den Sachverständigen nicht zu entschädigen. Zur Begründung verwies er unter anderem darauf, dass der Sachverständige in Zusammenarbeit mit der vom Antragsteller beauftragten Werkstätte das Fahrzeug zerlegt habe, ohne - wie vom Gericht vorgegeben - die Parteien zu benachrichtigen.

Zu dem Ablehnungsgesuch nahm der Sachverständige mit Schreiben vom 31.07.2018 Stellung.

Mit Beschluss vom 11.09.2018 wies das Landgericht das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen als unbegründet zurück. Die Entscheidung wurde dem Antragsgegner am 24.09.2018 zugestellt.

Mit am selben Tag beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom 27.09.2018 erhob der Antragsgegner gegen den Beschluss vom 11.09.2018 sofortige Beschwerde. Am 25.10.2018 entschied das Landgericht, dieser nicht abzuhelfen.




II.

Die gemäß § 406 Abs. 5, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingereichte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Sachverständigen B. ist begründet.

Gemäß § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Gemäß § 42 ZPO genügt es, dass objektive Umstände gegeben sind, aufgrund derer vom Standpunkt der ablehnenden Partei aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung besteht, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Es kommt nicht darauf an, ob das Gericht selbst Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen hegt oder ob dieser tatsächlich parteiisch ist oder sich nach Lage der Dinge zumindest darüber hätte bewusst sein können, dass sein Verhalten geeignet sein könnte, Zweifel an seiner Neutralität aufkommen zu lassen. Maßgeblich ist vielmehr, ob für die das Ablehnungsgesuch anbringende Partei der - nicht auf rein subjektiven oder unvernünftigen Vorstellungen beruhende - Anschein einer Voreingenommenheit besteht.

Ausgehend davon rechtfertigt allein die unterlassene Benachrichtigung beider Parteien die Ablehnung des Sachverständigen nicht. Zwar ist anerkannt, dass aus dem rechtsstaatlichen Anspruch auf ein faires Verfahren den Parteien ein Recht auf Benachrichtigung und Anwesenheit zusteht, wenn eine vorbereitende Tatsachenfeststellung für ein Sachverständigengutachten durchgeführt wird. Das Versäumnis des Sachverständigen wirft aber nur die Frage auf, ob das Gutachten verwertbar ist (dies ablehnend: BVerwG, Beschluss vom 12.04.2006 - 8 B 91/05 -, juris Rn. 6; Greger in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 357 Rn. 6). Ein Misstrauen in die Unparteilichkeit des Gutachters kann dadurch indes nicht begründet werden. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Sachverständige die Parteien unterschiedlich behandelt hätte. Ein Grund für eine Befangenheitsablehnung ist nur gegeben, wenn eine Partei einseitig bevorzugt wird (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12.06.2012 - 10 W 19/12 -, juris Rn. 9; OLG Nürnberg, Beschluss vom 04.07.2006 - 4 U 535/05 -, juris Rn. 10).

Indem der Sachverständige jedoch die Werkstatt mit der Zerlegung des Motors betraute, die bereits zuvor im Auftrag des Antragstellers eine Schadensanalyse und insbesondere eine Ursacheneinschätzung abgegeben hatte, hat er sich als Folge der unterlassenen Information der Parteien aber einer unkontrollierten bzw. unkontrollierbaren Einflussnahme ausgesetzt. Insbesondere ergibt sich aus dem Schreiben des Sachverständigen an das Gericht vom 02.05.2018 nicht, wo der für 24.05.2018 angesetzte Untersuchungstermin des streitgegenständlichen Fahrzeugs stattfinden sollte und wen der Sachverständige zur Unterstützung heranziehen wollte.

Die Zerlegung des Motors war dabei Voraussetzung, um Feststellungen zum Zustand von dessen Einzelteilen treffen zu können. Diese für die Beantwortung der Beweisfrage erheblichen Feststellungen wurden während des Zerlegens des Motors (z. B. betreffend die Dichtmasse an der Ölwanne, den Zustand des Auflagers der Ölwanne, die Metallspäne in der Ölwanne) bzw. im Anschluss daran noch in denselben Werkstatträumen getroffen (z. B. betreffend den Zustand der Lagerscheiben, der Kurbelwellenlager, der Kolben und der Zylinderbohrungen).


Ob es während dessen tatsächlich zu einer Beeinflussung gekommen ist, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein der objektive Eindruck. Und nach diesem besteht die ernsthafte Möglichkeit, dass die für die Werkstatt handelnden Personen aus eigenem Interesse im Sinne des Ergebnisses ihrer vorangehenden Schadensanalyse auf den Sachverständigen eingewirkt haben. Dabei ergibt sich aus dem schriftlichen Gutachten, dass der Inhaber der Werkstatt, J. Sch., Erklärungen gegenüber dem Sachverständigen, nämlich zum Ablassen des Öls, abgegeben hat. Eine verständige Partei darf mutmaßen, dass im Zuge der Arbeiten ein - für sie nach Inhalt und Umfang nicht zu überblickender - Informations- und Meinungsaustausch über die Beweisfragen stattgefunden hat. Die gilt unabhängig davon, dass die Werkstatt durch den Auftrag des Sachverständigen, den Motor auszubauen und unter seiner Aufsicht gemäß seien Anweisungen zu zerlegen, diesem vertraglich verbunden war.

Die Durchführung der Arbeiten in der Werkstätte, auf deren Schadensanalyse sich die verfahrensgegenständliche Tatsachenbehauptung des Antragstellers stützt, ohne Beteiligung der Parteien (insbesondere des Antragsgegners) ist aus Sicht eines unbefangenen Dritten geeignet, Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu begründen. Die Parteien müssen sich darauf verlassen können, dass der Sachverständige in seinem Ergebnis noch nicht festgelegt ist, solange die Parteien ihr Fragerecht noch nicht ausgeübt haben und die Begutachtung nicht abgeschlossen ist. Es muss bereits der „böse Schein“ vermieden werden, dass Sachverständige sich von sachfremden Motiven leiten lassen, wodurch das Gebot der Chancengleichheit verletzt werden könnte. Dies war hier nicht der Fall.

Zwar mag ein Anwesenheitsrecht der Parteien bei Untersuchungen, Experimenten oder Versuchen nicht bestehen, die mit Risiken für Beteiligte verbunden sind. Zum einen hat aber nicht der Sachverständige darüber zu befinden, ob er die Parteien hinzuzieht oder nicht, sondern gemäß § 404a Abs. 4 ZPO das Gericht. Angesichts der im Beweisbeschluss zum Ausdruck gebrachten Entscheidung für eine Teilnahme der Parteien am Besichtigungstermin wäre es am Sachverständigen gewesen, das Gericht von etwaigen Gefahren, die gegen eine Teilnahme sprechen, zu informieren. Die Parteien hätten dann entscheiden können, ob sie einen fachkundigen Vertreter (z. B. einen privat beauftragten Kfz-​Sachverständigen) zu dem Termin entsenden. Vor allem aber ändern etwaige Gefahren nichts daran, dass der Sachverständige sich durch die Wahl der Werkstatt, welche die der Beweisbehauptung des Antragstellers zugrunde liegende Schadensanalyse durchgeführt hatte, einer unkontrollierten einseitigen Einflussnahme aussetzte.



Die Stellungnahme des Sachverständigen vom 31.07.2018 vermag es nicht, das daraus resultierende begründete Misstrauen des Antragsgegners auszuräumen. Dem steht bereits entgegen, dass der Sachverständige sich nicht dazu äußert, wer seitens der Werkstätte die Arbeiten ausgeführt und ob - und wenn ja, mit welchem Inhalt - ein Informations- und Meinungsaustausch über die Beweisfragen stattgefunden hat.

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf den Erfolg der Beschwerde nicht veranlasst; die Kosten sind solche des Hauptsacheverfahrens (Herget in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 91 Rn. 13 Stichwort „Sachverständigenablehnung“ bzw. „Richterablehnung“; Scheuch in: BeckOK, ZPO, 31. Edition, § 406 Rn. 47.1). Der Beschwerdewert ist nach § 3 ZPO auf ein Drittel des (geschätzten) Hauptsachestreitwerts von 11.000 € festzusetzen.

Eine Entscheidung darüber, ob der Sachverständige seinen Vergütungsanspruch verliert, ist im Beschwerdeverfahren nicht zu treffen. Über den entsprechenden Antrag des Antragsgegners hat das Landgericht bislang nicht entschieden.

- nach oben -







Datenschutz    Impressum