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Amtsgericht Magdeburg Urteil vom 20.08.2018 - 50 OWi 775 Js 15999/18 (332/18) - Benutzung eines Smartphones für Videotelefonie

AG Magdeburg v. 20.08.2018: Zum Begriff der Benutzung eines Smartphones für Videotelefonie


Das Amtsgericht Magdeburg (Urteil vom 20.08.2018 - 50 OWi 775 Js 15999/18 (332/18)) hat entschieden:

   Das Abstellen des Smartphones auf dem Armaturenbrett und seine Benutzung zur Übertragung voin Bewegtbildern (Videotelefonie) verstößt gegen § 23 Abs. 1a StVO. Videotelefonie erfordert grundsätzlich nicht ausschließlich eine kurze, sondern eine längere Blickabwendung.


Siehe auch
Mobiltelefon - Handy-Benutzung - Gebrauch sonstiger elektronischer Geräte
und
Pflichten des Fahrzeugführers


Gründe:


I.

Mit Bescheid vom 04.04.2018 (Bl. 25 f. d.A.) wird der Betroffenen vorgeworfen, am 01.02.2018 um 23.00 Uhr in M. auf dem M. Ring auf Höhe der Ausfahrt zum Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) als Führerin des Pkw Kia mit dem amtlichen Kennzeichen pp. ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, in vorschriftswidriger Weise benutzt zu haben (Smartphone im Armaturenbrett, Videotelefonie).

Gegen den ihr am 10.04.2018 zugestellten Bescheid (Bl. 29 d.A.) hat die Betroffene unter dem 19.04.2018 (Bl. 32 d.A.) Einspruch erhoben.

Die Betroffene ist straßenverkehrsrechtlich nicht vorbelastet.

II.

Der Einspruch der Betroffenen ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Denn nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass der Vorwurf zutrifft.

Die Betroffene hat sich dahin eingelassen, Videotelefonie betrieben zu haben. Dazu habe sie vor dem Fahrtantritt die Verbindung zwischen ihrem Telefon, einem Smartphone, und dem Gerät des Gesprächspartners hergestellt, sei in das Auto gestiegen, habe das Telefon abgelegt und sei losgefahren. Das Telefon habe im Armaturenbrett gestanden, sie, die Betroffene, habe freie Sicht auf die Straße, den Spiegel und auch den Tacho gehabt. Videotelefonie habe sie betrieben, um sich sicherer zu fühlen. Sie fühle sich abends alleine im Auto sonst immer unsicher.




Der Zeuge F. hat am 07.08.2018 angegeben, die auf der rechten Spur des M. Ring fahrende Betroffene links überholt zu haben. Sein Beifahrer des Einsatzfahrzeugs, der Zeuge B., habe ihn darauf hingewiesen, dass in dem überholten Fahrzeug ein Handydisplay leuchte. Das habe er, der Zeuge F., dann auch wahrgenommen. Er habe vermutet, dass mit dem Handy ein Film gesehen werde. Auf Nachfrage hat der Zeuge bestätigt, dass er das Display deutlich habe aufleuchten sehen, aber nicht habe erkennen können, um was es sich hierbei gehandelt habe. Das Handy habe im Armaturenbrett gestanden. Beobachtungen zur Person des Fahrers oder der Fahrerin habe er in diesem Augenblick nicht getätigt.

Der Zeuge B. hat am 20.08.2018 angegeben, während des Überholvorgangs als Beifahrer des Einsatzwagens in den Fahrzeugraum des überholten Fahrzeugs geschaut und gesehen zu haben, wie auf dem Armaturenbrett ein recht großes Handydisplay aufgeleuchtet habe und ein Gesprächspartner auf dem Display zu erkennen gewesen sei. Auf Nachfrage hat der Zeuge B. angegeben, dass es sich hierbei um die Kontur einer Person gehandelt habe. Näher beschreiben könne er dieser aber nicht. Er habe sofort an Videotelefonie über Skype oder WhatsApp gedacht. Die Fahrerin des Fahrzeugs habe den Blick gewechselt und mal nach unten in Richtung des Displays und dann wieder nach oben durch die Frontscheibe auf die Fahrbahn geschaut. Die Dauer des Überholvorgangs gab der Zeuge mit etwa 10 Sekunden an, davon ein Drittel bis die Hälfte mit der ihm sich bietenden Gelegenheit, das Fahrzeuginnere zu beobachten. Die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeugs hat der Zeuge B. mit ca. 60 bis 70 km/h angegeben und angenommen, dass das Einsatzfahrzeug mit den zugelassenen 80 km/h gefahren sei.

Das Gericht hält die Betroffene für überführt. Dass die Betroffene Videotelefonie betrieben hat, steht aufgrund ihrer eigenen Einlassung fest, wird aber auch durch die Bekundung des Zeugen B. bestätigt. Anlass, an diesen Angaben zu zweifeln, hat das Gericht nicht. Das Gericht hält die Bekundungen der Zeugen für glaubhaft. Ein Motiv, die Unwahrheit zu sagen, hat sich nicht ergeben. Nicht mit der erforderlichen Sicherheit steht dagegen fest, dass die Betroffene während der Fahrt das Gerät durch Antippen oder Berühren betätigt hat. Weder hat sie sich dahin eingelassen noch haben die Zeugen ein derartiges Handeln beobachtet und wiedergegeben. Dass die Betroffene die Verbindung zum Gesprächspartner vor dem Fahrtantritt hergestellt haben will, ist damit unwiderlegt.




III.

Die Betroffene hat mit diesem Verhalten gegen § 23 Abs. 1a Nr. 2b) StVO verstoßen. Danach darf der Fahrzeugführer ein elektronisches Gerät, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, nur benutzen, wenn hierfür das Gerät weder aufgenommen noch gehalten wird und entweder nur eine Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt wird oder zur Bedienung und Nutzung des Geräts nur eine kurze, den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen angepasste Blickzuwendung zum Gerät bei gleichzeitig entsprechender Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen erfolgt oder erforderlich ist.

Die Voraussetzungen sind aber nicht erfüllt, so dass die Betroffene das Gerät vorschriftswidrig benutzt hat und der Bußgeldtatbestand aus Nr. 246.1 BKat erfüllt wird.

Unzweifelhaft hat die Betroffene das im Armaturenbrett abgelegte bzw. aufgestellte Mobiltelefon weder aufgenommen noch gehalten (§ 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO). Sie hat auch nicht ausschließlich die Sprachsteuerung und Vorlesefunktion genutzt (§ 23 Abs. 1a Nr. 2 Buchst. a) StVO). Die Betroffene hat eingeräumt, Videotelefonie betrieben zu haben. Zu dieser Feststellung gibt auch die Bekundung des Zeugen B. Anlass. Dafür hat die Betroffene das Mikrofon und den Lautsprecher des Geräts zur Übertragung von Ton sowie die Kamera des Geräts zur Übertragung von Bewegtbildern genutzt. Dabei handelt es sich um typische Funktionen moderner Mobiltelefone, die sich nicht in der bloßen Nutzung der Sprachsteuerung und der Vorlesefunktion erschöpfen.

Schließlich ist auch nicht nur eine kurze Blickabwendung erfolgt oder erforderlich gewesen, wie es § 23 Abs. 1a Nr. 2 Buchst. b) StVO für das zulässige Benutzen eines elektronischen Geräts definiert. Videotelefonie verlangt oder erfordert eine nicht nur kurze Blickabwendung, die nach der Reform des Bußgeldtatbestands mit Wirkung vom 19. Oktober 2017 zu einer nicht vorschriftsgemäßen – nicht zulässigen – Benutzung führt.

Aus den Verordnungsmaterialien geht hervor, dass sich der Gesetzgeber bewusst einer konkreten Zeitvorgabe enthalten hat (BR-Drs. 556/17 zur 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, S. 26 f.). Weil Verkehrs-, Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse im Alltag fließend und relativ seien und die mögliche Geschwindigkeit bei der Bedienung der Fahrzeug- und/oder Infotainment-Systeme nicht nur von den technischen Voraussetzungen des Fahrzeugs, sondern auch von den tatsächlichen Rahmenbedingungen des Einzelfalls (z.B. gefahrene Geschwindigkeit, Verkehrsdichte) abhänge, lasse sich ein die Verkehrssicherheit zuträglicher Verordnungstext nur durch die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen herstellen. Bei Abstellung auf die Erforderlichkeit der nur kurzen Blickabwendung bleibt – so der Verordnungsgeber weiter – das Lesen von Kurznachrichten oder die Nutzung anderer Multimediaangebote (z.B. Internet, Fernsehen) verboten, da diese Tätigkeiten grundsätzlich eine längere Blickabwendung erfordern.

Daran gemessen, erfordert Videotelefonie grundsätzlich nicht ausschließlich eine kurze, sondern eine längere Blickabwendung. Videotelefonie ist nicht anders als Fernsehen zu bewerten, bei welchem die Konzentration des Konsumenten auf das Erfassen von Bewegtbildern gerichtet ist. Dasselbe ist bei Videotelefonie möglich, zumal der Konsument nicht wissen kann, was der Gesprächspartner filmt und zum Gegenstand der Bildübertragung macht. Das Ablenkungspotential ist sehr groß. Nicht vorhersehbare Bewegtbilder auf dem Empfangsgerät des Fahrzeugführers verlangen diesem eine erhebliche Konzentration ab. Eine vollständige Wahrnehmung der übertragenen Bilder und Töne lässt sich zu keiner Zeit mit einer „kurzen Blickabwendung“ herbeiführen, so dass darin keine vorschriftsgemäße Nutzung liegen kann.


Aber auch in dem konkreten Fall war eine nur kurze Blickabwendung weder erfolgt noch erforderlich. Der Zeuge B. hat den wechselnden Blick der Betroffenen beschrieben und auch im Sitzungssaal vorgeführt. Offensichtlich ging deren Blick von der Fahrbahn zum Gerät hin und her, was in der Gesamtschau nicht mehr für eine nur kurze Blickabwendung spricht. Mit Blick auf die Tageszeit (23.00 Uhr) und einer herrschenden Dunkelheit auf der Straße ließ sich die Blickabwendung nicht mit den konkreten Sichtverhältnissen vereinbaren. Denn das Auge der Betroffenen hatte sich zum einen auf das helle Telefondisplay und zum anderen auf die dunkle Straße einzustellen, was der Anpassungskraft des Auges erhebliche Mühe abverlangt und die Videotelefonie in der konkreten Situation unzulässig macht. Daher war es der Betroffenen untersagt, durch ihre Blickabwendung Videotelefonie zu betreiben.

In dem zugrunde liegenden Verständnis von der Vorschrift liegt kein Verstoß des Gerichts gegen das Analogieverbot zulasten eines Betroffenen. Das Gericht bewegt sich innerhalb des ihm durch den Verordnungsgeber ausdrücklich eröffneten Spielraums, einen unbestimmten Rechtsbegriff – „nur eine kurze […] Blickzuwendung“ – mit Leben zu füllen.




IV.

Damit hat die Betroffene den Bußgeldtatbestand aus §§ 23 Abs. 1a, 49 StVO, Nr. 246.1 BKat, §§ 1, 3, 4 BKatV erfüllt. Das Gericht nimmt vorsätzliches Handeln an. Die Betroffene hat den Verstoß nach Belehrung und Tatvorwurf eingeräumt (vgl. Datenerfassungsbeleg, Bl. 5 d.A.). Das Gericht schließt auch aus, dass die Betroffene irrtümlich geglaubt haben könnte, ihr Verhalten sei nicht bußgeldbewehrt. Hierfür spricht allein schon die Anordnung des Telefons in der Mitte des Armaturenbretts zwischen Lenkrad und den Instrumenten, von der der Zeuge B. glaubhaft angibt, dass dadurch sogar der Tachometer verdeckt worden sei. Der Betroffenen musste damit einleuchten, dass ihr konkretes Handeln nicht in Ordnung war.

Anhaltspunkte, vom Regelbußgeldtatbestand abzuweichen, hat das Gericht geprüft. Sie liegen aber nicht vor.

V.

Die Kostenfolge resultiert aus § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 465 StPO.

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