Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Köln Beschluss vom 1 RBs 324/18 - III-1 RBs 324/18 - Übersehen eines Verkehrszeichens

OLG Köln v. 19.10.2018: Feststellungen zum Übersehen eines Verkehrszeichens


Das Oberlandesgericht Köln (Beschluss vom 19.10.2018 - III-1 RBs 324/18) hat entschieden:

   Es besteht der Erfahrungssatz, dass Verkehrszeichen regelmäßig so aufgestellt werden, dass sie bei zumutbarer Aufmerksamkeit vom durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer im Fahren durch beiläufigen Blick erkannt werden können.


Siehe auch
Verkehrszeichen - Verkehrsschilder - Verkehrseinrichtungen - verkehrsrechtliche Anordnungen
und
Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Gründe:


I.

Den bisherigen Verfahrensgang hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Vorlageverfügung vom 8. Oktober 2018 wie folgt wiedergegeben:

   "Der Landrat des Kreises F hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 21.08.2017 (Bl. 32 d.A.) wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h, begangen am 15.06.2017 in F, eine Geldbuße von 120,- Euro festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Gegen den ihm am 24.08.2017 (Bl. 36 d.A.) zugestellten Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit anwaltlichem Schreiben vom 30.08.2017 (Bl. 38 d.A.), eingegangen bei der Verwaltungsbehörde am 31.08.2017, Einspruch eingelegt.

Mit Urteil vom 24.05.2018 - 31 OWi-435 Js 1928/17-413/17 - (Bl. 106R, 114 ff. d.A.) hat das Amtsgericht Euskirchen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 StVG, 4 Abs. 2 BKatV zu einer Geldbuße von 120,-- Euro verurteilt Ferner hat es dem Betroffenen für die Dauer von einem Monat untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen. Das Fahrverbot sollte erst wirksam sein, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Rechtskraft.

Gegen dieses, in Anwesenheit des Betroffenen verkündete Urteil hat dieser mit anwaltlichem Schriftsatz vom 01.06.2018 (Bl. 117 d.A.), eingegangen bei dem Amtsgericht Euskirchen am selben Tage, Rechtsbeschwerde eingelegt.

Nachdem das Urteil dem Betroffenen am 21.06.2018 und dessen Verteidiger, Rechtsanwalt C, am 28.06.2018 (Bl. 132 d.A.) zugestellt worden war, hat der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 27.07.2018 (Bl. 135 ff. d.A.), eingegangen bei dem Amtsgericht Euskirchen am selben Tage, die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung materiellen Rechts begründet."




Darauf nimmt der Senat Bezug. Die Generalstaatsanwaltschaft hat Urteilsaufhebung beantragt.

II.

1. Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 OWiG an sich statthafte Rechtsbeschwerde unterliegt auch im Übrigen Zulässigkeitsbedenken nicht. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:

   "Insbesondere ist die einmonatige Begründungsfrist im Sinne der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 1 StPO gewahrt worden. Zwar ist das Urteil dem Betroffenen bereits am 21.06.2018 zugestellt worden. Die - durch das Amtsgericht parallel angeordnete (zu vgl. Bl. 124 d.A.) - Zustellung an den bevollmächtigten Verteidiger ist jedoch erst am 28.06.2018 (Bl. 132 d.A.) bewirkt worden. In einem derartigen Fall richtet sich die Berechnung der Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung (§ 37 Abs. 2 StPO). Der Wirksamkeit der späteren Zustellung stand auch nicht das in §§ 46 Abs. 1 OWiG, 137 Abs. 1 Satz 2 StPO verankerte Verbot der Wahl von mehr als drei Verteidigern entgegen. Zwar wurde die Zustellung unter der Adressierung "I u. Kollegen" angeordnet (zu vgl. Bl. 124 d.A.). Insoweit hatte der Betroffene am 18.07.2017 die in einer Sozietät verbundenen acht Rechtsanwälte C2, X, I, X2, C, L, Q und T in V schriftlich dazu bevollmächtigt, ihn im Bußgeldverfahren zu verteidigen (Bl. 23 d.A.). Doch sind in der Folgezeit lediglich zwei Mitglieder dieser Sozietät, nämlich Rechtsanwalt Q und Rechtsanwalt C, für den Betroffenen tätig geworden. Mithin waren es bis zur Zustellung des Urteils lediglich Rechtsanwalt Q und Rechtsanwalt C, die sich durch ausdrückliche Bestellung (Rechtsanwalt Q, Bl. 22 d.A.) bzw. schlüssiges Verhalten (Rechtsanwalt C) den ihren Sozien und ihnen von dem Betroffenen erteilten Verteidigungsauftrag angenommen und damit die Stellung eines Verteidigers erlangt hatten, wobei Rechtsanwalt C sich wegen Urlaubsabwesenheit von Rechtsanwalt I hatte vertreten lassen (zu vgl. Bl. 117 d.A.). Der Betroffene hatte somit zum Zeitpunkt der Zustellung des Urteils am 28.06.2018 nicht entgegen §§ 46 Abs. 1 OWiG, 137 Abs. 1 Satz 2 StPO mehr als drei Verteidiger gewählt. Die Zustellung des Bußgeldbescheides konnte deshalb wirksam im Sinne von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 145a Abs. 1 StPO unter der Adressierung der Rechtsanwaltskanzlei an einen der bis dahin einzigen Verteidiger erfolgen (zu vgl. SenE v. 22.05.2003 - Ss 169/03 (Z) - m.w.N.)."

Diesen Erwägungen tritt der Senat bei.




2. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet; die auf die erhobene Sachrüge veranlasste Überprüfung der angefochtenen Entscheidung anhand der Rechtsbeschwerdebegründung hat den Betroffenen belastende Rechtsfehler nicht aufgedeckt.

a) Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

aa) Die Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe gerade in massenhaft vorkommenden Bußgeldsachen dürfen nicht überspannt werden. Auch in Bußgeldsachen müssen die Feststellungen jedoch so ausführlich sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht die Entscheidung auf eine richtige Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale überprüfen kann (SenE v. 24.07.2001 - Ss 129/01 B -; SenE v. 07.10.2003 - Ss 369/03 Z -; OLG Bremen DAR 2002, 225 [226]; OLG Hamm VRS 104, 370 [371] = NZV 2003, 295). Unerlässlich ist dabei die lückenlose Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden (SenE v. 24.07.2001 - Ss 129/01 B -; s. insgesamt auch KK-OWiG-Senge, 5. Auflage 2018, § 71 Rz. 106). Diesen Anforderungen genügen die getroffenen Feststellungen. Namentlich begegnen - entgegen der von Verteidigung und Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Rechtsauffassung - die zur Anordnung der an der Messstelle geltenden Höchstgeschwindigkeit getroffenen Feststellungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.


bb) Insoweit stellt das Tatgericht fest, die zulässige Geschwindigkeit sei "durch ein Verkehrszeichen 274 auf 70 km/h beschränkt" gewesen.

Den Regelfall, dass ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen von Verkehrsteilnehmern in aller Regel wahrgenommen werden, dürfen die Gerichte regelmäßig zugrunde legen. Die Möglichkeit, dass der Betroffene das die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, brauchen sie nur dann in Rechnung zu stellen, wenn der Betroffene sich darauf beruft oder sich hierfür sonstige Anhaltspunkte ergeben (BGHSt 43, 241 [251]; OLG Hamm zfs 2008, 408 [409]; OLG Celle VM 2014, 5 [Nr. 5] = DAR 2014, 150 = zfs 2014, 350; OLG Koblenz zfs 2014, 530).

Die Erfahrung lehrt aber ebenso, dass Verkehrszeichen regelmäßig so aufgestellt werden, dass sie bei zumutbarer Aufmerksamkeit vom durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer im Fahren durch beiläufigen Blick erkannt werden können. Das Tatgericht ist nicht aufgrund des Zweifelssatzes oder aus Gründen des materiellen Rechts gehalten, zu Gunsten eines Betroffenen Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte liefert (BGH NJW 2002, 1057 [1059] [BGH 12.12.2001 - 3 StR 303/01]; BGH NStZ-RR 2009, 90). Auch zu möglichen Mängeln der Aufstellung muss sich das Tatgericht daher nur gedrängt sehen, wenn die Sachverhaltsfeststellungen hierzu Veranlassung bieten (vgl. OLG Stuttgart VRS 95, 441 zur Verdeckung durch Pflanzenbewuchs; s. weiter Hentschel/König/Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage 2017, § 39 StVO Rz. 32 zu Aufstellungsmängeln). Das gilt hinsichtlich der Beschilderung zumal auf einer Straße mit überörtlicher Verkehrsbedeutung.

Aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg vom 26. April 2013 (2 Ss OWi 349/13, veröffentlicht u.a. in DAR 2014, 38, zitiert nach Juris) folgt nicht anderes. Die dortigen Ausführungen (Tz. 22 aE), es sei nicht festgestellt, dass das betreffende Verkehrszeichen deutlich sichtbar aufgestellt gewesen sei, sind nicht so zu verstehen, dass damit die Anforderung an den Tatrichter formuliert würde, dieser müsse stets "anlasslos" Feststellungen zur ordnungsgemäßen Aufstellung von Verkehrszeichen treffen. Die entsprechende Formulierung steht vielmehr ausschließlich im Kontext mit der beanstandeten Annahme vorsätzlichen Verhaltens des dort Betroffenen. Anders hätte das Gericht auch nicht - wie geschehen - die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten können.




Nichts anderes folgt auch aus der von der Generalstaatsanwaltschaft angezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 11. September 1997 (BGHSt 43, 241). Aus dem Umstand, dass in dem dort zu beurteilenden Sachverhalt das Zeichen 274 ordnungsgemäß aufgestellt war, lässt sich nicht ableiten, dass der Tatrichter sich stets zu dieser Frage zu verhalten hätte.

Davon ausgehend genügen die tatrichterliche Ausführungen den zu stellenden Anforderungen. Konkrete Anhaltspunkte für Mängel der Beschilderung hat der Betroffene weder ausweislich der Urteilsgründe noch ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung geltend gemacht.

b) Entgegen der von der Verteidigung geäußerten Rechtsauffassung genügen auch die zur Identifikation des Betroffenen als Fahrer angestellten tatrichterlichen Beweiserwägungen den insoweit zu stellenden Anforderungen.

Sieht der Tatrichter - wie hier - von einer Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das gefertigte Lichtbild ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch wenn er die von ihm und einem Sachverständigen zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbes. zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenschaften) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (SenE v. 23.06.2005 - 81 Ss-OWi 4/05 -; SenE v. 22.10.2007 - 81 Ss-OWi 75/07 -; SenE v. 05.03.2010 - III-1 RBs 65/10 -). Ferner muss im Urteil dargelegt werden, worin die Übereinstimmungen zwischen Person und Foto bestehen. Durch die genaue vergleichende Beschreibung soll das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt werden, die Eignung des Frontfotos für den allein vom Tatrichter vorzunehmenden Vergleich mit dem Erscheinungsbild des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu überprüfen (BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420 = NZV 1996, 157 = DAR 1996, 98; SenE v. 28.05.2002 - Ss 209/02 B -; SenE v. 02.08.2002 - Ss 336/02 B -; SenE v. 29.09.2017 - III-1 RVs 225/17).



Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil durch die Beschreibung von fotografiertem Kinnbereich, den Lippen, von Nase und Ohren des Betroffenen und deren Vergleich mit dem Aussehen des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen, zusätzlich gestützt durch das insoweit inhaltlich widergegebene, auf einem Lichtbildvergleich beruhende Sachverständigengutachten. Mit ihren gegenteiligen Ausführungen sucht die Rechtsbeschwerde lediglich in unbehelflicher Weise, ihre eigenen Beweiswürdigungserwägungen an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen.

c) Schließlich weist auch die Rechtsfolgenbemessung im angefochtenen Urteil durchgreifende Rechtsfehler nicht auf. Den Urteilsgründen ist namentlich mit noch genügender Deutlichkeit zu entnehmen, dass sich die Tatrichterin ihres Ermessens im Hinblick auf ein mögliches Absehen vom Fahrverbot bewusst war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

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