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Kammergericht Berlin Beschluss vom 01.04.2019 - 3 Ws (B) 103/19 - 162 Ss 41/19 - Entbindungsantrag und Aufklärung persönlicher Umstände

KG Berlin v. 01.04.2019: Keine Ablehnung des Entbindungsantrags zur Aufklärung nur persönlicher Verhältnisse


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 01.04.2019 - 3 Ws (B) 103/19 - 162 Ss 41/19) hat entschieden:

  1.  Der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen kann in der Regel nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, die Anwesenheit des Betroffenen sei zur Aufklärung seiner persönlichen Verhältnisse - zum Beispiel seines Berufs und seines Familienstandes - erforderlich.

  2.  Rein spekulative Erwägungen, die Anwesenheit eines Betroffenen könne in der Hauptverhandlung zu einem Erkenntnisgewinn führen, rechtfertigen eine Ablehnung gleichfalls nicht.


Siehe auch
Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen
und
Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:


I.

Unter dem 21. Juni 2018 erließ der Polizeipräsident in Berlin gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen des Vorwurfs, der Betroffene sei am 3. Mai 2018 als Führer eines Kfz abgebogen, ohne das entgegenkommende Fahrzeug durchfahren zu lassen, wodurch es zu einem Unfall gekommen sei. Der Bußgeldbescheid wurde dem Verteidiger mit Zustellungsurkunde vom 29. Juni 2018 zugestellt, nachdem sich dieser mit Schriftsatz vom 8. Mai 2018 unter Vorlage einer die Vertretung in Bußgeldsachen umfassenden Vollmacht bei der Behörde gemeldet und Akteneinsicht beantragt hatte.

Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, beraumte das Amtsgericht für den 31. Januar 2019 Termin zur Hauptverhandlung an, zu dem der Betroffene und sein Verteidiger ordnungsgemäß geladen wurden. Mit Schriftsatz vom selben Tage, der dem Gericht vor Aufruf der Sache vorlag, beantragte der Betroffene, ihn vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden. Zur Begründung trug er vor, er räume die Fahrereigenschaft ein, werde sich aber im Übrigen nicht zur Sache einlassen. Sein persönliches Erscheinen sei daher zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich. In der Sache trug er seine Rechtsansicht vor, dass Verfolgungsverjährung eingetreten und das Verfahren daher einzustellen sei. Durch Beschluss vom selben Tage lehnte das Amtsgericht den Antrag auf Entbinden vom persönlichen Erscheinen des Betroffenen ab und führte zur Begründung aus, die Anwesenheit des Betroffenen sei zur Aufklärung seiner persönlichen Verhältnisse - jedenfalls seines Berufs und seines Familienstandes - erforderlich. Zugleich verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen durch auf § 74 Abs. 2 OWiG gestütztes Urteil.




Gegen dieses seinem Verteidiger am 6. Februar 2019 zugestellte Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vortrags wird auf den Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. März 2019 Bezug genommen.


II.

Der Zulassungsantrag und die Rechtsbeschwerde haben (vorläufigen) Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

a) Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe dem Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, zu Unrecht nicht entsprochen und daher durch die Verwerfung seines Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, ist zulässig und insbesondere ordnungsgemäß ausgeführt.

Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 80Abs. 3 Satz 3, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG muss die Rechtsmittelbegründung die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen angeben, sodass das Gericht allein aufgrund der Beschwerdeschrift prüfen kann, ob für den Fall, dass das Beschwerdevorbringen zutrifft, ein Verfahrensmangel vorliegt (vgl. OLG Hamm NZV 2010, 214; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl., § 344 Rdn. 20 f. m.w.N.). Es muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, aus welchen Gründen das Amtsgericht dem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen, wobei grundsätzlich eine genaue Darlegung der Einzelumstände erforderlich ist (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 74 Rdn. 48b m.w.N.).

Die Rechtmittelbegründungsschrift erfüllt diese Anforderungen. So hat der Betroffene insbesondere den Tatvorwurf, den Inhalt des Entbindungsantrages mit der Ankündigung, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache tätigen, die Begleitumstände des Antrages und den Inhalt des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses mitgeteilt. Der Betroffene hat ferner mitgeteilt, dass und warum von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung keine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre. Weitere Ausführungen zur Beweislage waren nicht erforderlich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. Mai 2017 - 3 Ws (B) 109/17 - und 3. Januar 2017 - 3 Ws (B) 692/16 -, beide juris). Der sonst im Rahmen einer Gehörsrüge erforderlichen Darlegung, was der Betroffene in der Hauptverhandlung vorgetragen hätte, bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Der Betroffene rügt nicht, dass ihm eine Stellungnahme zu entscheidungserheblichen Tatsachen verwehrt worden sei, sondern dass das Gericht seine Erklärung zur Sache in dem die Entbindung beantragenden Schriftsatz aufgrund der Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache nicht ausreichend zur Kenntnis genommen habe (vgl. Senat VRS 132, 235; 130, 246; Brandenburgisches OLG NZV 2003, 432;).


b) Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist auch begründet. Der Betroffene war vorliegend gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu entbinden. Die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nach abschlägiger Bescheidung des Entbindungsantrages war rechtsfehlerhaft. Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht einen Betroffenen auf seinen Antrag hin von seiner Verpflichtung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Dieses ist vielmehr verpflichtet, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (std . Rechtspr. des Senats, vgl. etwa VRS 132, 235 m.w.N.; OLG Dresden DAR 2005, 460).

Die Voraussetzungen der genannten Regelung waren vorliegend gegeben. Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag im Hinblick auf die anberaumte Hauptverhandlung erklärt, er räume die Fahrereigenschaft ein, werde aber darüber hinaus keine Angaben zur Sachen machen. Damit war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in dem Hauptverhandlungstermin eine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs nicht zu erwarten war (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2012, 258). Die Anwesenheit eines Betroffenen in der Hauptverhandlung, der sein Schweigen zum Tatvorwurf angekündigt hat, kann zwar im Einzelfall unverzichtbar sein, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist. Dies kann der Fall sein, wenn die Anwesenheit zur Identifizierung seiner Person erforderlich ist, das Gericht zuverlässigere Angaben von Zeugen (oder Mitbetroffenen) erwartet, falls diese in Gegenwart des Betroffenen abgegeben werden oder einem zum Schweigen entschlossenen Betroffenen die im Laufe der Hauptverhandlung zu erwartenden Erkenntnisse die Möglichkeit geben sollen, seine Entscheidung zu überdenken (vgl. Seitz/Bauer in Göhler a.a.O., § 73 Rn. 8 m.w.N.). Rein spekulative Erwägungen, die Anwesenheit eines Betroffenen könne in der Hauptverhandlung zu einem Erkenntnisgewinn führen, genügen jedoch nicht (vgl. OLG Koblenz NZV 2007, 587; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Bamberg VRS 113, 284; Senat DAR 2012, 31; 2011, 146; VRS 113, 63; 111, 429).



Das angefochtene Urteil bezeichnet keine diesen Anforderungen genügenden konkreten Umstände, warum die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können. Die vom Amtsgericht im Beschluss vom 31. Januar 2019 mitgeteilten Gesichtspunkte sind nicht wesentlich im Sinne von § 73 Abs. 2 OWiG. Hierbei ist in den Blick zu nehmen, dass die Personalien des Betroffenen bereits von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten aufgenommen wurden und Anhaltspunkte für eine in wesentlichen Teilen fehlerhafte Erfassung der Personalien nicht ersichtlich sind.

b) Weil der Betroffene bereits mit der Verfahrensrüge durchdringt, kommt es auf die daneben allgemein erhobene Sachrüge nicht mehr an, zumal diese bei einem Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG nur zu der Prüfung des Vorliegens von Verfahrenshindernissen führt (vgl. Senge in KK, OWiG 4. Aufl., § 74 Rdn. 55). Mit seiner Auffassung, es sei Verfolgungsverjährung eingetreten, dringt der Betroffene aus den durch das Amtsgericht im Beschluss vom 31. Januar 2019 genannten Gründen ohnehin nicht durch.

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