Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin (Beschluss vom 05.04.2019 - 3 Ws (B) 114/19 - 122 Ss 55/19 - Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho

KG Berlin v. 05.04.2019: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 05.04.2019 - 3 Ws (B) 114/19 - 122 Ss 55/19) hat entschieden:

   Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Hierfür müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein. - Bei Geschwindigkeiten von 100 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war. Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen.


Siehe auch
Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren
und
Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Gründe:


Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen einer innerorts vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt, ein einmonatiges Fahrverbot gegen ihn angeordnet und eine Wirksamkeitsbestimmung getroffen.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 6. Juli 2018 gegen 09:45 Uhr mit seinem Kraftrad mit einer Geschwindigkeit von zumindest 104 km/h in ... ... u.a. die ... ... Richtung ... und überschritt damit die innerörtlich zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h um 34 km/h. Der Bußgeldrichter war von diesem Tatgeschehen überzeugt, weil zwei Polizeibeamte bekundet hatten, der Betroffene, der ihnen bereits zuvor durch unangepasstes Fahren aufgefallen gewesen sei, über eine Wegstrecke von etwa 1,7 Kilometern mit einer vom ungeeichten Tachometer abgelesenen Geschwindigkeit von 130 km/h verfolgt zu haben.

Der Betroffene wendet sich gegen das Urteil mit der Rechtsbeschwerde. Das Rechtsmittel hat mit der allgemeinen Sachrüge Erfolg. Es beanstandet zu Recht die Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 34 km/h. Das Urteil fußt insoweit auf fehlerhafter Würdigung der Beweise.




1. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH NJW 2007, 384).

Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (vgl. Zusammenstellung und Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche Owi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 1980, 2211).

Für die hier festgestellten Rahmenbedingungen gilt im Einzelnen: Bei Geschwindigkeiten von 100 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war (vgl. Senat, Beschluss vom 22. August 2017 – 3 Ws (B) 232/17 - [juris]; DAR 2015, 99 und Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 3 Ws (B) 516/01 – [juris]; OLG Bamberg DAR 2006, 517; OLG Braunschweig DAR 1989, 110). Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen (vgl. BayObLG DAR 1996, 288; OLG Düsseldorf NZV 1990, 318).




2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Zwar teilt das Tatgericht die Länge der Messstrecke mit mehr als 1000 Meter mit. Es nahm auch vom abgelesenen Tachometerwert (130 km/h) einen hohen Toleranzabzug von 20 Prozent vor, jedoch versäumt es der Tatrichter, Angaben zu den Abstandsverhältnissen dazulegen. Daher kann der Senat nicht nachvollziehen, ob die Geschwindigkeit mit 104 km/h zuverlässig ermittelt worden ist.
3. Da das Urteil auf der beanstandeten Beweiswürdigung beruht, war es insgesamt aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Tiergarten zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - zurückzuverweisen.

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