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„Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 OWiG ist nicht maßgeblich, ob ein Betroffener sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er objektiv entschuldigt ist (vgl. BGHSt 17, 391, 396, 397; KG in ständ. Rspr., vgl. NZV 2002 421 sowie Beschlüsse vom 25. Oktober 1999 - (4) 1 Ss 243/99 (123/99) - in juris und vom 7. Mai 1997 - (5) 1 Ss 100/97 (29/97) - in juris). Es kommt daher nicht darauf an, was der Betroffene selbst zur Entschuldigung vorgetragen hat, sondern darauf, ob sich aus den Umständen, die dem Gericht zum Zeitpunkt der Entscheidung bekannt und im Wege des Freibeweises feststellbar waren, eine ausreichende Entschuldigung ergibt (KG NZV 2002, 421 und Beschlüsse vom 5. Februar 2003 - 3 Ws (B) 516/02 - und vom 31. Januar 2003 - 3 Ws (B) 555/02 -). Ein Betroffener ist nicht zur Glaubhaftmachung oder gar zum Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet. Liegen Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung vor, hat sich das Gericht um Aufklärung zu bemühen. Nur wenn sich das Amtsgericht die Überzeugung verschafft hat, dass genügende Entschuldigungsgründe nicht gegeben sind, darf der Einspruch verworfen werden, nicht aber, wenn lediglich der entsprechende Verdacht besteht (vgl. KG a.a.O. m.w.N.). Bestehen weiterhin Zweifel und können diese auch im Freibeweisverfahren nicht geklärt werden, darf ein Verwerfungsurteil nicht ergehen (KG jew. a.a.O. sowie Beschluss vom 3. August 2005 - 3 Ws (B) 287/05 -). Speziell in Fällen der Erkrankung ist das Ausbleiben nicht erst dann entschuldigt, wenn der Betroffene verhandlungsunfähig ist. Es genügt, dass ihm infolge der Erkrankung das Erscheinen vor Gericht nicht zuzumuten ist (KG NZV 2002, 421, 422 und Beschluss vom 23. Mai 2003 - 3 Ws (B) 212/03 -).
Die Urteilsausführungen, die sich auf die Feststellung beschränken, dass das per Fax von der Verteidigerin mit der Angabe, der Betroffene sei arbeits- und verhandlungsunfähig, übermittelte Attest nicht lesbar ist, zeigen, dass das Amtsgericht den Umfang seiner Aufklärungspflicht verkannt hat und lassen besorgen, dass es rechtsfehlerhaft zu hohe Anforderungen an den Begriff der genügenden Entschuldigung stellt. Das Gericht traf daher eine Nachforschungspflicht, die zwar mangels Erkennbarkeit des Ausstellers nicht direkt mit diesem durch eine telefonische Rücksprache möglich war. Es reicht für die Verneinung einer genügenden Entschuldigung aber nicht aus, darauf hinzuweisen, dass das Attest unleserlich ist (vgl. KG Beschluss vom 2. März 2009 - 3 Ws (B) 120/09 -). Das Gericht hat sich dann von Amts wegen um Aufklärung zu bemühen, die hier ohne weiteres durch einen Anruf bei der Verteidigerin, der sich auch die Unleserlichkeit des übermittelten Attests nicht aufdrängen musste, möglich gewesen wäre. Über diese wäre die Telefonnummer des ausstellenden Arztes in Erfahrung zu bringen gewesen. Wenn das Gericht darüber hinaus meint, einem Betroffenen sei trotz der Arbeitsunfähigkeit das Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar, muss es im Urteil darlegen, warum es von der Unrichtigkeit des Attests überzeugt ist oder warum es die Krankheit in ihren Auswirkungen für so unbedeutend hält, dass sie einer Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht entgegensteht (vgl. KG Beschluss vom 3. August 2015 - 3 Ws (B) 376/15 -).“
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