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Oberlandesgericht Schleswig Urteil vom 01.08.2019 - 7 U 14/18 - Schmerzensgeld für einen Rettungsassistenten

OLG Schleswig v. 01.08.2019: Schmerzensgeld für einen Rettungsassistenten für Einsatzfolgen bei einem Verkehrsunfall


Das Oberlandesgericht Schleswig (Urteil vom 01.08.2019 - 7 U 14/18) hat entschieden:

  1.  Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten und damit zum allgemeinen Lebensrisiko gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dies gilt auch, wenn bei dem Rettungseinsatz bekannte oder gar befreundete Feuerwehrleute des Rettungsassistenten verletzt werden.

  2.  Hingegen gehört es nicht mehr zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle selbst einer Explosion ausgesetzt zu sein. Soweit daraus unmittelbare psychische Folgen ausgelöst worden sind, kann dies Schadenersatzansprüche begründen.

  3.  Ein Rettungsassistent, der infolge einer Gasexplosion am Unfallort eine psychische Anpassungsstörung (ICD10-F43.2) erleidet, erhält ein Schmerzensgeld von lediglich 2.500 €, wenn - nach eigenem Vortrag - nicht nur die Explosion bestimmend war für das eigene Betroffen sein, sondern ebenso die entschädigungslos hinzunehmende mittelbare Betroffenheit durch die Verletzungen ihm bekannter oder befreundeter Rettungskräfte.


Siehe auch
Unfallhelfer - Pannenhelfer - Hilfe am Unfallort - Unfallhelferringe
und
Psychische Unfallfolgen und Fehlverarbeitung traumatischer Erlebnisse - PTBS - posttraumatisches Belastungssyndrom


Gründe:


I.

Der Kläger nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeug-​Haftpflichtversicherer eines Pkws Ford mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf materiellen und immateriellen Schadenersatz in Anspruch.

Dieses u. a. mit einer Gasanlage versehene Fahrzeug verunglückte am 15.08.2014 gegen 09.30 Uhr auf einer Kreisstraße im Bereich der Gemeinde R1; der Fahrer und Halter dieses Fahrzeuges, ein Herr B1, kam bei dem Unfall ums Leben. Das Fahrzeug geriet in Brand; zum Löschen und Bergen wurde die örtliche freiwillige Feuerwehr hinzugerufen.

Der Kläger ist hauptamtlicher Rettungsassistent beim Deutschen Roten Kreuz, seinerzeit in S1. Er und ein Kollege, der Zeuge Z1, wurden ebenfalls zur Unfallstelle gerufen. Bei Ankunft des Klägers stand das verunfallte Fahrzeug bereits in Vollbrand, der Fahrer war tot.




Im Zuge der Löscharbeiten explodierte der Gastank des verunfallten Fahrzeuges. Durch den Feuerball und herumfliegende Fahrzeugteile wurden mehrere Feuerwehrleute, die dem Kläger aus seiner eigenen jahrelangen Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr zum Teil persönlich bekannt waren, erheblich verletzt. Der Kläger selbst wurde durch die Druckwelle zwar zu Boden geworfen, erlitt aber keine äußeren Verletzungen. Vielmehr übernahm er bis zum Eintreffen weiterer Kräfte die Einsatzleitung vor Ort.

In der Folgezeit befand sich der Kläger in psychologischer Behandlung und war bis zum 8. Dezember 2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Zweitinstanzlich ist nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion eine Traumafolgestörung erlitten hat, die in ihrer Qualität zwar einer posttraumatischen Belastungsstörung entspricht, aber nicht deren Vollbild erreicht hat und daher als Anpassungsstörung (ICD10-​F43.2) zu klassifizieren ist.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei als Haftpflichtversicherer des Fahrzeuges zur Zahlung von materiellem und immateriellem Schadenersatz verpflichtet.

Angemessen sei ein Schmerzensgeld von (mindestens) 5.000,00 €, darüber hinaus sei ihm (Aufstellung Bl. 6 d. A.) ein materieller Schaden in Höhe von 659,58 € entstanden, darunter ein Verdienstausfallschaden in Höhe von 582,35 € (brutto).

Der Kläger hat beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an ihn

  1.  659,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 09.05.2015 zu zahlen,

  2.  ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, 5.000 € jedoch nicht unterschreiten sollte, sowie diesbezügliche Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 09.05.2015,

  3.  außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 721,68 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise ihn von seinen außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 721,68 € freizustellen.


Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, schon dem Grunde nach komme eine Haftung aus § 7 StVG nicht in Betracht. Jedenfalls fehle es bei der hier gegebenen Konstellation an einem haftungsbegründenden Zurechnungszusammenhang; das Erlebte gehöre zum allgemeinen Berufsrisiko eines Rettungsassistenten.




Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil nebst darin enthaltener Verweisungen Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage nach Beweisaufnahme (Zeugenvernehmung) und Anhörung des Klägers abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die behaupteten psychischen Beeinträchtigungen des Klägers stellten keinen ersatzfähigen Schaden dar, es fehle jedenfalls an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Der behauptete Schaden unterfiele letztlich dem durch das berufliche Einsatzrisiko eines Rettungssanitäters/Rettungsassistenten modifizierten allgemeinen Lebensrisiko. Spezielle Umstände, die ausnahmsweise eine Haftung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor.

Dagegen wendet sich der Kläger unter Weiterverfolgung seiner erstinstanzlichen Anträge.

Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen, während die Beklagte unter Verteidigung des angefochtenen Urteils auf Zurückweisung der Berufung anträgt.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat ergänzend den Kläger persönlich angehört sowie gemäß Beweisbeschluss vom 21.08.2018 (Bl. 245/246 d. A.) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen psychiatrischen Sachverständigengutachtens. Wegen dessen Inhalt wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen H1 vom 25.03.2019 (AT Bd. II).





II.

Die Berufung des Klägers hat teilweisen Erfolg.

Zweitinstanzlich ist aufgrund des vom Senat eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. H1 unstreitig geworden, dass der Kläger infolge der Explosion des Gastanks des bei der Beklagten versicherten Fahrzeuges eine Traumafolgenstörung von Krankheitswert, nämlich eine Anpassungsstörung erlitten hat.

Die Haftung der Beklagten dafür ergibt sich dem Grunde nach aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG.

Die Explosion des Tanks eines Fahrzeuges - egal, ob es sich um einen Gas- oder Benzintank handelt - nach einem Unfall ist dem Betrieb des Kraftfahrzeuges gemäß § 7 Abs. 1 StVG zuzuordnen; § 7 Abs. 1 StVG will alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadenabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH VI ZR 236/18, Urteil vom 26.03.2019 Rn. 8 m.w.N.).

An der "Prägung" des Schadensgeschehens durch das bei der Beklagten versicherte Kraftfahrzeug kann danach ernsthaft kein Zweifel bestehen.

Gemäß § 11 Satz 1 StVG sind geschützte Rechtsgüter u. a. der Körper und die Gesundheit.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung können (auch) durch ein Geschehen ausgelöste psychische Störungen von Krankheitswert eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit darstellen; eine Anpassungsstörung als Reaktion auf eine schwere seelische Belastung, die eine medizinische Behandlungsbedürftigkeit zufolge hat, kann eine psychische Störung von Krankheitswert darstellen (BGH VI ZR 237/17, Urteil vom 17.04.2018, Rn. 10). So verhält es sich hier.

Der Kläger hat eine derartige Anpassungsstörung erlitten, die medizinisch behandelt werden musste, u. a. durch den Dipl.-​Psych. W1. Allerdings ist, was die Explosionsfolgen beim Kläger angeht, zu differenzieren. Zum einen geht es um die beim Kläger selbst unmittelbar durch die Explosion entstandenen (psychischen) Schäden, zum anderen um die nur mittelbaren durch das Miterleben der Folgen der Explosion bei den verletzten Polizisten bzw. den ihm bekannten oder gar befreundeten Feuerwehrleuten.

Hinsichtlich Letzterem hat das Landgericht zu Recht darauf abgestellt, dass es an einem haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang fehlt. Die Schadenersatzpflicht wird nämlich begrenzt durch den Schutzzweck der Norm, eine Schadenersatzpflicht besteht nur, wenn die Folgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Daran fehlt es an der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risiko des Geschädigten zuzurechnen ist (BGH VI ZR 237/17, Urteil vom 17. April 2018, Rn. 13 m.w.N., NJW 2018, 3250).


Zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, die damit dem allgemeinen Lebensrisiko des Klägers unterfallen, gehört es, an Unfallstellen Schwerverletzte versorgen zu müssen. Dabei macht es aus Sicht des Senats keinen Unterschied, ob der Kläger sich bereits vor Ort befand (als die Polizisten und Feuerwehrleute durch die Explosion verletzt wurden) oder ob er erst nach der Explosion vor Ort eintraf. Der Sonderfall, dass durch einen Unfall schwerverletzte oder getötete Familienangehörige oder Ehepartner angetroffen werden, steht hier nicht in Rede; die Bekanntschaft bzw. Freundschaft des Klägers mit einigen der verletzten Feuerwehrleute mag zwar für ihn belastend gewesen sein, ist aber - da auch dies zum berufsspezifisch modifizierten allgemeinen Lebensrisiko eines Rettungsassistenten gehört - rechtlich unerheblich.

Daran ändert sich auch nichts durch die vorgenannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs. In jener Entscheidung ging es um die psychischen Folgen des Einsatzes eines Polizisten bei einem schweren Gewaltverbrechen (Amoklauf); hingegen geht es hier "lediglich" um einen allein der Gefährdungshaftung unterliegenden Vorfall, was mit einem vorsätzlichen schweren Gewaltverbrechen in keiner Weise vergleichbar ist.

Hingegen gehört es ersichtlich nicht zu den berufsspezifischen Risiken eines Rettungsassistenten, an einer Unfallstelle einer Explosion ausgesetzt zu sein. Dies und deren unmittelbare psychische Folgen beim Kläger vermögen sehr wohl Schadenersatzansprüche zu begründen.

Der Kläger hat sowohl erstinstanzlich als auch in seiner Anhörung vor dem Senat anschaulich und nachvollziehbar geschildert, wie er selbst durch die Explosion und den dabei entstandenen Feuerball zu Boden geschleudert wurde. Angesichts der Verhältnisse vor Ort sei ihm aber dann erst später klar geworden, dass er eine Explosion unverletzt überlebt habe; zu Hause sei ihm dann bewusst geworden, dass - wenn er dabei gestorben wäre - seine Familie (plötzlich) allein gewesen wäre.

Solch ein auch unmittelbar auf den Kläger einwirkendes Geschehen unterfällt nicht (mehr) dem durch die berufliche Tätigkeit modifizierten allgemeinen Lebensrisiko eines Rettungsassistenten.

Das dem Kläger danach gemäß § 11 Satz 2 StVG zustehende Schmerzensgeld bemisst der Senat mit 2.500 €. Damit liegt der Senat (zwar) an der unteren Grenze dessen, was gemeinhin für psychische Beeinträchtigungen der vorliegenden Art ausgeurteilt wird. Dies rechtfertigt sich allerdings daraus, dass nach eigenem Vorbringen des Klägers eben nicht nur bestimmend war das eigene Betroffensein durch die Explosion, sondern ebenso die entschädigungslos hinzunehmende mittelbare Betroffenheit durch die Verletzungen ihm bekannter oder befreundeter Personen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte bewertet der Senat diese Faktoren gleichgewichtig, was den Ansatz eines Schmerzensgeldes im unteren Bereich rechtfertigt.



An materiellen Schäden kann der Kläger den nachgewiesenen Verdienstausfall mit 582,35 € sowie die Kosten für die Einholung eines Attestes des Dipl.-​Psych. W1 verlangen.

Kosten für die Akteneinsicht sind ggf. zur Kostenfestsetzung anzumelden; eine allgemeine Kostenpauschale stellt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur dann einen ersatzfähigen Schadenposten dar, wenn es sich um eine reine Verkehrsunfallsache handelt, was hier nicht der Fall ist.

In zuerkannter Höhe ist der Kläger von den vorgerichtlichen Kosten seiner Prozessbevollmächtigten freizuhalten. Allerdings sind auch hier Abstriche zu machen, denn zu den grundsätzlich ersatzfähigen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gehören die Kosten für Ablichtungen aus einer Ermittlungsakte nicht, schon gar nicht für 725 Seiten. Auch diese Position kann allenfalls im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens geltend gemacht werden.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Der Senat sieht keinen Anlass, die Revision zuzulassen. Es handelt sich nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt um eine Einzelfallentscheidung, ohne dass der Senat von obergerichtlicher oder höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht.

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