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Oberlandesgericht Bamberg Beschluss vom 23.05.2017 - 3 Ss OWi 654/17 - Vorliegen eines zeitnahen Entbindungsantrags

OLG Bamberg v. 23.05.2017: Pflicht zur Einholung einer Information über das Vorliegen eines Entbindungsantrags


Das Oberlandesgericht Bamberg (Beschluss vom 23.05.2017 - 3 Ss OWi 654/17) hat entschieden:

   Auch wenn ein Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG erst am Sitzungstag kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht, darf der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid jedenfalls dann nicht ohne vorherige Entscheidung über den Antrag verworfen werden, wenn der Antrag mit 'offenem Visier', also nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht "versteckt" oder "verklausuliert" eingereicht und bei einer Übermittlung per Telefax an den Anschluss der für die betreffende Abteilung des Gerichts und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle übersandt worden ist. Darauf, ob der Entbindungsantrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist, kommt es nicht an (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Oktober 2007, 2 Ss OWi 1409/07, NStZ-RR 2008, 86 = NZV 2008, 259; 27. Januar 2009, 2 Ss OWi 1613/08, NStZ-RR 2009, 149 = ZfSch 2009, 290 = NZV 2009, 355 = OLGSt OWiG § 74 Nr 2 und 29. Dezember 2010, 2 Ss OWi 1939/10, NZV 2011, 409; OLG Naumburg, Beschluss vom 25. August 2015, 2 Ws 163/15 [bei juris]).


Siehe auch
Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen
und
Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:


I.

Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 26.10.2016 wegen unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons gemäß § 23 Abs. 1a StVO (Tatzeit: 12.10.2016) eine Geldbuße in Höhe von 60 Euro fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers mit Urteil vom 24.02.2017 nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, weil der Betroffene - ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein - in der Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei. Mit seiner Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts, insbesondere auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG formgerecht gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

1. Der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör ist dadurch verletzt worden, dass das Amtsgericht den rechtzeitig vor dem auf den 24.02.2017 (Freitag), 11.40 Uhr angesetzten Hauptverhandlungstermin angebrachten, nämlich per Telefax am 24.02.2017 um 09.00 Uhr übermittelten und unter dem 23.03.2017 datierten Entbindungsantrag nicht verbeschieden und den Einspruch des Betroffenen deshalb in Unkenntnis des Antrags auf Entbindung rechtsfehlerhaft ohne Sachprüfung verworfen hat.

a) Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag steht hierbei nicht im Ermessen des Gerichtes, vielmehr ist es verpflichtet, dem Antrag nachzukommen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.




b) Auch dann, wenn der Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG erst am Sitzungstag und nur kurz vor dem anberaumten Termin bei Gericht eingeht, darf der Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid jedenfalls dann nicht ohne eine vorherige Entscheidung über den Antrag verworfen werden, wenn der Antrag - wie hier - mit offenem Visier', also nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht „versteckt" (OLG Hamm, Beschl. v. 19.05.2015 - 5 RBs 59/15 = NStZ-RR 2015, 259 = NZV 2016, 98) oder „verklausuliert" (OLG Rostock, Beschl. v. 15.04.2015 - 21 Ss OWi 45/15 = NJW 2015, 1770 m. zust. Anm. Leitmeier = NStZ-RR 2015, 289 = NZV 2015, 515; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.04.2017 - 2 RBs 49/17 [„Gehörsrügefalle"; bei juris]) eingereicht und bei einer Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des Amtsgerichts und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle und nicht etwa nur an eine zentrale gerichtliche Faxeingangsstelle übersandt worden ist. Einer weiteren Hervorhebung der Eilbedürftigkeit, z.B. eines ausdrücklichen Hinweises auf den bereits am selben Tag anberaumten Hauptverhandlungstermin im Briefkopf, verbunden mit der ausdrücklichen Bitte um sofortige Vorlage‘ an den Referatsrichter, bedurfte es deshalb nicht mehr.

2. Darauf, dass der vom Verteidiger des Betroffenen verfasste Entbindungsantrag hier ausweislich des in den Akten niedergelegten Vermerks dem Vorsitzenden tatsächlich erst am 27.02.2017 (Rosenmontag) vorgelegt wurde, kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr allein, dass nach Aktenlage der Antrag das Amtsgericht am 24.02.2017 um 09:01 Uhr tatsächlich erreicht hatte und deshalb bei gehöriger gerichtsinterner Organisation dem Bußgeldrichter rechtzeitig hätte zugeleitet werden können. Denn vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es die Aufklärungs- bzw. Fürsorgepflicht, dass der Richter sich vor der Verkündung des Verwerfungsurteils bei seiner Geschäftsstelle informiert, ob dort eine Entschuldigungsnachricht des Betroffenen vorliegt, zumal entsprechende schriftliche oder auch telefonische Mitteilungen bzw. Gesuche erfahrungsgemäß nicht selten noch am Terminstag bei Gericht eingehen (st.Rspr., vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2007 - 2 Ss OWi 1409/07 = NStZ- RR 2008, 86 = NZV 2008, 259; 27.01.2009 - 2 Ss OWi 1613/08 = NStZ-RR 2009, 149 = ZfS 2009, 290 = NZV 2009, 355 = OLGSt OWiG § 74 Nr. 2 und 29.12.2010 - 2 Ss OWi 1939/10 = NZV 2011, 409, jeweils m.w.N.; vgl. auch OLG Naumburg, Beschluss v. 25.08.2015 - 2 Ws 163/15 [bei juris] sowie KG, Beschl. v. 10.11.2011 - 2 Ss 286/11 [bei juris] und 28.08.2014 - 122 Ss 132/14 = StraFo 2014, 467 = VRS 127 [2014], 181).



3. Der Betroffene hat in dem Entbindungsantrag seine Fahrereigenschaft eindeutig und unmissverständlich eingeräumt und zugleich erklären lassen, dass er (weitere) Angaben weder zur Sache noch zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen machen werde. Die für einen wirksamen Entbindungsantrag erforderliche Vertretungsvollmacht für den Verteidiger lag vor und wurde überdies zusammen mit dem Antrag nochmals eingereicht. Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung war demnach rechtsfehlerhaft und sperrte1 eine Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist deshalb das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

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