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Amtsgericht Siegen Urteil vom 08.02.2012 - 431 OWi 35 Js 2392/11 - 876/11 - Keine Allgemeine Bauartgenehmigung - ABG - für abgedunkelte Folie auf den Scheiben

AG Siegen v. 08.02.2012: Keine Allgemeine Bauartgenehmigung - ABG - für eine abgedunkelte Folie auf den Seitenscheiben zulässig




Das Amtsgericht Siegen (Urteil vom 08.02.2012 - 431 OWi 35 Js 2392/11 - 876/11) hat entschieden:

Eine Allgemeine Bauartgenehmigung - ABG - für eine abgedunkelte Folie auf den Seitenscheiben eines Fahrzeugs kann nicht wirksam erteilt werden. Soweit § 22a Absatz 1 Nr.3 StVZO eine allgemeine Bauartgenehmigung für Scheiben aus Sicherheitsglas und Folien auf Scheiben (Nachweis eines definierten Bruch- und Festigkeitsverhaltens; definierte lichttechnische Eigenschaften, usw.) fordert, geschieht dies um ein ausreichendes Sichtfeld des Fahrers unter allen Betriebs- und Witterungsbedingungen gemäß § 35b Absatz 2 StVZO sicherzustellen. Dadurch wird aber die Bestimmung des § 40 Absatz 1 StVZO nicht außer Kraft gesetzt, der vorschreibt, dass Scheiben aus Sicherheitsglas und die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind (also die Windschutzscheibe und die vorderen Seitenscheiben) klar, lichtdurchlässig und verzerrungsfrei sein müssen (vgl. Urteil VG Göttingen vom 30.09.2009 – Az. 1 A 322/07 – zitiert nach Juris).

Siehe auch
Heckscheiben-Aufkleber - Folien - retroreflektierende Materialien
und
Betriebserlaubnis / EG-Typgenehmigung - Zwangsstilllegung

Gründe:


I.

Der Betroffene lebt gemessen an der Bußgeldhöhe in geregelten Einkommensverhältnissen.

Ausweislich des erörterten Auszuges aus dem Verkehrszentralregister ist er verkehrsrechtlich wie folgt in Erscheinung getreten:

1. am 31.1.2008 verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeuges, Geldbuße 80 €, rechtskräftig seit dem 5.3.2008,

2. am 28.4.2009 verbotswidriger Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kraftfahrzeuges, Geldbuße 90 €, rechtskräftig seit dem 29.5.2009,

3. Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 29 km/h, Geldbuße 100 €, rechtskräftig seit dem 16.7.2011.




Il.

Am 27.10.2011 um 00:05 Uhr, befuhr der Betroffene mit einem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen ..., in Siegen-... die ...straße und bog auf die ... Str. in Fahrtrichtung Siegen–... ein. Die vorderen Seitenscheiben seines Kraftfahrzeuges waren vollflächig mit einer dunkel getönten Folie beklebt und dadurch abgedunkelt.

Diese Feststellungen stehen zur Überzeugung des Gerichts nach der Einlassung des Betroffenen und den glaubhaften Aussagen der Zeugen A und B fest in deren schriftlichen Vermerk vom 27.10.2011 Blatt 13 der Akte und den von ihnen gefertigten Lichtbildern Blatt 15 bis 17 der Akte, die jeweils auszugsweise verlesenen und gemäß § 77, 78 Abs. 1 S. 1, 2 OWiG und durch Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts und Kenntnisnahme hiervon zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht wurden. Obwohl die Örtlichkeit lediglich durch die Straßenbeleuchtung ausgeleuchtet war, konnten die Zeugen sofort beim Einbiegen des Betroffenen auf die ... Straße auf der sie sich auf Streifenfahrt befanden, erkennen, dass die Seitenscheiben im Gegensatz zur Frontscheibe abgedunkelten waren.




III.

Der Betroffene hat die Anbringung der abgedunkelten Folie eingeräumt und sich durch seinen Verteidiger dahin eingelassen, er habe gedacht, eine Folie, die lediglich leicht abgedunkelt gewesen sei, sei zulässig. Die Straßenverkehrszulassungsordnung verbiete nicht ausdrücklich die Anbringung einer Folie auf den Seitenscheiben, so seien Folien mit einer allgemeinen Bauartgenehmigung zulässig. Er habe diese Folie in einer Fachwerkstatt aufbringen lassen und sie sei bei der letzten Hauptuntersuchung beim TÜV vom Prüfer nicht beanstandet worden.

IV.

Der Betroffene hat gegen das Verbot, ein vorschriftswidriges Kraftfahrzeug zu benutzen, welches nicht den Zulassungsbestimmungen entspricht, verstoßen und sich gemäß § 40 Abs. 1 S. 3, § 69 Abs. 3 Nr. 12 StVO, 24 StVG ordnungswidrig verhalten. Das Fahrzeug des Betroffen erweist sich infolge der Anbringung getönter Folien an den vorderen Seitenscheiben als nicht vorschriftsmäßig i. S. d. Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, denn die Seitenscheiben entsprachen nicht der Anforderung des § 40 Abs. 1 Satz 3 StVZO, wonach sie klar sein müssen.

Der Betroffene beruft sich nur theoretisch darauf, dass für Scheibenfolien eine Allgemeine Bauartgenehmigung erteilt werden könne. Eine konkrete Genehmigung der Bauart gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Prüfung und Genehmigung der Bauart von Fahrzeugteilen sowie deren Kennzeichnung (Fahrzeugteileverordnung - FzTV) für die Bauart eines Typs (Allgemeine Bauartgenehmigung - ABG -) für die aufgeklebte Scheibenfolie hat der Betroffene nicht behauptet. Eine solche Kennzeichnung durch eine AGB-Zulassungsnummer habe die Zeugen auf der auf ihre Anweisung später vom Betroffenen entfernten Folie bei der Kontrolle nicht festgestellt. Davon abgesehen hätte eine AGB-Zulassungsnummer der Folie nichts daran geändert, dass eine abgedunkelte Folie auf den Seitenscheiben nicht aufgebracht werden durfte. Soweit § 22a Absatz 1 Nr.3 StVZO eine allgemeine Bauartgenehmigung für Scheiben aus Sicherheitsglas und Folien auf Scheiben (Nachweis eines definierten Bruch- und Festigkeitsverhaltens; definierte lichttechnische Eigenschaften, usw.) fordert, geschieht dies um ein ausreichendes Sichtfeld des Fahrers unter allen Betriebs- und Witterungsbedingungen gemäß § 35b Absatz 2 StVZO sicherzustellen. Dadurch wird aber die Bestimmung des § 40 Absatz 1 StVZO nicht außer Kraft gesetzt, der vorschreibt, dass Scheiben aus Sicherheitsglas und die für die Sicht des Fahrzeugführers von Bedeutung sind (also die Windschutzscheibe und die vorderen Seitenscheiben) klar, lichtdurchlässig und verzerrungsfrei sein müssen (vgl. Urteil VG Göttingen vom 30.09.2009 – Az. 1 A 322/07 – zitiert nach Juris). Daher würde eine etwaige auf den verwendeten Folien aufgebrachte und zuvor erteilte Allgemeine Bauartgenehmigung nicht die Anbringung der abgedunkelten Folien auf den vorderen Seitenscheiben umfassen, denn bei diesen handelt es sich um Fahrzeugscheiben, die für die Sicht des Fahrzeugführers von besonderer Bedeutung sind. Hierzu gehören neben der Frontscheibe des Fahrzeugs auch die Seitenscheiben, die sich - bezogen auf den Führer eines Kraftfahrzeugs - innerhalb eines 180°-Bereichs befinden und für die Sicht zu den Außenspiegeln des Fahrzeugs freizuhalten sind.

Dem Betroffenen kommt auch nicht zugute, dass die Folien nach seiner Einlassung bei der TÜV-Hauptuntersuchung nicht beanstandet worden seien. Der bloße Umstand, dass die Rechtswidrigkeit der konkreten Verwendung der Folien vom TÜV-Prüfer übersehen worden ist, ersetzt weder eine Allgemeine Bauartgenehmigung noch eine Einzelgenehmigung (vgl. Urteil VG Göttingen vom 30.09.2009 – Az. 1 A 322/07 – zitiert nach Juris). Dass die Folie auf den Seitenscheiben bei der Hauptuntersuchung einer gesonderten Prüfung unterzogen worden wäre, behauptet der Betroffene nicht. Daher vermag die beanstandungsfreie Hauptuntersuchung ebensowenig wie die Anbringung der Folie in einer Fachwerkstatt einen Verbotsirrtum gemäß § 11 Abs. 2 OWiG zu begründen, wie dies auch für vergleichbare Fälle des Anbaus von nicht genehmigten Fahrwerksteilen oder anderen sicherheitsrelevanten Zubehörteilen gilt. Die Beteiligung von Fachleuten bei Veränderungen des Fahrzeuges oder die Hauptuntersuchung ohne konkrete Prüfung der Zulässigkeit der vorhandenen Veränderungen schließt die Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers und –halters aufgrund eines unvermeidbaren Verbotsirrtums ohne dessen eigene hinreichende Prüfung der Zulässigkeit nicht generell aus. Vorliegend hat der Betroffene auch nicht behauptet, sich um eine Einzelgenehmigung hinsichtlich der angebrachten Folie (Bauartgenehmigung im Einzelfall – Einzelgenehmigung) bemüht oder beim Erwerb über das Vorhandensein einer allgemeinen Bauartgenehmigung für die konkrete Verwendung entschuldbar getäuscht worden zu sein oder sich getäuscht zu haben, ohne dass es ihm vorzuwerfen wäre.



V.

Ein Verstoß gegen § 40 Abs. 1 Satz 3 StVZO stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 69a Abs. 3 Nr. 12 StVZO dar, die mit Bußgeld geahndet werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 5.3.2009 – 2 Ss OWi 71/09). § 24 Straßenverkehrsgesetz sieht dafür eine Geldbuße bis zu zweitausend Euro vor. Dass der Betroffene die Seitenfenster Ende Oktober um Mitternacht heruntergezogen hatte als er von den Zeugen kontrolliert wurde, vermag für sich alleine ein vorsätzliches Handeln nicht zu begründen. Feststellungen zu dem konkreten Zeitpunkt des Herunterlassens der Seitenscheiben vor dem Herantreten der Zeugen an das Fahrzeug des Betroffenen sind nicht vorhanden und Ermittlungen dazu nicht erfolgversprechend. Das Herunterlassen der Scheiben lässt nicht sicher darauf schließen, dass diese bei der Polizeikontrolle "unsichtbar" gemacht werden sollten. Daher ist von einer fahrlässigen Begehungsweise auszugehen.

Der bundeseinheitliche Tatbestandskataloges sieht für diesen Verstoß keine Regelgeldbuße vor, so dass die Geldbuße dem Bußgeldrahmen des § 24 Abs. 2 StVG von bis zu 2000 €, hier wegen der fahrlässigen Begehungsweise von bis zu 1000 € (§ 17 Abs. 2 OWiG), zu entnehmen ist. Die in vergleichbaren Fällen vom Gericht als angemessen angesehene Geldbuße von 100 € war hier wegen der straßenverkehrsrechtlichen Vorbelastungen des Betroffenen angemessen zu erhöhen. Demnach war gegen den Betroffenen - wie geschehen – eine Geldbuße in Höhe von 175,00 € zu verhängen.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 465 StPO.

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