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Amtsgericht Hannover (Urteil vom 28.04.2021 - 435 C 1339/21 - Kein Ersatz von coronabedingten Desinfektionskosten nach Verkehrsunfall

AG Hannover v. 28.04.2021: Kein Ersatz von coronabedingten Desinfektionskosten nach Verkehrsunfall




Das Amtsgericht Hannover (Urteil vom 28.04.2021 - 435 C 1339/21) hat entschieden:

   In der Reparaturwerkstatt nach einem Unfall angefallene coronabedingte Desinfektionskosten gehören zum allgemeinen Lebensrisiko und sind niciht vom Schädiger zu ersetzen.

Siehe auch
Corona-bedingte Desinfektionskosten
und
Stichwörter zum Thema Reparaturschaden, Reparaturkosten und Werkstatt


Tatbestand:


Die Klägerin begehrt die restliche Regulierung eines Sachschadens aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 30.04.2020, an dem ein Fahrzeug der Klägerin, dessen Halterin sie ist, beteiligt war sowie ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug, dessen Fahrer den Verkehrsunfall schuldhaft verursachte.

Die Klägerin gab in der Folge ein Sachverständigengutachten zur Schadenshöhe in Auftrag, das unfallbedingte Reparaturkosten in Höhe von 3011,06 EUR auswies. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das in Ablichtung als Anlage K1 zur Akte gereichte Sachverständigengutachten vom 08.05.2020 verwiesen. Die Klägerin beauftragte sodann eine Werkstatt mit der Durchführung der Reparatur nach Maßgabe des Sachverständigengutachtens. Die von der Klägerin vorgelegte Rechnung weist einen Betrag von 3059,91 EUR aus und enthält – ähnlich wie bereits das Sachverständigengutachten – eine Position "Corona Schutzmaßnahmen […]" und "CORONA (SCHUTZM)". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die in Ablichtung als Anlage K2 zur Akte gereichte Rechnung vom 14.05.2020 verwiesen. Mit Schreiben vom 08.09.2020 teilte die Beklagte mit, dass sie den Schaden reguliere, den Zahlungsbetrag indes um 53,55 EUR für Desinfektionsmaßnahmen kürze.

Die Klägerin hält die im Sachverständigengutachten und der Reparaturrechnung ausgewiesenen Kostenpositionen nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen vollumfänglich für erstattungsfähig.

Die Klägerin beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 52,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die streitgegenständlichen Rechnungspositionen als Allgemeinkosten nicht für unfallkausal und damit nicht für erstattungsfähig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.





Entscheidungsgründe:


Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

I.

Die Klägerin kann die geltend gemachte Summe von weitere

n 52,50 EUR für die Rechnungspositionen "Corona Schutzmaßnahmen […]" und "CORONA (SCHUTZM)" unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersetzt verlangen. Ein entsprechender Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

1. Der Geschädigte hat gemäß § 249 Abs. 2 BGB grundsätzlich Anspruch auf die Kosten, die "vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen". Die Erforderlichkeit wird dabei aus einer subjektbezogenen ex- ante- Betrachtung bestimmt. So können auch Maßnahmen als erforderlich angesehen werden, die sich objektiv und ex post betrachtet als nicht erforderlich herausstellen. Der Schädiger trägt das Werkstatt- und Prognoserisiko. So kann er beispielsweise auch mit dem Mehraufwand belastet werden, den die von dem Geschädigten beauftragte Werkstatt ohne sein Verschulden infolge unwirtschaftlicher und unsachgemäßer Maßnahmen verursacht oder in Rechnung gestellt hat, obwohl die zugehörigen Arbeiten nicht oder nicht in dieser Weise ausgeführt wurden. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, wenn dem Geschädigten insoweit ein (Auswahl- ) Verschulden zur Last fällt (vgl. BGHZ 63, 182, 185 f.).

2. Nach Maßgabe dessen handelt es sich bei den streitgegenständlichen Rechnungspositionen nicht um im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB ersatzfähige Schadenspositionen (a)). An dieser Auffassung hält das Gericht auch unter Berücksichtigung des weiteren klägerischen Vorbringens fest (b)).

a) Abgesehen davon, dass nicht näher dargetan ist, welche konkreten Maßnahmen unter diese Positionen fallen, handelt es sich bei allen ernsthaft in Betracht kommenden Maßnahmen doch im Grundsatz um solche (Mehr- )Kosten verursachenden Maßnahmen, deren Kosten von der jeweiligen Werkstatt zu tragen sind. Denn in erster Linie dürften Maßnahmen des Arbeitsschutzes in Rede stehen, die den Allgemeinkosten zuzurechnen sind (vgl. AG Wolfratshausen, Urteil vom 15.12.2020 – 1 C 687/20, BeckRS 2020, 36873 hinsichtlich entsprechender Maßnahmen bei Übernahme des Fahrzeugs durch die Werkstatt). Solche Maßnahmen lassen sich nicht als gesonderte Einzelposition in Rechnung stellen; sie sind in die übrigen Kostenpositionen eingepreist. Selbst wenn die Kosten für die Schutzmaßnahmen als gesonderte Kostenkategorie ansetzbar wären, weil die Maßnahme nicht nur dem Schutz der Werkstattmitarbeiter, sondern jedenfalls auch dem Schutz des Werkstattkunden dienen soll, handelte es sich um eine typischerweise zu Lasten des Werkstattbetreibers gehende Leistungserschwerung (so auch AG Pforzheim, Urteil vom 17.11.2020 – 4 C 208/20; vgl. auch AG Saarbrücken, Urteil vom 25.09.2020 – 120 C 279/20; jeweils zitiert nach Juris).

Schließlich sind die streitgegenständlichen Maßnahmen dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen und damit nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Maßnahmen aus einem spezifischen Grund vorgenommen worden wären, sondern einzig aufgrund allgemeiner Vorsicht. So wäre es ähnlich fernliegend, während der Grippesaison eine besondere Reinigung zu berechnen, denn derart allgemein verbreitete Krankheiten ohne konkreten Bezug zu dem konkreten Geschehen sind der privaten Sphäre der Beteiligten zuzurechnen und können billigerweise nicht auf den Schädiger abgewälzt werden (vgl. AG Münster, Urteil vom 11.09.2020 – 28 C 1823/20, zitiert nach Juris).


Es entspricht im Übrigen – abgesehen von dem streitgegenständlichen Fall ähnlich gelagerten Fallgestaltungen im Bereich der Regulierung versicherter Schadensereignisse – auch nicht der überwiegenden unternehmerischen Praxis etwa im Bereich des Einzelhandels, dort praktizierte und unter Umstände gesetzlich oder untergesetzliche vorgeschriebene Schutzmaßnahmen anlässlich der Covid- 19- Pandemie dem jeweiligen Kunden gesondert in Rechnung zu stellen. Soweit im Bereich der Abrechnung ärztlicher Leistungen bei der Behandlung von Privatpatienten aufgrund einer Einigung der Bundesärztekammer, des PKV- Verbandes und der Träger der Kosten in Krankheits- , Pflege- und Geburtsfällen nach den beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder ein Rechnungsaufschlag für besondere Hygienemaßnahmen im Rahmen der Covid- 19- Pandemie analog Nr. 245 GOÄ von in der Regel 14,75 EUR erhoben wird, ist dies nicht verallgemeinerungsfähig, da es insoweit nicht um eine freie Preisbildung am Markt geht, sondern eine vereinbarte Ergänzung einer ohnehin durch Spezialvorschriften und damit vom freien Spiel von Angebot und Nachfrage entkoppelten Vergütung in Rede steht (so bereits AG Hannover, Urteil vom 13.01.2021 – 541 C 8922/20 sowie Urteil vom 10.02.2021 – 431 C 95757/20).

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum sog. Werkstattrisiko (vgl. BGHZ 63, 182, 185 f.) ergibt sich nichts anderes. Danach muss der Schädiger – wie ausgeführt – zwar auch für die Kosten solcher unsachgemäßen oder unwirtschaftlichen Maßnahmen aufkommen, die die Werkstatt ohne eigenes Verschulden des Geschädigten vornimmt oder in Rechnung stellt, obwohl sie nicht oder nicht so erbracht wurden. Hier geht es indes nicht um die Frage, ob die Schutzmaßnahmen sachgemäß oder wirtschaftlich waren, sondern darum, ob sie aus Rechtsgründen stets von der Werkstatt zu tragen sind. Letzteres ist hier nach dem soeben Ausgeführten der Fall (vgl. dazu AG Pforzheim, Urteil vom 17.11.2020 – 4 C 208/20, zitiert nach Juris, mit dem anschaulichen Beispiel der – unzulässigen – Umlegung der Kosten für die Anschaffung einer Kaffeemaschine nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos auf den Schädiger; so auch AG Hannover, Urteil vom 13.01.2021 – 541 C 8922/20 sowie Urteil vom 10.02.2021 – 431 C 95757/20).

b) Soweit die Klägerin darauf abhebt, dass es der betriebswirtschaftlichen Autonomie eines Werkstattbetreibers obliege, einen abgrenzbaren Kostenaufwand dort in Rechnung zu stellen, wo er jeweils angefallen sei, oder die entsprechenden Kosten auf alle Kunden umzulegen, mag dies sein, verfängt aber in der Sache nicht. Denn die Frage der Reichweite der Autonomie ist nicht notwendig gleich zu beantworten wie die Frage nach der Ersatzfähigkeit einer Schadensposition. Es mag sein, dass der Ersatzfähigkeit der hier streitgegenständlichen Schadenspositionen zu bejahen wäre, wenn sie in die Allgemeinkosten eingepreist wären. Dies ist beim streitgegenständlichen Sachverhalt indes nicht der Fall.



III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, § 711 S. 1, 2, § 709 S. 2 ZPO.

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO. Die hier streitige Rechtsfrage wird von einer Vielzahl von Gerichten unterschiedlich bewertet (vgl. für eine Erstattungsfähigkeit ähnlicher, Covid- 19- Schutzmaßnahmen betreffender Rechnungspositionen etwa: AG Heinsberg, Urteil vom 04.09.2020 – 18 C 161/20, AG Aichach, Urteil vom 29.09.2020 – 101 C 560/20, Amtsgericht Kempten (Allgäu), Urteil vom 14.10.2020 – 6 C 844/20, AG Bad Neuenahr- Ahrweiler, Urteil vom 29.10.2020 – 31 C 349/20, AG Landsberg am Lech, Urteil vom 15.10.2020 – 1 C 468/20, AG Coburg, Urteil vom 26.10.2020 – 14 C 2259/20, AG München, Urteil vom 18.12.2020 – 344 C 16729/20; dagegen etwa LG Stuttgart, Urteil vom 27.11.2020 – 19 O 145/20; AG Münster, Urteil vom 11.09.2020 – 28 C 1823/20; AG Pforzheim, Urteil vom 17.11.2020 – 4 C 208/20; vgl. ferner AG Saarbrücken, Urteil vom 25.09.2020 – 120 C 279/20; wie hier AG Hannover, Urteil vom 13.01.2021 – 541 C 8922/20 sowie Urteil vom 10.02.2021 – 431 C 95757/20).

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