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Verwaltungsgericht Freiburg Urteil vom 29.10.2015 - 6 K 2929/14 - Zur Schutzhelmtragepflicht für ein Mitglied der Religionsgemeinschaft der Sikhs

VG Freiburg v. 29.10.2015: Zur Schutzhelmtragepflicht für ein Mitglied der Religionsgemeinschaft der Sikhs




Das Verwaltungsgericht Freiburg (Urteil vom 29.10.2015 - 6 K 2929/14) hat entschieden:

   Ein Mitglied der Religionsgemeinschaft der Sikhs hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, wegen des religiösen Gebots, den Kopf mit einem Turban zu bedecken, von der Einhaltung der Schutzhelmtragepflicht gemäß § 21a Abs. 2 StVO ausgenommen zu werden.

Siehe auch
Schutzhelm für Motorradfahrer
und
Gesichtsschleier - Niqabs - Burka - Verhüllungsverbot


Tatbestand:


Der Kläger begehrt eine Ausnahme von der Helmpflicht beim Führen eines Kraftrades.

Der Kläger gehört seit dem Jahre 2005 der Sikh-Religion an. Am 18.07.2013 beantragte er bei der Beklagten eine Ausnahme von der Pflicht, beim Motorradfahren einen Schutzhelm zu tragen. Hierzu gab er religiöse Gründe an, da er als Sikh Träger eines Turbans sei.

Mit Bescheid vom 27.08.2013 lehnt die Beklagte den Antrag ab und begründete dies damit, gemäß Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO könnten Ausnahmen von der Helmtragepflicht nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Religiöse Motive seien unzureichend. Die Schutzhelmtragepflicht bezwecke den Schutz vor schweren Körperverletzungen bei Stürzen vom Motorrad. Sie stelle keinen unzulässigen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit oder freie Religionsausübung dar. Sie sei auch verhältnismäßig, da allgemein anerkannt sei, dass ein Schutzhelm geeignet sei, Kopfverletzungen zu vermeiden bzw. deren Schwere zu vermindern.

Der Kläger erhob am 06.09.2013 Widerspruch und wies darauf hin, eine Ausnahme von der Helmpflicht aus religiösen Gründen sei nicht nur möglich, sondern schon mehrfach ausgesprochen worden. Er wies hierzu auf einen Fall aus B. hin.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2014, zugestellt am 03.11.2014, wies das Regierungspräsidium Freiburg den Widerspruch zurück und führte hierzu aus: Gemäß § 46 Abs. 2 StVO könne die zuständige Behörde von allen Vorschriften der Verordnung Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle genehmigen und habe hierbei nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Nach der Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO sei die Erteilung einer Ausnahme nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt. Die Ausnahmegenehmigung setze Gründe voraus, die das öffentliche Interesse am Verbot überwögen. Das Schutzgut der Vorschrift dürfe nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Ausdrücklich vorgesehen sei eine Ausnahme aus gesundheitlichen Gründen. Eine Einschränkung von Grundrechten des Klägers sei möglich, da sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhe, dem öffentlichen Interesse diene, die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei und der Kerngehalt des Grundrechts nicht verletzt werde. Insoweit werde auf die Entscheidung der Beklagten verwiesen. Soweit der Kläger sich auf einen anderen Fall berufe, sei unklar, ob dieser vergleichbar sei. Selbst wenn dies so sein sollte, könne er hieraus jedoch keinen Anspruch herleiten, da die Ausnahmeerteilung aus Sicht der Widerspruchsbehörde rechtsfehlerhaft erfolgt sei.

Der Kläger hat am 03.12.2013 Klage erhoben und trägt vor: Die Sikh-Religion kenne keine Gebots- oder Verbotsregeln. Sie entspringe einer reflexiven Lebensweise. Ein Bestandteil dieses Glaubens sei es, sich seine Haare zu bewahren, dabei würden diese niemals geschnitten und unter einem Turban zusammengehalten. Dieser werde allenfalls zum Schlafengehen abgenommen, gegebenenfalls würden die Haare dann durch ein Tuch bedeckt. Durch das Tragen des Turbans fühle er sich beim Führen seines Motorrades besser geschützt als durch jeden Helm. Den Turban dürfe er in der Öffentlichkeit nicht abnehmen, da er ansonsten seiner Religion abtrünnig werden würde. Selbst für einen Schutzhelm dürfe er nach seiner religiösen Überzeugung den Turban nicht abnehmen. Durch die Helmpflicht werde in seine Religionsfreiheit eingegriffen und diese verletzt. Entgegen behördlicher Ansicht könne der Eingriff, da es sich um ein vorbehaltsloses Grundrecht handle, nicht allein durch ein Gesetz, sondern nur durch kollidierende Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte im Wege praktischer Konkordanz begrenzt werden. Werde er entweder zum Verzicht auf das Fahren eines Motorrades oder auf das Tragen eines Turbans gezwungen, weil den Interessen an der Vermeidung schwerer Verletzungen sowie dem Sozialstaatsprinzip (Belastung der Solidargemeinschaft der Mitglieder der Sozialversicherung durch Unfallkosten) Vorrang gegeben werde, finde keine Herstellung einer praktischen Konkordanz statt. Gerade weil die Ausnahmegenehmigung jedoch aus gesundheitlichen bzw. medizinischen Gründen erteilt werden könne, müsse dies zwingend erst recht für religiöse Gründe gelten. Realistisch prognostiziert werde eine solche Ausnahmegenehmigung von der Helmpflicht auch nicht häufig beantragt werden, da es sich auch tatsächlich um einen Ausnahmefall handele.




Der Kläger beantragt sinngemäß,

   die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 27.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 24.10.2014 zu verpflichten, ihm die beantragte Ausnahme von der Pflicht zum Tragen eines geeigneten Schutzhelms beim Führen eines Kraftrades oder der Mitfahrt auf diesem zu genehmigen.

Die Beklagte beantragt,

   Klageabweisung.

Sie entgegnet: Die Schutzhelmpflicht, die der hohen Gefahr schwerer Verletzungen bei Stürzen vom Motorrad vorbeugen solle, sei vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform bestätigt worden. Eine entsprechende Eignung komme dem Turban nicht zu. Religiöse Kleidungsvorschriften entbänden nicht von der Helmtragepflicht. Auch wenn es sich beim Verbot des Kraftradfahrens mit Turban statt Helm um einen Eingriff in die Religionsfreiheit handle, sei dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt und die Ausnahmegenehmigung zu versagen gewesen. Die Religionsfreiheit sei durch kollidierendes Verfassungsrecht derart beschränkbar, dass ein Ausgleich mit kollidierenden Verfassungsgütern herzustellen sei. Das Recht des Klägers auf Leben und körperliche Unversehrtheit sei vorrangig. Der Eingriff sei auch verhältnismäßig, da ein Kraftradfahrer, der ohne Schutzhelm fahre und beim Unfall eine schwere Kopfverletzung davontrage, keineswegs nur sich selbst schade. Es liege auf der Hand, dass in vielen Fällen weiterer Schaden abgewendet werden könne, wenn ein Unfallbeteiligter bei Bewusstsein bleibe. Ferner hätten Unfälle mit schweren Kopfverletzungen weitreichende Folgen für die Allgemeinheit in Gestalt des Einsatzes der Rettungsdienste, ärztlicher Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen sowie der Versorgung von Invaliden. Die Versagung der Ausnahmegenehmigung sei mithin geeignet, erforderlich und angemessen, um Gefahren für Leib und Leben des Klägers zu vermindern sowie Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Akteninhalt (jeweils ein Heft der Beklagten und des RP Freiburg) verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.





Entscheidungsgründe:


Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der Kläger kann sein Begehren, Motorrad mit einem Turban statt einem Schutzhelm zu fahren, nicht schon ohne behördliche Gestattung verwirklichen (dazu unter I.). Die Versagung der deshalb von ihm beantragten Ausnahmegenehmigung ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO (dazu unter II.).

I.

Dem Begehren des Klägers stehen Straßenverkehrsvorschriften entgegen. Gemäß § 21a Abs. 2 StVO muss, wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, während der Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen. Dies gilt nicht, wenn vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sind. Gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 20a StVO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über das Tragen von Schutzhelmen nach § 21a Absatz 2 Satz 1 StVO verstößt.

1.) Bedenken an der Wirksamkeit der generell-abstrakten Regelung einer Schutzhelmtragepflicht bestehen nicht. § 21a StVO findet als Rechtsverordnung seine (gemäß Art. 80 GG erforderliche) Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 3 StVG („die sonstigen zur Erhaltung der Sicherheit und Ordnung auf den öffentlichen Straßen … erforderlichen Maßnahmen über den Straßenverkehr“).

a.) Soweit diese Bestimmung einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, ist dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht (Beschl. v. 26.01.1982 - 1 BvR 1295/80 -, juris) hat im Zusammenhang mit der Verfassungsgemäßheit der Ordnungswidrigkeitsvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 20a StVO festgestellt, dass die Helmpflicht insbesondere dem rechtsstaatlichen Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügt. Es sei allgemein anerkannt, dass ein Schutzhelm geeignet sei, Kopfverletzungen zu vermeiden oder jedenfalls deren Schwere zu vermindern. Dieser besondere Schutz für Kraftradfahrer sei mit keinen nennenswerten Nachteilen verbunden. Ein Kraftradfahrer, der ohne Schutzhelm fahre und deshalb bei einem Unfall eine schwere Kopfverletzung davontrage, schade keineswegs nur sich selbst. Es liege auf der Hand, dass in vielen Fällen weiterer Schaden abgewendet werden könne, wenn ein Unfallbeteiligter bei Bewusstsein bleibe. Wenn die Folgen eines im öffentlichen Straßenverkehr eingegangenen, berechenbaren und hohen Risikos die Allgemeinheit schwer belasteten, sei es für den einzelnen zumutbar, dieses Risiko durch einfache, leicht zu ertragende Maßnahmen zu senken. Dass Unfälle mit schweren Kopfverletzungen weitreichende Folgen für die Allgemeinheit hätten (z.B. durch Einsatz der Rettungsdienste, ärztliche Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen, Versorgung von Invaliden), stehe außer Frage. Durch die Ausnahmemöglichkeit gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO könnten unbillige Härten vermieden werden (BVerfG, a.a.O., Rn. 14 ff.).

b.) Die Schutzhelmpflicht kann ferner einen Eingriff in das (gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG speziellere - vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.1971 – 1 BvR 387/65 –, Rn. 24, juris) Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG darstellen, soweit sie mit dem Tragen einer Kopfbedeckung aus religiösen Gründen kollidiert. Auf der Regelungsebene des Gesetzes ist indessen ein verfassungswidriger Eingriff in dieses Grundrecht (als Ausdruck objektiver Wertordnung) zu verneinen, da aufgrund der in § 46 Abs. 1 und 2 StVO in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller vorgesehenen Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen bereits der Gesetzgeber auf derselben Regelungsebene ein Instrument geschaffen hat, unverhältnismäßige Eingriffe zu vermeiden.

Eines Parlamentsgesetzes bedurfte es für die Anordnung der Helmpflicht nicht. Diese bezweckt nicht gezielt (unmittelbar bzw. normativ) das Verbot, aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung zu tragen. Sie stellt lediglich einen mittelbaren (faktischen) Eingriff in das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG dar, indem sie im Fall der Unvereinbarkeit des gleichzeitigen Tragens von Helm und religiös motivierter Kopfbedeckung den Grundrechtsinhaber zwingt, entweder auf das Motorradfahren zu verzichten oder die Kopfbedeckung zugunsten eines Helms abzunehmen. Auch dies erfordert zwar eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung (vgl. zum sog. „modernen“, faktisch-mittelbaren Eingriffsbegriff: BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 670/91 –, Rn. 70, juris). Angesichts einer allenfalls geringfügigen Eingriffsintensität (dazu unten) sowie des (nur) betroffenen Teilbereichs der Straßenverkehrssicherheit bedurfte es hierfür jedoch keiner Entscheidung des Parlaments. Dies hätte vielmehr einen Lebenssachverhalt vorausgesetzt, in dem miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen, deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind und der ferner Entscheidungen mit einer Tragweite hervorbringt, die aus einem Verfahren hervorgehen müssen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären (BVerfG, Urt. v. 24.09.2003 – 2 BvR 1436/02 –, Rn. 68, juris [Verbot des Kopftuchtragens an öffentlichen Schulen]).

2.) Der Turban des Klägers ist kein im Sinne des § 21a Abs. 2 StVO geeigneter Schutzhelm. Geeignet sind amtlich genehmigte Schutzhelme sowie Kraftradschutzhelme mit ausreichender Schutzwirkung. Amtlich genehmigt sind Schutzhelme, die entsprechend der ECE-Regelung Nr. 22 gebaut, geprüft, genehmigt und mit dem nach dieser Regelung vorgeschriebenen Genehmigungszeichen gekennzeichnet sind. Auch nicht genehmigte Schutzhelme dürfen verwendet werden, soweit sie ausreichende Schutzwirkung aufweisen. Der Helm muss geeignet sein, Kopfverletzungen bei Krad-Unfällen erheblich zu mindern und dementsprechend (mit geschlossenem Kinnriemen) getragen werden. Nicht geeignet sind z.B. Bauarbeiter-, Feuerwehr-, Radfahr- oder Stahlhelme der Bundeswehr (vgl. m.w.N.: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 21a StVO, Rnr. 16; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, StVO § 21a Rn. 5). Der statt eines Helms getragene Turban - eine oder mehrere aus Baumwolle oder Baumwoll-Seide-Mischgewebe bestehende, mehrere Meter lange Stoffbahn(en), die wulstartig um den Kopf geschlungen wird/werden - ist offensichtlich, ohne dass dies eines wissenschaftlichen Nachweises bedürfte, kein geeigneter Schutzhelm. In materiell-physikalischer Hinsicht bestreitet dies letztlich auch der Kläger nicht. Seine Aussage, er fühle sich „durch den Turban besser als durch jeden Helm geschützt“, ist ersichtlich spirituell/religiös gemeint. Ein Tragen des Turbans unter dem Helm scheidet schließlich - das sehen auch die Beteiligten so - wegen fehlenden Platzes aus. Für einen Halbschalenhelm (sog. „Braincap“) gilt dies entsprechend, unabhängig davon, ob es sich bei diesem überhaupt um einen geeigneten Schutzhelm handelt.

3.) Da es dem Kläger ersichtlich darum geht, ein herkömmliches Kraftrad fahren zu können, ist in seinem Fall schließlich auch keine Konfliktlösung in Anwendung der 8. Ausnahmeverordnung zur StVO (vom 20.08.1998, BGBl. S. 1130 - AusnahmeVO StVO) möglich. Nach dieser greift bereits auf Gesetzesebene eine Ausnahme von der Helmpflicht bei Krafträdern ein, wenn diese den Anforderungen der Anlage zur 8. AusnahmeVO StVO entsprechen und wenn die vorhandenen Rückhaltesysteme angelegt sind. Ein herkömmliches Motorrad erfüllt diese Voraussetzungen indessen nicht, da hierfür ein spezielles Rückhaltesystem und eine Rahmenkonstruktion mit Überrollbügel sowie ein Frontcrashelement erforderlich sind (vgl. Begründung zur Verordnung, abgedruckt bei Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 21a StVO Rn. 1h).





II.

Einen Anspruch darauf, von der Einhaltung der Helmtragepflicht ausgenommen zu werden, hat der Kläger nicht.

1.) Anspruchsgrundlage für die bei der Beklagten (zu deren Zuständigkeit und Passivlegitimation vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 StVO i.V.m. § 1 StVOZuG und §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 19 LVG sowie § 47 Abs. 2 Nr. 5 StVO) beantragte Ausnahmegenehmigung ist § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO, der die Straßenverkehrsbehörden ermächtigt, in den unter Nrn. 1 bis 12 abschließend geregelten Sachverhalten Ausnahmegenehmigungen zu erteilen. Hingegen ist nicht - wie vom RP Freiburg angeführt - § 46 Abs. 2 StVO einschlägig, da dieser die Ausnahmegenehmigung von allen Vorschriften der StVO betrifft und hierzu die zuständigen obersten Landesbehörden oder die nach Landesrecht bestimmten Stellen ermächtigt. Da indessen beide Vorschriften Ausnahmen für bestimmte Einzelfälle regeln und diese ins Ermessen der Behörde stellen - mithin wesensgleich sind -, ist die Entscheidungsbegründung mit der unzutreffenden Rechtsgrundlage unschädlich.

2.) Die Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung sind von der Beklagten ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO) verneint worden. Gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen genehmigen (u.a.) von den Vorschriften über das Tragen von Schutzhelmen. Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Das Merkmal der Ausnahmesituation ist nicht als eigenständiges Tatbestandsmerkmal verselbstständigt, sondern Bestandteil der der Behörde obliegenden Ermessensentscheidung. Denn die Feststellung, ob ein besonderer Ausnahmefall vorliegt, setzt den gewichtenden Vergleich der Umstände des konkreten Falles mit dem typischen Regelfall voraus, der dem generellen Verbot zugrunde liegt (vgl. zu § 46 Abs. 2 StVO: BVerwG, Urt. v. 13.03.1997 – 3 C 2/97 –, Rn. 27, juris; vgl. zu § 46 Abs. 1 StVO: OVG NRW, Urt. v. 14.03.2000 – 8 A 5467/98 –, Rn. 12, juris; andere Auffassung zu § 46 Abs. 1 StVO: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.03.1991 – 5 S 1791/90 –, Rn. 8, juris [die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ist nur beim Vorliegen eines besonderen Ausnahmefalls zulässig]).

a.) Die Beklagte hat ihr Ermessen erkannt. Insbesondere ist sie nicht - was sonst ein Ausübungsdefizit dargestellt hätte - davon ausgegangen, Ausnahmegenehmigungen könnten allein aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden, weil nur diese in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur StVO ( vom 26.01.2001 [BAnz. S. 1419, ber. S. 5206], zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 11. 11. 2014 [BAnz AT 17.11.2014 B5]) genannt sind. Zwar klang solches zunächst im Ausgangsbescheid (Seite 1, 2. Absatz) an, wenn dort ausgeführt wurde, „[g]em. § 46 StVO werden Ausnahmegenehmigungen zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms ausschließlich aus gesundheitlichen Gründen erteilt, die Verwaltungsvorschrift zu § 46 StVO enthält auch keine anderen Tatbestände für die Erteilung einer Ausnahme“. Indessen hat die Beklagte in der weiteren Begründung (zu deren Bedeutung für die Ermessensentscheidung und folglich für deren gerichtliche Überprüfung vgl. § 39 Abs. 1 Satz 3 LVwVfG) auch die Frage eines unzulässigen Eingriffs in die freie Religionsausübung erwogen und diese aus Verhältnismäßigkeitsgründen verneint. Der (entsprechend § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) maßgebende Widerspruchsbescheid hat diese Argumentation durch Verweisung auf den Ausgangsbescheid übernommen. Schließlich hat die Beklagte in der Klagebegründung ausführlicher und vertiefend dazu vorgetragen, warum sie aus überwiegenden öffentlichen Interessen eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG im Einzelfall verneint. Da insoweit, wie dargelegt, bereits im Verwaltungsverfahren Ermessenserwägungen angestellt worden waren, handelte es sich dabei um eine zulässige Ergänzung dieser Erwägungen (§ 114 Satz 2 VwGO - vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 14.01.1999 – 6 B 133/98 –, Rn. 10, juris).

b.) Die Beklagte hat schließlich bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, kommt der Abwägung der mit § 21a Abs. 2 StVO verfolgten öffentlichen Interessen mit den privaten, insbesondere grundrechtlich geschützten Belangen des Klägers maßgebliche Bedeutung zu. Die Kammer kann nicht feststellen, dass hierbei die Interessen des Klägers und deren Beeinträchtigung verkannt und das öffentliche Interesse unverhältnismäßig zu Lasten des Klägers durchgesetzt worden wäre. Eine Verletzung seiner subjektiv-öffentlichen Rechte liegt damit nicht vor.


Soweit die bußgeldbewehrte Schutzhelmpflicht einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, ist dieser verfassungsrechtlich gerechtfertigt (s.o. unter I.1.a)).

Auch aus der Religionsfreiheit ergibt sich keine Ermessensgrenze, die hier unzulässig überschritten worden wäre:

Das Tragen eines Sikh-Turbans in der Öffentlichkeit ist vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG umfasst.

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und deshalb den Regeln des Glaubens gemäß einem religiösen Bedeckungsgebot zu genügen, wenn dies hinreichend plausibel begründet wird. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Dies bedeutet nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 – 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10 –, Rn. 83 und 86, juris [Tragen eines islamischen Kopftuchs]).

Auch wenn es, wie der Kläger selbst in der Klagebegründung anführt, in der Sikh-Religion keine ausdrücklichen Gebots- oder Verbotsregeln gibt, so muss der Turban (Punjabi: „Dastar“ bzw. „Dastaar“) gleichwohl als religiöses Bekenntnissymbol der Sikhs angesehen werden. Der Dastar wird jeden Morgen neu gebunden und verdeckt die aus religiösen Gründen ungeschnittenen Haare der Sikhs (Wikipedia [https://de.wikipedia.org/wiki/Dastar]). In der Sikh-Tradition hat der Turban deshalb zusammen mit den ungeschnittenen Haaren eine herausgehobene und einzigartige Bedeutung. Getaufte Sikhs, die dem Khalsa („Gemeinschaft der innerlich Reinen“) angehören, leisten ausgehend von den Idealen der ersten historischen Taufe unter dem 10. Meister Gobind Singh einen Eid darauf, dass sie bis „zum Lebensende ihr Haar bewahren und es sorgsam mit einem Turban schmücken“. Diese Kopfbedeckung komplettiert die Haltung, durch die ungeschnittenen Haare den Respekt für den Schöpfer und seine Schöpfung auszudrücken (Sikh-Forum [www.sikh-religion.de/html/haare-turban033.html]). Ein Sikh, der eins mit seinem Guru sein will, muss wie dieser aussehen und einen Dastar tragen. Der Dastar ist das Geschenk des Gurus an die Gläubigen (Wikipedia [https://en.wikipedia.org/wiki/Dastar] - mit Zitaten aus sikhnet). Wenn der Kläger eine religiöse Motivation für das Tragen seiner Kopfbedeckung geltend macht, kann er sich hierfür nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung an sich auf hinreichend plausible Gründe berufen. Es kommt nicht darauf an, ob dieser Inhalt der Bekleidungsvorschrift im Sikhismus völlig unumstritten ist, solange diese Betrachtung - wovon hier auszugehen ist - verbreitet ist (BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015, a.a.O., Rn. 89). Der Kläger versteht den Turban als äußeres Anzeichen religiöser Identität und bekennt damit seine religiöse Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf (BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015, a.a.O., Rn. 94). Auch die Beklagte hat das nicht grundsätzlich in Abrede gestellt. Gleichwohl erscheint es aber zweifelhaft, ob diese plausiblen Gründe auch das Motorradfahren erfassen. Denn die im Vordergrund stehende Bewahrung der Haare durch Nichtschneiden und Bedecken lässt es nach den vom Kläger selbst angeführten Glaubensregeln zu, den Turban situationsbedingt (z.B. beim Schlafen) durch eine andere Bedeckung zu ersetzen. Ob zudem Respekt für Schöpfer und Schöpfung noch mitschwingt, wo der schmückende Turban den schützenden Motorradhelm verdrängen soll, erscheint der Kammer doch fraglich. Auch Würde und äußere sowie innere Einheit mit dem Guru erscheinen dem Gericht durch einen mit Turban Motorrad fahrenden Sikh nicht recht nachvollziehbar gewahrt, der mit einem solchen Anblick in der Öffentlichkeit wohl eher Unverständnis oder gar Spott auslösen würde. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da eine Grundrechtsverletzung jedenfalls aus den sogleich darzulegenden Gründen ausscheidet.




Die Schutzhelmpflicht stellt keinen Eingriff in die religiöse Bekenntnisfreiheit dar.

Die Beachtung der Helmpflicht führt nämlich nicht dazu, dass der Kläger den Kern des religiösen Gebots aufgeben müsste, das zuallererst und im Wesentlichen darin besteht, die Haare nicht zu schneiden und den Kopf (deshalb) bedeckt zu halten. Die Helmpflicht zwingt nämlich gerade nicht zur Entblößung des Hauptes in der Öffentlichkeit. Eine eventuell erforderliche Bedeckung der Haare unter dem Helm kann mit einem Tuch oder einer Mütze („Sturmhaube“) erfolgen. Ferner bleibt es dem Kläger möglich, beim Benutzen eines Motorrads den Turban jeweils in privaten Räumlichkeiten oder auch an anderen Orten, wo er nicht sein entblößtes Haupt der Öffentlichkeit zeigen muss, gegen Tuch/Haube und Schutzhelm zu tauschen (so auch Schweizerisches Bundesgericht Lausanne, Urt. v. 27.05.1993 – 6 S 699/1992 –, EuGRZ 1993, 595). Eine damit allenfalls bestehende Unbequemlichkeit und Lästigkeit hat der Kläger hinzunehmen.

Selbst ein (allenfalls faktischer - s.o. unter I.1.b.) Eingriff in die Religionsfreiheit des Klägers wäre schließlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

Ein Eingriff wäre nicht schwerwiegend. Das Motorradfahren betrifft, auch jahreszeitlich bedingt, nur einen kleinen Teil des täglichen Lebens des Klägers. Der Kläger ist ferner auf ein Motorrad als Fortbewegungsmittel nicht angewiesen und kann sämtliche anderen Fortbewegungsmittel unter Wahrung seines religiösen Bekenntnisses verwenden. Auch sein Vortrag, er sei bereits seit dem Jahr 2005 Anhänger der Sikh-Religion, während er jedoch die Ausnahmegenehmigung erst im Sommer 2013 begehrte, spricht nicht für einen besonderen Bedarf. Die dem Kläger auferlegte Erschwernis bezöge sich mithin lediglich auf eine einzige Form der motorisierten Fortbewegung im Straßenverkehr, auf die er zudem nicht erkennbar angewiesen ist. Eine wirkliche Belastung des Klägers kann nicht ausgemacht werden. Dies wiederum bedeutete, dass der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur an seinem äußersten Rand berührt würde. Damit aber wäre die Einhaltung der Helmpflicht für den Kläger zumutbar, da öffentliche Belange seinem Anliegen entgegenstehen, die so gewichtig sind, dass sie das nur gering in einem Randbereich betroffene Rechtsgut der Religionsfreiheit überwiegen.


Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantiert die Religionsfreiheit zwar vorbehaltlos, aber nicht schrankenlos. Nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung können auch den Freiheiten des Art. 4 GG durch andere Bestimmungen des Grundgesetzes Grenzen gezogen werden. Solche Grenzen können sich vor allem aus kollidierenden Grundrechten anderer Grundrechtsträger, aber auch aus anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern ergeben. Dabei ist der Konflikt mit den anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (BVerfG, Beschl. v. 02.10.2003 – 1 BvR 536/03 –, Rn. 15, juris; Beschl. v. 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 –, Rn. 51, juris). Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muss in jedem Fall respektiert werden (BVerfG, Beschl. v. 26.05.1970 – 1 BvR 83/69 u.a. -, Rn. 58, juris).

Ausgehend von der Entscheidung des BVerfG vom 26.01.1982 (1 BvR 1295/80 -, a.a.O. - s.o. unter I.1.a.) bezweckt die Schutzhelmtragepflicht sowohl, Kopfverletzungen beim Fahrer/Mitfahrer zu vermeiden oder jedenfalls deren Schwere zu vermindern (Eigenschutz - in diesem Sinne auch BGH, Urt. v. 25.01.1983 – VI ZR 92/81 –, Rn. 14, juris), als auch die Entlastung der Allgemeinheit von schweren Belastungen, die aus Unfällen mit schweren Kopfverletzungen folgen können, z.B. durch Einsatz der Rettungsdienste, ärztliche Versorgung, Rehabilitationsmaßnahmen, Versorgung von Invaliden (in diesem Sinne auch VG Augsburg, Urt. v. 27.06.2000 – Au 3 K 00.466 –, juris). Ein damit eng verknüpftes öffentliches Interesse besteht ferner darin, dass in vielen Fällen nach einem Verkehrsunfall weiterer Schaden für Dritte dadurch abgewendet werden kann, dass ein beteiligter Motorradfahrer dank seines Schutzhelms bei Bewusstsein bleiben und die Unfallstelle räumen, Rettungsdienste alarmieren und sofort Maßnahmen ergreifen kann (VG Berlin, Urt. v. 16.04.2013 – 11 K 298.12 –, Rn. 13, juris). Schließlich ist zu bedenken, dass im Falle eines Verkehrsunfalls mit einem Motorradfahrer, der erlaubterweise keinen Schutzhelm trägt, die Verletzungsfolgen aufgrund des fehlenden Schutzhelmes unter Umständen vom Unfallgegner zu tragen sind. Sofern bei der Prüfung einer Ausnahmegenehmigung von der Helmpflicht allein auf gesundheitliche Belange des betreffenden Motorradfahrers abgestellt würde, würde dies daher finanzielle Interessen anderer Verkehrsteilnehmer und ihrer Versicherer kaum zumutbar beeinträchtigen (VG Berlin, a.a.O.; in diesem Sinne auch kritisch bei einer Ausnahme von der Gurtpflicht: OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.02.2015 – 12 LA 137/14 –, Rn. 7, juris).

Die über den Eigenschutz des Motorradfahrers hinausgehenden Zwecke, umfangreiche materielle Folgen von Motorradunfällen für die Allgemeinheit zu verhindern bzw. zumindest zu begrenzen, sind durch verfassungsimmanente Schranken gedeckt. Dies ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der Sozialversicherung, die vom Gesetzgebungskompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG abgedeckt ist. Aus Kompetenznormen sind aufgrund der darin ausgedrückten grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Anerkennung und Billigkeit des geregelten Gegenstands verfassungsimmanente Schranken zu entnehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 –, Rn. 51, juris [Art. 74 Nr. 11a GG: Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken] sowie insbesondere Urt. v. 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 –, Rn. 17, juris und Urt. v. 24.04.1985 – 2 BvF 2/83 u.a. -, Rn. 43, juris [Art. 12 a, 73 Nr. 1, 87 a und 115 b GG: Wehrverfassung und Kriegsdienstverweigerung]; gegen ein Ausreichen lediglich von Kompetenztiteln hingegen: Bellardita/Neureither, Jus 2005, 1000 [1003]; Frenz, Jus 2009, 493 [495]). Entsprechendes folgt ferner aus Art. 20 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips (hier zustimmend Bellardita/Neureither, a.a.O.). Unter beide Verfassungsgüter lässt sich der mit der Helmpflicht über die Eigensicherung hinaus verfolgte Schutzzweck einordnen und ist damit fähig, zu einer Einschränkung der Religionsfreiheit zu führen.




Erachtet man das Grundrecht der freien Religionsausübung gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 WRV unter den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze gestellt (so BVerwG, Urt. v. 23.11.2000 - 3 C 40/99 -, Rn. 20 ff., juris; Stern/Becker, Grundrechte-Kommentar, 2. Aufl. 2016, Art. 4, Rn. 211/212), so ergibt sich eine Einschränkbarkeit bereits direkt aus § 21a Abs. 2 StVO.

Im Einzelfall wäre diese Einschränkung für den Kläger schließlich auch zumutbar. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz (der hier an die Stelle der üblichen Verhältnismäßigkeitsprüfung tritt - vgl. Voßkuhle, JuS 2007, 429 [430/431]) wurde vorliegend nicht verletzt, indem dem Kläger eine Ausnahme verweigert wurde. Wie oben dargelegt, würde sich - sofern überhaupt ein Eingriff vorliegt - ein solcher Eingriff am äußersten Rand des Schutzbereichs des Grundrechts bewegen. Im Übrigen bliebe hingegen die Religionsfreiheit des Klägers unbeeinträchtigt. Auch bleibt die Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Turban völlig uneingeschränkt beim Fahren mit PKW und LKW sowie öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Anhaltspunkte dafür, der Kläger sei besonders – etwa aus beruflichen oder sonstigen individuellen Gründen – auf ein Motorrad angewiesen, liegen nicht vor. Von einer unzulässigen, weil einseitigen Zurückdrängung der Religionsfreiheit zu Gunsten des öffentlichen Interesses kann somit nicht die Rede sein (a.A. Bellardita/Neureither, a.a.O.).

Eine den Kläger geringer belastende Regelung gibt es nicht. Eine Ausnahmegenehmigung unter Auflagen, die etwa von Fahrleistung und Fahrstrecke sowie benutzter Maschine abhängig gemacht wird, erachtet die Kammer für offensichtlich ungeeignet. Es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine geringe Laufleistung auf einer nicht besonders unfallträchtigen Strecke mit einer leichten Maschine (in diesem Sinne aber etwa VG Augsburg, Urt. v. 27.06.2000, a.a.O.) einen derart geringeren Gefährdungsgrad hätte, dass die oben genannten schwerwiegenden Folgen hinreichend sicher vermieden bzw. zumindest abgemildert werden könnten. Unabhängig davon wäre eine solche Auflage in der Praxis wohl auch nicht einzuhalten bzw. zu überwachen.

Die Versagung der Ausnahmegenehmigung verstößt auch nicht gegen das allgemeine Gleichheitsrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Soweit in L. und H. Angehörige der Sikh-Religion durch Entscheidungen der dortigen Behörden von der Helmpflicht ausgenommen worden sind, betrifft dies die Entscheidungszuständigkeitsbereiche anderer Rechtsträger als der Beklagten. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung steht dem Einzelnen indessen nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret zuständigen Träger öffentlicher Gewalt zu (BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. –, Rn. 151, juris). Ferner ist nicht ersichtlich, dass es sich hierbei um vergleichbare Fälle handelte. Selbst wenn dies anders sein sollte, so wären die Ausnahmegenehmigungen für die jeweiligen Antragsteller nach Auffassung der Kammer rechtswidrig gewesen, so dass sich Kläger hierauf nicht berufen könnte.



Aus Europarecht schließlich ergibt sich auch nichts anderes.

Einen Anspruch auf Gleichbehandlung innerhalb der EU bzw. des Europarates - speziell etwa unter Berufung auf die Rechtslage in Großbritannien, wo die Sikhs von der Helmpflicht befreit sind, gibt es nicht. Für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK ist nichts ersichtlich. Die Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK geht zugunsten des Klägers ebenfalls nicht weiter als das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die EMRK und ihre Zusatzprotokolle stehen in der deutschen Rechtsordnung im Range eines förmlichen Bundesgesetzes. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Garantien des GG, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem GG führt (BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 –, Rn. 30-32, juris). Bereits mit Entscheidung vom 12.07.1978 (Nr. 7992/77 - X. vs. United Kingdom) stellte der damalige (vor Einrichtung des EGMR entscheidungszuständige) Menschenrechtsausschuss vor Einführung der generellen Helmbefreiung für Sikhs in Großbritannien fest, dass die bis dahin geltende Schutzhelmpflicht im überwiegenden öffentlichen Interesse gemäß Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei. Mit Entscheidung vom 13.11.2008 (Nr. 24479/07 - juris) stellte der EGMR ferner fest, dass die Verpflichtung, wonach sich ein praktizierender Sikh auf dem Foto für einen Ersatzführerschein ohne Turban abbilden lassen müsse, für Behörden gerade bei Verkehrskontrollen notwendig sei, um den Fahrer zu identifizieren und seine Fahrerlaubnis zu überprüfen. Derartige Kontrollen aber seien notwendig für die öffentliche Sicherheit im Sinne des Art. 9 Abs. 2 EMRK. In der Entscheidung vom 01.07.2014 (Nr. 43835/11) - S.A.S. gegen Frankreich) stellte der EGMR schließlich fest, dass das Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit („Burka-Verbot“) aus Gründen des Zusammenlebens sowie des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sei. Er ließ insoweit als Rechtfertigung für diesen erheblichen Eingriff in die Religionsfreiheit der davon im gesamten Alltag überall in der Öffentlichkeit betroffenen Trägerin dieses Kleidungsstücks ausreichen, dass ein öffentliches Interesse an offener Kommunikation bestehe, dem eine Verhüllung des Gesichts als Kommunikationshindernis entgegenstehe.

Das in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verankerte Recht auf Religionsfreiheit entspricht dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht (EuGH, Urt. v. 05.09.2012 – C-71/11, C-99/11 –, Rn. 56, juris). Ungeachtet dessen gelangt die GrCh hier mangels Durchführung des Rechts der Union i.S.v. Art. 51 Abs. 1 GRCh nicht zur Anwendung (vgl. dazu etwa EuGH, Urt. v. 26.02.2013, C-617/10 [Akerberg Fransson] -, Rn. 19 ff., juris). § 21a StVO ist keine unionsrechtliche angereicherte Vorschrift (vgl. dazu näher Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O., Vorbemerkungen – StVO Rn. 2).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Anlass, sie für vorläufig vollstreckbar zu erklären, besteht nicht (§167 Abs. 2 VwGO).

Die Kammer lässt die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.

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