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Landgericht Potsdam Urteil vom 05.09.2019 - 12 O 96/18 - Haftung bei verbotswidriger Benutzung des linken Gehwegs durch Fahrradfahrer

LG Potsdam v. 05.09.2019: Haftung bei verbotswidriger Benutzung des linken Gehwegs durch Fahrradfahrer




Das Landgericht Potsdam (Urteil vom 05.09.2019 - 12 O 96/18) hat entschieden:

   Wird durch ein „Ende“-Schild und durch auffällige Änderung der Bepflasterung dem Radfahrer verdeutlicht, dass der auf der linken Seite der Straße zunächst in beiden Richtungen freigegebene Radweg endet und auf die rechte Fahrbahnseite verschwenkt wird, tritt bei einem Zusammenstoß eines von links vorsichtig in den Kreuzungsbereich einfahrenden Pkws mit dem verbotswidrig weiterhin den Gehweg in nunmehr falscher Richtung benutzenden Radfahrer die Betriebsgefahr des Kfz hinter dem schuldhaften Verhalten des Radfahrers vollkommen zurück.

Siehe auch
Radfahrer-Unfälle - Verkehrsunfall mit Fahrradbeteiligung
und
Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer


Tatbestand:


Der Kläger macht Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus einen Verkehrsunfall geltend. Am ..., gegen 18.30 Uhr fuhr der Kläger mit seinem Fahrrad auf dem Güterfelder Damm aus Güterfelde kommend in Richtung Stahnsdorf und zwar auf dem Fahrradweg auf der linken Seite der Fahrbahn, der in diesem Bereich zunächst auch für die Fahrrichtung als Fahrradweg ausgewiesen ist. Die Beklagte zu 2) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten PKW des Beklagten zu 1), Marke Skoda auf der in den Güterfelder Damm einmündenden Starstraße und bremste im Einmündungsbereich, so dass ihr Fahrzeug mit dem vorderen Bereich teilweise den Fahrradweg abdeckte. Für die Beklagte zu 2) galt das Zeichen 205. Der Kläger bremste sein Fahrrad ab, als er das Fahrzeug der Beklagten wahrnahm, wodurch er über den Fahrradlenker auf die Fahrbahn stürzte und sich verletzte. Ca 10 Meter vor Einmündung der Starstraße steht auf dem Fahrradweg links das Verkehrszeichen (Zeichen 240 der Anlage 2 StVO) mit dem Zusatz Ende und der Fahrradweg wird unter Benutzung einer Überquerungshilfe auf die rechte Seite der Fahrbahn geführt.

Der Kläger wurde in durch den herbeigerufenen Rettungsdienst in das Klinikum ... in Berlin verbracht. Dort wurde als Verletzung eine Fraktur Skapula, eine Rippenserienfraktur mit drei Rippen und eine Kinnplatzwunde festgestellt und der Kläger verblieb vom 9.6.2017 bis 15.6.2017 stationär untergebracht.

Der Kläger behauptet, dass die Beklagte zu 2) ohne abzubremsen bis zur Sichtlinie vorgefahren sei, obwohl die Sicht auf dem Güterfelder Damm durch hohe Grundstückshecken an der Ecke sehr eingeschränkt gewesen sei. Der Kläger habe Vorfahrt gehabt und unverzüglich durch eine Vollbremsung reagiert. Ein Mitverschulden des Klägers sei nicht gegeben. Der Kläger sei bis zum 31.7.2017 100 % arbeitsunfähig gewesen und habe Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 8.500,00 €. Die Beklagtenseite habe die unfallbedingte Fahrradreparatur in Höhe von 141,49 € und die Kosten für den eingesetzten Rettungsdienst von 603,88 € neben einem Verdienstausfall für die Zeit vom 9.6.2017 bis zum 31.7.2017 von täglich 1008,24 €, insgesamt von 52.428,48 €, eine Unkostenpauschale von 25,00 € und die vorgerichtlichen Anwaltskosten 1.968,74 € zu Nachdem der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vom 15.1.2019 nicht erschienen war und klageabweisendes Versäumnisurteil erging,




beantragt der Kläger nach Einspruch,

  1.  Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld aber mindestens 8.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.9.2017 zu zahlen.

  2.  Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 53.198,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.9.2017 zu zahlen.

  3.  Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.968,75 ÿ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, dass sich die Beklagte zu 2) wegen der ihr bekannten schlechten Sichtverhältnisse mit weniger als Schrittgeschwindigkeit dem Einmündungsbereich Güterfelder Damm genähert habe. Allein die Stoßstange des Fahrzeuges habe über die erste gestrichelte Linie hinausgeragt. Sie habe in Warteposition gestanden, als nach einigen Momenten es zum Unfall des Klägers gekommen sei, wobei er gegen den vorderen rechten Kotflügel des Fahrzeuges des Beklagten zu 1) stieß.





Entscheidungsgründe:


Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten gemäß §§ 7, 18 StVG, § 115 Abs. 1 S. 4 VVG, §§ 421f BGB kein Zahlungsanspruch dem Grunde nach zu.

Die gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gebotene Abwägung der Verschuldensbeiträge stehen dem geltend gemachten Anspruch entgegen.

Bei einer Kollision zwischen einem Radfahrer und einem Kraftfahrzeug findet gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB eine Abwägung der Verschuldensbeiträge statt (vgl. König, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 33. Auflage, 2017, § 9 StVG, Rdnr. 7). Auf Seiten der Beklagten bestehen über die Betriebsgefahr hinausgehende Umstände nicht.

Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Beklagte zu 1 nicht gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot gemäß § 1 Abs. 2 StVO verstoßen.

Auf Grund der Örtlichkeit sowie unter Berücksichtigung des unstreitigen Vorbringens ist den Beklagten in der konkreten Unfallsituation kein Vorwurf zu machen. Auf der Güterfelder Damm sind auf den von der Beklagten eingereichten Fotos erkennbar Fahrradwege eingezeichnet. Der von dem Kläger benutzte Fahrradweg endete erkennbar vor der Einmündung der Starstraße. Zum einen macht das aufgestellte und gut sichtbare Kennzeichen 240 deutlich, dass der Fahrradweg hier endet. Zum anderen weist die Änderung der Pflasterung des Weges erkennbar darauf hin, dass nach dem Zeichen 240 eine Verschwenkung des Fahrradweges auf die rechte Fahrbahnseite erfolgt. Der Beklagte zu 2 musste daher nicht von links mit querendem Fahrradverkehr im Bereich des Gehweges rechnen. Zwar ist der Beklagte zu 2 beim Annähern an den Kreuzungsbereich zur Vorsicht verpflichtet, da sie entsprechend der täglichen Erfahrungen vorsorglich auch auf solche Verkehrsteilnehmer achten muss, die Gehwege in unzulässiger Weise benutzen (vgl. LG Osnabrück, Urteil vom 30. Mai 2017 - 3 S 118/17 -, juris). Es ist jedoch nicht bewiesen, dass der Unfall auch darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte zu 2 gegen diese Verpflichtung verstoßen hat. Ein Herannahen mit unangemessener Geschwindigkeit, welches ein Fehlverhalten begründen mag, ist der Beklagten nachweisbar nicht anzulasten, denn zur Überzeugung des Gerichts bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Beklagte zu 2 sich nicht, wie der Kläger vorgetragen hat, langsam in den Kreuzungsbereich hineingetastet hat. Ferner war auf Grund des Buschwerks eine uneingeschränkte Sicht auf den Gehweg nicht möglich. Ein nachweisbar vorwerfbares Fehlverhalten des Beklagten zu 2) ist in der konkreten Situation des Einzelfalls nicht feststellbar. Zudem steht das Fahrzeug der Beklagten nur zum Teil auf dem Fahrradweg, so das bei rücksichtsvollen und angepassten Fahrens des Klägers, dieser noch innerhalb der gestrichelten Linie hätte um das Beklagtenfahrzeug gefahrlos hätte herumfahren können, ohne dass er in den entgegenkommenden Straßenverkehr hätte reinfahren müssen.



Dem Kläger ist ein Verstoß gegen § 2 Abs.4 StVO anzulasten. Es ist auf den eingereichten Lichtbildaufnahmen zum einen erkennbar, dass eine Freigabe für den Fahrradverkehr nicht mehr vorliegt. Zum anderen ist auf den Lichtbildaufnahmen deutlich sichtbar, dass durch die aufwändig gestaltete Pflasterung der Fahrradweg den Güterfelder Damm kreuzt und auf der rechten Straßenseite fortgesetzt wird. Dem Kläger muss auch durch das Befahren der geänderten Pflasterung hinreichend bewusst gewesen sein, dass er unbefugter Weise auf dem Gehweg fährt. Es ist ferner davon auszugehen, dass sich der Kläger das erhöhte Risiko seines Verhaltens bewusst gewesen ist, welches auf Grund des Befahrens eines Gehweges und der eingeschränkten Sicht auf die von links kommenden Autofahrer besteht. Insbesondere unter Berücksichtigung, dass der Radweg auf die andere Seite der Straße geführt wird, und diese Wegführung durch die entsprechenden Verkehrszeichen auch deutlich gemacht wird, ist das Verhalten des Klägers, der nicht bremsbereit und nicht mit angepasster Geschwindigkeit gefahren ist, als rücksichtslos und grob fahrlässig einzustufen.

Unter diesen Umständen tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten zu 1 vollständig zurück. Im Gegensatz zur Klägerin bestand für die Beklagten zu2 keine andere Möglichkeit als langsam in den Kreuzungsbereich hineinzufahren. Anzeichen, im Bereich der ersten gestrichelten Linie mit querendem Fahrradverkehr zu rechnen, bestanden nicht

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

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