Das Verkehrslexikon
Landgericht Berlin Beschluss vom 29.06.2020 - 43 T 5/20 - Kostenentscheidung bei Erledigung er Hauptsache im Verkehrsunfallprozess
Erledigungserklärung und Kostenentscheidung
und
Stichwörter zum Thema Verfahrenskosten / Prozesskosten
Gründe:
I.
Der Kläger hat von der Beklagten restlichen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 08. Oktober 2018 begehrt. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig.
Die ermittelten Reparaturkosten überstiegen den Wiederbeschaffungsaufwand, nicht jedoch den Wiederbeschaffungswert. Mit anwaltlichen Schreiben vom 27. November 2018 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass das Fahrzeug repariert werden soll. Die Beklagte zahlte zunächst entsprechend ihrem Schreiben vom 04. Januar 2019 neben weiterer Schadenspositionen den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Mit anwaltlichen Schreiben vom 21. Januar 2019 teilte der Kläger mit, dass er eine fiktive Abrechnung wünsche. Mit Schreiben vom 05. März 2019 wies die Beklagte auf das 4-Stufen-Modell des BGH hin und führte aus, dass dieser Nachweis nach dem 4-Stufen-Modell des BGH noch nicht erbracht sei.
Der Kläger hat dies nicht akzeptieren wollen und am 24. September 2019 Klage, die am 27. November 2019 zugestellt worden ist, eingereicht, mit der er die Differenz in Höhe von 3.796,43 € geltend macht.
Die Beklagte hat unter dem 02. Januar 2020 auch den Differenzbetrag zum Fahrzeugschaden inklusive der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren gezahlt, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 die Reparatur des Fahrzeugs nachgewiesen hat.
Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 28. April 2020 die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten gemäß § 91a Abs. 1 ZPO auferlegt. Diese wäre ohne den Eintritt des erledigenden Ereignisses in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen. Durch die Zahlung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass die Forderung der Klägerseite berechtigt sei. Die Beklagte sei zudem bei Klageerhebung in Verzug gewesen. Durch den Klageabweisungsantrag habe die Beklagte zudem zum Ausdruck gebracht, dass durch die anschließend erfolgte Zahlung kein "sofortiges Anerkenntnis" im Sinne des § 93 ZPO erfolge.
Gegen die ihr am 04. Mai 2020 zugestellten Beschluss hat die Beklagte am 18. Mai 2020 sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit sinngemäß begründet, dass die Klage ohne die Vorlage der Reparaturnachweise hätte abgewiesen werden müssen. Dem Geschädigten obliege die Darlegungs- und Beweislast für den Schaden.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 25. Mai 2020 nicht abgeholfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gesamten Beschlüsse des Amtsgerichts verwiesen.
II.
Die gemäß §§ 91a Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist auch begründet.
1. Gemäß § 91a Abs. 1 ZPO sind dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen aufzuerlegen, weil die Klage erst kurz vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses genügende Erfolgsaussichten gehabt hätte und die Beklagte dem durch die zweite Zahlung in Höhe von 4,202,37 € Rechnung getragen hat.
a) Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Urteil vom 29. April 2003 - VI ZR 393/02 -, NJW 2003, 2085 ist zunächst geklärt, dass der Geschädigte bei Abrechnung auf Reparaturkostenbasis, wenn die Reparaturkosten zwischen dem Wiederbeschaffungsaufwand und dem Wiederbeschaffungswert liegen, die Reparaturkosten nur dann ersetzt verlangen kann, wenn er das Fahrzeug tatsächlich verkehrssicher reparieren lässt und mindestens sechs Monate weiter nutzt.
Die Klage wäre jedoch vorliegend nicht schon deshalb unbegründet gewesen, weil es an der Fälligkeit (bzw. richtigerweise den Voraussetzungen) des Anspruchs gefehlt hätte. Auch wenn im Ergebnis der Anspruch die Weiterbenutzung von sechs Monaten und die Versetzung des Fahrzeugs in einen verkehrssicheren Zustand erfordert, handelt es sich dem systematischen Ansatz nach um die verfahrensrechtliche Frage des Nachweises des bestehenden Integritätsinteresses. Es ist zwischen der materiellen Rechtslage (Bestehen und Fälligkeit) und der prozessualen Verfahrenslage (Nachweisbarkeit) zu unterscheiden. Aus dem Umstand, dass der Nachweis für das (frühere) Entstehen eines Anspruchs erst später gelingen kann, ergibt sich nichts zu materiell-rechtlichen Beurteilung der Fälligkeit und des Grundes des Anspruchs. Der Geschädigte ist mit dem Entstehen der Kosten berechtigt, den Schadensersatz zu verlangen. Er vermag seinen fälligen Anspruch im Prozess mangels Nachweis vor Ablauf von sechs Monaten jedoch im Regel nicht durchsetzen (vgl. dazu KG, Beschluss vom 16. Oktober 2008 - 22 W 64/08 - juris Rn. 15).
Es kann offen bleiben, ob bereits das Fehlen der Fälligkeit des Anspruchs der Begründetheit der Klage entgegen gestanden hätte. Denn vorliegend hätte der bisherigen Sach- und Streitstand die Annahme der Begründetheit der Klage bis zum Vorliegen der Nachweise nicht gerechtfertigt. Die nur kurze Zeit bestehende Erfolgsaussicht bis zur Erledigung durch Zahlung rechtfertigt aber nicht die Kostenlast der Beklagten. Denn im Rahmen der Billigkeit ist § 93 ZPO entsprechend heranzuziehen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 33. Auflage 2020, § 91a Rn. 24f.). Maßgeblich ist insoweit, ob die Beklagte dem Kläger Veranlassung zur Klage gegeben hat oder der Kläger mutwillig Klage erhoben hat (vgl. Zöller-Vollkommer a.a.O, Rn. 25). Veranlassung zur Klageerhebung hat die Beklagte gegeben, wenn ihr Verhalten vor Prozessbeginn ohne Rücksicht auf Verschulden und materielle Rechtslage gegenüber dem Kläger so war, dass dieser annehmen musste, er werde ohne die Klage nicht zu seinem Recht kommen (vgl. Zöller-Vollkommer, a.a.O, § 91 a Rn. 25 sowie Zöller-Hegert, a.a.O, § 93 Rn. 2). Die Beklagte hat vorliegend keine Veranlassung zur Klage gegeben. Denn die Beklagte hat vorprozessual mit Schreiben vom 05. März 2019 darauf hingewiesen, dass die Nachweise zur fiktiven Abrechnung nicht erbracht seien. Die Zahlung ist vorliegend am 02. Januar 2020 veranlasst worden, nachdem die Nachweise ausweislich der Akte mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2019 der Beklagten am selben Tag vorlagen. Eine Rechtfertigung für eine Klageerhebung bot sich demgemäß auch später nicht mehr.
Die Kostenverteilung entspricht auch im Übrigen billigem Ermessen. Denn es ist einem Schuldner nicht zumutbar, einen nicht nachgewiesenen Schaden zu einem Zeitpunkt zu erstatten, zu dem ein Prozess für den Anspruchsteller ersichtlich erfolglos bleiben muss und noch nicht nachgewiesen werden kann, ob der Anspruch in diesem Umfang überhaupt besteht. Andernfalls liefe es bei unberechtigten Ansprüchen auf eine zwangsweise Verpflichtung des Schädigers zur Kreditgewährung hinaus.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
3. Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, da es an den hierfür erforderlichen Voraussetzungen fehlt (§ 574 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO).
III.
Der Wert des Beschwerdegegenstands war nach den Kosten erster Instanz zu bemessen.
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