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Amtsgericht Rheine Urteil vom 04.02.2021 - 14 C 122/20 - Alleinhaftung des Türöffners bei Kollision mit einem Einparkenden auf dem öffentlichen Parkplatz eines Supermarktes

AG Rheine v. 04.02.2021: Alleinhaftung des Türöffners bei Kollision mit einem Einparkenden auf dem öffentlichen Parkplatz eines Supermarktes




Das Amtsgericht Rheine (Urteil vom 04.02.2021 - 14 C 122/20) hat entschieden:

   Wird im Zusammenhang mit dem fließenden Verkehr beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Anscheinsbeweis für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 14 StVO ist analog bzw. im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebotes auch auf öffentlichen Parkplätzen zu beachten, so dass der Fahrer seine Tür nur öffnen darf, wenn er sicher sein kann, dass andere von hinten nahende Fahrzeuge nicht gefährdet werden. Kommt es zu einer Kollision, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der die Türöffnende den Unfall alleine verursacht hat.

Siehe auch
Türöffnen und Einparken
und
Parkplatz-Unfälle (Parkplatz, Parkhaus, Tiefgarage, Doppelparker, Duplex-Parkplatz)

Tatbestand:


Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadenersatz wegen eines Unfalls vom ...2019 auf dem Parkplatz eines Supermarktes in Anspruch.

Die Beklagte zu 2) stieß beim Einfahren auf einen 90° rechtswinklig angeordneten Parkplatz gegen die ca. 30 cm weit geöffnete Tür des klägerischen Fahrzeugs.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte zu 2) habe den Unfall überwiegend verursacht, so dass sie 75 % des Schadens zu tragen habe. Er sei lediglich bereit, eine Mithaftung von 25 % unter dem Gesichtspunkt der eigenen Betriebsgefahr zu akzeptieren. Denn er habe sich verkehrsgerecht verhalten. Bevor er die Tür geöffnet habe, habe er sich vergewissert, dass sich neben ihm kein anderes Fahrzeug befinde. Zum Zeitpunkt der Kollision sei die Tür nur einen Spalt von ca. 30 cm geöffnet gewesen.

Demgegenüber sei der Beklagten zu 2) vorzuwerfen, dass sie gegen seine geöffnete Tür mit erheblicher Geschwindigkeit gefahren sei. Außerdem sei sie nur mit einem Seitenabstand von ca. 30 cm an sein Fahrzeug herangefahren, obwohl links von ihm weitere Parkbuchten unbesetzt gewesen seien. Da er in seinem Fahrzeug sitzend erkennbar gewesen sei, hätte die Beklagte aufgrund der gebotenen Sorgfalt beim Einparken einen größeren Seitenabstand einhalten müssen. Ungeachtet dessen bestehe aber ohnehin eine hohe Sorgfaltspflicht eines Fahrzeugführers beim Einparken in eine Parklücke. Denn auf Parkplätzen werde grundsätzlich der Verkehr nicht vom fließenden Verkehr, sondern vom ruhenden Verkehr bestimmt. Bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte die Beklagte das Öffnen der Tür erkennen und ihren Pkw rechtzeitig anhalten können. Sie habe auch damit rechnen müssen, dass er aus seinem PKW aussteigen wolle. Die Gefahr einer Kollision sei dadurch erhöht worden, dass die Beklagte zu 2) ohne ersichtlichen Grund äußerst nah neben sein Fahrzeug gefahren sei.

Die Reparaturkosten würden sich laut Kostenvoranschlag der Firma Senger auf 3.483,41 Euro belaufen. Zuzüglich einer Kostenpauschale von 25,00 Euro ergebe sich ein Gesamtschaden von 3.508,41 Euro. Unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 75 % ergebe sich ein Betrag von 2.631,30 Euro.

Der Kläger beantragt,

   die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Gesamtschuldner 2.631,30 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche nicht anrechenbare Anwaltskosten von 179,27 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, der Kläger habe den Unfall alleine verursacht, für die Beklagte zu 2) sei er unabwendbar gewesen.

Denn der Kläger habe seine Fahrzeugtür genau in dem Moment geöffnet, als die Beklagte zu 2) in die Parklücke eingefahren sei. Er habe seine Tür auch nicht nur ca. 30 cm weit geöffnet, sondern so weit, dass sie in die Parklücke der Beklagten zu 2) hineingeragt habe. Aufgrund dessen habe sie keine Möglichkeit gehabt, die Kollision zu verhindern. Die Beklagte zu 2) habe nicht damit rechnen müssen, dass die Tür des Klägers unvermittelt und ohne jede Vorsicht aufgestoßen werde. Sie sei vorsichtig mit Schrittgeschwindigkeit in die Parklücke eingefahren.

Aus dem vom Gericht eingeholten Gutachten ergebe sich außerdem, dass der Kläger versucht habe, ereignisfremde Schäden zu ihren Lasten abzurechnen. Der Gutachter habe nämlich festgestellt, dass die Schäden an der hinteren linken Tür sowie auf der Zierleiste der Fahrertür nicht durch die streitgegenständliche Kollision entstanden sein können.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen A vom 03.12.2020 (Bl. 46 ff. d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.




Entscheidungsgründe:


Die Klage ist nicht begründet.

Dem Kläger stehen keine Schadenersatzansprüche aufgrund des Unfalls vom 14.12.2019 gegen die Beklagten zu.

Vielmehr steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall für die Beklagte zu 2) unvermeidbar war. Denn der Unfall ist dadurch entstanden, dass der Kläger seine Tür öffnete als die Beklagte zu 2) in die Parklücke einfuhr, so dass es zu einem Zusammenstoß zwischen dem Stoßfänger des Beklagtenfahrzeugs und der vorderen Türkante des Klägerfahrzeugs kam. Aufgrund der Unfallrekonstruktion durch den Sachverständigen war die Tür nicht wesentlich mehr als etwa 30 cm weit geöffnet.

Nach Auffassung des Gerichts hat vorliegend alleine der Kläger gegen § 14 Abs. 1 StVO verstoßen. Gemäß § 14 Abs.1 StVO darf beim Ein- und Aussteigen aus einem Fahrzeug niemand gefährdet werden. Wer ein- oder aussteigt oder die Fahrzeugtür öffnen will, egal ob dies von außen oder von innen heraus geschieht, hat den übrigen Verkehr vorher mit äußerster Sorgfalt zu beobachten und sein Verhalten danach einzurichten. Der Gefährdungsausschluss gilt gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern. Vom Ein- oder Aussteigenden ist somit die höchste Stufe an Sorgfalt zu beachten.


Wird im Zusammenhang mit dem fließenden Verkehr beim Ein- oder Aussteigen ein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, so spricht der Anscheinsbeweis für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung des Ein- bzw. Aussteigenden (vgl. LG Berlin Versicherungsrecht 2002, 864; OLG Hamm NZV 2000, 209). Nach Auffassung des Gerichts ist diese gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 14 StVO analog bzw. im Rahmen des allgemeinen Rücksichtnahmegebotes auch auf öffentlichen Parkplätzen zu beachten, so dass der Fahrer seine Tür nur öffnen darf, wenn er sicher sein kann, dass andere von hinten nahende Fahrzeuge nicht gefährdet werden. Kommt es zu einer Kollision, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der die Türöffnende den Unfall alleine verursacht hat, weil er sich beim Öffnen der Tür nicht so verhalten hat, um jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen.

Der Kläger war daher verpflichtet, vor dem Öffnen der Tür zu prüfen, ob der Verkehrsraum frei ist und die Tür gefahrlos geöffnet werden kann. Da nach den Angaben des Sachverständigen die Beklagte zu 2) lediglich mit Schrittgeschwindigkeit von ca. 5 km/h gefahren ist, hätte er das Einfahren der Beklagten bei entsprechender Sorgfalt ohne Weiteres bemerken müssen, zumal die Beklagte zu 2) von links kam, mithin von der Seite, auf der er saß.

Das LG Saarbrücken hat sich mit einer vergleichbaren Unfallsituation beschäftigt und ist ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass Ein- und Aussteigende auf öffentlichen Parkplätzen in sinngemäßer Anwendung des § 14 StVO besondere Vorsicht und Sorgfalt walten lassen müssen. Ähnlich wie im fließenden Verkehr schafft auch hier das Öffnen der Tür ein plötzliches Hindernis im zuvor freien Verkehrsraum und erweist sich damit als besonders gefährlich für die übrigen Verkehrsteilnehmer (LG Saarbrücken, Urteil vom 09.05.2009 - 13 S 181/08; vgl. ebenso AG Ibbenbüren SP 2002, 232).



Soweit der Kläger meint, der Beklagten treffe auch deshalb eine Mithaftung, weil sie ohne ersichtlichen Grund äußerst nah neben sein Fahrzeug gefahren sei, hat sich dies in der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Vielmehr ist die Beklagte zu 2) nach den Angaben des Sachverständigen ordnungsgemäß in ihre Parklücke gefahren, während der Kläger sein Fahrzeug extrem weit nach links geparkt hatte, wodurch die geöffnete Fahrertür deutlich in die Parkbucht der Beklagten zu 2) hinein ragte (siehe Fotos Seite 8 + 9 des Gutachtens bzw. 53 + 54 der Akte). Eine Mithaftung der Beklagten war demnach auch unter diesem Gesichtspunkt zu verneinen.

Eine anderweitige Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten zu 2) vermochte das Gericht ebenfalls nicht festzustellen.

Ob die Beklagte zu 2) ihrerseits gegen Sorgfaltspflichten verstoßen hat, richtet sich vor allem danach, inwieweit ihre Geschwindigkeit, insbesondere beim Einbiegen in die Parklücke, der Situation angemessen gewesen ist und inwieweit sie in der Lage gewesen ist, zu erkennen, dass sich noch eine Person im Fahrzeug des Klägers befindet, mit deren Aussteigen jederzeit zu rechnen ist (vgl. insoweit auch OLG Frankfurt, Urteil vom 09.06.2009 - 3 U 211/08). Nach den Angaben des Sachverständigen ist die Beklagte aber nur mit einer geringen Geschwindigkeit von etwas mehr als 5 km/h in die Parklücke gefahren, also mit Schrittgeschwindigkeit. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sie den Kläger im Fahrzeug sitzend gesehen hat. Ebenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beklagte zu 2) gesehen hat, dass sich die Tür des klägerischen Fahrzeugs öffnet. Der Kläger vermochte daher den Anscheinsbeweis nicht zu erschüttern. Eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten scheidet aufgrund der Unabwendbarkeit des Unfalls für die Beklagte zu 2) aus.

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

[folgt die Rechtsmittelbelehrung]

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