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Verwaltungsgericht Aachen Urteil vom 21.04.2021 - 3 K 1257/19 - Polnische Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip

VG Aachen v. 21.04.2021: Polnische Fahrerlaubnis und Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip




Das Verwaltungsgericht Aachen (Urteil vom 21.04.2021 - 3 K 1257/19 ) hat entschieden:

   Zur bejahten Inlandsungültigkeit eines polnischen EU-Führerscheins, bei dem trotz der Eintragung einer polnischen Adresse des Inhabers davon auszugehen ist, dass er unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip erteilt worden ist.

Siehe auch
Das Wohnsitzprinzip bei der Erteilung eines EU-Führerscheins
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Tatbestand:


Der Kläger wendet sich gegen eine behördliche Feststellung, wonach er nicht berechtigt ist, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von seinem polnischen EU-Führerschein Gebrauch zu machen.

Am 10. Mai 2017 befuhr der Kläger mit einem fahrerlaubnispflichtigen Personenkraftwagen der Marke VW (Beetle) mit dem Kennzeichen ... die B. straße in T. . Zum Führen des Fahrzeugs war er, wie ihm bekannt war, nicht berechtigt, weil er keine Fahrerlaubnis besaß.

Am 12. Dezember 2017 erwarb der Kläger in A. , einer Stadt an der Westgrenze der Republik Polen (Woiwodschaft Westpommern), eine Fahrerlaubnis der Klasse B und der darin eingeschlossenen Klassen. Im dazu ausgestellten Führerscheindokument (Nr. ...) ist unter Ziffer 8 als Wohnsitz des Klägers die Adresse "... A. , Z. 00" eingetragen.

Am 2. Januar 2018 sprach der Kläger unaufgefordert beim Straßenverkehrsamt der Beklagten vor und erklärte: Zum Zeitpunkt des Erwerbes der polnischen Fahrerlaubnis vom 12. Dezember 2017 sei er bei Freunden in Polen wohnhaft gewesen. Seine praktische Prüfung habe er am 4. Oktober 2017 in Polen absolviert. Er sei seit dem 3. November 2017 "mit einer Zweitwohnung" dort gemeldet. Es sei im Vorfeld schon klar gewesen, dass er dort einziehe. In Polen sei es so, dass man zunächst die Prüfung absolviere und sodann die Unterlagen einreiche.

Eine melder...htliche Auskunft vom 2. Januar 2018 ergab, dass der Kläger im Jahr 2017 durchgehend unter der Adresse

"U. straße ... in T. " gemeldet war.

Am 6. März 2018 verurteilte das Amtsgericht Eschweiler (30 Ds-502 Js 1255/17 - 335/17) den Kläger hinsichtlich des Vorfalls in T. vom 10. Mai 2017 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Bewährungsstrafe und ordnete an, dass diesem vor Ablauf von weiteren 12 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe. In der Strafzumessung führte das Amtsgericht aus, dass der Kläger bereits vielfach und insbesondere auch einschlägig vorbestraft sei. In den vergangenen Jahren habe er sich mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Abstand von ca. 2 Jahren aufgrund des Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar gemacht und sich von den entsprechenden Verurteilungen offensichtlich nicht in hinreichendem Maße beeindrucken lassen.

Mit Kurzbrief vom 26. März 2018 übersandte das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten eine Auskunft der polnischen Führerscheinbehörde in A. . Diese enthielt einen Auszug aus dem polnischen Führerscheinregister und eine Formularauskunft "RESPONSE FROM AUTHORITY ADDRESSED", einen vom 5. November 2017 bis 4. Dezember 2017 befristeten Mietvertrag des Klägers über eine Wohnung in Polen und ein Dokument ("Erklärung-Antrag") vom 7. August 2017, läger, nach Belehrung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit, erklärt, dass seine aktuelle Wohnadresse in 70-206 SZCZECIN, DWORCOWA 16, sei.

Im Formular "RESPONSE FROM AUTHORITY ADDRESSED" antwortete die polnische Beamtin, Frau Unterinspektorin Dorota Y. vom Landratsamt A. u.a. wie folgt:

   "(...)
2) Request in case of suspicion of noncompliance with normal residence criteria:
According to our information the person has his/her normal residence in our country based on:
Place of normal residence according to our information:
- Place where person usually lives for at least 185 days each
calendar year Yes  No X Unknown 
(...)”

Mit Feststellungsbescheid vom 11. April 2019 in der Fassung vom 19. Februar 2020 stellte die Beklagte nach Anhörung fest, dass der Kläger im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht von seiner polnische Fahrerlaubnis Gebrauch machen dürfe, und ordnete die sofortige Vollziehung an. Außerdem drohte sie dem Kläger für den Fall, dass der polnische Führerschein nicht innerhalb von 6 Tagen ab Zustellung des Bescheides abgegeben werde, ein Zwangsgeld in Höhe von 500 Euro an. Zur Begründung führte sie aus, die polnische Fahrerlaubnis besitze im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keine Gültigkeit, denn diese sei unter Verstoß gegen das in der 3. Führerschein-Richtlinie geregelte Wohnsitzerfordernis beim Erwerb der Fahrerlaubnis. Unter diesen Umständen könne der Kläger sich nicht auf die Anerkennungspflicht der von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine berufen.

Der Kläger hat am 23. April 2019 Klage erhoben und macht geltend, sein polnischer EU-Führerschein sei auch in Deutschland gültig. Ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis liege nicht vor. Die polnische Führerscheinbehörde habe die Voraussetzung eines Wohnsitzes in Polen genau geprüft und nach seiner dortigen Vorsprache und der Vorlage der notwendigen Nachweise (Mietverträge, Erklärung etc.) bejaht. Daran seien die deutschen Behörden gebunden. Abgesehen davon lägen die einschlägigen Unterlagen dem Verwaltungsgericht vor. Auch habe er mehrere Zeugen dafür benannt, dass er das Erfordernis eines Wohnsitzes in Polen erfüllt habe. Schließlich lege er dem Gericht einen Mietvertrag vor, den er seinerzeit über ein Zimmer in C. , J. 00 m, für die Zeit vom 1. März 2017 bis zum 30. November 2017 geschlossen hatte. Auf seine Nachfrage habe die zuständige polnische Beamtin, Frau Unterinspektorin O. Y. vom Landratsamt A. , zweifelsfrei bestätigt, dass dieser Mietvertrag über das Zimmer in C. beim Erwerb des Führerscheins vorgelegen habe. Er beziehe sich auf die Behördenbescheinigung der Unterinspektorin Y. vom 24. November 2020, die dem Gericht im polnischen Original und in deutscher Übersetzung vorliege.




Der Kläger beantragt sinngemäß,

   den Feststellungsbescheid der Beklagten vom 11. April 2019 in der Fassung vom 19. Februar 2020, in welchem festgestellt werde, dass er von seiner ihm am 12. Dezember 2017 erteilten polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet keinen Gebrauch machen dürfe, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des angefochtenen Feststellungsbescheides in der aktuellen Fassung.

Die Kammer hat mit Beschluss vom 18. Juni 2019 (3 L 518/19) die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgehoben, weil ihr die Begründung gefehlt hat. Daraufhin hat die Beklagte ihren Feststellungsbescheid vom 11. April 2019 mit weiterem Bescheid vom 19. Februar 2020 geändert. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Neufassung des Bescheides hat das Gericht mit Beschluss vom 12. Mai 2020 (3 L 185/20) abgelehnt. Die dagegen erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom 24. August 2020 (16 B 798/20) zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 11. Februar 2009 hat das Gericht dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte, der Gerichtsakte in den Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (3 L 518/19 und 3 L 185/20) sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (2 Bände) verwiesen.




Entscheidungsgründe:


Die Klage hat keinen Erfolg.

Sie ist als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Feststellungsbescheid vom 11. April 2019 in der Fassung vom 19. Februar 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids ist an der objektiven Rechtslage zu messen. Auf die im Bescheid bzw. im Prozess angeführten Argumente der Begründung kommt es regelmäßig nicht an.

   Vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW, Urteile vom 16. Mai 2014 - 16 A 2255/10 -, juris Rz 16 und vom 17. Januar 2014 - 16 A 1292/10 -, juris Rz 16; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 11. November 2013 - 11 B 12.1326 -, juris Rz 19; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 42. Auflage 2013, § 28 FeV Rz. 56.

Der Kläger ist nicht berechtigt, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von dem durch die Republik Polen am 12. Dezember 2017 erteilten Führerschein (Führerschein-Nr.: ...) Gebrauch zu machen. Die Beklagte konnte diese kraft Gesetzes gegebene Inlandsungültigkeit zur Klarstellung durch Verwaltungsakt feststellen, vgl. § 28 Abs. 4 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).

Die Inlandsungültigkeit des vom Kläger erworbenen polnischen Führerscheins folgt aus der deutschen Regelung in Nr. 2 des § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV, welche wiederum den Inhalt der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 ("3. Führerschein-Richtlinie") wiedergibt.

Danach ist eine Inlandsungültigkeit von EU-Fahrerlaubnissen u.a. dann anzunehmen, wenn der Inhaber ausweislich seines EU-Führerscheins oder - worauf es hier ankommt - ausweislich vom Ausstellermitgliedsstaat "herrührender unbestreitbarer Informationen" und der dadurch eröffneten Prüfung im Aufenthaltsstaat zum Zeitpunkt der Führerscheinerteilung seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte.


So liegt der Fall hier. Nach der Überzeugung des Gerichts hatte der Kläger im Jahr 2017 und damit auch am 12. Dezember 2017, also zum Zeitpunkt der polnischen Fahrerlaubniserteilung, seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland und nicht in Polen, und zwar ungeachtet dessen, dass in seinem polnischen Führerschein ein polnischer Wohnort eingetragen ist.

Ein ordentlicher Wohnsitz im Ausstellermitgliedsstaat setzt voraus, dass der Inhaber des Führerscheins wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen mindestens 185 Tage im Jahr dort gewohnt hat,

   vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV.

Damit der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der vom Mitgliedsstaat erteilten Fahrerlaubnis durchbrochen werden darf, müssen entweder Angaben aus dem zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellermitgliedsstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, aus denen sich ergibt, dass die im Führerschein enthaltene Wohnsitzangabe nicht zutrifft. Die Beklagte war dabei nicht auf die Angaben beschränkt, die sich aus dem Führerschein ergeben.

Die zulässigerweise - hier über das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt bei der polnischen Führerscheinbehörde - eingeholten Informationen sind daraufhin zu bewerten, ob diese unbestreitbar sind und ob sie belegen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedsstaates hatte. Die Prüfung, ob solche Informationen als vom Ausstellungsmitgliedsstaat herrührend und als unbestreitbar eingestuft werden können, obliegt den Behörden und den Gerichten des Aufnahmemitgliedsstaats. Dabei muss die Begründung eines Scheinwohnsitzes aufgrund der vom Ausstellungsmitgliedsstaat stammenden Informationen nicht bereits abschließend erwiesen sein. Vielmehr reicht es aus, wenn diese Informationen darauf "hinweisen", dass sich der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedsstaats nur für kurze Zeit aufgehalten und im Gebiet des Ausstellungsmitgliedsstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedsstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen.

Es genügt schon die bloße Möglichkeit einer solchen Sachverhaltsgestaltung, ohne dass die Begründung eines reinen Scheinwohnsitzes bereits abschließend erwiesen sein muss. Soweit unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedsstaats vorliegen, aus denen sich die Möglichkeit ergibt oder die darauf hinweisen, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht gegeben war, sind zur endgültigen Beurteilung dieser Fragen die gesamten Umstände des Einzelfalles heranzuziehen, also ergänzend auch die inländischen Umstände.

   Vgl. zum Vorstehenden: VG Würzburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016 - W 6 S 16.1189 -, juris Rn. 24, unter Bezugnahme auf die einschlägige Rechtsprechung der europäischen und deutschen Gerichte.




Gemessen an diesen Vorgaben liegen unbestreitbare Informationen aus dem Ausstellungsmitgliedsstaat Polen vor, die auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis hinweisen. Diese Informationen beruhen auf einer Auskunft, welche die polnische Behörde auf einem für den Rechtsverkehr in der Europäischen Union standardisierten Formblatt ("RESPONSE FROM AUTHORITY ADDRESSED") gemacht hat. Dort hat die zuständige polnische Beamtin, Frau Unterinspektorin Y. vom Landratsamt A. , die Frage mit einem "No" verneint, ob der Kläger, wie zur Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes erforderlich, sich mindestens 185 Tage im Jahr dort aufgehalten habe.

Anders als der Kläger meint, ist auch nach gegenwärtigem Sachstand zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung davon auszugehen, dass die polnische Behörde an ihrer Einschätzung vom Fehlen eines ordentlichen Wohnsitzes festhält. Ohne Erfolg verweist der Kläger auf eine von ihm in Polen eingeholte Bescheinigung ("Zaświadczenie") vom 24. November 2020. Darin bescheinigt ihm die zuständige Beamtin Y. des Landratsamts A. die Fahrberechtigung für die Klassen AM, B 1 und B. Gleichzeitig "informiert" ("Jednocześnie informuję ...") sie darüber, dass der Kläger beim dortigen Amt einen Mietvertrag vorgelegt hatte für eine Wohnung in 00-000 A. , A. Straße 00 für den Zeitraum vom 5. November 2017 bis zum 4. Dezember 2017 sowie - worauf der Kläger nunmehr abstellt - einen Mietvertrag für ein Zimmer in C. , S. Straße 00/0 für den Zeitraum 1. März 2017 bis zum 30. November 2017.

Der Kläger übersieht, dass die "Information" der Beamtin Y. allein die Frage der Unterkunft des Klägers in Polen betrifft, also in der Sprache des EU-Auskunftsformulars die "existence of accomodation". Eine solche Unterkunft hatte die Beamtin Y. schon in ihrer ursprünglichen Auskunft an das Kraftfahrt-Bundesamt mit "Yes" bejaht. Die gleichzeitig mit "No" verneinte Frage nach der Erfüllung der 185-Tage-Regel zur Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses bleibt davon unberührt.

   Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2020 - 16 B 798/20 -, Seite 3 des Abdrucks, in dem zwischen den Beteiligten ergangenen Eilbeschwerdebeschluss.

Beruft sich der Fahrerlaubnisinhaber gleichwohl darauf, das Wohnsitzerfordernis sei - entgegen der unbestreitbaren Informationen des Ausstellerstaates - erfüllt, obliegt es ihm, substantiierte und verifizierbare Angaben zu Beginn und Ende seines Aufenthalts im Ausstellermitgliedstaat im Zusammenhang mit der Fahrerlaubniserteilung sowie zu den persönlichen und beruflichen Bindungen zu machen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerscheindokument angegebenen Wohnort bestanden.

   Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Mai 2014 - 16 A 2255/10 -, juris Rn. 16.

Daran fehlt es hier. Die Behauptung des Klägers, er habe im Jahr 2017 seinen Wohnsitz nach Polen verlegt, kann ihm nicht abgenommen werden. Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass er in diesem Zeitraum seinen (Haupt-) Wohnsitz in Deutschland beibehalten hat, und zwar unter der im Melderegister angegebenen Adresse "U. straße 00 in T. ". So hat der Kläger am 2. Januar 2018, also kurze Zeit nach der am 12. Dezember 2017 erteilten polnischen Fahrerlaubnis, im Rahmen einer persönlichen Vorsprache beim Straßenverkehrsamt der Beklagten seine Aufenthaltsverhältnisse im Jahr 2017 dergestalt beschrieben, dass er

   "mit einer Zweitwohnung"

in Polen gemeldet gewesen sei. Auch in seiner persönlich abgefassten Klageschrift ("Widerspruch") vom 18. April 2019 hat er geltend gemacht, dass er seinen Erstwohnsitz

   "weiterhin in Deutschland"

gehabt habe.

Ferner hat er bei einer persönlichen Anhörung im gerichtlichen Erörterungstermin vom 11. Februar 2020 auf Nachfrage des Vorsitzenden ausgeführt:

   "Wenn ich gefragt werde, ob ich 185 Tage am Stück in Polen war, so ist das nicht der Fall. Ich war immer mal wieder da, und zwar bei einem Freund. Ich hatte ja in Polen keine Arbeit und keinen Job, deshalb war ich für die polnischen Behörden mehr oder weniger irregulär da. Die polnische Verwaltung hat da auch einen separaten Antrag dazu. Ich möchte jetzt hier nichts Falsches sagen, vielleicht handelt es sich auch nur um eine Erklärung. Ich musste mit meinem Freund zur Behörde gehen, weil die meinen Status auch erst nicht anerkennen wollten. Und das Ganze wegen des Führerscheins."

Auf Vorhalt des Gerichts, dass der Kläger gegenüber dem Straßenverkehrsamt im Verwaltungsverfahren geltend gemacht habe, dass er während des in Rede stehenden Zeitraums seinen ersten Wohnsitz in Deutschland gehabt habe:

   "Ja, das stimmt. Ansonsten wäre ich obdachlos gewesen."

An seinen Angaben, im Jahr 2017 sei sein (Haupt-) Wohnsitz in Deutschland gewesen, muss sich der Kläger festhalten lassen.

Erkennbar unglaubhaft ist demgegenüber die in der Folge, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, aufgestellte Behauptung, in Wahrheit seien die Dinge umgekehrt gewesen: Er habe seinen Lebensmittelpunkt in Polen gehabt und sei immer mal wieder am Wochenende nach Deutschland gekommen, um seine Kinder zu sehen. Dieser komplette Wechsel in der Darstellung der Aufenthaltsverhältnisse macht auf das Gericht den Eindruck eines allein am erstrebten Prozesserfolg orientierten Vorbringens, das keinen realen Hintergrund besitzt. Der Hinweis, er habe zur Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes einer Adresse in Deutschland bedurft, macht einen Hauptwohnsitz in Polen nicht plausibel. Der weitere Vortrag, sein Lebensmittelpunkt sei im fraglichen Zeitraum in Polen gewesen, weil er dort eine außereheliche Beziehung begonnen habe, lässt zwar einen Grund für einen dortigen Aufenthalt erkennen. Die weitere Angabe, die Beziehung sei eine Episode geblieben und er habe "alle Unterlagen vernichtet bzw. entsorgt" ist derart detailarm und ausweichend, dass auch insoweit ein realer Lebenssachverhalt nicht ansatzweise nachvollziehbar wird mit der Folge, dass die Behauptung als unglaubhaft einzustufen ist. Die zu den Akten gereichten Mietverträge über polnische Wohnungen sind nicht geeignet, dem Gericht ein nachvollziehbares Bild über einen längeren Aufenthalt in Polen zu vermitteln. Auch hier muss sich der Kläger entgegenhalten lassen, dass sein auf Mietunterlagen gestütztes Vorbringen nicht konsistent ist. So war etwa bis zur Eilentscheidung des Gerichts vom 12. Mai 2020 (3 L 185/20) keine Rede von einem Mietvertrag über Wohnraum in C. . Im vorgenannten Eilbeschluss hat das Gericht argumentiert, dass der Kläger bereits Mitte Juni 2017 nach Polen hätte umziehen müssen, um die 185-Tage-Regel zu erfüllen. Dem Aktenvorgang sei aber lediglich ein in deutscher und polnischer Sprache abgefasster Vertrag über die Anmietung einer Wohnung in Polen für die Zeit vom 5. November 2017 bis 4. Dezember 2017 beigefügt sowie eine - nach Belehrung über die strafrechtliche Verantwortlichkeit - erfolgte Erklärung des Klägers vom 7. August 2017, wonach seine polnische Adresse 00-000 Z. , W. 00 sei. Erst nach diesem Vorhalt hat sich der Kläger auf einen Mietvertrag für eine Wohnung in C. für den Zeitraum vom 1. März 2017 bis zum 30. November 2017 berufen. Wie dies mit der vorgenannten Versicherung des Klägers vom 7. August 2017 in Deckung zu bringen sein soll, bleibt offen. Das mit Nachdruck erhobene Argument des Klägers, der nunmehr vorgelegte Mietvertrag über die C. er Wohnung habe nach der amtlichen Bescheinigung der zuständigen polnischen Beamtin Y. des Landratsamts A. vom 24. November 2020 bei der Führerscheinerteilung im Dezember 2017 vorgelegen, ist nicht in der Lage, dem Gericht eine plausible Erklärung dafür zu liefern, warum der Kläger nicht von Anfang an einen ab März 2017 bestehenden Aufenthalt in C. vorgetragen hat.



Nach alledem fehlt der sinngemäßen Behauptung des Klägers, er habe im maßgeblichen Jahr 2017 mindestens 185 Tage in Polen verbracht, schon im Kern die notwendige Konsistenz. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch Einvernahme der vom Kläger benannten Zeugen kommt daher nicht in Betracht.

Ohne Erfolg bleibt im Übrigen auch der weitere Einwand des Klägers, es sei ihm gemeinsam mit seinem polnischen Freund N. K. doch zweifelsohne gelungen, gegenüber den polnischen Behörden beim Erwerb der Fahrerlaubnis die 185-Tage-Voraussetzung nachzuweisen, woran die deutschen Behörden und Gerichte nunmehr rechtlich gebunden seien, zumal seine polnische Fahrerlaubnis im europäischen Fahrerlaubnisregister als "valid" (= gültig) eingetragen sei.

Die fortbestehende Gültigkeit einer Fahrerlaubnis im Ausstellerstaat, hier in der Republik Polen, ist zwar regelmäßig, aber eben nicht ausnahmslos gleichbedeutend mit der Anerkennungsfähigkeit einer Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat, hier in der Bundesrepublik Deutschland. Die unionsrechtlichen Voraussetzungen zur Annahme einer solchen Ausnahme sind, wie oben dargelegt, gegeben.

Die Anordnung, das polnische EU-Führerscheindokument binnen sechs Tagen nach Zustellung der Ordnungsverfügung vorzulegen, findet ihre Grundlage in § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 2 FeV, die Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nicht- oder nicht fristgerechten Vorlage des polnischen EU-Führerscheindokuments in § 55 Abs. 1, § 57, § 60 und § 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW). Die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes von 500 Euro steht in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck, den Antragsteller zur Vorlage des Führerscheindokuments zu bewegen, vgl. § 58 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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