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Amtsgericht Zossen Urteil vom 29.04.2019 - 5 C 175/18 - Keine Verweisung des Geschädigten auf den Ankauf des Unfallfahrzeugs durch einen ausländischen Restwertaufkäufer

AG Zossen v. 29.04.2019: Verweisung des Geschädigten auf den Ankauf des Unfallfahrzeugs durch einen ausländischen Restwertaufkäufer




Das Amtsgericht Zossen (Urteil vom 29.04.2019 - 5 C 175/18) hat entschieden:

   Der Verkehrsunfallgeschädigte muss sich nicht von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung auf den vermeintlich günstigeren Weg der Kraftfahrzeugverwertung verweisen lassen, wenn dieser nur dann günstiger wäre, wenn er sein Fahrzeug an einen (von der Versicherung benannten) Restwertaufkäufer mit Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland (hier. in Polen) veräußern würde, undzqar auch denn nicht, wenn der Ankauf am Wohnort des Geschädigten unter Barzahlung, der Vereinbarung deutschen Rechts und deutscher Gerichtszuständigkeit vorgenommen würde.

Siehe auch
Der Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs bei Totalschaden
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Tatbestand:


Die Parteien streiten über Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.

Der Kläger ist Eigentümer des Fahrzeuges Nissan Primastar mit dem amtlichen Kennzeichen TF-(...). Der Beklagte zu 1) war im Unfallzeitpunkt Fahrer und Halter des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen TF-(...). Die Beklagte zu 2) ist der Haftpflichtversicherer für das Beklagtenfahrzeug.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug am 5. Juni 2018 gegen 17:03 Uhr in Ludwigsfelde die Potsdamer Straße. Er wollte nach links in die Ernst-Thälmann-Straße einbiegen. Deshalb hat er sein Fahrzeug verzögert und mußte im Einmündungsbereich wegen eines querenden Fußgängers anhalten. Der hinter dem Kläger fahrende Beklagte zu 1) hatte sich in diesem Moment nach Vorrang genießenden Fahrradfahrern orientiert und deshalb nicht bemerkt, daß der Kläger vor ihm verkehrsbedingt angehalten hatte. Aufgrund dessen fuhr er auf das klägerische Fahrzeug auf.




Die Wiederherstellung des klägerischen Fahrzeuges würde einen Nettoreparaturaufwand von 5.179,21 € verursachen. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges betrug 7.800,- €. Auf den Fahrzeugschaden hat die Beklagte zu 2) 4.837,18 € gezahlt. Sie hat hierbei einen Restwert von 2.780,- € angesetzt, den ein Restwertaufkäufer mit Sitz in Dreszenko in Polen zahlen würde. Das vom Kläger eingeholte Sachverständigengutachten geht indes von einem Restwert von 1.828,- € aus. Die übrigen Schadenspositionen sind ausgeglichen und stehen zwischen den Parteien nicht mehr im Streit.

Der Kläger beantragt,

   die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 952,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2018 zu zahlen

sowie die Beklagten als Gesamtschuldner weiterhin zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 78,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, der Kläger müsse sich auch auf eine Verwertungsmöglichkeit außerhalb Deutschlands, aber innerhalb der Europäischen Union verweisen lassen, jedenfalls wenn der Käufer den Ankauf in Deutschland am Sitz des Klägers vornehmen würde.

Die Klage ist dem Beklagten zu 1) am 22. November 2018 und der Beklagten zu 2) am 23. November 2018 zugestellt worden. Das Gericht hat mit Zustimmung der Parteien am 29. März 2019 das schriftliche Verfahren angeordnet.




Entscheidungsgründe:




Die Klage ist teilweise begründet. Der tenorierte Anspruch ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, hinsichtlich der Beklagten zu 2) in Verbindung mit §§ 115 VVG, 1 PflVG. Ein weitergehender Anspruch ist nicht ersichtlich. Der Anspruch ist nicht nach § 17 StVG zu kürzen. Die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges, das im Unfallzeitpunkt stand, tritt gänzlich zurück.

Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch in Höhe der Nettoreparaturkosten zu. Er muß sich nicht auf den vermeintlich günstigeren Weg der Fahrzeugverwertung verweisen lassen. Dieser wäre nur dann günstiger, wenn der Kläger auf den Ankauf durch den durch die Beklagte benannten Ankäufer verwiesen werden könnte. Dieser hat seinen Sitz außerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Eine Verweisung auf einen Ankäufer außerhalb Deutschlands und damit außerhalb der deutschen Rechtsordnung und regelmäßig auch des deutschen Sprachraums ist dem Kläger jedoch nicht zumutbar.

Dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit leistet der Geschädigte im allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Satz 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwertes verkauft oder in Zahlung gibt. Denn das Gutachten eines anerkannten Sachverständigen bildet in aller Regel eine geeignete Grundlage für die Bemessung des Restwertes, so daß der Geschädigte den so ermittelten Restwertbetrag grundsätzlich seiner Schadensberechnung zugrunde legen darf. Diese Grundsätze schließen es freilich nicht aus, daß besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben können, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, um seiner sich aus § 254 Abs. 2 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen. Deshalb gilt der Grundsatz, daß der von einem Sachverständigen ermittelte Restwert eine geeignete Grundlage für die Schadensabrechnung bilde, nur "in aller Regel". Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 Satz 2 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde. Nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens. Diese Stellung darf ihm durch eine zu weite Ausnahmehandhabung nicht genommen werden. Insbesondere dürfen ihm bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden (BGH, Urteil vom 30. November 1999 - VI ZR 219/98 -, BGHZ 143, 189-198).

Ein Verweis auf Verwertungsmöglichkeiten in Polen ist daher nicht zulässig. Der Kläger sähe sich in diesem Fall dem Risiko ausgesetzt, gegebenenfalls vor polnischen Gerichten Ansprüche geltend machen zu müssen, in Polen zu vollstrecken oder sich seinerseits vor polnischen Gerichten gegen Ansprüche des Ankäufers verteidigen zu müssen. Es ist dem Geschädigten nicht zumutbar, sich im Rahmen der Restitution in eine fremde Rechtsordnung zu begeben oder sich der Gefahr ausgesetzt zu sehen, in dieser fremden Rechtsordnung in Anspruch genommen zu werden.

Auch wenn der ausländische Ankäufer den Ankauf am Wohnort des Klägers unter Barzahlung vornähme, wäre eine Inanspruchnahme des Geschädigten im Rahmen eines Rückabwicklungs-, Gewährleistungs- oder Schadensersatzbegehrens vor ausländischen Gerichten am Sitz des Käufers denkbar. Diese Gefahr ließe sich auch nicht in dem Geschädigten zumutbarer Weise vertraglich ausschließen. Ob das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung im jeweiligen Ausland vertraglich ausgeschlossen werden kann, vermag der Geschädigte regelmäßig nicht zu beurteilen. Hierfür müßte er abschätzen können, ob die ihm fremde Rechtsordnung - hier die polnische - die jeweilige Vertragsgestaltung (Gerichtsstandsvereinbarung, Gewährleistungsausschluß, Haftungsausschluß) als wirksam ansähe. Darüber hinaus müßte der Kläger sich nicht nur einer fremden Rechtsordnung aussetzen, sondern sein Recht auch in einer anderen Sprache verfolgen. Es liegt auf der Hand, daß auch dies die Rechtsverfolgung oder -verteidigung erheblich und somit unzumutbar erschwerte.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. August 2009 (12 U 90/09) führt zu keinem anderen Ergebnis. Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe hat im dortigen Fall eine Verweisungsmöglichkeit abgelehnt. Die Tatsache, daß eine Abholung durch die ausländische Firma nicht gesichert war, war lediglich ein weiteres Begründungselement für die Unzumutbarkeit. Daß im Falle der gesicherten Abholung eine Verweisung möglich wäre, hat das Oberlandesgericht Karlsruhe daher gerade nicht positiv entschieden.

Auch Europarecht gebietet keine andere Betrachtung. Der Kläger als Geschädigter ist nicht Adressat des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und daher auch nicht gehalten, in seiner Person die Waren- und Dienstleistungsfreiheit zu verwirklichen.

Der Kläger hat jedoch in der Hauptsache keinen weitergehenden Anspruch über 342,03 € hinaus. Dieser Betrag stellt die Differenz zwischen der bereits durch die Beklagte zu 2) auf den Fahrzeugschaden geleisteten Zahlung und den Nettoreparaturaufwand dar. Ein weitergehender Schaden ist nicht ersichtlich.

Daneben besteht ein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Diese waren erforderlich, um den - zwischenzeitlich überwiegend regulierten - Gesamtschaden gegenüber der Beklagten zu verfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Soweit ersichtlich ist die Rechtsfrage der Verweisung auf Verwertungsmöglichkeiten bei im Ausland ansässigen Fahrzeugankäufern noch nicht entschieden worden.

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