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Amtsgericht Zossen Urteil vom 08.02.2008 - 4 C 242/07 - Die strafrechtlichen Rückrechnungsregeln finden im Zivilrecht nur eingeschränkt Anwendung

AG Zossen v. 08.02.2008: Die strafrechtlichen Rückrechnungsregeln finden im Zivilrecht nur eingeschränkt Anwendung




Das Amtsgericht Zossen (Urteil vom 08.02.2008 - 4 C 242/07) hat entschieden:

   Die strafrechtlichen Rückrechnungsregeln finden im Zivilrecht nur eingeschränkt Anwendung

Siehe auch
Rückrechnung / Hochrechnung der alkoholischen Beeinflussung aus der BAK oder aus Trinkmengen
und
Stichwörter zum Thema Alkohol

Tatbestand:


Der Kläger wendet sich im Wege der negativen Feststellungsklage gegen einen Regreßanspruch der Beklagten aus einem Verkehrsunfallereignis.

Der Kläger befuhr mit seinem PKW Nissan am 25. November 2006 gegen 17 00 Uhr in M den B Damm. Er hatte in den Stunden vor Fahrtantritt alkoholische Getränke zu sich genommen. Auf dem B Damm erfaßte der Kläger mit seinem PKW die Fußgängerin A B. Diese wurde durch den Anprall mehrere Meter weit weggeschleudert und hierbei schwer verletzt.

Das vom Kläger geführte Fahrzeug war zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten haftpflichtversichert. Die Beklagte erbrachte gegenüber der Geschädigten beziehungsweise den zuständigen Sozialversicherungsträgern Leistungen, die 5.000,00 Euro überstiegen.

Die Untersuchung einer um 18 35 Uhr auf der Polizeiwache Z entnommenen Blutprobe durch das Brandenburgische Landesinstitut für Rechtsmedizin ergab einen Probenmittelwert von 1,03 mg/g Ethanolkonzentration.

Der Kläger behauptet, seine Blutalkoholkonzentration habe im Unfallzeitpunkt weniger als 1,1 mg/g betragen und alkoholbedingte Fahrfehler oder Ausfallerscheinungen hätten bei ihm nicht vorgelegen. Er habe bis etwa eine halbe Stunde vor Fahrtantritt Alkohol konsumiert. Zuletzt habe er ein zur Hälfte oder zu drei Vierteln mit Wein gefülltes Kölschglas geleert. Insbesondere habe er mit einer weiteren Person gemeinsam etwa zwei Flaschen Wein getrunken, ohne zu den Trinkanteilen und dem genaueren Trinkverlauf Angaben machen zu können. Zur Mittagszeit habe er zwei Schnäpse getrunken. Das Trinkende habe unmittelbar vor Fahrtantritt gelegen.




Der Kläger beantragt,

   festzustellen, daß er nicht verpflichtet sei, der Beklagten aufgrund des bestehenden Haftpflichtversicherungsverhältnisses unter der Police Nr.: ... im Hinblick auf das Schadensereignis vom 25. November 2006 an die Geschädigten gezahlte Aufwendungen bis zu einer Höhe von 5.000,00 Euro zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Kläger habe im Unfallzeitpunkt eine Alkoholkonzentration von 1,1 mg/g oder mehr aufgewiesen. Er sei absolut fahruntüchtig gewesen.

Sie ist der Ansicht, sie sei gegenüber dem Kläger in Höhe von 5.000,00 Euro von der Leistungspflicht befreit, da dieser infolge des Genusses alkoholischer Getränke nicht in der Lage gewesen sei, das Fahrzeug sicher zu führen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin, Med.-Rat Priv.-Doz. Dr. med. W. M sowie durch Vernehmung des Zeugen M P. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das in der Akte befindliche Gutachten vom 22. November 2007 (Blatt 40 ff. der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18. Januar 2008 (Blatt 57 a f. der Akte) verwiesen. Desweiteren hat das Gericht die Strafakte zum Aktenzeichen 10 Cs 162/07 des Amtsgerichts Zossen zu Beweiszwecken beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.




Entscheidungsgründe:


1. Die Feststellungsklage ist zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Zwar ist eine negative Feststellungsklage nicht erforderlich, um bei drohendem Regreß die Frist des § 12 Abs. 3 VVG zu wahren (BGHZ 20, 234, OLG Frankfurt ZfSch 1991, 30). Da diese Frage jedoch in der Rechtsprechung auch anders entschieden wird (vgl. LG Berlin VersR 1997, 568), ist ein berechtigtes Interesse an der Feststellung zu bejahen. Desweiteren hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Frage, ob die Beklagte im Innenverhältnis teilweise von der Leistungspflicht befreit ist, da die Beklagte sich auf die Leistungsfreiheit nach § 158 c Abs. 4 VVG i. V. m. § 3 Nr. 9 PflVG, § 426 BGB gegenüber den Sozialversicherungsträgern der Geschädigten berufen hat (vgl. Knappmann in Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 158 c Rn. 24), die ihren Anspruch insoweit nach der erfolgten Legalzession (§ 67 Abs. 1 VVG) gegenüber dem Kläger geltend machen werden.

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht die begehrte Feststellung nicht zu. Die Beklagte ist gegenüber dem Kläger aus § 2 b Abs. 1 lit. e AKB in Höhe von 5.000,00 Euro von ihrer Leistungspflicht befreit.




a) Der Kläger führte nach Überzeugung des Gerichtes im Unfallzeitpunkt am 25. November 2006 sein, bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug, im Zustand absoluter Fahrunsicherheit. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 22. November 2007 nachvollziehbar, ohne erkennbare Widersprüche und vor allem rechnerisch richtig dargelegt, eine Rückrechnung des Blutalkoholwertes ergebe – ohne Berücksichtigung eines rückrechnungsfreien Intervalls – im Unfallzeitpunkt einen Wert zwischen 1,18 und 1,55 mg/g, je nach dem, ob jeweils die "klägergünstigste oder klägerungünstigste" Berechnungsmethode zugrundegelegt würde. Hiervon ausgehend, hätte der Kläger in jedem Fall die Grenze der absoluten Fahrunsicherheit von 1,1 mg/g überschritten.

aa) Ein rückrechnungsfreies Intervall ist nicht zu berücksichtigen. Das Gericht ist nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß der Kläger nicht unmittelbar vor Fahrtantritt noch Alkohol konsumiert hat. Der Kläger hat sowohl im Rahmen der Blutentnahme gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten angegeben, er habe den Alkohol im Zeitraum von 12 30 Uhr bis 13 00 Uhr konsumiert. Auch im Strafverfahren ließ er sich in der Hauptverhandlung am 02. August 2007 dahingehend ein, die Alkoholaufnahme habe im Zeitraum von 13 00 Uhr bis 13 30 Uhr gelegen. Soweit der Kläger behauptete, er habe diese Angaben gegenüber den Polizeibeamten nicht getätigt, blieb er beweisfällig. Das Polizeiprotokoll stellt ebenso wie das Protokoll der Hauptverhandlung eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 417 ZPO dar und erbringt den vollen Beweis, daß sich der Kläger entsprechend eingelassen hat. Das Gericht ist der Überzeugung, daß die unmittelbar nach dem Verkehrsunfall getätigte Einlassung gegenüber den Polizeibeamten hinsichtlich des Trinkzeitpunktes der Wahrheit deutlich näher kommt, als der nunmehrige Vortrag im Zivilprozeß. Ersterer erfolgte spontan, letzterer nachdem der Kläger hinreichend Zeit hatte, einen für ihn günstigen Trinkverlauf zu errechnen. Dem steht nicht entgegen, daß die Angaben gegenüber der Polizei zur Trinkmenge offensichtlich falsch sein müssen. Es handelt sich um ein typisches Verhalten von Tätern, bei Trunkenheitsfahrten die aufgenommene Menge alkoholischer Getränke zu beschönigen. Dagegen sind Falschangaben zum zeitlichen Trinkverlauf äußerst ungewöhnlich. Beschuldigte vermögen in der Regel den Zusammenhang des Trinkverlaufs zu Rückrechnungsmöglichkeiten spontan nicht herzustellen. Dies weiß der erkennende Richter aus einer Vielzahl von Strafverfahren. Hätte der Kläger in der Situation der Blutentnahme diesen Zusammenhang gleichwohl herzustellen vermocht, wäre es wiederum nicht nachvollziehbar, weshalb er den Trinkzeitpunkt nach vorne verlegt hätte, da sich dies rechnerisch zu seinem Nachteil ausgewirkt.

Weder die persönliche Anhörung des Klägers, noch die Einvernahme des Zeugen P vermochten das Gericht davon zu überzeugen, daß der Kläger bis eine halbe Stunde vor dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall Alkohol konsumiert habe. Zwar bekundete der Zeuge P, daß der Kläger während des Nachmittags alkoholische Getränke zu sich genommen hat. Jedoch gerade für den fraglichen Alkoholgenuß kurz vor dem gemeinsamen Aufbrechen im Fahrzeug des Klägers vermochte der Zeuge keine belastbare Aussage zu tätigen. So äußerte er, er habe zwar noch gesehen, wie der Kläger aus einer Flasche getrunken habe und sei davon ausgegangen, es handele sich um Wein. Indes habe er hierauf nicht wirklich geachtet und könne letztendlich nicht mit Sicherheit sagen, um welche Art von Getränken es sich gehandelt habe. Ein – wie vom Kläger vorgetragenes – Austrinken eines Glases hatte der Zeuge indes nicht wahrgenommen. Der Zeuge konnte folglich lediglich bekunden, daß der Kläger irgendein Getränk zu sich genommen habe, nicht aber welches. Darüber hinaus wich die Aussage des Zeugen auch von derjenigen des Klägers ab, als daß der Zeuge eine Getränkeaufnahme aus einer Flasche wahrgenommen haben will, während der Kläger vortrug, er habe den Wein aus einem Kölschglas konsumiert.




Auch aufgrund der persönlichen Anhörung des Klägers vermochte das Gericht ebenfalls nicht zur Überzeugung zu gelangen, der Kläger habe unmittelbar vor Fahrtantritt Alkohol konsumiert. Vielmehr hatte das Gericht den Eindruck, daß der Kläger seinen Vortrag der Prozeß- und Gutachtenlage angepaßt hatte.

bb) Den Kläger trifft ferner eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Trinkverlaufes und der Trinkmenge, der er nicht nachgekommen ist. Es ist zwar grundsätzlich die Sache der beklagten Versicherung darzulegen und zu beweisen, daß der Kläger als Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Der Kläger ist dagegen seiner sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen. Er hat keine hinreichend substantiierten und nachvollziehbaren Angaben zu Trinkmengen und Trinkzeitpunkten gemacht. Er gab lediglich an, einen Anteil an zwei Litern Wein am Mittag oder Nachmittag sowie gegen 12 30 Uhr zwei Schnäpse konsumiert zu haben. Die Bekundung des Klägers lautet letztendlich, neben zwei Gläsern Schnaps um 12 30 Uhr habe er irgendeine geringere Menge Wein als zwei Liter irgendwann im Verlaufe des Nachmittages getrunken. Genaue Erinnerung an den Weinkonsum hatte er nur, soweit ihn dies in den Genuß des rückrechnungsfreien Intervalls bringen sollte.

Erfolgt unter Alkoholeinfluß ein Unfall, so gilt der Versicherungsfall als grob fahrlässig herbeigeführt, wenn die Alkoholisierung für den Unfall kausal war. Dies wird im Wege des Anscheinsbeweises dann vermutet, wenn der Fahrer absolut verkehrsuntüchtig war, das heißt eine Blutalkoholkonzentration von 1,1 mg/g oder mehr aufwies. Liegt der 1½ Stunden nach dem Unfallzeitpunkt bei der Blutentnahme gemessene Wert über 1,0 mg/g und macht der Versicherungsnehmer im Rahmen seiner ihm obliegenden sekundären Darlegungslast keine nachvollziehbaren Angaben zum Trinkverlauf, so ist davon auszugehen, daß der Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt des Unfalls eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 mg/g hatte und damit absolut fahruntüchtig war. Wegen im übrigen widersprüchlicher und unsubstantiierter Angaben über sein Trinkverhalten innerhalb der letzten Stunden vor dem Unfall, ist auch der Einwand des Versicherungsnehmers, er habe kurz vor Antritt der Fahrt getrunken und zum Zeitpunkt der Blutentnahme habe daher seine Alkoholkurve den höchsten Wert aufgewiesen, unbeachtlich (vgl. AG Gera Schaden-Praxis 2006, 218).

cc) Darüber hinaus hält das Gericht vorliegend eine Rückrechnung auch für den Fall für zulässig, daß der Kläger tatsächlich kurz vor Fahrtantritt noch einen letzten Schluck Wein konsumiert hätte. Das Gericht hält die Beschränkungen der Rückrechnung, die im Strafrecht gelten, für das Zivilrecht nur für eingeschränkt anwendbar (offengelassen OLG Karlsruhe VersR 2002, 969; a. A. BGH ZfSch 2005, 394 unter begründungsloser Übernahme der Beweisregeln aus dem Strafrecht; LSG Berlin, Blutalkohol 41, 375 für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung).


Es ist in der gerichtsmedizinischen Literatur anerkannt, daß – zumindest bei nüchternem Magen – bereits binnen zehn bis zwanzig Minuten der maximale Blutalkoholspiegel im Blut erreicht ist. Die häufig angenommene Resorptionsdauer von sechzig bis neunzig Minuten stammt aus Extremversuchen, bei denen innerhalb kurzer Zeit relativ große Alkoholmengen konsumiert wurden, die zu einem Ansteigen des Alkoholspiegels um mehr als 1,0 mg/g führten. Hier ist die Resorptionsdauer nachvollziehbar länger, da nur eine beschränkte Menge Alkohol pro Zeiteinheit die Magenwand passieren kann. Doch auch bei diesen Versuchen wurde die Resorptionsdauer bereits vom Trink beginn und nicht erst vom Trink ende an gemessen. Bei einer Alkoholaufnahme, bei der über einen längeren Zeitraum konsumiert wird, ist jedoch die Alkoholresorption bei Trinkende bereits so gut wie beendet oder ganz abgeschlossen. (Vgl. hierzu Schwerd, Rechtsmedizin, 5. Aufl., 4.4.1.1). Der Bundesgerichtshof (BGHSt 25, 246) kommt in Strafsachen erst dadurch zu einem rückrechnungsfreien Intervall von 120 Minuten, indem er zur längsten, nur unter den ungünstigsten Umständen vorstellbaren Resorptionsphase einen Sicherheitsaufschlag addiert und gleichzeitig davon ausgeht, der gesamte Alkohol sei erst im Zeitpunkt des Trinkendes auf einmal aufgenommen worden.

Es wird – in dubio pro reo – so getan, als beginne die Resorption erst mit dem Trinkende, während sie selbstverständlich bereits während der Alkoholaufnahme beginnt (s. o.). Woher sollte auch die Leber wissen, ob in Magen und Darm noch Alkohol enthalten ist.

Ferner kommt der Bundesgerichtshof (BGHSt 37, 89) über einen statistischen Rückschluß aus Unfallzahlen zu dem Ergebnis, daß die tatsächliche Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit bereits bei 0,6 mg/g bis 0,7 mg/g liegen dürfte, da sich mit dieser Blutalkoholkonzentration die Unfallgefahr statistisch auf das dreifache erhöht. Wegen der Unzulässigkeit statistischer Beweisführungen kommt er hingegen sachverständig beraten zu dem Ergebnis, daß die Grenze zur absoluten Fahrunsicherheit jedenfalls bei 1,0 mg/g liege. Auch hier berücksichtigt der Bundesgerichtshof für das Strafverfahren darüber hinaus einen Sicherheitszuschlag von 0,1 mg/g, um wiederum im ungünstigsten Fall sämtlichen Eventualitäten, wie Meßungenauigkeiten etc., zu genügen.

Zugunsten des Täters geht der Bundesgerichtshof in Strafsachen weiterhin von einem ungünstigsten Alkoholabbau von 0,1 mg/g / Std aus. Tatsächlich beträgt der wahrscheinlichste Wert jedoch 1,5 mg/g / Std , wie auch der Sachverständige in seinem Gutachten ausführt.

Die Anforderungen an die Überzeugungsbildung ist im Zivilprozeß eine andere als im Strafprozeß. Es wäre im Zivilprozeß rechtsfehlerhaft, einen Beweis deshalb als nicht geführt zu betrachten, weil keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewißheit gewonnen werden konnte (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 286 Rn. 19 f.). Diesen Grad absoluter, über jeden denkbaren Zweifel – auch im ungünstigsten Fall unter Berücksichtigung unrealistischer Sicherheitsaufschläge – erhabener Gewißheit versucht jedoch die strafrechtliche Rückrechnung zu erbringen. Dieses Grenzwertdenken in allen theoretischen Möglichkeiten, ist dem Zivilprozeß, das etwa auch primäre und sekundäre Darlegungslasten, Beweislasten, den Beweis des ersten Anscheins, Vermutungen und die Beweislastumkehr kennt, fremd. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewißheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewißheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BVerfG NJW 2001, 1639; BGH VersR 2004, 118; BGH MDR 2003, 566; BGHZ 53, 245; BAG, Urteil vom 14. November 1991, Az: 8 AZR 85/91 (zitiert nach JURIS); BSG AuB 2005, 23; BVerwGE 71, 180; OLG Köln VersR 1997, 1527). Für das Bewiesensein reicht jedoch weniger als die Überzeugung von der Wahrheit nicht aus. Ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten berechtigt den Richter nicht zur Bejahung des streitigen Tatbestandsmerkmals, wobei auch nicht mehr als die subjektive Überzeugung gefordert ist (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 286 Rn. 18 f.).

Diesen Grad an Gewißheit vermochte das Gericht aufgrund des Ergebnisses der Blutentnahme und der vorgenommenen Rückrechnung sachverständig beraten zu gewinnen. Das Gericht ist der Überzeugung, daß ein rückrechnungsfreies Intervall von sechzig Minuten im konkreten Fall allen realistischen, zu Lasten des Klägers bestehenden Unwägbarkeiten genügt. Der Kläger hat nach eigenen Angaben während des gesamten Nachmittages Alkohol konsumiert. Daher ist nicht davon auszugehen, daß der Alkoholabbau erst um 19 50 Uhr begonnen hat (wie es ein rückrechnungsfreies Intervall von zwei Stunden unterstellt). Vielmehr befand sich im Blut des Klägers bereits seit Stunden Alkohol, so daß sich der Körper des Klägers auch bereits seit geraumer Zeit in der Alkoholabbauphase befand, als er den letzten Schluck Wein "genossen" haben will. Insoweit unterstellt das Gericht den klägergünstigsten Geschehensverlauf der sich noch im Rahmen des nach der Lebenserfahrung typischen Geschehensverlaufs bewegt. Typisch ist ein Vorgang, wenn er regelmäßig, üblich, gewöhnlich und häufig so abläuft.

Unter Ansetzung eines rückrechnungsfreien Intervalls von sechzig Minuten nach Trinkende und der Unterstellung einer Abbaurate von 0,1 mg/g sowie eines Grenzwertes von 1,1 mg/g zugunsten des Klägers, hätte der Kläger zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 mg/g gehabt. Das vom Kläger behauptete Trinkende lag bei 16 50 Uhr. Die Resorption wäre demnach um 17 50 abgeschlossen gewesen. Bis zur Blutentnahme um 18 35 Uhr wäre eine Abbauphase von 45 Minuten verstrichen, so daß bei einem (klägergünstigsten) Abbauwert von 0,1 mg/g / Std seit dem Unfall 0,075 mg/g abgebaut worden wäre. Die Blutalkoholkonzentration hätte daher im Unfallzeitpunkt 1,105 mg/g (1,03 + 0,075) betragen. Vor diesem Hintergrund muß nicht entschieden werden, ob im Zivilrecht auch ein Abbauwert zugrundegelegt werden kann, welcher der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit näher kommt, als der strafrechtliche Extremwert.



Das Gericht ist davon überzeugt, daß der Kläger zum Unfallzeitpunkt mindestens eine Blutalkoholkonzentration von 1,105 mg/g aufwies.

dd) Der Anscheinsbeweis für einen ursächlichen Zusammenhang ist geführt, wenn ein typischer Geschehensablauf feststeht, bei dem nach der Lebenserfahrung aus einem bestimmten unstreitigen oder bewiesenen Sachverhalt auf eine bestimmte Folge oder umgekehrt aus einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen ist. Bei der Bewertung eines Geschehens als typisch sind alle bekannten Umstände einzubeziehen (BGH NJW 2001, 1140). Das Gericht kommt zwar ohne die Bemühung des Anscheinsbeweises zur gefundenen Überzeugung. Doch selbst wenn man der Auffassung des Gerichtes nicht folgen wollte, würden die Grundsätze des Anscheinsbeweises zum selben Ergebnis führen. Es ist kein Grund ersichtlich, die Regeln des Anscheinsbeweises bei der Rückrechnung von Blutalkoholkonzentrationen nicht anzuwenden. Mag das Wissen um die strafrechtlichen Rückrechnungsregeln mittlerweile auch als juristisches Allgemeingut gelten, so ist dies gleichwohl kein Argument für die kritiklose und unumstößliche Übernahme dieser Grundsätze in das Zivilrecht unter Hintanstellung der dort geltenden Grundsätze.

ee) Das Gericht ist durch das Sachverständigengutachten des Brandenburgischen Landesinstitut für Rechtsmedizin, Med.-Rat Priv.-Doz. Dr. med. W. M nicht gehindert, zu dem gefundenen Ergebnis zu kommen. Die Überzeugungsbildung des Gerichtes steht in Übereinklang mit dem Gutachten und der gerichtsmedizinischen Literatur. Abgewichen ist das Gericht vom Gutachten lediglich in der Rechtsfrage, ob im Zivilrecht sämtliche Eventualitäten zuzüglich keinen Eventualitäten entsprechender Sicherheitsaufschläge in der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen sind.

3. Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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