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Amtsgericht Bad Freienwalde Urteil vom 11.05.2007 - 22 C 56/06 - Zur Ersatzfähigkeit fiktiver Stundenverrechnungsätze einer markengebundenen Fachwerkstatt; fiktiver Ersatzteilaufschläge und fiktiver Verbringungskosten

AG Bad Freienwalde v. 11.05.2007: Zur Ersatzfähigkeit fiktiver Stundenverrechnungsätze einer markengebundenen Fachwerkstatt; fiktiver Ersatzteilaufschläge und fiktiver Verbringungskosten




Das Amtsgericht Bad Freienwalde (Urteil vom 11.05.2007 - 22 C 56/06) hat entschieden:

   Dem Verkehrsunfallgeschädigten steht kein Anspruch auf Ersatz der jeweils höheren fiktiven Stundenverrechnungssätze, der fiktiven UPE-Aufschläge und der fiktiven Verbringungskosten einer markengebunden Fachwerkstatt zu, wenn ihm die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung einen für ihn mühelos erreichbaren nicht markengebundenen preisgünstigeren Fachbetrieb benennt.

Siehe auch
Abstrakte bzw. sog. fiktive Schadensabrechnung - Abrechnung auf Gutachtenbasis
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung

Tatbestand:


Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.




Entscheidungsgründe:


Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein weiterer über den bereits geleisteten Schadensersatz hinausgehender Anspruch gemäß den §§ 7 Abs. 1, 18, 17 StVG, § 823 BGB, §§ 1, 3 Pflichtversicherungsgesetz auf Zahlung von 426,63 € zuzüglich außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu.

Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte - wie hier durch den Kläger geschehen - den für die Herstellung des ursprünglichen Zustandes erforderlichen Geldbetrag auf Basis eines Kostenvoranschlags oder eines Gutachtens geltend machen unabhängig davon, ob der Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht repariert wird ( BGH NZV 2003, 372, 373; Palandt/Heinrichs, 66. Auflage, § 249 BGB, Rn. 14).

Erforderlich in diesem Sinne sind bei einer fiktiven Abrechnung Aufwendungen, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Eigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Dabei genügt es bei einer fiktiven Schadensabrechnung im Allgemeinen, dass der Geschädigte den Schaden auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens berechnet, sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters gerecht zu werden. Begrenzt wird das Integritätsinteresse des Geschädigten jedoch durch den Grundsatz des schadensrechtlichen Bereicherungsverbotes. Daher muss sich der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, auf diese verweisen lassen (BGH NZV 2003, 372, 373).


Ob das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Ingenieurbüros für Fahrzeugtechnik S. & W. GmbH, das als Reparaturfirma die Fa. Autohaus R. GmbH angibt, die oben dargestellten Anforderungen erfüllt, kann hier offen bleiben. Denn jedenfalls kann der Kläger nicht in vollem Umfang die in diesem Gutachten ermittelten Reparaturkosten von der Beklagten verlangen.

Die Beklagte hat durch Vorlage des SSH Prüfberichts vom 21.04.2006 den Kläger konkret eine Fachwerkstatt benannt, die - insoweit zwischen den Parteien unstreitig - das Fahrzeug des Klägers zu einem günstigeren Stundenverrechnungssatz, geringeren Ersatzteilkosten (keine UPE-Aufschläge) und geringeren Lackierungs-kosten (keine Verbringungskosten) repariert hätte. Die von der Beklagten benannte Fachwerkstatt P. in Bad Freienwalde ist vom Wohnort des Klägers ohne erheblichen Mehraufwand mühelos erreichbar. Auch wenn sie nicht markengebunden ist, ist sie zu solchen Arbeiten wie eine Audi-Werkstatt in der Lage. Dies wird auch vom Kläger selbst - zumindest nicht substantiiert - bestritten. Der allgemein gebliebene Einwand des Klägers, dass eine Fremdwerkstatt möglicherweise nicht über die erforderliche Sachkunde zur Reparatur verfüge, ist nach Auffassung des Gerichts insoweit nicht ausreichend. Seit Aufhebung der Markenbindung durch die Gruppenfreistellungsverordnung GVO 1400/2002 der EU-Kommission können im Übrigen auch markenungebundene Werkstätten Originalersatzteile direkt vom Automobilhersteller beziehen. Dies hatte u.a. zur Folge, dass die Hersteller ihr Händlernetz neu strukturiert haben und viele ehemalige markengebundene Vertragshändler nunmehr als freie Fachwerkstätten fungieren. Es besteht daher nach Auffassung des Gerichts kein sachlicher Grund eine sich ebenfalls in der Nähe befindliche markenungebundene Fachwerkstatt von vornherein als nicht gleichwertig anzusehen (so auch im Ergebnis: LG Berlin NZV 2006, 656; Landgericht Heidelberg, Urt. V. 25.04.2006 - 2 S 55/05; LG Essen, Urt. v. 09.05.2006 – 15 S 56/06; AG Göttingen, Urt. V. 07.03.2007 - 25 C 11/07; AG Dortmund, Urt. v. 07. 06. 2005 - 121 C 909/05. A.A. AG Hagen, Urt. v. 26.01.2006 – 19 C 340/05; AG Hamm NZV 2005, 649, 650; LG Aachen NZV 2005, 649; LG Essen, Urt. v. 27.05.2006 - 13 S 115/05).

Die höheren Stundenverrechnungssätze der Fa. Autohaus R. GmbH sowie die höheren Kosten für Ersatzteile und Lackierung bei der vom Kläger gewählten fiktiven Abrechnung sind damit nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB und damit nicht erstattungsfähig. Dieses Ergebnis steht im Übrigen im Einklang mit dem Rechtsgedanken des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach auch Mehrwertsteuerbeträge nur verlangt werden können, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen sind. Nur auf diese Weise wird dem Grundgedanken des Schadensrechts ausreichend Rechnung getragen, dass der Geschädigte einen vollen Schadensausgleich verlangen kann, andererseits keine überobligationsmäßige Bereicherung beanspruchen kann.



Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Das Gericht hat die Berufung gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ZPO zugelassen. Die Zulassung erfolgte deswegen, weil die Klärung der Frage, ob und inwieweit Reparaturkosten einer markengebundenen Fachwerkstatt erstattungsfähig sind, eine einheitliche Rechtsprechung sichern soll. Nach wie vor wird der genannte Problemkreis von den Instanzgerichten unterschiedlich gehandhabt.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 426,63 €.

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