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Oberverwaltungsgericht Münster Beschluss vom 02.12.2021 - 6 A 4715/19 - Schadensersatzpflicht eines Polizeibeamten wegen Dienstpflichtverletzung

OVG Münster v. 02.12.2021: Schadensersatzpflicht eines Polizeibeamten wegen Dienstpflichtverletzung




Das Oberverwaltungsgericht Münster (Beschluss vom 02.12.2021 - 6 A 4715/19) hat entschieden:

   Erfolgloser Zulassungsantrag eines Polizeibeamten, der sich mit seiner Klage gegen die Zahlung von Schadensersatz an seinen Dienstherrn wegen der grob fahrlässigen Verursachung eines Verkehrsunfalls mit einem Funkstreifenwagen wendet.

Siehe auch
Haftung des Beamten gegenüber dem Dienstherrn und Verkehrsrecht
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht

Gründe:


Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen, die der Senat allein zu prüfen hat, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Diese bestehen nur dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der erstinstanzlichen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Diese Voraussetzungen erfüllt die Antragsbegründung nicht.

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, der auf § 48 Satz 1 BeamtStG gestützte Leistungsbescheid sei rechtmäßig. Nach dieser Vorschrift habe ein Beamter, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihm obliegenden Pflichten verletze, dem Dienstherrn, dessen Aufgaben er wahrgenommen habe, den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen lägen vor. Der Kläger habe grob fahrlässig gegen seine Dienstpflicht zur Beachtung der Vorschriften über das Sonderwegerecht für Polizeifahrzeuge (§§ 35, 38 StVO) verstoßen. Er habe als Führer eines Funkstreifenwagens aufgrund des ihm und seinem Beifahrer am 14. Dezember 2014 zwischen 4.00 Uhr und 5.00 Uhr gemeldeten Einsatzes wegen einer Schlägerei in einer Diskothek, für die andere Beamte um Unterstützung gebeten hatten, zwar Sonderwegerechte in Anspruch nehmen dürfen. Hierbei habe er jedoch die übergeordneten Gebote der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beachten gehabt. Sofern eine Kreuzung unter Inanspruchnahme des Sonderwegerechts beispielsweise bei Rot passiert werden solle, müsse der Fahrer in Rechnung stellen, dass andere Verkehrsteilnehmer die Sondersignale nicht oder nicht rechtzeitig wahrnehmen und mit hoher Geschwindigkeit herannahen könnten. Die damit verbundene Kollisionsgefahr sei unter allen Umständen zu vermeiden. Das Wegerecht berechtige nicht zu einer Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer. Der Fahrer des Polizeifahrzeugs müsse die größtmögliche Sorgfalt aufwenden, um eine Gefährdung anderer zu vermeiden. Er müsse sich, soweit die Verkehrsverhältnisse dies erfordern, notfalls mit Schrittgeschwindigkeit in die Kreuzung "hineintasten" und dürfe die Fahrt nur fortsetzen, wenn er sich vergewissert habe, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer die Sondersignale wahrgenommen und ihm ersichtlich freie Bahn eingeräumt hätten. Diese Anforderungen hätten erst recht für die im Streitfall gegebene Verkehrssituation gegolten. Der Kläger sei mit seinem Fahrzeug aus einer Fußgängerzone gekommen und habe von dort aus nach links in den fließenden Verkehr einbiegen wollen. Dabei habe er damit rechnen müssen, dass die Verkehrsteilnehmer auf der kreuzenden Straße (D.--------straße ) die Sondersignale nicht bzw. nicht rechtzeitig wahrnehmen würden, da sie nicht damit hätten rechnen können, dass sich ein Fahrzeug aus dem Fußgängerbereich nähere und in die Straße einbiegen wolle. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger die größtmögliche Sorgfalt aufwenden müssen, um eine Gefährdung der Teilnehmer des fließenden Verkehrs zu vermeiden. Gemessen hieran habe der Kläger seine Pflichten verletzt, weil es ihm aufgrund seiner Geschwindigkeit nicht gelungen sei, sich in die Kreuzung hinein zu tasten und sich zuvor zu vergewissern, ob der von links kommende fließende Verkehr die Sondersignale wahrgenommen und ihm freie Bahn eingeräumt hatte. Die Pflichtverletzung sei auch als grob fahrlässig zu bewerten. Grobe Fahrlässigkeit liege vor, wenn der Handelnde die nach den Umständen gebotene Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletze. Dies sei etwa der Fall, wenn der Handelnde einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstelle oder einen besonderen Leichtsinn an den Tag lege. Allgemein sei davon auszugehen, dass mit dem Maß der möglichen Gefahren auch die Anforderungen an die anzuwendende Sorgfalt stiegen. Hiervon ausgehend berge ein links abbiegendes Fahrzeug, das aus einer Fußgängerzone komme, ersichtlich hohe Gefahren, da der fließende Verkehr in keiner Weise damit rechne. Es liege zudem für den verständigen Autofahrer auf der Hand, dass das Abbiegen in diesem Fall selbst unter Einsatz von Sonderrechten nur vorsichtig erfolgen dürfe, da er davon ausgehen müsse, dass der querende Verkehr ihn beim Einbiegen in die Straße gar nicht wahrnehme. Der sorgfältige Autofahrer müsse überdies ohne weiteres damit rechnen, dass der Bodenbelag in einer Fußgängerzone eine andere Beschaffenheit hat als der auf einer gewöhnlichen asphaltierten Straße. Die insoweit gebotene Sorgfalt habe der Kläger in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, indem er eine zu hohe Geschwindigkeit gewählt habe, die den gegebenen für ihn ohne weiteres erkennbaren Umständen ersichtlich nicht Rechnung getragen habe.




Dem setzt der Kläger mit dem Zulassungsvorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.

Er macht geltend, ihm sei zwar mit Blick auf das Zusammenspiel aus einer zu starken Beschleunigung, einem zu späten Bremsmanöver und abträglichen Straßenbelags- und Witterungsverhältnissen der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit zu machen, nicht jedoch ein grob fahrlässiges Verhalten anzulasten. Damit wendet er sich gegen die erstinstanzliche Tatsachenwürdigung, denn die Entscheidung, ob ein bestimmtes vorwerfbares Verhalten unter Würdigung aller Umstände des Ein zelfalls als grob fahrlässig zu bewerten ist, ist der tatsächlichen richterlichen Würdigung zuzurechnen.

   Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1998 - 2 B 6.98 -, juris Rn. 3; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. September 2020 - 1 L 98/20 -, juris Rn. 7.

Nach dem hierbei anzuwendenden Grundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es gehört zur Aufgabe des Tatsachengerichts, sich auf der Grundlage des Gesamtergebnisses des Verfahrens im Wege einer freien Beweiswürdigung seine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Wie es seine Überzeugung bildet, wie es also die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise würdigt, unterliegt seiner Freiheit. Mit Einwänden gegen die freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene richterliche Überzeugung als tatsächliche Grundlage eines Urteils wird die Richtigkeit der Entscheidung deshalb erst dann in Frage gestellt, wenn gute Gründe dafür aufgezeigt werden, dass das Verwaltungsgericht mit Blick auf eine entscheidungserhebliche Tatsache von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, oder wenn die vom Erstrichter vorgenommene Sachverhaltswürdigung im Lichte der Begründung des Zulassungsantrags fragwürdig erscheint, weil die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind, insbesondere bei Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung. Die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme genügt dagegen zur Begründung ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht.

   Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. September 2020 - 1 L 98/20 -, a. a. O. Rn. 5 m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 6 A 208/14 -, NWVBl 2015, 227 = juris Rn. 7 m. w. N.


Derartige zulassungsbegründende Fehler zeigt der Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht auf.

Erfolglos wendet er ein, das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung fehlerhaft und abstrakt auf das Einfahren mit Sonder- und Wegerechten in eine Kreuzung bei Rotlicht gestützt und hierbei nicht berücksichtigt, dass in derartigen Situationen "verbotswidrig" und im Bewusstsein der eigenen Rotlichtfahrt in den Kreuzungsbereich eingefahren und - trotz entsprechender Möglichkeit - nicht ausreichend heruntergebremst werde, wovon sich jedoch die im Streitfall gegebene Verkehrssituation unterscheide. Er habe vielmehr gerade nicht vorgehabt, in die D.--------straße nach links einzubiegen, ohne etwaigen Querverkehr zu achten, sondern bis zur D.--------straße zu fahren, notfalls anzuhalten und dann - kontrolliert - nach links in die D.--------straße einzubiegen. Ernstliche Zweifel an der angefochtenen Entscheidung ergeben sich daraus jedoch nicht. Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger nicht etwa vorgehalten und als Pflichtverletzung vorgeworfen, bewusst verbotswidrig in den Kreuzungsbereich der Fußgängerzone eingefahren und trotz entsprechender Möglichkeit nicht abgebremst zu haben, sondern vielmehr das Fahren mit einer zu hohen Geschwindigkeit, die es ihm unmöglich machte, rechtzeitig vor der Kreuzung sein Fahrzeug so abzubremsen, dass eine Kollision mit eventuell querendem Verkehr verhindert werden konnte.

Auch mit dem Vortrag, die Entscheidung aufgrund des Notrufs der Kollegen den Fußgängerzonenbereich zu befahren, das Fahrzeug zu stark beschleunigt oder zu spät gebremst und hierbei durch die Straßenbelags- und Witterungsverhältnisse beeinträchtigt worden zu sein, stelle in der gegebenen Stresssituation kein besonders schwerwiegendes und subjektiv schlechthin unentschuldbares Fehlverhalten, sondern lediglich einfache Fahrlässigkeit dar, dringt der Kläger nicht durch. Insoweit macht er erneut die Möglichkeit einer anderen Bewertung der festgestellten Tatsachen geltend. Wie gezeigt, genügt zur Begründung ernstlicher Richtigkeitszweifel das Aufzeigen der bloßen Möglichkeit einer anderen Bewertung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme jedoch nicht. Dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Bewertung des Verhaltens des Klägers als grob fahrlässig in zulassungsbegründender Weise - etwa wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten, wegen der Verletzung gesetzlicher Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeiner Erfahrungssätze, wegen eines aktenwidrig angenommenen Sachverhalts oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung - nicht vertretbar wäre und daher ernstlichen Zweifeln unterliegt, ist den Ausführungen des Klägers nicht zu entnehmen. Vielmehr hat das Verwaltungsgericht die vom Kläger angesprochenen Aspekte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend gewürdigt, dass die ersichtlich hohen Gefahren, die mit dem vom Kläger beabsichtigten Einbiegen aus einer Fußgängerzone - bei der auch besonnene Autofahrer nicht mit einbiegenden Kraftfahrzeugen rechnen müssen - sowie dem dort gegebenen besonderen Bodenbelag (Kopfsteinpflaster) verbunden waren, auf der Hand lagen und den Kläger zu besonderer Sorgfalt verpflichteten. Es hat überdies zutreffend darauf hingewiesen, dass der vom Kläger angesprochene Einsatz "Unterstützung bei einer Schlägerei in einer Diskothek" keine derart besondere Ausnahmesituation dargestellt habe, die eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausnahmsweise hätte zulassen können, weil es sich um einen nachts in der Kölner Innenstadt häufigen Einsatzanlass gehandelt habe, der keine Hinweise auf eine lebensbedrohliche oder sonst wie extreme Situation enthielt. Gegen die vor diesem Hintergrund nach Maßgabe des Grundsatzes freier Beweiswürdigung getroffene Annahme des Gerichts, der Kläger habe die im Streitfall wegen der besonderen Gefahrenlage gebotene Sorgfalt durch die Wahl einer den gegebenen und für ihn ohne weiteres erkennbaren Umständen ersichtlich nicht Rechnung tragenden zu hohen Geschwindigkeit in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, ist ebenfalls nichts zu erinnern.



Den Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist darüber hinaus auch deshalb im Ergebnis beizupflichten, weil die vom Kläger hervorgehobene Notwendigkeit, den Einsatzort möglichst schnell zu erreichen, der Relativierung bedarf. Denn die Fahrstrecke zwischen dem Standort des Funkstreifenwagens des Klägers (Fußgängerzone H. ) und dem Einsatzort (I.-----------ring /C.-------straße ) im Zeitpunkt der Alarmierung betrug bei überschlägiger Betrachtung weniger als einen Kilometer und war daher ohnehin in sehr kurzer Zeit zu bewältigen.

Auf die Einrede der Verjährung hat sich der Kläger (auch) mit seinem Zulassungsantrag nicht berufen, sodass insoweit eine Prüfung durch den Senat zu unterbleiben hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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