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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Beschluss vom 31.01.2022 - 3 Ss-OWi 41/22 - Zur Verhängung eines Fahrverbots bei den sog. Regelverstößen

OLG Frankfurt am Main v. 31.01.2022: Zur Verhängung eines Fahrverbots bei den sog. Regelverstößen




Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Beschluss vom 31.01.2022 - 3 Ss-OWi 41/22) hat entschieden:

  1.  Die Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV, Nr. 132.3 BKat indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, weshalb es regelmäßig eines Fahrverbots bedarf; ein Ausnahmefall ist nur dann gegeben, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls atypischerweise ein Absehen von der Regelwirkung rechtfertigt ist (Anschluss an BGHSt 38, 125 = NZV 1992, 117; OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 11.3.2020 - 1 Ss-OWi 72/20).

  2.  Von einem die Regelwirkung durchbrechenden atypischen Einzelfall ist auszugehen, wenn entweder der Erfolgsunwert erheblich vermindert ist oder nur ein Verstoß von minimalem Handlungsunwert vorliegt.

  3.  Zu der Frage der erheblichen Verminderung des Erfolgsunwerts und eines minimalen Handlungsunwerts aufgrund eines Augenblicksversagens und des „Mitzieheffekts“


Siehe auch
Fahrverbot bei sog. Regelverstößen - Regelfahrverbot
und
Stichwörter zum Thema Fahrverbot

Gründe:


I.

Das Regierungspräsidium Stadt1 hat mit Bußgeldbescheid vom 10.12.2020 gegen den Betroffenen wegen Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage, wobei die Rotphase bereits länger als eine Sekunde andauerte, eine Geldbuße in Höhe von 200 Euro und - verbunden mit einer Anordnung gem. § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Auf seinen Einspruch hin hat das Amtsgericht Darmstadt den Betroffenen mit Urteil vom 31.08.2021 wegen fahrlässiger Missachtung eines roten Lichtzeichens, wobei das rote Lichtzeichen schon länger als eine Sekunde andauerte, zu einer Geldbuße von 200 Euro und - verbunden mit einer Anordnung gem. § 25 Abs. 2a StVG - einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am XX.XX.2020 um 13:28 Uhr mit einem Omnibus mit dem amtl. Kennzeichen … die Straße1 in Richtung Stadt2-Stadtteil1 in Stadt2-Stadtteil2:

   „Als er auf die Querstraße Straße2 zufuhr, schaltete die Lichtzeichenanlage auf rotes Licht und der Betroffene hielt vor der Lichtzeichenanlage, wobei etliche Fahrzeuge vor ihm standen. Nach einer kurzen, unbestimmten Zeit schaltete die Lichtzeichenanlage 3 Sekunden lag auf gelbes Licht, bevor Rotlicht erschien. Obwohl die Lichtzeichenanlage bereit mindestens 1,1 Sekunden Rotlicht zeigte, überfuhr der Betroffene mit seinem Fahrzeug die Haltelinie und durchfuhr die Kreuzung“.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Sie wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge gegen das Urteil, hilfsweise gegen die Anordnung des Fahrverbots im Rechtsfolgenausspruch.

Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main ist der Rechtsbeschwerde entgegengetreten.




II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Var. 4 OWiG statthaft sowie gem. §§ 46 Abs. 1 OWiG, §§ 341, 344 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Die nicht innerhalb der Begründungsfrist des § 345 StPO eingegangene Begründungsschrift ist als zulässige Erläuterung der Sachrüge anzusehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 345 Rn. 10 a.E.).

Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung indes stand. Es lässt durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen im Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch nicht erkennen. Insbesondere hat das Amtsgericht auf der Rechtsfolgenseite mit tragfähiger Begründung ein Fahrverbot gem. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG verhängt.


1. Für die festgestellte Ordnungswidrigkeit ist eine Regelgeldbuße von 200 Euro sowie ein Regelfahrverbot von einem Monat nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV, Nr. 132.3 BKat vorgesehen. Die Erfüllung dieses Tatbestandes indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Dadurch ist die zur Verhängung des Fahrverbots führende grobe Pflichtverletzung in objektiver und subjektiver Hinsicht indiziert.

Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers muss daher nicht gesondert geprüft werde, ob ein grober Verstoß im Sinne des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG vorliegt, sondern allein, ob aufgrund der Umstände des Einzelfalles ein Ausnahmefall gegeben ist, der atypischerweise ein Absehen von der Regelwirkung rechtfertigt (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 119; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 - 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 7).

2. Zutreffend ist das Amtsgericht nicht von einem solchen Ausnahmefall ausgegangen.

Die Indizwirkung für einen groben Verstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVG ist durch die im Urteil geschilderten Umstände nicht widerlegt. Das Amtsgericht hat dafür eine auf Tatsachen gestützte Begründung gegeben und die dem Urteil zu Grunde gelegten Ausführungen sind nachvollziehbar und schlüssig (vgl. BGHSt 38, 125, 130 ff. = NZV 1992, 117, 120; OLG Frankfurt aaO, Tz. 8).

a) Bei Vorliegen eines Regelfalles kann nach der Rechtsprechung nur in solchen Fällen von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden, in denen der Sachverhalt erhebliche Besonderheiten zugunsten des Betroffenen gegenüber dem Normalfall aufweist (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.08.2010 - 2 Ss-OWi 592/10, BeckRS 2010, 26343). Dafür ist entweder erforderlich, dass schon keinerlei Gefährdung weitere Verkehrsteilnehmer besteht, weil auch eine nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist, sodass der Erfolgsunwert erheblich vermindert ist. Somit lässt eine auch nur abstrakte Gefährdung den indizierten Erfolgsunwert eines Rotlichtverstoßes noch nicht entfallen (vgl. BayObLG, Beschl. v. 27.7.2004 - 1 Ob-OWi 310/04, NZV 2005, 433; KG, Beschl. v. 14.4.2020 - 3 Ws (B) 46/20 - 122 Ss 18/20, BeckRS 2020, 6531 Tz 21 f.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 11.3.2020 - 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 11 f.). Oder es liegt ein Verstoß von denkbar geringer Bedeutung und minimalem Handlungsunwert vor. Der Handlungsunwert kann insbesondere durch ein sog. Augenblicksversagen sowie durch den sog. Mitzieheffekt gemindert sein (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.12.2004 - 2 Ss-OWi 411/04, BeckRS 2004, 151752 Tz. 9; Beschl. v. 11.3.2020 - 1 Ss-OWi 72/20, BeckRS 2020, 41395 Tz. 9 ff.).

b) Weder Erfolgs- noch Handlungsunwert sind hier jedoch derart gemindert, dass das Amtsgericht von einem Ausnahmefall ausgehen musste.



aa) Der Erfolgsunwert ist nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender konkreter Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer erheblich gemindert.

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts kann nicht davon ausgegangen werden, dass keinerlei Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer bestand. Unmittelbar vor der sachgegenständlichen Lichtzeichenanlage und auf der anderen Seite der Kreuzung befindet sich ein Fußgängerüberweg, weshalb die Lichtzeichenanlage auch für den Schutz von Fußgängern gedacht ist. Daneben kreuzt an dieser Stelle die Straße1 die Straße2. Die Lichtzeichenanlage dient hier demnach dem Schutz eines Querverkehrs und hat nicht ausschließlich eine den Verkehrsfluss regelnde Funktion. Demnach ist es allein schon aufgrund dieser Straßenlage nicht auszuschließen, dass durch das Überqueren der Kreuzungsanlage Rechtsgüter weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet werden. Dies ergibt sich insbesondere vor dem Hintergrund der Uhrzeit. Der Sachverhalt trug sich zur Mittagszeit um 13:28 Uhr zu. Um diese Tageszeit ist erfahrungsgemäß Verkehr nicht nur rudimentär vorhanden. Plötzlich noch die Fahrbahn betretende, vielleicht sogar rennenden Fußgänger, unter Umstände unachtsame Fahrradfahrer oder ebenso Kraftfahrzeuge können jederzeit auftreten. Selbst bei langsamer Einfahrtsgeschwindigkeit hätten andere Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommen können; das gilt erst Recht bei jemandem, der so unaufmerksam ist, dass er schon das Haltegebot der Lichtzeichenanlage nicht beachtet.

bb) Auch der Handlungsunwert ist nicht derart gering, dass ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

Das Amtsgericht ist überzeugend nicht von einem reinen kurzfristigen Versagen ausgegangen, dass den Handlungsunwert des Verstoßes als weniger gravierend erscheinen ließe. Nach den Feststellungen des Amtsgerichtes fuhr der Betroffene drei Sekunden auf die gelb zeigende und 1,1 Sekunde auf die rot zeigende Lichtzeichenanlage zu. Ein Augenblicksversagen setzt hingegen eine nur kurze Unaufmerksamkeit voraus, weshalb der Verstoß dann nicht auf grober Nachlässigkeit, Rücksichtslosigkeit oder Verantwortungslosigkeit beruht. Bei einer Zeitspanne von 4,1 Sekunden scheidet dies aus, da aufgrund der erheblichen Zeitspanne nicht mehr nur von einer kurzen Unaufmerksamkeit ausgegangen werden kann. Besondere Gründe, warum auch bei dieser erheblichen Zeitspanne von einem Augenblicksversagen auszugehen wäre, sind nach den Feststellungen nicht ersichtlich.

Das Amtsgericht ist zutreffend nicht von einer Verringerung des Handlungsunwerts aufgrund eines Mitzieheffektes ausgegangen. Ein kann dann vorliegen, wenn der Betroffene zuerst ordnungsgemäß an der Lichtzeichenanlage anhält und erst anschließend infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage und einer Unachtsamkeit, indem er sich durch die vor ihm fahrenden Fahrzeuge in die Kreuzung hineinziehen lässt, trotz fortdauernden Rotlichts in die Kreuzung einfährt.

Einen solchen Ausnahmefall hat das Amtsgericht jedoch mit nachvollziehbarer Begründung abgelehnt. Richtig ist, dass der Betroffene zunächst vor der Lichtzeichenanlage ordnungsgemäß anhielt. Der Betroffene konnte jedoch nicht darlegen, warum er anschließend 4,1 Sekunden mit verringertem Handlungsunwert nicht in der Lage gewesen sein soll, den von ihm gesteuerten Omnibus noch vor der Kreuzungseinfahrt zum Halten zu bringen. Ein dahingehender Wahrnehmungsfehler über die Lichtzeichenanlage z.B. aufgrund besonderer Wetter- oder Witterungsverhältnisse o.ä., ist nicht festgestellt; die Tatsache, dass es zur Tatzeit nass gewesen ist, begründet für sich genommen keinen Wahrnehmungsfehler. Eine nasse Fahrbahn hat zwar Auswirkungen auf die Fahreigenschaften eines Kraftfahrzeuges, jedoch nicht unbedingt auf die Möglichkeit der Wahrnehmung des Verkehrsgeschehens. Weiter erschließt sich auf Grundlage der Feststellungen nicht, inwieweit gerade die vorausfahrenden Fahrzeuge den Betroffenen in die Kreuzung hineingezogen haben sollen.

3. Die berufliche Situation des Betroffenen rechtfertigt auf der Rechtsfolgenseite für sich allein nicht das Absehen von einem Fahrverbot.

III.

Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Darmstadt vom 31.08.2021 als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.

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