Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 26.01.2022 - 3 Ws (B) 1/22, 162 Ss 2/22 - Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho und zu Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Arbeitslosengeld II beziehenden Betroffenen

KG Berlin v. 26.01.2022: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho und zu Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Arbeitslosengeld II beziehenden Betroffenen


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 26.01.2022 - 3 Ws (B) 1/22, 162 Ss 2/22) hat entschieden:

  1.  Bei der Geschwindigkeitsermittlung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho kann ein zu geringer Abstand durch eine die Mindestanforderungen weit übertreffende Länge der Messstrecke und durch einen großzügigen Toleranzabzug kompensiert werden.

  2.  Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet sind als innerörtliche Verstöße zu behandeln.

  3.  Anforderungen an die Darstellung von berücksichtigten Voreintragungen.

  4.  Grundsätzlich hat das Tatgericht bei der Verhängung von Geldbußen von mehr als 250,00 Euro keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu treffen, wenn es das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat.

  5.  Etwas anderes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen.

  6.  Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen.


Siehe auch
Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen im Bußgeldverfahren
und
Innerstädtische Stadtautobahnen

Gründe:


I.

Auf den gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 20. Januar 2021 gerichteten Einspruch des Betroffenen hat ihn das Amtsgericht Tiergarten mit Urteil vom 27. Oktober 2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 67 km/h zu einer Geldbuße in Höhe von 1.000,00 Euro verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 1. Dezember 2020 gegen 23.00 Uhr mit einer Geschwindigkeit von zumindest 147 km/h die Bundesautobahn BAB 113 in Richtung Norden zwischen den Abfahrten A und B. Damit überschritt er die durch gut erkennbares Verkehrszeichen zuvor angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 67 km/h.

Das Amtsgericht war von diesem Tatgeschehen überzeugt, weil zwei Polizeibeamte bekundet hatten, den Betroffenen, der ihnen bereits zuvor durch überhöhte Geschwindigkeit aufgefallen sei, über eine Wegstrecke von etwa 2.300 Metern bei einem Abstand von nahezu konstant 100 Metern, gegen Ende der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung höchstens 125 Metern, mit einer vom ungeeichten Tacho abgelesenen Geschwindigkeit von 184 km/h verfolgt zu haben.

Nach dem Anhalten durch die Polizeibeamten äußerte der Betroffene spontan: „Ja, ich weiß, ich bin viel zu schnell gefahren.“

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde erhebt der Betroffene die allgemeine Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 4. Januar 2022 beantragt, die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.




II.

Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte und im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache – neben der vom Senat vorgenommenen Klarstellung hinsichtlich der Normenkette - allein im Hinblick auf die Nichtgewährung einer Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG Erfolg.

Die auf die allgemeine Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zeigt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.

1. Die Sachrüge ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wendet.

a) Die im Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung beruht auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.

Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06 -, juris). Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht (und nicht justiert) war. Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 - 3 Ws (B) 234/21 -; vom 29. November 2017 - 3 Ws (B) 212/17; vom 27. Oktober 2014 - 3 Ws (B) 467/14 -, juris; BayObLG, Beschluss vom 18. Juni 2020 - 201 ObOWi 739/20 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 4. August 2008 - 2 Ss OWi 409/08 -, juris; vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 3 StVO Rn. 62), so dass sich das Tatgericht in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleichbleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein (vgl. Zusammenstellung und Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 6. Aufl., Rn. 2115 ff., 2349 ff.). Bei einer in Dunkelheit oder bei schlechten Sichtverhältnissen durchgeführten Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; vom 22. August 2017 - 3 Ws (B) 232/17 -, juris; vom 27. Oktober 2014 a.a.O.).

Für die hier festgestellten Rahmenbedingungen gilt im Einzelnen: Bei Geschwindigkeiten von 90 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 10. April 2006 - 1 Ss 77/06 -, juris; OLG Düsseldorf NZV 1993, 242; NZV 1993, 80; NZV 1990, 318; OLG Hamm NJW 1975, 1848). Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 a.a.O.; vom 5. April 2019 - 3 Ws (B) 114/19 -, juris; vom 22. August 2017 a.a.O.).




Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils gerecht.

Das Amtsgericht führt nachvollziehbar aus, dass die verfahrensgegenständliche Messtrecke 2.300 Meter betragen hat und dass die Polizeibeamten den Abstand auf nahezu konstant 100 Meter, gegen Ende der durchgeführten Messung höchstens 125 Meter, geschätzt haben anhand von Markierungen von Aus- und Auffahrten und entsprechenden Ankündigungsbaken mit Entfernungsangaben in 100 Meter-Schritten auf dem Streckenabschnitt der Bundesautobahn BAB 113. Die gemessene Bruttogeschwindigkeit von 184 km/h ist - auch aufgrund der Abriegelung des Polizeifahrzeuges - gleichbleibend gewesen. Trotz Dunkelheit sind die Sichtverhältnisse wegen des niedrigen Verkehrsaufkommens, der Trockenheit, des Vollmondes, des Abblendlichtes des Polizeifahrzeuges, des Lichtes der entgegenkommenden Fahrzeuge und der auf der Strecke befindlichen beleuchteten Brücke klar und gut gewesen.

Soweit der Abstand mit 125 Metern gegen Ende der Geschwindigkeitsmessung über der Vorgabe von 100 Metern lag, ist zu berücksichtigen, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Richtlinien nicht starr anzuwenden sind, und etwa eine längere Messstrecke die Fehlerquelle beim (zu großen) Abstand ausgleichen kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 8. Oktober 2021 und vom 27. Oktober 2014, jeweils a.a.O.). Eine derartige Kompensation ist hier vorzunehmen, da die mitgeteilte Messstrecke die Mindestanforderungen fast um ein Fünffaches übersteigt und der Abstand lediglich gegen Ende der Geschwindigkeitsmessung über den Vorgaben gelegen hat.

Im Übrigen hat das Amtsgericht etwaigen Ungenauigkeiten durch einen großzügigen - aber notwendigen - Toleranzabzug von 20 Prozent (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2014 a.a.O.; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 3 StVO Rn. 62) Rechnung getragen.

b) Ferner ist nichts dagegen zu erinnern, dass das Amtsgericht von einer vorsätzlichen Begehungsweise der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen ist.

Bei der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit drängt sich eine vorsätzliche Begehungsweise umso mehr auf, je massiver deren Ausmaß ist. Insoweit kann nach dem gegenwärtigen Wissensstand auf den Erfahrungssatz zurückgegriffen werden, dass jedenfalls bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 Prozent - vorliegend beläuft sich diese auf 83,75 Prozent - von Vorsatz auszugehen ist, sofern nicht besondere Umstände eine abweichende Wertung veranlassen (ständige Rspr. des Senats: vgl. etwa Beschlüsse vom 31. Mai 2019 - 3 Ws (B) 161/19 - und vom 6. März 2019 - 3 Ws (B) 47/19 -, beide juris m.w.N.).

Insbesondere war dem Betroffenen ausweislich der Urteilsgründe die Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h auf dem Streckenabschnitt der Bundesautobahn A 113 bewusst.

Überdies spricht die festgestellte Spontanäußerung des Betroffenen nach dem Anhalten durch die Polizeibeamten („Ja, ich weiß, ich bin viel zu schnell gefahren.“) für vorsätzliches Handeln.

2. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Rechtsfolgenentscheidung wendet, greift sie allein hinsichtlich der Nichtgewährung einer Zahlungserleichterung nach § 18 OWiG durch.

Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatgerichts, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob das Tatgericht von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat, Beschluss vom 12. März 2019 - 3 Ws (B) 53/19 -, juris m.w.N.).

a) Zutreffend hat das Amtsgericht seiner Rechtsfolgenentscheidung den Bußgeldtatbestand nach §§ 1 Abs. 1 und Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV mit Anhang zu Nr. 11 der Anlage Tabelle 1 lit c) lfd. Nr. 11.3.9 zugrunde gelegt.

Es ist rechtsfehlerfrei von einer Überschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften ausgegangen. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind Geschwindigkeitsüberschreitungen auf der Bundesautobahn im Berliner Stadtgebiet als innerörtliche Verstöße zu behandeln (vgl. Senat, Beschlüsse vom 5. Januar 2022 - 3 Ws (B) 329/21 -; vom 22. Dezember 2021 a.a.O.; vom 22. März 2021 - 3 Ws (B) 35/21 -; vom 28. März 2001 - 3 Ws (B) 88/01 -, juris). Die nach der Tatbegehung innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften differenzierende Regelung des Bußgeldkatalogs ist auf die höhere abstrakte Gefährlichkeit von Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich geschlossener Ortschaften zurückzuführen, ohne dass es dabei auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung ankommt. Eine höhere abstrakte Gefährlichkeit ergibt sich bei der Berliner Stadtautobahn beispielsweise aus der Vielzahl von Ein- und Ausfahrten, der häufig kurvigen Streckenführung sowie daraus, dass auf der Stadtautobahn jederzeit mit Verkehrsstauungen gerechnet werden muss (vgl. Senat, Beschluss vom 28. März 2001 a.a.O.).

Den sich aus Nr. 11.3.9 ergebenden Regelsatz von 480,00 Euro hat das Gericht gemäß § 3 Abs. 4a BKatV aufgrund der vorsätzlichen Begehungsweise rechtsfehlerfrei verdoppelt.

Gegen die Erhöhung gemäß § 17 Abs. 3 OWiG von 960,00 Euro auf 1.000,00 Euro aufgrund von Voreintragungen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.

Erforderlich ist insoweit die Darlegung der Art des Verkehrsverstoßes und das Datum des Eintritts der Rechtskraft der berücksichtigten Voreintragung, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine diesbezügliche Rechtsprüfung zu ermöglichen (vgl. BGHSt 39, 291; Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2022 - 3 Ws (B) 343/21 -; 4. Februar 2021 - 3 Ws (B) 6/21 - und vom 13. Mai 2019 - 3 Ws (B) 113/19 -, jeweils juris; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 17 Rn. 20). Denn getilgte oder tilgungsreife Voreintragungen dürfen bei der Bemessung der Geldbuße nicht mehr berücksichtigt werden dürfen (vgl. BGHSt 39, 291; Senat, Beschluss vom 13. Mai 2019 a.a.O.).

Zwar versäumt es das angefochtene Urteil, das Datum des Eintritts der Rechtskraft der im Fahreignungsregister angeführten Eintragungen mitzuteilen. Jedoch werden im Fahreignungsregister nur rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit gespeichert, § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG, und der Senat kann anhand der mitgeteilten Daten, zu denen der Polizeipräsident in Berlin das jeweilige Bußgeld auferlegt - und in einem Fall das Fahrverbot ausgesprochen - hat (UA, S. 3), ausschließen, dass Tilgungsreife vorgelegen hat.




b) Zwar hat das Amtsgericht zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen lediglich Folgendes festgestellt:

   „Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 33-jährige Betroffene ist ledig und hat zwei minderjährige Kinder. Er kann derzeit aufgrund einer Erkrankung nicht arbeiten und lebt zusammen mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen Kindern. Der Betroffene bezieht Arbeitslosengeld II, wobei seine Lebensgefährtin ein eigenes Gewerbe betreibt.“ (UA, S. 3)

Dass die Urteilsgründe trotz der Höhe der verhängten Geldbuße keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen ausweisen, gefährdet den Bestand des Urteils jedoch nicht. Denn sie waren entbehrlich, weil das Amtsgericht das Abweichen vom Regelsatz nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse gestützt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2020 - 3 Ws (B) 49/20 -; OLG Braunschweig, Beschluss vom 13. April 2021 - 1 Ss (OWi) 103/20 -, juris).

Nach den auf der Grundlage der Angaben des anwesenden Betroffenen getroffenen Urteilsfeststellungen bestehen abgesehen von dem Bezug von Arbeitslosengeld II auch keine weiteren konkreten Anhaltspunkte für außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen. Der Bezug von Arbeitslosengeld II, der zwar grundsätzlich darauf hindeuten kann, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht durchschnittlich sind, steht der Entbehrlichkeit weiterer Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen aber nicht entgegen (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 3 Ws (B) 651/13 -; BayObLG, Beschluss vom 17. Oktober 2019 - 202 ObOWi 948/19 -; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Januar 2006 - Ss (OWi) 532/05 -, jeweils juris).

Zahlungsschwierigkeiten, die sich im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Betroffenen ergeben, sind kein Grund für eine Herabsetzung einer der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Schuldvorwurfs angemessenen Geldbuße. Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen ist dann durch Zahlungsaufschub oder Ratenzahlung Rechnung zu tragen. Allerdings darf sich das Gericht mit einem pauschalen Rückgriff auf Zahlungserleichterungen nach § 18 OWiG nicht dem Gebot entziehen, die Leistungsfähigkeit des Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. März 2010 - 2 SsBs 20/10 -, juris; Gürtler/Thoma in Göhler, OWiG 18. Aufl., § 17 Rn. 21).


Zwar wird den Betroffenen die Geldbuße hart treffen. Das gibt jedoch zu einer Minderung des Betrags keinen Anlass. Das Gebot, bei nicht geringfügigen Ordnungswidrigkeiten auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen, ist nicht dahin misszuverstehen, dass nur solche Geldbußen festzusetzen seien, die sich für den Betroffenen nicht belastend auswirken (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 10. März 2010 a.a.O.).

c) Der eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Betroffenen kann durch Zahlungserleichterungen in Form des gewährten Aufschubs und der bewilligten Ratenzahlung gemäß § 18 OWiG Rechnung getragen werden. Denn in Anbetracht der im amtsgerichtlichen Urteil festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ist nicht davon auszugehen ist, dass er die Geldbuße von 1.000,00 Euro in voller Höhe aus seinem laufenden Einkommen oder aus liquiden Rücklagen zahlen kann.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 4. Januar 2022 zur Bewilligung von Zahlungserleichterungen - allein - deshalb keine Veranlassung sieht, weil den Betroffenen die beiden in 2019 verhängten Geldbußen von 160,00 und 140,00 Euro nicht beeindruckt haben, kann dies nicht verfangen: Es bleibt zwar - auch wegen des nicht mitgeteilten Eintritts der Rechtskraft - offen, ob, wann und unter welchen (Zahlungs-)Bedingungen der Betroffene die angeführten Geldbußen beglichen hat. Diese Geldbußen sind jedenfalls mit 300,00 Euro deutlich geringer als die vorliegend in Rede stehende Geldbuße. Außerdem können sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen verändert haben, und es ist auf die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse abzustellen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Dezember 2019, - 3 Ws (B) 365/19 -, juris).

Die insoweit fehlerhafte Rechtsfolgenentscheidung zwingt jedoch nicht dazu, die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen, denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass weitere für die Anordnung der Zahlungserleichterung bedeutsame Feststellungen getroffen werden können. Der Senat macht daher von der Befugnis zur eigenen Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch.

Nach den vom Amtsgericht festgestellten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen ist es ihm zumutbar, die Geldbuße in fünf monatlichen Raten zu je 200,00 Euro zu tilgen. Die mit der Ratenzahlungsgewährung gleichzeitig festgesetzte Verfallklausel beruht auf § 18 Satz 2 OWiG.

d) Schließlich begegnet die Verhängung eines dreimonatigen Fahrverbots keinen rechtlichen Bedenken. Denn der Gesetzgeber sieht für innerorts begangene Geschwindigkeitsüberschreitungen von 67 km/h nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 11.3.9 des Anhangs (Tabelle 1) zur laufenden Nr. 11 der Anlage (BKat) zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig die Anordnung eines dreimonatigen Fahrverbots neben der Verhängung einer Geldbuße vor.

Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei nicht von der Anordnung eines Fahrverbotes abgesehen.

Ein Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes kommt nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn entweder besondere Ausnahmeumstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen offensichtlich gegeben sind und deshalb erkennbar nicht der von § 4 BKatV erfasste Normalfall vorliegt (ständige Rspr.: Senat, Beschluss vom 17. Januar 2018, - 3 Ws (B) 356/17 -, juris).



Auf ein Fahrverbot kann im Ausnahmefall insbesondere dann verzichtet werden, wenn dem Betroffenen in Folge des Fahrverbots Arbeitsplatz- und oder sonstiger wirtschaftlicher Existenzverlust droht und diese Konsequenz nicht durch zumutbare Vorkehrungen abgewendet oder vermieden werden kann (vgl. Senat, Beschlüsse vom 27. April 2020 a.a.O. und vom 25. März 2015 - 3 Ws (B) 19/15 -, juris m.w.N.). Dass die Anordnung des Fahrverbots für den keiner Arbeitstätigkeit nachgehenden Betroffenen eine solche ganz außergewöhnliche Härte darstellen würde, die er auch nicht durch ihm zumutbare Maßnahmen abfedern kann (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Februar 2016 - 3 Ws (B) 95/16 -, juris m.w.N.), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Aufklärung von Amts wegen zur Feststellung fahrverbotsfeindlicher Umstände war nicht geboten: Es obliegt insoweit dem Betroffenen, entsprechende Umstände vorzutragen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. April 2020 a.a.O.).

Schließlich hat sich das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil in ausreichender Weise mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, gemäß § 4 Abs. 4 BKatV von einer Anordnung eines Fahrverbots abzusehen, und darauf hingewiesen, sich darüber bewusst gewesen zu sein, unter bestimmten Voraussetzungen nach Maßgabe von § 4 Abs. 4 BKatV auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichten zu können (UA, S. 3).

Soweit in der Normenkette § 25 Abs. 2a StVG zitiert wird, handelt es sich um ein zu korrigierendes offensichtliches Versehen; eine entsprechende Vollstreckungserleichterung hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei nicht angeordnet.

Denn aufgrund der Voreintragung bezüglich des Bußgeldbescheides vom 26. September 2019 ist dem Betroffenen für die hier verfahrensgegenständliche Tat vom 1. Dezember 2020 eine Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG verwehrt, auch wenn das amtsgerichtliche Urteil versäumt, das für den Fristbeginn für die Berechnung der Zwei-Jahresfrist entscheidende Datum des Eintritts der Rechtskraft (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht 46. Aufl., § 25 StVG Rn. 30) mitzuteilen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Für eine Anwendung der Billigkeitsregelung nach §§ 473 Abs. 4 StPO, 46 Abs. 1 OWiG ist kein Raum, weil der Betroffene die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils erstrebt hat und das Rechtsmittel zur Überzeugung des Senats auch eingelegt hätte, wenn das amtsgerichtliche Urteil der jetzt getroffenen Entscheidung bereits entsprochen hätte. Im Übrigen hatte das Rechtsmittel auch nur in einem geringen Umfang Erfolg.

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