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BGH Urteil vom 21.12.2021 - VI ZR 212/20 - Zur Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall

BGH v. 21.12.2021: Zur Haftung eines Motorenherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall


Der BGH (Urteil vom 21.12.2021 - VI ZR 212/20) hat entschieden:

   Dem Fahrzeugerwerber, der noch im Jahr 2015 sowohl Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen als auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeuges erlangt hat, war es auf dieser Grundlage zumutbar noch im Jahr 2015 Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen den Motorenhersteller aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. Hierzu bedurfte es keiner näheren Kenntnis des Fahrzeugerwerbers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation des Motorenherstellers.

Siehe auch
Diesel- und Abgasskandal: BGH-Rechtsprechung ab 2020
und
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal

Tatbestand:


Der Kläger nimmt den beklagten Motorenhersteller wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger erwarb im November 2012 von einem Gebrauchtwagenhändler einen gebrauchten PKW Audi A4 Avant. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet. Dieser Motor verfügte über eine sog. "Umschaltlogik", die den Prüfstandsbetrieb bei der Typzulassung erkannte und dann die Grenzwerte der Abgasnorm EU 5 einhielt. Außerhalb des Prüfstandsbetriebs befand sich die Motorsteuerung in einem anderen Modus mit NOx-Werten jenseits der Abgasnorm EU 5.

Mit seiner im Jahr 2019 erhobenen Klage verlangt der Kläger Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich des Hauptantrags abzüglich einer Nutzungsentschädigung, hinsichtlich der Rechtshängigkeitszinsen sowie hinsichtlich des Annahmeverzugs stattgegeben, im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht den Vorteilsausgleich zu Gunsten des Klägers abgeändert und dem Kläger zusätzlich Deliktszinsen zugesprochen; die weitergehende Berufung des Klägers sowie die Berufung der Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.




Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Der Kläger habe einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte habe den Kläger durch das Inverkehrbringen des im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet gewesen sei, vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Der Schaden des Klägers liege im Erwerb des Fahrzeugs, den er in Kenntnis der Abschalteinrichtung nicht getätigt hätte.

Der Kläger habe Anspruch auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen bis zur Zustellung der Klage und danach einen Anspruch auf Prozesszinsen. Die Beklagte befinde sich hinsichtlich der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. Der Kläger habe mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs aufgefordert.

Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung sei erfolglos. Die Beklagte habe zwar in der im September 2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung erklärt, dass beim Motor EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, und damit die Mangelhaftigkeit der Fahrzeuge - wenngleich nur vage und verklausuliert - eingeräumt. Sie habe aber bestritten, dass ihr Vorstand oder der für die Haftung nach § 826 BGB in Betracht kommende Personenkreis davon gewusst habe. Erst im Jahr 2016 seien durch Nachforschungen und Ermittlungen Umfang und Größe des Problems deutlich geworden und hätten sich belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe der Beklagten verdichtet. In den rund drei Monaten zwischen der Ad-hoc-Mitteilung und dem Jahresende 2015 hätten allenfalls vage Hinweise bestanden. Damit sei den Geschädigten im Jahr 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge bekannt geworden, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten begründenden Umstände. Eine Klageerhebung sei den Geschädigten bis Ende 2015 nicht zumutbar gewesen.




II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass mit dem Erwerb des PKW am 19. November 2012 ein auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs gerichteter Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB entstanden ist (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.). Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel.

2. Die Revision beanstandet aber zu Recht, dass das Berufungsgericht dem Kläger Deliktszinsen gemäß § 849 BGB auf einen Betrag von 12.784,18 € vom 19. November 2011 bis 25. Juni 2019 zugesprochen hat. Ein solcher Anspruch scheidet aus Rechtsgründen aus, da der Kläger als Gegenleistung für die Kaufpreiszahlung ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat (vgl. Senatsurteile vom 30. Juli 2020 - VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 20 ff.).

3. Die Revision der Beklagten ist auch hinsichtlich des Ausspruchs des Berufungsgerichts begründet, die Beklagte befinde sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug. Der Kläger hat sein Angebot auf Rückgabe des Fahrzeugs durchgängig an die unberechtigte Bedingung der Erstattung des Kaufpreises ohne Berücksichtigung von Nutzungsvorteilen geknüpft. Er hat damit im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich dem Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz, die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als er hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 85; vom 14. Dezember 2020 - VI ZR 573/20, NJW-RR 2021, 187 Rn. 4).

4. Schließlich kann auf der Grundlage des revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachverhalts die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung nicht zurückgewiesen werden.



a) Mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichts ist für die revisionsrechtliche Prüfung der Sachvortrag der Beklagten zu unterstellen, wonach der Kläger noch im Jahr 2015 sowohl Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen als auch von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeuges erlangt hat. Auf dieser Grundlage wäre es dem Kläger entgegen der Annahme des Berufungsgerichts noch im Jahr 2015 zumutbar gewesen, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bedurfte es hierzu keiner näheren Kenntnis des Klägers von den Verantwortlichkeiten innerhalb der Organisation der Beklagten (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 17 ff. mwN). Damit wäre die dreijährige Verjährungsfrist zum Zeitpunkt der erst im Jahr 2019 erfolgten Klageerhebung bereits abgelaufen gewesen.

b) Die Sache ist insoweit allerdings nicht zur Entscheidung reif. Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus konsequent - keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger tatsächlich noch im Jahr 2015 Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 BGB vom Dieselskandal allgemein und von der Betroffenheit seines Fahrzeugs hiervon erlangt hatte.

Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich eine solche Feststellung auch nicht der Aussage des Berufungsgerichts "Damit ist den Geschädigten im Jahr 2015 zwar die Mangelhaftigkeit ihrer Fahrzeuge bekannt geworden, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten begründenden Umstände" entnehmen. Hierbei handelt es sich um eine im Rahmen der - rechtlichen - Prüfung gezogene Schlussfolgerung darüber, ob die Klageerhebung "den Geschädigten" schon im Jahr 2015 zumutbar war, nicht aber um eine tatbestandliche Feststellung über den konkreten Kenntnisstand des Klägers. Soweit die Beklagte geltend macht, es sei im Hinblick auf ihren unwidersprochen gebliebenen Instanzvortrag nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, dass der Kläger insoweit Kenntnis gehabt habe, ist es dem Revisionsgericht verwehrt, entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20, NJW 2021, 3250 Rn. 20 mwN).

III.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und, soweit es nicht zur Entscheidung reif ist, zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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