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Oberverwaltungsgericht Saarlouis Beschluss vom 12.02.2021 - 1 B 380/20 - Ärztlich verordneter Cannabiskonsum

OVG Saarlouis v. 12.02.2021: Ärztlich verordneter Cannabiskonsum




Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (Beschluss vom 12.02.2021 - 1 B 380/20) hat entschieden:

   Zur Klärung von Eignungszweifeln bei ärztlich verordneter Cannabismedikation und vorherigem regelmäßigen Konsum<

Siehe auch
Schmerztherapie und Drogen als Medizin
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Gründe:


I.

Der Antragsteller wurde am 29.8.2019 von einem Polizeibeamten beim illegalen Erwerb von Haschisch beobachtet. Bei der anschließenden Kontrolle wurden 7,19 g Haschisch und eine Feinwaage bei ihm vorgefunden. Der Antragsteller gab an, seit mehreren Jahren Haschisch zu konsumieren, um die Depressionen, an denen er seit dem Tod seines Vaters leide, eigenständig zu therapieren.

Hierüber als zuständige Fahrerlaubnisbehörde in Kenntnis gesetzt gab der Antragsgegner dem Antragsteller Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äußern. In dessen Stellungnahme vom 19.11.2019 heißt es, er habe sich einige Zeit nach dem Tod seines Vaters in ärztliche Behandlung begeben und verzichte seitdem auf Selbstmedikationen jeglicher Art. Mit Schreiben vom 29.11.2019 forderte der Antragsgegner ihn zur Vorlage eines ärztlichen Attestes seines behandelnden Arztes auf, aus dem sich u.a. ergeben sollte, ob dem Antragsteller Cannabis als Medikament verordnet wird. Ausweislich der Bescheinigung seiner Hausärztin vom 14.1.2020 sei u.a. ein depressives Syndrom diagnostiziert; Cannabis werde nicht als Medikament verordnet.

Am 29.1.2020 verfügte der Antragsgegner in Anwendung der §§ 11 Abs. 2 Nr. 5, 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zur Frage, ob bei dem Antragsteller ein einmaliger, gelegentlicher oder regelmäßiger Konsum von Marihuana/Cannabis/Haschisch vorliege.

Der Antragsteller ließ die ihm gesetzte Frist verstreichen und teilte unter dem 27.3.2020 mit, er befinde sich seit dem 4.10.2019 in M... in ärztlicher Behandlung. Dort werde eine Therapie mit medizinischen Cannabisblüten durchgeführt. Auf die Aufforderung, ein entsprechendes Attest vorzulegen, reichte er ein Attest vom 14.4.2020 zur Akte. Hiernach wird der Antragsteller seit dem 4.10.2019 wegen einer generalisierten Angststörung in einer Arztpraxis mit medizinischen Cannabisblüten behandelt. Verordnet sei die Inhalation von jeweils 0,2 g Cannabisblüten morgens, mittags und abends.




Ein hieraufhin unter Aufhebung der Verfügung vom 29.1.2020 angeordnetes ärztliches Gutachten vom 15.7.2020 zur Frage, ob die Kraftfahreignung trotz der bekannten Erkrankung und der damit in Verbindung stehenden Dauermedikation (Medizinal-Cannabisblüten) gegeben ist, kommt zu dem Ergebnis, die Kraftfahreignung sei trotz der bekannten Erkrankung gegeben. Hinsichtlich der mit der Erkrankung verbundenen Dauermedikation empfiehlt die verkehrsmedizinische Gutachterin im Hinblick auf den vormaligen regelmäßigen Cannabiskonsum die weitere Abklärung durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung.

Der Anordnung vom 20.7.2020, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, hat der Antragsteller nicht Folge geleistet. Er hält diese weitere Maßnahme für eine Schikane.

Durch Verfügung des Antragsgegners vom 9.11.2020 ist die Fahrerlaubnis nach vorheriger Anhörung unter Anordnung des sofortigen Vollzugs entzogen worden.





II.

Die Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten - den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die durch Bescheid des Antragsgegners vom 9.11.2020 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis zurückweisenden - Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, aber unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass diese Maßnahme den maßgeblichen Anforderungen der §§ 46 und 11 FeV genüge. Der Antragsgegner habe unter den gegebenen Umständen in Anwendung des § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen dürfen. Denn die Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 20.7.2020 sei rechtmäßig gewesen. Mit Blick auf die Vorgeschichte eines regelmäßigen Cannabiskonsums zur Selbstmedikation und die abschließende Empfehlung in dem auf Veranlassung des Antragsgegners erstellten ärztlichen Gutachten vom 15.7.2020 habe es den Vorgaben des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 FeV entsprochen, zur Klärung verbliebener Eignungszweifel die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Die Fragestellung "Ist die Kraftfahreignung trotz der Dauermedikation (Medizinal-Cannabisblüten) im Hinblick auf die Gesamtbefundlage (Verordnung von Medizinal-Cannabis bei vormaligem regelmäßigem Cannabiskonsum) gegeben?" konkretisiere die ärztliche Empfehlung und es entspreche einer pflichtgemäßen Ausübung des dem Antragsgegner eröffneten Ermessens, diese Frage im Vorfeld einer Entscheidung über das "Ob" einer Entziehung der Fahrerlaubnis zu klären.

Das Vorbringen des Antragstellers in der Beschwerdebegründung vom 17.12.2020, das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den Umfang der vom Senat vorzunehmenden Prüfung begrenzt, gibt keine Veranlassung, die erstinstanzliche Entscheidung abzuändern. Diese steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats zur Frage der Kraftfahreignung bei regelmäßigem Konsum von Cannabis, wenn dieser im Wege einer Dauermedikation erfolgt.1

Unter Bekräftigung seines erstinstanzlichen Sachvortrags weist der Antragsteller darauf hin, dass es in dem ärztlichen Gutachten heiße, seine Kraftfahreignung sei trotz der bekannten Erkrankung gegeben, und bemängelt, dass der Antragsgegner den weiteren Hinweis im Gutachten, der vormalige unrechtmäßige Cannabiskonsum sei im Hinblick auf die zur Zeit bestehende Verordnung von Medizinal-Cannabisblüten kritisch zu sehen, zum Anlass der Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung genommen habe.




Dieser Sichtweise ist entgegenzuhalten, dass aus verkehrsmedizinischer Sicht nicht nur der vormalige unrechtmäßige Cannabiskonsum, sondern gleichermaßen die nunmehrige Kombination von Cannabisblüten mit zwei verschiedenen Psychopharmaka kritisch gesehen wurde (Seite 10 oben des Gutachtens), sowie dass dem das Gutachten abschließenden Befund (Seite 10 Mitte) eindeutig zu entnehmen ist, dass zwar die bekannte Erkrankung als solche die Kraftfahreignung nicht in Frage stelle, aber die mit ihr verbundene Dauermedikation mit Medizinal-Cannabisblüten es im Hinblick auf die Gesamtbefundlage, namentlich den vormaligen regelmäßigen Cannabiskonsum, angezeigt erscheinen lasse, im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu klären, ob die Fahreignung unter dieser Dauermedikation gegeben sei. Dass der Antragsgegner diese verkehrsmedizinische Einschätzung zum Anlass einer weiteren Sachaufklärung durch Erlass der angefochtenen Verfügung genommen hat, entspricht - wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen aufgezeigt hat - dem ihm durch § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zuerkannten Ermessen und ist in der Sache nicht zu beanstanden, zumal auch die Handlungsempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie bei einer Cannabismedikation nach einem ursprünglich missbräuchlichen Cannabiskonsum in der Regel eine medizinisch-psychologische Untersuchung als angezeigt erachtet2.

Soweit der Antragsteller behauptet, der letztmalige unrechtmäßige Cannabiskonsum habe zeitlich deutlich vor dem 29.8.2019 (dem Tag, an dem der Antragsteller beim illegalen Erwerb von Haschisch polizeilich beobachtet worden ist) stattgefunden, liege mithin deutlich länger als ein Jahr zurück, widerstreiten dem seine in dem ärztlichen Gutachten dokumentierten Angaben anlässlich des damaligen Untersuchungsgesprächs. Abgesehen davon, dass er dort angegeben hat, nach anfänglichem gelegentlichem Konsum seit 2013 regelmäßig und seit 2016 fast täglich Cannabis geraucht zu haben, hat er bekundet, er habe nach der aktenkundigen Personenkontrolle einige Tage nicht konsumiert, dann aber wieder angefangen, sich aber zeitgleich über Wege informiert, Cannabis verordnet zu bekommen (Seite 8). In dem schließlich vorgelegten Attest - Arztpraxis - vom 14.4.2020 wird ihm zwar bescheinigt, dort bereits seit 4.10.2019 in Behandlung (Verordnung von Cannabisblüten, Inhalation von ca. 0,2 g morgens, mittags und abends) zu sein, was hieße, dass sein Konsum unter der Prämisse der Einhaltung der verordneten Medikation inzwischen seit geraumer Zeit legal wäre, andererseits aber die Frage aufwirft, warum er ein solches Attest nicht bereits auf die entsprechende Aufforderung des Antragsgegners vom 29.11.2019 zur Akte gereicht, sondern stattdessen ein Attest seiner Hausärztin vom 14.1.2020 vorgelegt hatte, ausweislich dessen Cannabis nicht als Medikament verordnet war.

In einem weiteren Attest sei ihm bescheinigt - so das Beschwerdevorbringen -, dass er sich an die verschriebene Dosierung halte und verantwortungsbewusst mit der Medikation umgehe. Unter anderem werde ein zeitlicher Abstand von ca. 4-6 Stunden zwischen der inhalativen Einnahme und dem Führen eines KFZ eingehalten. Abgesehen davon, dass diese zeitlichen Angaben angesichts einer verordneten Einnahme morgens, mittags und abends nicht plausibel sind, ist die Einschätzung des behandelnden Arztes, der Antragsteller zeige sich compliant und adhärent, halte die Einnahmemodalitäten durchgehend ein und gehe mit großer Sorgfalt mit der Medikation um, bei Erstellung des Gutachtens vom 15.7.2020 bekannt gewesen (Seite 3) und demzufolge in die gutachterliche Würdigung eingeflossen. Dass das Gutachten dennoch mit der Empfehlung an den Antragsgegner, eine medizinisch-psychologische Untersuchung zu veranlassen, endet, indiziert sicherlich nicht, dass die durch die Vorgeschichte bedingten Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers aus verkehrsmedizinischer Sicht ausgeräumt waren.



Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, dass der Antragsteller nach Aktenlage bisher verkehrsrechtlich nicht unter dem Einfluss von Cannabis in Erscheinung getreten ist. Im Rahmen des Fahrerlaubnisrechts geht es nicht um die Sanktionierung von Verkehrsverstößen, sondern im Interesse der Allgemeinheit um die vorbeugende Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs durch in ihrer Kraftfahreignung eingeschränkte Verkehrsteilnehmer. Eine solche Gefahr kann naturgemäß auch dann bestehen, wenn sie sich noch nicht realisiert hat.

Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV können Eignungszweifel, die - wie vorliegend - nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens verbleiben, durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden. Es obliegt dem Antragsteller hierbei mitzuwirken, auch wenn er selbst überzeugt ist, dass sein Verhalten und seine Fähigkeiten den maßgeblichen Anforderungen gerecht werden. Verschließt er sich einer - wie vorliegend - rechtmäßigen Gutachtenanordnung, so greift § 11 Abs. 8 FeV ein. Unter diesen Gegebenheiten hat der Antragsgegner die Entziehung der Fahrerlaubnis zu Recht unter Anordnung des Sofortvollzugs angeordnet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 46.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

Fussnoten
1) OVG des Saarlandes, Beschlüsse vom 3.9.2018 - 1 B 221/18 -, und vom 24.1.2020 - 1 B 347/19 -, jeweils juris. 2) Aktualisierte Fassung vom August 2018, Seite 7.

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