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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss vom 28.07.2019 - 1 Rv 34 Ss 257/20 - Falsche Verdächtigung und Tatmehrheit

OLG Karlsruhe v. 28.07.2019: Falsche Verdächtigung und Tatmehrheit




Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 28.07.2019 - 1 Rv 34 Ss 257/20) hat entschieden:

  1.  Nach § 164 Abs. 2 StGB macht sich derjenige strafbar, der wider besseres Wissen über einen anderen eine Behauptung in der Absicht aufstellt, gegen diesen ein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Zwar kann Endziel einer falschen Anschuldigung sein, sich selbst vor einer Bestrafung zu schützen. Doch müsste der Angeklagte sicher gewusst haben, dass ein solches behördliches Verfahren gegen den anderen notwendige Folge seiner unrichtigen Behauptung sein würde.

  2.  Alternativ angeklagte Taten sind jeweils prozessual selbständige Taten i. S. v. § 264 StPO. Keine Rolle spielt dabei, ob eine eindeutige Verurteilung oder mehrdeutige Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung erfolgen soll. Wird der Angeklagte nur wegen einer der Alternativen schuldig gesprochen, muss er vom Vorwurf der anderen freigesprochen werden, da nur hierdurch klargestellt werden kann, dass die Strafklage hinsichtlich des anderen Vorwurfs verbraucht ist.


Siehe auch
Falsche Verdächtigung
und
Tateinheit - Tatmehrheit - mehrere Verstöße auf einer Fahrt

Gründe:


I.

Das Amtsgericht - Jugendgericht - K. verurteilte den Angeklagten am 16.01.2020 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, falscher Verdächtigung und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15,- Euro. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legte der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung ein, ging dann (BGH, Beschluss vom 19.4.1985, 2 StR 317/84, BeckRS 9998, 168899) innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zur Revision über.

Der Angeklagte beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und das Verfahren einzustellen, soweit der Angeklagte wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde, die Sache im Übrigen an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich hinsichtlich des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis diesem Antrag angeschlossen und beantragt im Übrigen, die Revision mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 51 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt wird.





II.

1. Die nach zulässiger Revision von Amts wegen durchzuführende Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass es hinsichtlich der Verurteilung des Angeklagten wegen (vorsätzlichen) Fahrens ohne Fahrerlaubnis an der Erhebung einer ordnungsgemäßen Anklage (hier in Form eines Strafbefehls) fehlt. Der Strafbefehl vom 30.09.2019 legt dem Angeklagten - in zulässiger Weise alternativ, da die zur Wahl stehenden Tatvorwürfe beide zu den Rechtspflegedelikten gehören, nach allgemeinem Rechtsempfinden jedenfalls ähnliche sittliche Missbilligung verdienen und eine in etwa gleichgeartete psychische Beziehung des Täters zu den alternativ vorgeworfenen Verhaltensweisen besteht (vgl. hierzu m.w.N. Dannecker/Schuhr in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2020, Anhang zu § 1 Rn. 135 ff.) - folgende Sachverhalte zur Last:

   „Am 26.06.2019 fuhr um 20.48 Uhr ein Pkw .., Kennzeichen … auf der Kstraße in L., anschließend prallte er gegen einen vor ihm stehenden Pkw, es entstand ein Fremdsachschaden von etwa 2.000,- Euro.

Bei Ihrer polizeilichen Vernehmung als Zeuge sagten Sie gegenüber PHM A. um 20.40 Uhr [sic] aus, dass der Insasse, Ihr „Kumpel S.“ den Unfall als Fahrer verursacht habe, Sie selbst hätten auf dem Beifahrersitz gesessen. Da S. eine Blutalkoholkonzentration von 1,4 Promille aufwies, wurde ihm der Führerschein abgenommen und ein Ermittlungsverfahren wegen Gefährdung des Straßenverkehrs eingeleitet.

Mit Datum vom 29.06.2019 verfassten Sie ein Schreiben, dass der Beschuldigte S. absprachegemäß der Polizei vorlegte. Hierin behaupteten Sie, dass Sie selbst der Fahrer gewesen seien und den Unfall verursacht hätten.

Entweder war die Aussage im Fall 1 wissentlich wahrheitswidrig und Sie wollten, dass durch Ihre Angabe ein Ermittlungsverfahren gegen S. eingeleitet würde, was auch geschah, oder Sie wollten mit der falschen Aussage im Fall 2 erreichen, dass der Angezeigte nicht wegen Straßenverkehrsgefährdung angeklagt würde, was jedoch nicht gelang.“

2. Das Amtsgericht hat den Angeklagten auf Grundlage der wegen alternativer Tatvorwürfe erhobenen Klage wegen der ersten Alternative (falsche Verdächtigung gem. § 164 Abs. 1 StGB) verurteilt, wegen der zweiten (Vorwurf der versuchten Strafvereitelung gem. §§ 258, 22 StGB) keine Entscheidung getroffen.

Die hier alternativ angeklagten Taten sind jeweils prozessual selbständige Taten i. S. v. § 264 StPO. Keine Rolle spielt dabei, ob eine eindeutige Verurteilung oder mehrdeutige Verurteilung im Wege der Wahlfeststellung erfolgen soll (BGH NStZ 1998, 635). Wird der Angeklagte nur wegen einer der Alternativen schuldig gesprochen, muss er vom Vorwurf der anderen freigesprochen werden, da nur hierdurch klargestellt werden kann, dass die Strafklage hinsichtlich des anderen Vorwurfs verbraucht ist (BGH, a.a.O.; OLG Hamburg, NStZ-RR 2016, 118; Dannecker/Schuhr in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2020, Anhang zu § 1, Rn. 158). Da die Verurteilung wegen der einen Alternative denknotwendig die Verneinung der anderen voraussetzt, hat sich das Amtsgericht mit dieser anderen Alternative auch befasst und über diese - wenn auch nicht ausdrücklich durch Tenorierung - entschieden. Somit ist insoweit, da eine Anfechtung durch die Staatsanwaltschaft nicht stattgefunden hat, materielle (Teil-) Rechtskraft eingetreten und der Freispruch vom alternativen Vorwurf der versuchten Strafvereitelung vom Senat nachzuholen.




3. Soweit der Angeklagte wegen falscher Verdächtigung gemäß § 164 Abs. 1 StGB verurteilt wurde, tragen die Feststellungen den Schuldspruch nicht, worauf die Verteidigung zu Recht hinweist.

Hiernach sagte der Angeklagte am 26.06.2019 als Zeuge nach einem Verkehrsunfall, an welchem er als Führer eines Kraftfahrzeugs beteiligt war, gegenüber der Polizei - um sich selbst vor Strafverfolgung zu schützen - bewusst wahrheitswidrig aus, sein Kumpel S. habe den Unfall als Fahrer verursacht, er selbst sei Beifahrer gewesen. Diese Behauptungen enthalten für sich noch nicht den Vorwurf einer strafbaren Handlung. Zwar wurde dem S. im Rahmen der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen eine Blutprobe entnommen, welche eine Blutalkoholkonzentration von 1,4 Promille aufwies. Doch hat das Amtsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Angeklagte über das sichere Wissen verfügte, dass die von ihm erhobene Anschuldigung zu einem Verfahren gegen den Verdächtigten wegen einer Straftat führen würde (vgl. BGHSt 13, 221; Schönke/ Schröder/ Bosch/ Schittenhelm, StGB, 30. Aufl. 2019, § 164 Rn. 32 m.w.N.). Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn dem Angeklagten die Alkoholisierung und die daraus resultierende Fahruntüchtigkeit seines Kumpels bekannt waren und er somit über das sichere Wissen verfügte, dass seine Anschuldigung einen entsprechenden Verdacht bei den Ermittlungsbehörden begründen und zur Aufnahme von Ermittlungen gegen S. wegen einer Verkehrsstraftat führen würden. Dies ist bislang weder festgestellt noch allein dem Umstand zu entnehmen, dass bei dem der Unfallverursachung angeschuldigten Kumpel eine erhebliche, wahrscheinlich für den Angeklagten jedenfalls bemerkbare Alkoholisierung festgestellt wurde.

4. Die Feststellungen tragen auch eine Verurteilung nach § 164 Abs. 2 StGB nicht. Hiernach macht sich auch derjenige strafbar, der wider besseres Wissen über einen anderen eine Behauptung in der Absicht aufstellt, gegen diesen ein Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen (Schönke/Schröder/ Bosch/ Schittenhelm, StGB, 30. Aufl. 2019, § 164 Rn. 13). Allerdings bleiben auch insoweit die Feststellungen unzureichend: Zwar wird mitgeteilt, dass der Angeklagte zuvor als Fahrer eines VW Golf gegen ein vor ihm stehendes anderes Fahrzeug geprallt, wodurch Fremdsachschaden in Höhe von etwa 2.000,- Euro entstanden sei. Dies kann den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO begründen. In subjektiver Hinsicht muss dem Täter aber Vorsatz hinsichtlich der Eignung der von ihm aufgestellten Behauptung zur Herbeiführung eines behördlichen Verfahrens nachzuweisen sein. Zur subjektiven Tatseite des Angeklagten stellt das Amtsgericht lediglich fest, dass sich dieser vor der Strafverfolgung (wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis) habe schützen wollen. Zwar kann Endziel einer falschen Anschuldigung sein, sich selbst vor einer Bestrafung zu schützen. Doch müsste der Angeklagte sicher gewusst haben, dass ein solches behördliches Verfahren gegen S. notwendige Folge seiner unrichtigen Behauptung sein würde (BGHSt. 18, 206; OLG Koblenz, NZV 2011, 93; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 244; Fischer, StGB, 67. Aufl. 2020, § 164 Rr. 13). Hierzu verhalten sich die Feststellungen nicht.

5. Das Urteil kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil der Senat nicht nachprüfen kann, ob das Amtsgericht seiner Verpflichtung, die festgestellten Sachverhalte erschöpfend zu würdigen (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl. 2020, § 267 Rn. 12 m.w.N.), nachgekommen ist. Das Amtsgericht hat sich darauf beschränkt, die Beweismittel aufzulisten, auf welche es - neben dem als glaubhaft angesehen Geständnis des Angeklagten - seine Überzeugung stützt. Gerade vor dem Hintergrund der wechselhaften Einlassungen des Angeklagten zur Unfallfahrt am 26.06.2019 durfte sich das Amtsgericht hierauf nicht beschränken, sondern hätte darlegen müssen, worauf es seine Überzeugung zur Erwiesenheit der ersten der alternativ zu Anklage gebrachten Sachverhaltsvarianten stützt (Tat Ziff. 1). Hinsichtlich Tat Ziff. 2 kann der Senat nicht prüfen, wie das Amtsgericht zu der Feststellung gelangt ist, der Angeklagte habe mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,78 Promille ein Kraftfahrzeug geführt. Grundlage dieser Feststellung kann das Geständnis des Angeklagten kaum gewesen sein. Wie das Amtsgericht zu dieser Feststellung gelangt ist, welche Urkunde ggfls. verlesen wurde und welchen Inhalt diese hatte, wird nicht mitgeteilt.



III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten zur Frage der Unfallverursachung als Zeuge vernommen. Das selbstbegünstigungsmotivierte Bestreiten der eigenen Täterschaft (hier wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis) ist bei einer Beteiligungslüge vor Ort auch dann als Falschverdächtigung anzusehen, wenn hierdurch der behördliche Verdacht notwendigerweise auf den einzigen, als potentieller Täter in Betracht kommenden Mitfahrer gelenkt wird. Dies gilt bei dem sich selbst begünstigenden, von der Polizei befragten verdächtigen Zeugen auch in sog. Zwei-Personen-Konstellationen, da er anders als ein Beschuldigter nicht für sich in Anspruch nehmen kann, durch die Bezeichnung des anderen als Täter lediglich selbst die Schlussfolgerung aus einem prozessual zulässigen Bestreiten der eigenen Täterschaft zu ziehen (OLG Düsseldorf NJW 1992, 1119; OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 18.3.1998 - 2 Ss 40/98, BeckRS 1998, 12536; Schönke/ Schröder/ Bosch/ Schittenhelm, 30. Aufl. 2019, StGB § 164 Rn. 5 m.w.N.; a.A. OLG Hamm NJW 1965, 62; Dehne-Niemann, NStZ 2015, 677; offengelassen von BGH NJW 2015, 1705) und zudem eine falsche Bezichtigung eines Unschuldigen durch die Aussage eines, wenn auch verdächtigen, aber der Wahrheitspflicht unterliegenden Zeugen (dem prozessual gem. § 55 StPO lediglich ein partielles Auskunftsverweigerungsrecht zusteht) ein höherer Beweiswert einhergehend mit einer größeren Gefahr der Aufnahme oder Fortführung irrtumsbedingter Strafverfolgungsmaßnahmen gegen einen Unschuldigen beizumessen ist als wenn die Falschbezichtigung durch einen Beschuldigten erfolgt wäre.

2. Für die ggf. neu zu treffende Rechtsfolgenentscheidung ist zu beachten, dass auch bei einem Abiturienten, der zu den Tatzeiten schon mehr als 20 Jahre alt war, sich die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht nicht von selbst versteht. Das neue Tatgericht wird sich daher mit der Vorschrift des § 105 JGG in nachprüfbarer Weise auseinanderzusetzen und die Rechtsfolgenentscheidung unter Beachtung von § 267 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 StPO zu begründen haben.

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