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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss vom 14.04.2021 - 12 ME 39/21 - Fahrtenbuchanordnung - Ermittlungen zur Fahrerfeststellung

OVG Lüneburg v. 14.04.2021: Fahrtenbuchanordnung - Ermittlungen zur Fahrerfeststellung




Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 14.04.2021 - 12 ME 39/21) hat entschieden:

   Es hängt unter anderem von dem - sei es auch durch überobligatorische Anstrengungen - erreichten Zwischenstand der Ermittlungen zur Identifikation des Fahrzeugführers ab, ob daraufhin in Betracht zu ziehende weitere Ermittlungen der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren ihrerseits (noch) überobligatorisch wären.

Siehe auch
Fahrtenbuch-Auflage: Erforderlicher Ermittlungsaufwand
und
Stichwörter zum Thema Fahrtenbuch

Gründe:


I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller dagegen, dass es das Verwaltungsgericht durch den angefochtenen Beschluss vom 17. Februar 2021, auf den wegen der Einzelheiten seiner Gründe Bezug genommen wird, abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, die er gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. November 2020 (Bl. 6 ff. der Gerichtsakte) erhoben hatte. Durch diesen Bescheid wurde ihm in Anknüpfung an eine Geschwindigkeitsüberschreitung (um 29 km/h), die mit dem von ihm gehaltenen Pkw (amtl. Kennz.: C.) am 23. März 2020 in D. begangen worden war, und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aufgegeben, für das Tat- oder ein Ersatzfahrzeug über sechs Monate hinweg ein Fahrtenbuch zu führen.





II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 17. Februar 2021 hat keinen Erfolg.

Überwiegend genügen die dargelegten Beschwerdegründe des Antragstellers, die allein der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu prüfen hat, bereits nicht den an ihre Darlegung unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) zu stellenden Anforderungen, im Übrigen überzeugen sie in der Sache nicht.

Um sich im Sinne des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO mit der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen, muss ein Beschwerdeführer von der Begründungsstruktur dieser Entscheidung ausgehen und das Entscheidungsergebnis in Frage stellen (Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 146 Rn. 31). Die erforderliche Dichte seiner eigenen Ausführungen hat sich dabei an der Dichte der Begründung der angefochtenen Entscheidung zu orientieren (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 22a). Je intensiver die gerichtliche Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Beschwerdeführer die sie tragende Argumentation entkräften. Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und – soweit möglich – deren Vorzugswürdigkeit darlegen (Nds. OVG, Beschl. v. 16.11.2016 - 12 ME 132/16 -, ZNER 2017, 70 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 56, und Beschl. v. 10.2.2014 - 7 ME 105/13 -, juris, Rn. 26). Hieraus folgt, dass es regelmäßig nicht genügt, wenn er pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt oder dieses unverändert wiederholt (vgl. Stuhlfauth, in: Bader u. a., VwGO, 7. Aufl. 2018, § 146 Rn. 31, m. w. N.).

1. Der Antragsteller macht unter 1. seiner Beschwerdebegründungsschrift vom 9. März 2021 geltend, die Vorinstanz sei von der falschen Voraussetzung ausgegangen, dass ihm im Bußgeldverfahren der Anhörungsbogen vom 14. April 2020 zugegangen sei. Die Gesamtumstände sprächen dafür, dass es an einem solchem Zugang fehle. Denn im Zusammenhang mit der Angabe einer falschen Postleitzahl, der Nichtberücksichtigung seines Umzuges bzw. des erbetenen Termins beim Einwohnermeldeamt habe es umfangreiche Probleme gegeben, ihm überhaupt Schriftstücke zuzustellen. Hätte er den Anhörungsbogen erhalten, hätte er hierauf sofort geantwortet. Aus Blatt 2 des Verwaltungsvorgangs (= Beiakte 1) ergebe sich, dass er im Bußgeldverfahren nicht als Betroffener angehört worden sei. Zumindest im Ermessenswege hätte die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis kommen müssen, ihm keine Fahrtenbuchführungspflicht aufzuerlegen.

Dieses Vorbringen genügt bereits nicht den an die Darlegung der Beschwerdegründe zu stellenden Anforderungen.


a) Soweit der Antragsteller Zustellungsprobleme geltend macht, setzt er sich nicht damit auseinander, dass ihm das Verwaltungsgericht entgegengehalten hat:

„Die (insbesondere) im Verwaltungsverfahren geäußerten Zustellungsprobleme dürften sich nicht auf den streiterheblichen Zeitpunkt und die verwendete Adresse beziehen.“ b) Der Antragsteller behauptet zwar, auf einen ihm zugegangenen Anhörungsbogen hätte er sofort geantwortet. Er geht aber nicht darauf ein, dass das Verwaltungsgericht ausgeführt hat:
   „Eine Nichtrücksendung des Zeugenfragebogens wird regelmäßig als Ablehnung der Mitwirkung angesehen. Dies kommt auch so häufig vor, dass die Behörde grundsätzlich davon ausgehen darf, dass die fehlende Rücksendung nicht auf einem Versehen beruht, weshalb eine nochmalige Nachfrage hier nicht geboten war. … Nach der vorzitierten obergerichtlichen Rechtsprechung kann jedenfalls in dem Fall, dass kein Rückläufer zu verzeichnen ist und auch sonst keine Zustellungsprobleme an die betreffende Adresse bekannt sind, zumindest davon ausgegangen werden, dass ein Zugang erfolgt ist, wenn die betreffende Person sich nicht unmittelbar nach Erhalt der Anhörung zum Fahrtenbuch bei der Behörde meldet und mitteilt, den Fragebogen nicht erhalten zu haben. Letzteres ist hier nicht der Fall; zudem liegt nicht einmal ein Zugangsbestreiten vor, sondern es wird nur die Möglichkeit geäußert, dass ein solcher nicht erfolgt sei.“

Sich mit diesen Ausführungen der Vorinstanz auseinanderzusetzen, wäre unter anderem geboten gewesen, weil das eigene Verhalten des Antragstellers im Widerspruch zu seiner nunmehrigen Argumentation steht. Denn wäre es tatsächlich sicher gewesen, dass er auf einen ihm zugegangenen Anhörungsbogen sofort geantwortet hätte, so hätte auch er selbst aus seiner unterlassenen Antwort sicher auf den fehlenden Zugang des Anhörungsbogens bei sich schließen können. Er selbst hat diesen Schluss jedoch für so wenig zwingend gehalten, dass er lediglich die Möglichkeit in den Raum stellte, der Zugang des Anhörungsbogens bei ihm sei nicht erfolgt. Er darf dann aber nicht erwarten, dass die Antragsgegnerin und die Gerichte seinem Verhalten einen höheren indiziellen Wert beilegen, als er dies anfänglich selbst getan hatte.
c) Weshalb sich gerade aus Blatt 2 des Verwaltungsvorgangs (Beiakte 1) ergeben soll, dass er im Bußgeldverfahren nicht als Betroffener angehört worden sei, legt der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründungsschrift nicht näher dar. Es ist nicht nachvollziehbar und deshalb kein geeignetes Gegenargument.




Sollte der Antragsteller insoweit und mit dem vorhergehenden Satz stattdessen einwenden wollen, er sei, wenn überhaupt, als Betroffener und nicht als Zeuge angehört worden, so wird auch die Erheblichkeit dieses Vorbringens nicht deutlich.

d) Ohne geeignete argumentative Begründung bleibt ferner die Kritik des Antragstellers, dass das Ermessen der Antragsgegnerin darauf reduziert gewesen sei, ihm keine Fahrtenbuchführungspflicht aufzuerlegen. Der Senat vermag eine überzeugende Rechtfertigung für die Annahme einer solchen Ermessensreduktion nicht zu erkennen.

2. Unter 2. seiner Beschwerdebegründungsschrift macht der Antragsteller geltend, wenn schon Ermittlungen zur Fahrerfeststellung eingeleitet worden seien, so müssten diese Ermittlungen auch zureichend „umgesetzt“ werden. Hier sei das nach der Einleitung der Ermittlungen jedoch nicht geschehen.

Mit dieser Überlegung entkräftet der Antragsteller die Gründe des angefochtenen Beschlusses ebenfalls nicht. Denn es ist ihm nicht gelungen, mit seinen Darlegungen die Annahme des Verwaltungsgerichts zu erschüttern, dass er auf einen ihm zugegangenen Anhörungsbogen nicht reagiert habe. Dann aber sind die weiteren Ermittlungen der Verfolgungsbehörde grundsätzlich nur als überobligatorisch anzusehen. Es kann hier dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen auch Unzulänglichkeiten von lediglich überobligatorisch begonnenen Ermittlungen dazu führen könnten, dass anzunehmen wäre, eine Verfolgungsbehörde hätte nicht alle angemessenen und ihr zumutbaren Ermittlungsmaßnahmen ergriffen. Letzteres käme allerdings in Betracht, wenn die Verfolgungsbehörde – sei es auch nur durch überobligatorische Anstrengungen – einen Zwischenstand ihrer Ermittlungen erreicht hätte, mit dem sie bereits „auf der Zielgerade“ zur Identifikation des Fahrzeugführers angelangt wäre, sie dann aber leichtfertig einen nun greifbar gewordenen Ermittlungserfolg vergeben hätte. Denn es hängt unter anderem vom dem – wie auch immer – erreichten Zwischenstand der Ermittlungen ab, ob daraufhin in Betracht zu ziehende weitere Ermittlungen ihrerseits (noch) überobligatorisch wären. Eine Situation zwar überobligatorisch aufgefundener, aber vielversprechender sich aufdrängender Ermittlungsansätze wird hier jedoch von dem Antragsteller nicht dargelegt. Es reicht indessen für eine durchschlagende Kritik am Handeln der Verfolgungsbehörde nicht aus, wenn überobligatorisch begonnene Ermittlungen von dieser (lediglich) nicht konsequent oder nicht im Einzelnen nachvollziehbar dokumentiert und geführt wurden (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 14.11.2013 - 8 A 1668/13 -, juris, Rn. 29).


3. Der Antragsteller meint unter 3. seiner Beschwerdebegründungsschrift, es wäre zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht zwingend notwendig, hier aber nicht der Fall, dass die Unterlassung der Rücksendung des Anhörungsbogens ursächlich dafür geworden sei, dass der Fahrer des Tatfahrzeugs nicht ermittelt werden konnte.

Diese Rechtsaufassung ist unrichtig. Die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuchs setzt nicht voraus, dass die Nichtfeststellbarkeit des verantwortlichen Fahrzeugführers auf einer – aus welchem Grund auch immer – unzureichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters an den Ermittlungen der Verfolgungsbehörde im Bußgeldverfahren beruht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 19.8.2020 - 12 ME 114/20 -, juris, Rn. 22, und Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, NJW 2019, 1013 ff., hier zitiert nach juris, Rnrn. 16 und 17, m. w. N.). Das ergibt sich aus dem gefahrenabwehrrechtlichen Charakter der Regelung über die Fahrtenbuchanordnung und ihrem Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs bei gegebenem Anlass dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit über das Fahrtenbuch alsbald ermittelt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht den Vorschlägen unter den Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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