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BGH Urteil vom 20.10.2020 - VI ZR 319/18 - Reichweite der Haftung des Halters eines abgeschleppten und in einer Lagerhalle in Brand geratenen Kraftfahrzeuges

BGH v. 20.10.2020: Reichweite der Haftung des Halters eines abgeschleppten und in einer Lagerhalle in Brand geratenen Kraftfahrzeuges




Der BGH (Urteil vom 20.10.2020 - VI ZR 319/18) hat entschieden:

   Zur Reichweite der Haftung des Halters eines abgeschleppten und in einer Lagerhalle in Brand geratenen Kraftfahrzeuges nach § 7 Abs. 1 StVG.

Siehe auch
Betriebsgefahr und Fahrzeugbrand
und
Betriebsgefahr - verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung

Tatbestand:


Der klagende Gebäudeversicherer nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer eines Kraftfahrzeugs aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch.

In der von der Klägerin versicherten Lagerhalle betreibt deren Versicherungsnehmerin ein Abschleppunternehmen. Die Versicherungsnehmerin wurde beauftragt, ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug, das bei einem Verkehrsunfall schwer beschädigt worden und nicht mehr fahrbereit war, abzuschleppen. Daraufhin verbrachte die Versicherungsnehmerin das Fahrzeug in ihre Lagerhalle, wo es nach dem Abstellen nicht mehr bewegt wurde. Drei Tage später brannte es in der Lagerhalle.

Die Klägerin behauptet, dass der Brand die Folge eines technischen Defekts des Fahrzeugs gewesen sei. Der Brandschaden sei von einer Betriebseinrichtung des Fahrzeugs ausgegangen und habe überdies in einem zeitlichen Zusammenhang mit einem schweren Verkehrsunfall gestanden, der sich wiederum im öffentlichen Straßenverkehr ereignet habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch weiter.





Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Beklagte eine Schadensersatzpflicht mangels jeglicher Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten nur gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG treffen könnte. Es könne dahinstehen, ob der Brand von dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug seinen Ausgang genommen habe. Eine Haftung scheitere jedenfalls daran, dass der Schaden nicht bei dessen Betrieb entstanden sei. Das Fahrzeug habe sich zum Zeitpunkt der Brandentstehung weder in Bewegung noch im öffentlichen Verkehrsraum befunden. Vielmehr sei es in der Halle des Abschleppunternehmens abgestellt gewesen, die allein privaten Zwecken gedient und damit keinen Teil des öffentlichen Verkehrsraums dargestellt habe. Es sei weder dargetan noch ansonsten irgendwie ersichtlich, dass der Brand durch das spätere Betätigen des Motors oder durch einen unmittelbar durch den Unfall verursachten Defekt desselben herbeigeführt worden sein könnte. Die Behauptung der Klägerin beschränke sich darauf, dass der Schadensfall von dem Fahrzeug seinen Ausgang genommen habe. Es hätte der Darlegung weiterer konkreter Anhaltspunkte durch die Klägerin bedurft, um von einem Zusammenhang eines Fahrzeugbrands zum Betrieb des Fahrzeugs auszugehen. Zum Zeitpunkt des Schadensfalles habe die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Fahrzeugs keine Rolle mehr gespielt. Es habe sich um ein schwer beschädigtes, nicht mehr betriebsbereites Fahrzeug gehandelt, bei dem nicht festgestanden habe, ob es überhaupt jemals wieder im Straßenverkehr würde eingesetzt werden können.





II.

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG (in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG) nicht abgelehnt werden.

1. Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" verletzt bzw. beschädigt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, das heißt, wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, das heißt, die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. nur Senatsurteile vom 11. Februar 2020 - VI ZR 286/19, VersR 2020, 782 Rn. 10; vom 26. März 2019 - VI ZR 236/18, VersR 2019, 897 Rn. 8 mwN).

Dass Dritte durch den Defekt einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeuges an ihren Rechtsgütern einen Schaden erleiden, gehört nach der Rechtsprechung des Senats zu den spezifischen Auswirkungen derjenigen Gefahren, für die die Haftungsvorschrift des § 7 StVG den Verkehr schadlos halten will. Dabei macht es rechtlich keinen Unterschied, ob der Brand unabhängig vom Fahrbetrieb selbst vor, während oder nach einer Fahrt eintritt. Wollte man die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG auf Schadensfolgen begrenzen, die durch den Fahrbetrieb selbst und dessen Nachwirkungen verursacht worden sind, liefe die Haftung in all den Fällen leer, in denen unabhängig von einem Betriebsvorgang allein ein technischer Defekt einer Betriebseinrichtung für den Schaden eines Dritten ursächlich geworden ist. Bei der gebotenen wertenden Betrachtung ist das Schadensgeschehen jedoch auch in diesen Fällen - im Gegensatz etwa zu einem vorsätzlichen Inbrandsetzen eines ordnungsgemäß auf einem Parkplatz abgestellten Kraftfahrzeuges (vgl. Senatsurteil vom 27. November 2007 - VI ZR 210/06, VersR 2008, 656 Rn. 11 f.) - durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren entscheidend (mit)geprägt worden. Hierzu reicht es aus, dass der Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2014 - VI ZR 253/13, BGHZ 199, 377 Rn. 6). An diesen Grundsätzen hält der Senat auch angesichts der hiergegen vorgebrachten Kritik (vgl. LG Heidelberg, r+s 201 6, 481, 482 f.; LG Köln, r+s 2017, 655; Burmann/ Jahnke, DAR 2016, 313, 319; Burmann in Burmann/ Heß/ Hühnermann/ Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl., § 7 StVG Rn. 9; Herbers, NZV 2014, 208; Lemcke, r+s 2014, 195; ders., r+s 2016, 152; Schwab, DAR 2014, 197; Pieroth/ Schmitz-Justen, NZV 2020, 293 ff.) fest.



2. Nach diesen Grundsätzen hätte die Klage nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts abgewiesen werden dürfen. Entgegen dessen Auffassung steht einer Haftung auch nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt des Schadensfalls das Fahrzeug schwer beschädigt sowie nicht mehr betriebsbereit war und nicht feststand, ob es wieder im Straßenverkehr eingesetzt werden könnte. Auch unter diesen Umständen handelte es sich (noch) um ein Kraftfahrzeug im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG.

III.

Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es wird Gelegenheit haben, sich ggf. mit dem weiteren Revisionsvorbringen der Parteien zu befassen (vgl. Senatsurteil vom 26. März 2019 - VI ZR 236/18, VersR 2019, 897 Rn. 11 ff.).

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