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Oberverwaltungsgericht Lüneburg Beschluss vom 27.11.2020 - 12 LA 155/20 - Aktenvollständigkeitsgrundsatz bei Automatisierung von Anhörungsvorgängen im Bußgeldverfahren

OVG Lüneburg v. 27.11.2020: Aktenvollständigkeitsgrundsatz bei Automatisierung von Anhörungsvorgängen im Bußgeldverfahren


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, Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg (Beschluss vom 27.11.2020 - 12 LA 155/20) hat entschieden:

  1.  Die Automatisierung von Anhörungsvorgängen im Bußgeldverfahren rechtfertigt keine Abstriche vom Grundsatz der Aktenvollständigkeit im Verwaltungsverfahren zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht.

  2.  Ein Ausdruck des Anhörungsbogens dürfte schon deshalb zum Inhalt einer vollständigen Akte gehören, weil dem Adressaten auf dem Anhörungsbogen Belehrungen erteilt werden, deren Inhalt unter anderem für das weitere der Bußgeldbehörde obliegende Vorgehen bedeutsam sein kann.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema Fahrtenbuch
und
EDV-Verarbeitung von OWi-Vorgängen

Gründe:


I.

Die Beklagte wendet sich dagegen, dass das Verwaltungsgericht auf die Klage des Klägers ihren Bescheid vom 29. April 2019 (Bl. 8 ff. der Gerichtsakte – GA –) über die kostenpflichtige Anordnung einer sechsmonatigen Fahrtenbuchführungspflicht deshalb aufgehoben hat, weil es die Voraussetzung des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO als nicht erfüllt ansah, wonach die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich gewesen sein müsse. Das Verwaltungsgericht hat sein angefochtenes Urteil im Wesentlichen begründet wie folgt:

Vorliegend könne nicht davon ausgegangen werden, dass es der Behörde nicht möglich gewesen sei, die Person, die bei dem Verkehrsverstoß am 21. Juli 2018 das Fahrzeug gefahren habe, festzustellen. Nicht möglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO sei die Fahrerfeststellung dann gewesen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen sei, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Hierbei sei der Halter zunächst grundsätzlich binnen weniger Tage, regelmäßig innerhalb von zwei Wochen, über den Verstoß zu befragen. Ohne eine Anhörung des Klägers lägen mithin keine angemessenen Ermittlungsmaßnahmen im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO vor. Es bestünden bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Anhörungsbogen ausgefertigt worden sei. Denn im beigezogenen Verwaltungsvorgang befinde sich keine entsprechende Abschrift dieses Schreibens.

(1) Entgegen des Vortrags der Beklagten, dies werde aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht gemacht, sei dem erkennenden Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt, dass grundsätzlich eine Abschrift des Anhörungsbogens zur Akte genommen werde. Dass dies im vorliegenden Verfahren nicht geschehen sei, sei für das Gericht nicht nachvollziehbar.

(2) Zwar weise der „Datensatzauszug zur Entscheidung“ vom 30. August 2018 (Bl. 6 der Beiakte – BA – 1) die Eintragung „Anhörung/Verwarnung: 02.08.2018“ auf. Dieser Datensatzauszug weise jedoch auch den Eintrag „Bußgeldbescheid: 20.09.2018“ auf. Zum einen liege der Zeitpunkt dieses angeblichen Bußgeldbescheides zeitlich nach der Erstellung des Datensatzauszuges, und zum anderen gebe es einen solchen Bußgeldbescheid gerade nicht. Auf Grund dieser Widersprüche und Unklarheiten des Datensatzauszuges könne aus ihm nicht mit hinreichender Sicherheit geschlossen werden, dass der Anhörungsbogen gefertigt und an den Kläger gesandt worden sei.

(3) Auch die „Statusübersicht vom 07.05.2019“ (Bl. 32 BA 1) führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar finde sich auch hier die Eintragung „Anhörung – erledigt am 02.08.2018“. Aber bei dieser Eintragung fehle – im Gegensatz zu dort befindlichen anderen Eintragungen – der Zusatz, durch welchen Sachbearbeiter die Erledigung erfolgt sei.

(4) Insgesamt könne damit vorliegend nicht mit der für die richterliche Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit festgestellt werden, dass der Kläger unter dem 2. August 2018 einen Anhörungsbogen erhalten habe. Es fehle eben nicht lediglich ein sogenannter "Ab-Vermerk", der durch einen Datensatzauszug ersetzt werden könnte, sondern vorliegend sei die Einzelrichterin bereits nicht davon überzeugt, dass der Anhörungsbogen ausgefertigt worden sei.

Mit ihrem Zulassungsantrag macht die Beklagte die Zulassungsgründe des Bestehens ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).




II.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, weil eine Berufungszulassung gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Darlegung mindestens eines der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO voraussetzt, im vorliegende Falle aber keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe hinreichend dargelegt worden ist. Daher kommt es nicht darauf an, ob ein Zulassungsgrund objektiv vorliegt oder nicht.

1. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459]). Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird.

Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist. Je intensiver diese Entscheidung begründet ist, umso eingehender muss der Zulassungsantragsteller die sie tragende Argumentation entkräften (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, RdL 2017, 181 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 15, m. w. N.). Es reicht deshalb grundsätzlich nicht aus, wenn er lediglich seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und/oder eine eigene Würdigung der Sach- und Rechtslage vorträgt, die im Ergebnis von derjenigen des Verwaltungsgerichts abweicht. Vielmehr muss er in der Regel den einzelnen tragenden Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung geeignete Gegenargumente konkret gegenüberstellen und – soweit möglich – die Vorzugswürdigkeit dieser Gegenargumente darlegen (Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, a. a. O., m. w. N.). Werden mit dem Zulassungsantrag neue Tatsachen vorgetragen, genügt es nicht, diese lediglich zu behaupten. Vielmehr muss der Zulassungsantragsteller seinen neuen Tatsachenvortrag substantiieren und glaubhaft machen, um so dem Berufungsgericht die summarische Beurteilung der Erfolgsaussicht des noch zuzulassenden Rechtsmittels anhand des oben genannten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs zu ermöglichen (Nds. OVG, Beschl. v. 26.4.2018 - 12 LA 83/17 -, RdL 2018, 230 f., hier zitiert nach juris, Rn. 36, und Beschl. v. 19.10.2012 - 7 LA 146/11 -, NordÖR 2013, 89 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 3, jeweils m. w. N.) Hierzu kann er beispielsweise eine eidesstattliche Versicherung oder andere Urkunden vorlegen. Allein die bloße Möglichkeit, dass sich – nach weiterer Sachverhaltsaufklärung oder gar Beweiserhebung – eine (entscheidungserheblich) veränderte Sachlage ergeben kann, ist für die Zulassung nicht hinreichend (Nds. OVG, Beschl. v. Beschl. v. 19.10.2012 - 7 LA 146/11 -, a. a. O., m . w. N.).




Die Beklagte macht geltend, die in dem angefochtenen Urteil aufgeführten erheblichen Zweifel daran, dass der Anhörungsbogen tatsächlich ausgefertigt worden sei, würden durch folgenden Vortrag widerlegt:

a) Den oben unter I. 1. wiedergegebenen Erwägungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils sei entgegenzuhalten, dass sie dem Verwaltungsgericht mit Schriftsatz vom 6. Juni 2019 (Bl. 17 ff. [18] GA) mitgeteilt habe, bei der Landeshauptstadt C-Stadt sei es üblich, dass automatisiert versandte Schriftstücke (Anhörungen, Zeugenfragebögen) aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht zur Akte genommen würden. Sie selbst habe keinen Einfluss auf die Aktenführung der Verfolgungsbehörden im Bußgeldverfahren, und die Anhörung im Bußgeldverfahren werde bei der Landeshauptstadt C-Stadt automatisiert abgewickelt. Beides Letztgenannte habe sie erstinstanzlich vorgetragen, ohne dass die Vorinstanz es in Zweifel gezogen hätte.

Diese Darlegungen sind unzureichend.

aa) Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag der Beklagten zur Verwaltungspraxis der Landeshauptstadt C-Stadt nicht übersehen, sondern für – ihm gerichtsbekannt – unrichtig gehalten. Die gerichtliche Würdigung eines Vortrages als unglaubhaft kann aber nicht bereits dadurch überzeugend in Zweifel gezogen werden, dass man den Vortrag im Zulassungsverfahren einfach wiederholt.

bb) Das Fehlen eines Einflusses der Beklagten auf die Aktenführung in dem hier in Rede stehenden Bußgeldverfahren ist rechtlich unerheblich. Sollten die Akten einer Bußgeldbehörde im Hinblick auf eine unzulässige „Verwaltungsökonomie“ dem auch im Bußgeldverfahren gültigen Grundsatz der Aktenvollständigkeit (vgl. Julius/ Schiemann, in: Gercke/ Julius/ Temming/ Zöller, StPO, 6. Aufl. 2019, § 147, Rn. 5) nicht entsprechen und deshalb der Beklagten als Ergebnis der Übernahme dieser Bußgeldvorgänge in die Akten ihres eigenen Verwaltungsverfahrens zur Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht keine Akten vorliegen, die den Anforderungen genügen, die sich für dieses Verfahren mittelbar aus § 29 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) und dem Grundsatz vollständiger Aktenführung (vgl. Engel, in: Mann/ Sennekamp/ Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 29 Rnrn. 36 bis 39) ergeben, so kann ihr das in einem Verwaltungsprozess auch dann nachteilig werden, wenn sie die vormalige Aktenführung im Bußgeldverfahren – z. B. mangels eigener Rechtsaufsicht über die betroffene Bußgeldbehörde – nicht zu beeinflussen vermocht hatte. Nötigenfalls müsste sie nämlich gemäß § 24 Abs. 1 und 2 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) für ihr eigenes Verwaltungsverfahren auf eine Vervollständigung der in die eigenen Akten übernommenen unvollständigen Bußgeldvorgänge (etwa durch Beiziehung und Aufnahme weiterer Abdrucke versandter Dokumente oder eines begründeten Vermerks über den Bedeutungsgehalt nicht allein aus sich heraus verständlicher „Datensatzauszüge“ oder „Statusübersichten“) hinwirken und im Extremfall eines unheilbar unvollständigen Bußgeldvorgangs auf die Anordnung einer Fahrtenbuchführungspflicht verzichten. Dabei hat sie von dem Grundsatz auszugehen, dass Akten so geführt werden müssen, dass ihr wesentlicher Inhalt einem der deutschen Sprache mächtigen Volljuristen aus sich heraus verständlich ist und es keines Zeugen- oder Sachverständigenbeweises bedarf, um sie zu interpretieren. Ein Ausdruck des Anhörungsbogens dürfte schon deshalb zum Inhalt einer vollständigen Akte gehören, weil dem Adressaten auf dem Anhörungsbogen Belehrungen erteilt werden, deren Inhalt unter anderem für das weitere der Bußgeldbehörde obliegende Vorgehen bedeutsam sein kann (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2019 - 12 ME 170/18 -, NJW 2019, 1013 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 18). Es kann hier offenbleiben, inwieweit das Verwaltungsgericht zu Beweiserhebungen verpflichtet ist, für die lediglich aufgrund in einzelnen Punkten generell unvollständig geführter Akten Bedarf entstünde, und ob die Kosten einer solchen Beweiserhebung nach § 155 Abs. 4 VwGO der Behörde aufzuerlegen wären, die sich in einem Verwaltungsprozess auf aus Gründen unzulässiger „Verwaltungsökonomie“ unzureichend geführte Akten bezieht. Jedenfalls bestünde in solchen Fällen keine Pflicht des Verwaltungsgerichts, ein im Bußgeldverfahren objektiv unvollständig dokumentiertes Geschehen aufzuklären und zu dokumentieren, die nicht zuvor bereits die Beklagte selbst nach den §§ 24 Abs. 1 und 2, 29 VwVfG (i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) getroffen hätte. Die Annahme, es genüge, wenn nur die Beklagte – etwa aufgrund hauseigener Verwendung eines vergleichbaren Computerprogramms – den Inhalt eines in ihre eigenen Akten übernommenen unvollständigen Bußgeldvorgangs ohne Weiteres verstehe, und es sei dann ggf. das alleinige „Problem“ eines ihre Akten einsehenden Beteiligten (im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 NVwVfG), seines Rechtsanwalts oder des Verwaltungsgerichts, sich ein zum Verständnis dieser Akten erforderliches Vorwissen selbst zu verschaffen, wird der rechtsschutzsichernden Funktion behördlicher Aktenführung nicht gerecht.

cc) Die Automatisierung von Anhörungsvorgängen rechtfertigt keine Abstriche vom Grundsatz der Aktenvollständigkeit.

b) Die Beklagte bringt weiter vor, entgegen den Annahmen des Verwaltungsgerichts (vgl. oben unter I. 2.) sei der Nachweis des Verfahrensablaufs jederzeit möglich. Der bei der Akte befindliche Datensatzauszug vom 30. August 2018 (Bl. 6 BA 1) bestätige, dass die „Anhörung/Verwarnung“ am 2. August 2018 verarbeitet worden sei. Bei dem (in der Zukunft liegenden) Eintrag „Bußgeldbescheid: 20.09.2018“ handele es sich lediglich um eine Wiedervorlage.

Auch diese Darlegungen der Beklagten sind unzulänglich. Denn es erschließt sich gerade nicht allein aus der Lektüre des Datensatzauszuges vom 30. August 2018 (Bl. 6 BA 1), dass der dortige Eintrag „Bußgeldbescheid: 20.09.2018“ lediglich für eine Wiedervorlagefrist steht, sondern dies stellt nur eine mögliche Deutung dieser Eintragung dar. Zur Widerlegung der von dem Verwaltungsgericht konstatierten „Widersprüche und Unklarheiten des Datensatzauszuges“ hätte die Beklagte daher im Zulassungsverfahren die ihren bisherigen Vortrag zwar konkretisierende, aber doch neue Behauptung über die Bedeutung der Eintragung „Bußgeldbescheid: 20.09.2018“ glaubhaft machen müssen (beispielsweise durch die dienstliche Erklärung eines Mitarbeiters der Landeshauptstadt C-Stadt über den Aussagegehalt dieser Eintragung), um damit dem Berufungsgericht die summarische Beurteilung der Erfolgsaussicht des noch zuzulassenden Rechtsmittels zu ermöglichen. Das gilt umso mehr, als die Beklagte ja bereits die Richtigkeit der tatsächlichen Feststellung des Verwaltungsgerichts nur bestritten, aber nicht erschüttert hatte, ihre Angaben über eine Verwaltungspraxis der Landeshauptstadt C-Stadt, keinen Abdruck des Anhörungsbogens zur Akte zu nehmen, träfen nicht zu.

c) Die Beklagte macht geltend, entgegen den Ausführungen der Vorinstanz (oben unter I. 3.) könne anhand der Statusübersicht vom 7. Mai 2019 (Bl. 32 BA 1) der von dem Verwaltungsgericht bezweifelte Verfahrensablauf nachvollzogen werden, wonach die Schriftsätze, und damit auch die Anhörung, unter anderem automatisch erstellt und gedruckt würden. Der Statusübersicht lasse sich die Eintragung entnehmen: „Anhörung – erledigt am 02.08.2018“. Soweit das Verwaltungsgericht gleichwohl Zweifel an dem Verfahrensablauf und der Übersicht gehabt habe, wäre es angezeigt gewesen, eine Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten ggf. auch durch die Vernehmung eines Mitarbeiters des zuständigen Fachbereiches oder der Informationstechnologie-Abteilung der Bußgeldbehörde vorzunehmen.

Diese Darlegungen sind ebenfalls nicht zureichend. Denn die Beklagte versäumt es bereits, sich mit dem von dem Verwaltungsgericht (oben unter I. 3.) argumentativ gezogenen Vergleich zwischen der von ihr zitierten Eintragung in der Statusübersicht vom 7. Mai 2019 und dortigen ähnlichen Eintragungen auseinanderzusetzen. Außerdem wäre es für die Beklagte selbst angezeigt gewesen, im Zulassungsverfahren ihre Interpretation dieser Statusübersicht (beispielsweise durch die dienstliche Erklärung eines Mitarbeiters der Landeshauptstadt C-Stadt über den Aussagegehalt der einzelnen Eintragungen) glaubhaft zu machen. Allein die bloße Möglichkeit, dass sich – nach weiterer Sachverhaltsaufklärung oder gar Beweiserhebung eine (entscheidungserheblich) veränderte Sachlage ergeben könnte, ist für die Zulassung der Berufung nicht ausreichend.


d) Die Beklagte beruft sich gegenüber der unter I. 4. referierten Gedankenführung der Vorinstanz auf – allerdings nicht im Einzelnen wiedergegebene – Rechtsprechung des beschließenden Senats und der 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover, wonach die Dokumentation der „Übersendung“ einer Anhörung durch einen Datensatzauszug und eine Statusübersicht ausreichend sei. Sie setzt sich dabei aber nicht – wie erforderlich – mit der konkreten Argumentation der Vorinstanz auseinander, wonach ein Datensatzauszug lediglich einen sogenannten "Ab-Vermerk", nicht aber die Ausfertigung des Anhörungsbogens ersetzen könne.

Im Übrigen sind ihre Darlegungen ernstlicher Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils auch deshalb insgesamt unschlüssig, weil sie mit folgenden Ausführungen enden: Aus den vorgelegten Statusberichten [also dem Datensatzauszug und der Statusübersicht] lasse sich entnehmen, ein Zugang des Anhörungsbogens bei dem Kläger sei „überwiegend wahrscheinlich“, und weiter gehende Anforderungen an ihre, der Beklagte, Darlegungs- und Beweislast seien nicht zu stellen. Denn um ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils darzulegen, wäre es für die Beklagte notwendig gewesen aufzuzeigen, das Verwaltungsgericht habe eine Indizienkette unrichtig gewürdigt, die genügen würde, um dem Berufungsgericht eine volle Überzeugung vom Zugang des Anhörungsbogens bei dem Kläger zu verschaffen. Für eine solche Überzeugungsbildung wäre aber mehr als eine nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich, nämlich ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige, nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel am Zugang des Anhörungsbogens nicht aufkommen lässt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 5.7.2011 - 10 LB 172/10 -, RdL 2011, 301 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 51, m. w. N.).

2. Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Grundsatzberufung sind ebenfalls nicht ausreichend dargelegt worden.

Die Anforderungen an die Zulassung einer Grundsatzberufung lassen sich wie folgt zusammenfassen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 28.3.2017 - 12 LA 25/16 -, a. a. O., juris, Rn. 30): Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hat eine Rechtssache, wenn sie eine grundsätzliche, fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Die grundsätzlich bedeutsame Frage muss allerdings in dem angegriffenen Urteil zum entscheidungstragenden Begründungsteil gehören. Klärungsbedürftig sind daher nur Rechts- oder Tatsachenfragen, die die Vorinstanz entschieden hat, nicht jedoch solche, die sich erst stellen würden, wenn das Verwaltungsgericht anders entschieden oder andere Tatsachen festgestellt hätte (Nds. OVG. OVG Beschl. v. 12.11.2020 - 12 LA 188/19 -, juris, Rn. 36; Seibert, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 152, m. w. N.). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es unter anderem dann, wenn ihre Beantwortung ausschlaggebend von einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls abhängt. Auch solche Fragen, die keiner generalisierenden Beantwortung zugänglich sind, sondern für eine Vielzahl gedachter Fallgestaltungen nur nach Art eines Lehrbuchs beantwortet werden könnten, rechtfertigen nicht die Zulassung einer Grundsatzberufung (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 15.10.2012 - 12 A 1443/12 -, juris, Rn. 39, und BVerwG, Beschl. v. 8.11.2017 - BVerwG 4 B 19.17 -, BRS 85 Nr. 149, hier zitiert nach juris, Rnrn. 5 und 6 – betreffend die Grundsatzrevision).

Um die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO darzulegen, hat der Zulassungsantragsteller die für fallübergreifend gehaltene Frage zu formulieren sowie näher zu begründen, weshalb sie eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und ein allgemeines Interesse an ihrer Klärung besteht. Darzustellen ist weiter, dass sie entscheidungserheblich (gewesen) ist und ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten steht.

Die Beklagte macht zwar geltend, von grundsätzliche Bedeutung sei die Frage, „welche Anforderungen an den Beweis des Absendens bzw. Zugangs des Anhörungsbogens zu stellen sind.“ Diese Frage ist in ihrer Allgemeinheit aber keiner generalisierenden Beantwortung zugänglich, sondern ließe sich nur für eine Vielzahl gedachter Fallgestaltungen nach Art eines Lehrbuchs beantworten. Sie rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung einer Grundsatzberufung. Die Beklagte legt zudem nicht dar, dass gerade diese Frage für die Vorinstanz entscheidungserheblich gewesen wäre. Stattdessen ergibt sich Gegenteiliges aus den oben unter I. 4. wiedergegebenen Entscheidungsgründen. Hiernach kam es nämlich für das Verwaltungsgericht auf die Anforderungen an den Beweis des Absendens bzw. Zugangs des Anhörungsbogens schon deshalb nicht entscheidungserheblich an, weil es zwischen der Ausfertigung und der Absendung des Anhörungsbogens differenzierte und bereits die Ausfertigung nicht für nachgewiesen erachtete.

Soweit die Beklagte des Weiteren vorträgt, für das Verwaltungsgericht sei in dem angefochtenen Urteil entscheidungserheblich gewesen, „dass es trotz des vorgelegten Statusberichtes und des Fehlens des Anhörungsbogens in der Akte als nicht nachgewiesen angesehen hat, dass dieser [der Anhörungsbogen] tatsächlich gefertigt und versandt wurde“, bezieht sich ihre Darlegung schon nicht auf die zuvor formulierte Grundsatzfrage. Die in der Darlegung in Wahrheit enthaltene Fragestellung, „ob es trotz des vorgelegten Statusberichtes und des Fehlens des Anhörungsbogens in der Akte als nicht nachgewiesen angesehen werden durfte, dass dieser [der Anhörungsbogen] tatsächlich gefertigt und versandt wurde“, hat aber ersichtlich keinen fallübergreifenden Charakter. Daran ändern auch die Behauptungen der Beklagten nichts, dass das Verwaltungsgericht Hannover durch einen anderen Spruchkörper in mindestens einem „ähnlich gelagerten Fall“ zu ihren Gunsten „anders“ entschieden habe und dass die Beweiswürdigung der Vorinstanz „im Kern“ von mehreren Entscheidungen des beschließenden Senats abweiche.

3. Der Zulassungsgrund einer Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist ebenfalls nicht genügend dargelegt.



Dieser Zulassungsgrund ist nur anzunehmen, wenn das Verwaltungsgericht ausdrücklich oder doch hinreichend erkennbar einen fallübergreifenden Rechts- oder Tatsachensatz gebildet hat, der objektiv von der Rechtsprechung eines Divergenzgerichts abweicht. Weicht das Verwaltungsgericht nicht bewusst und ausdrücklich von einer divergenzfähigen Entscheidung ab, so ist eine Divergenz nur dann zu bejahen, wenn die Entscheidungsgründe ohne weitere Sachaufklärung unmittelbar und hinreichend deutlich einen abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz erkennen lassen. Insbesondere ein nicht ausdrücklich formulierter divergenzfähiger Rechtssatz des Verwaltungsgerichts muss sich daher als abstrakte Grundlage der Entscheidung eindeutig und frei von vernünftigen Zweifeln aus der Entscheidung selbst ergeben (BVerwG, Beschl. v. 7.3.1975 - BVerwG VI CB 47.74 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 130; Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2013 - 7 LA 140/12 -, juris, Rn. 38, m. w. N.). Eine Divergenz liegt nicht vor, wenn das Verwaltungsgericht gegen den Rechts- oder Tatsachensatz eines Divergenzgerichts nur dadurch verstoßen hat, dass es ihn im Einzelfall unzutreffend anwandte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.7.1995 - BVerwG 9 B 18.95 -, NVwZ-RR 1997, 191; Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2013 - 7 LA 140/12 -, a. a. O.). Dementsprechend erfordert die Darlegung einer Divergenz u. a., dass die beiden einander widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Verwaltungsgerichts einerseits und des Divergenzgerichts andererseits zitiert oder – sofern sie in der Entscheidung nicht bereits ausdrücklich genannt sind – herausgearbeitet und bezeichnet werden. Letzteres macht es grundsätzlich notwendig, dass sie der Zulassungsantragsteller selbst abstrakt ausformuliert (Nds. OVG, Beschl. v. 27.9.2013 - 7 LA 140/12 -, a. a. O., m. w. N.). Denn es ist nicht die Aufgabe des Berufungsgerichts, im Zulassungsverfahren einen unbestimmt gefassten Vortrag des Rechtsbehelfsführers daraufhin zu überprüfen, ob sich aus ihm etwa bestimmte, üblicherweise in Widerspruch zu einer divergenzgerichtlichen Entscheidung stehende abstrakte Rechts- oder Tatsachensätze ergeben könnten (Hess. VGH, Beschl. v. 14. 1. 1998 - 13 UZ 4132/97.A -, NVwZ 1998, 303 [304]).

Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass die Beklagte eine Divergenz im vorgenannten Sinne nicht ausreichend dargelegt hat, indem sie lediglich behauptet, mehrere von ihr nur nach Datum und Aktenzeichen genannte Entscheidungen des beschließenden Senats ließen einen Datensatzauszug für den Nachweis des Erstellens und Versendens des Anhörungsbogens ausreichen. Es fehlt ihren Darlegungen schon daran, dass die beiden einander angeblich jeweils widerstreitenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze des Verwaltungsgerichts einerseits und des Divergenzgerichts andererseits nicht zitiert oder – sofern sie in den divergierenden Entscheidungen nicht bereits ausdrücklich genannt sein sollten – herausgearbeitet und bezeichnet werden. Darüber hinaus gilt Folgendes: Weil Datensatzauszüge nicht bei allen Behörden denselben Aufbau und Inhalt haben und weil zudem auch andere Umstände des Einzelfalles (hier die Unterlassung, eine Abschrift des Anhörungsbogens zur Akte zu nehmen, die im Gegensatz zu einer von dem Verwaltungsgericht festgestellten Übung der Bußgeldbehörde steht) dafür von Bedeutung sein können, was mit einem Datensatzauszug ausreichend nachgewiesen ist, lassen sich schwerlich fallübergreifende Rechts- oder Tatsachensätze darüber aufstellen, wozu ein Datensatzauszug als Nachweis ausreicht. Deren Aufstellung dürfte vielmehr bereits der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) entgegenstehen, der es namentlich nicht gestatten dürfte, richterrechtlich eine feste Beweisregel aufzustellen, wonach ein Datensatzauszug stets den vollen Beweis des Erstellens und Versendens eines Anhörungsbogens erbringe.

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