Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Amtsgericht Frankenthal Urteil vom 31.01.2017 - 3a C 335/16 - Kollision auf der BAB-Standspur zwischen Lkw und Pkw im Zusammenhang mit eimer Rettungsgassenbildung

AG Frankenthal v. 31.01.2017: Kollision auf der BAB-Standspur zwischen Lkw und Pkw im Zusammenhang mit eimer Rettungsgassenbildung




Das Amtsgericht Frankenthal (Urteil vom 31.01.2017 - 3a C 335/16) hat entschieden:

  1.  Gem. § 11 Abs. 2 StVO ist, sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortstraßen mit mindestens 2 Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden, durch diese Fahrzeuge für die (mögliche) Durchfahrt von Polizei und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse zu bilden. Dabei ist auch ein Überfahren der Begrenzungslinie zum Standstreifen regelmäßig unschädlich.

  2.  Kommt es zu einem Unfall zwischen einem Lkw, dessen Führer wegen eines von hinten unter Signalgebung herannahenden Streifenwages nach rechts auf die die Standspur wechselt, und eiinem Pkw, dessen Führerin gerade verbotswiddrig zum schnelleren Fortkommen die Standspur benutzt, so haftet letztere4 allein.

Siehe auch
Rettungsgasse bei stockendem Verkehr
und
Stichwörter zum Thema Unfallschadenregulierung


Tatbestand:


Der Kläger begehrt als Halter und nach seiner - bestrittenen - Behauptung, Eigentümer des PKW Golf VI Variant, amtliches Kennzeichen M... mit seiner am 14.10.2016 zugestellten Klage von dem Beklagten zu 2 als Fahrer des Sattelschleppers DAF mit amtlichem Kennzeichen F..., dessen Halterin die Beklagte 1 ist und der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, restlichen Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 04.04.2016 gegen 08:20 Uhr auf der BAB 61 Fahrtrichtung Koblenz.

Der Beklagte zu 2 befuhr den rechten Fahrtrichtungsstreifen der BAB. Aufgrund einer Sperrung eines Abschnittes der B 9 herrschte starkes Verkehrsaufkommen auf der BAB 6 mit stockendem Verkehr. Die Zeugin M..., die Ehefrau des Klägers, fuhr mit dem klägerischen Fahrzeug auf dem Standstreifen, um schneller zur nächsten Ausfahrt zu kommen. Es kam zur Kollision der Fahrzeuge, der LKW wurde dabei vorne rechts beschädigt, das klägerische Fahrzeug wurde auf der linken Seite beschädigt, das eigentliche Verkehrsunfallgeschehen steht zwischen den Parteien in Streit.

Die Beklagte zu 3 regulierte aufgrund eines Schadensgutachtens der D... vom 14.04.2016, das einen Reparaturaufwand von netto € 1.834,32 ausweist, auf Basis einer quotalen Haftung von 50 zu 50, insgesamt € 788,35 einschließlich einer anteiligen Kostenpauschale von € 25,00 unter Übernahme der Kosten für das Schadensgutachten in Höhe von € 282,63, wegen der Einzelheiten des Regulierungsanschreibens wird auf Blatt 56 der Akten verwiesen.

Der Kläger behauptet, die Beschädigung des klägerischen Fahrzeuges erfordere ausweislich des Kostenvoranschlages des VW Autohauses E... vom 15.07.2016 einen Reparaturaufwand von netto € 3.484,50. Unter Berücksichtigung der erfolgten Regulierungsleistung durch die Beklagte zu 3 seien die Beklagten zum gesamtschuldnerischen Ersatz weiterer € 2.721,15 verpflichtet.

Die Beklagten befinden sich seit 03.08.2016 aufgrund des Anschreibens vom 18.07.2016 in Verzug.

Zwar habe die Zeugin M... verbotswidrig den Standstreifen befahren, jedoch habe der Beklagte Ziffer 2 ebenfalls den Standstreifen befahren wollen und dabei den von hinten ankommenden PKW des Klägers touchiert. Der Beklagte zu 2 habe offensichtlich das Fahrzeug des Klägers völlig übersehen und seit in das in diesem Zeitpunkt stehende Fahrzeug des Klägers hineingefahren.




Der Kläger beantragt,

   die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 2.721,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.08.2016 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen

und führen hierzu aus, dass über die auf Grundlage des Schadensgutachtens der Dekra regulierten € 788,35 auf Grundlage einer quotalen Haftung von 50 zu 50 dem Kläger kein weitergehender Schadenersatz zustünde, es werde in Abrede gestellt, dass sich der Volkswagen zum Unfallzeitpunkt im klägerischen Eigentum befunden habe. Dem Kläger stünde jedenfalls kein Anspruch auf Erstattung von 100 % des entstandenen Schadens zu, da es sich für die Zeugin B... keinesfalls um ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 2 StVG gehandelt habe, da sie durch einen groben Verstoß gegen ihre nach der StVO obliegenden Sorgfaltspflichten den Verkehrsunfall überwiegend verursacht habe.

Der Beklagte zu 2 sei aufgrund sich nähernder Einsatzfahrzeuge gehalten gewesen, eine Rettungsgasse zu bilden, eine etwaig zu berücksichtigende Betriebsgefahr sei jedenfalls mit der erfolgten Regulierung hinreichend berücksichtigt.




Der nach § 249 BGB zu ersetzende erforderliche Wiederherstellungsaufwand sei durch das eingeholte Schadensgutachten vom 14.04.2016 belegt, nicht hingegen durch den nunmehr vorgelegten Kostenvoranschlag.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zu 2 persönlich gehört, § 141 ZPO, und hat die Zeugin M... vernommen. Wegen des Ergebnisses wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 12.01.2017 (Blatt 67 ff der Akten) Bezug genommen.

Die beigezogene Verkehrsunfallakte 5... war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.




Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner kein weitergehender Schadensersatz gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, § 2 Abs. 1 S. 2, § 18 Abs. 8, § 1 Abs. 2 StVO, § 823 Abs. 1 BGB, §§ 249 ff BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG über die vorgerichtlich erfolgte Regulierung durch die Beklagte zu 3 auf Grundlage des Schadensgutachtens vom 14.04.2016 unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 zu 50 zu, da nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme mit der zur Überzeugung des Amtsgerichts erforderlichen Sicherheit feststeht, dass das streitgegenständliche Verkehrsunfallereignis überwiegend durch die Zeugin M... unter Verstoß gegen die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verursacht worden ist.

Dabei kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 2 aufgrund herannahender Einsatzfahrzeuge nach rechts gefahren ist, um eine Rettungsgasse zu bilden, denn gem. § 11 Abs. 2 StVO ist, sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortstraßen mit mindestens 2 Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden, durch diese Fahrzeuge für die (mögliche) Durchfahrt von Polizei und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse zu bilden. Diese ist aufgrund des unstreitig stockenden Verkehrs im Zeitpunkt des Verkehrsunfalles geboten gewesen, dabei ist auch ein Überfahren der Begrenzungslinie zum Standstreifen regelmäßig unschädlich. Dem gegenüber war es der Zeugin B... untersagt zum Zwecke des schnelleren Vorwärtskommens den Standstreifen zu befahren. Seit dem Inkrafttreten des § 2 Abs. 1 S. 2 StVO, wonach "Seitenstreifen nicht Bestandteil der Fahrbahn" sind (01.04.1993), verstößt das Benutzen des Standstreifens einer Autobahn zum Zwecke des eigenen schnelleren Vorwärtskommens nur gegen das Gebot der Fahrbahnnutzung nach § 2 Abs. 1 S. 1 StVO, nicht aber gegen das Verbot des Rechtsüberholens nach § 5 Abs. 1 StVO, auch wenn dabei an auf den Fahrstreifen verbleibenden Fahrzeugen rechts vorbeigefahren wird. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Zeugin B... mit dem klägerischen Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision stand oder aber sich im Schritttempo bewegte, kam es dabei nicht an, denn ein Halten, das nicht durch ein technisches Versagen bedingt ist, ist nach § 18 Abs. 7 StVO verboten, § 7 Abs. 5 StVO, wonach ein Fahrstreifen nur gewechselt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist und jeder Fahrstreifenwechsel unter Benutzung der Fahrtrichtungsanzeige rechtzeitig und deutlich anzukündigen ist, greift vorliegend ebenfalls nicht ein, denn mit Fahrstreifen im Sinne dieser Vorschrift ist nur ein solcher gemeint, der für den fließenden Verkehr freigegeben ist, nicht hingegen der Standstreifen einer Autobahn, § 2 Abs. 1 S. 2 StVO.



Unabhängig von speziellen Regeln hat sich indes jeder Verkehrsteilnehmer nach § 1 Abs. 2 StVO so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Dass der Beklagte zu 2 gegen diese Verpflichtung vorwerfbar verstoßen hat, ist jedoch durch den insoweit beweisbelasteten Kläger nicht mit der zur Überzeugung des Amtsgerichts erforderlichen Sicherheit unter Berücksichtigung des evidenten wirtschaftlichen Interesses des Beklagten zu 2 und der Zeugin M.. am Ausgang des Verfahrens, § 286 ZPO, bewiesen.

Der Beklagte zu 2 hat angegeben, dass er die A 6 Richtung Koblenz befahren habe und dann auf die Abfahrt Frankfurt auffahren wollte, als er bemerkt habe, dass dies aufgrund der herrschenden Verkehrssituation nicht möglich sei, sodass er weiter geradeaus gefahren sei. Da sich Einsatzfahrzeuge genährt hätten, d.h. Polizeifahrzeuge und Abschleppwagen, habe er eine Rettungsgasse gebildet, in dem er nach rechts gefahren sei, wobei es zur Kollision gekommen sei. Er habe zwar, bevor er Richtung Standstreifen gelenkt habe, sich in den Außenspiegeln vergewissert, dass dort kein Fahrzeug steht, habe jedoch das Fahrzeug des Klägers nicht wahrgenommen. Die Zeugin B... hat demgegenüber angegeben, dass sie, da sie um 07:30 Uhr in der Schule sein musste und schon länger in dem etwa einen Kilometer langen Stau Richtung Frankenthal gestanden habe, schließlich auf den Standstreifen gefahren sei, um zur Ausfahrt Frankenthal zu gelangen. Sie sei dann auf der Standspur gefahren, bei dort ebenfalls stockendem Verkehr und habe plötzlich links ein Ratschen gehört und gehupt. Sie habe gesehen, wie der LKW nach links gefahren sei. Die Zeugin hat angegeben, dass sie davon ausgehe, dass sei zum Zeitpunkt der Kollision gestanden habe. Das unmittelbar vor oder nach der Kollision Rettungsfahrzeuge unterwegs gewesen wären, könne sie verneinen. Ihr Fahrzeug habe sich wie in der Unfallakte auf den Lichtbildern ersichtlich, ihrer Erinnerung nach in Unfallendstellung befunden.



Nach dem Vorgenannten ist bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verschuldens- und Mitverursachungsbeiträge, §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 StVO, besteht zugunsten des Klägers keine weitergehende Haftungsquote von mehr als 50 % zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner, da der grobe Sorgfaltspflichtenverstoß der Zeugin B..., was sich der Kläger zurechnen lassen muss, unfallursächlich gewesen ist und eine von dem Sattelschlepper der Beklagten ausgehende Betriebsgefahr mit 50% ausreichend berücksichtigt ist.

Hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Schadenersatzes ist der für die Erforderlichkeit des behaupteten Wiederherstellungsaufwandes beweisbelastete Kläger beweisfällig geblieben, da sich die Zeugin B... im vorausgegangenen Ordnungswidrigkeitenverfahren einerseits ausdrücklich auf das eingeholte Schadensgutachten der Dekra vom 14.04.2016 berufen hat und daneben hinsichtlich des nunmehr vorgelegten Kostenvoranschlages des Autohauses E..., das einen deutlich höheren Wiederherstellungsaufwand für erforderlich erachtet, der hierfür beweisbelastete Kläger beweisfällig geblieben ist, da er für die bestrittene Erforderlichkeit keinen tauglichen Beweis angeboten hat, sodass der Regulierung das vorgerichtlich eingeholte Schadensgutachten zugrunde zu legen ist.

Nach dem Vorgenannten bleibt die Klage daher in der Sache ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss
Der Streitwert wird auf € 2.721,15 festgesetzt.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum