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Oberlandesgericht Brandenburg v. 18.01.2023 – 53 Ss-OWi 591/22 - Zur Verpflichtung des Betroffenen zum Erscheinen vor Gericht trotz Urlaubsbuchung

OLG Brandenburg v. 18.01.2023: Zur Verpflichtung des Betroffenen zum Erscheinen vor Gericht trotz Urlaubsbuchung<




Das Oberlandesgericht Brandenburg v. 18.01.2023 – 53 Ss-OWi 591/22) hat entschieden:

   Die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht auf entsprechende Ladung hin ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Betroffenen, die grundsätzlich der Regelung familiärer und geschäftlicher Angelegenheiten und der Erfüllung beruflicher Obliegenheiten vorgeht. Aus privaten Gründen kann demgemäß das Nichterscheinen eines Angeklagten zur Hauptverhandlung allenfalls in Ausnahmefällen dann genügend entschuldigt sein, wenn es sich um unaufschiebbare geschäftliche oder berufliche Angelegenheiten von solcher Bedeutung handelt, dass ihnen gegenüber die öffentlich-rechtliche Pflicht, sich als Betroffener vor Gericht zu stellen, zurücktreten muss.

Siehe auch
Säumnis des Betroffenen bzw. Angeklagten in der Hauptverhandlung im OWi- oder Strafverfahren
und
Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen

Gründe:


I.

Die Zentrale Bußgeldstelle des Zentraldienstes der Polizei des Landes Brandenburg hat mit Bescheid vom … 2020 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um mindestens 24 km/h (nach Toleranzabzug), was am … 2020 gegen ... Uhr auf der Bundesautobahn … bei km 1…,.., Fahrtrichtung H., mit dem Pkw amtliches Kennzeichen … begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 70,00 € festgesetzt.

Nachdem der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid form- und fristgerecht Einspruch erhoben hatte, hat die Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Oranienburg mit Verfügung vom 28. Mai 2021 erstmals Termin zur Hauptverhandlung auf den 22. Juni 2021, 13:50 Uhr, anberaumt und den Betroffenen sowie seinen Verteidiger förmlich geladen. Auf Antrag des Verteidigers wurde die Hauptverhandlung wegen Terminüberschneidung auf den 24. August 2021 verlegt. Die Hauptverhandlung wurde ausgesetzt, nachdem der Betroffene vor Gericht erstmals die Fahrereigenschaft betritt und seinen Sohn J… B. als möglichen Fahrer des Kraftfahrzeuges benannte. Am 7. Oktober 2021 beraumte die Bußgeldrichterin erneut Hauptverhandlung auf den 26. Oktober 2021 an. Der Termin wurde durch das Bußgeldgericht wieder aufgehoben, nachdem der Verteidiger abermals Terminüberschneidung vortrug. Am 8. November 2021 beraumte die Bußgeldrichterin erneut Termin zur Hauptverhandlung auf den 8. Dezember 2021 an. Abermals brachte der Verteidiger Terminüberschneidung vor, was zu einer Verlegung des Hauptverhandlungstermins auf dem 5. Januar 2022 führte. Nunmehr brachte der Verteidiger vor, dass er sich an diesem Tag im Winterurlaub befinde, woraufhin die Bußgeldrichterin mit Verfügung vom 14. Dezember 2021 Termin zur Hauptverhandlung auf den 26. Januar 2022 anberaumte. Zur Ladung weiterer Zeugen wurde am 25. Januar 2022 der Hauptverhandlungstermin auf den 23. Februar 2022 verschoben. Erneut führte der Verteidiger des Betroffenen eine Terminüberschneidung an; unter dem Datum des 1. Februar 2022 beraumte die Bußgeldrichterin Termin zur Hauptverhandlung auf den 23. März 2022 an. In der Hauptverhandlung beanstandete der Betroffene die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung, woraufhin die Bußgeldrichterin mit Beschluss vom selben Tag ein Sachverständigengutachten zur Geschwindigkeitsmessung einholte und neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 22. Juni 2022 anberaumte.




Der Hauptverhandlungstermin wurde von Amts wegen auf den 20. Juli 2022 verlegt; der Verteidiger brachte mit Anwaltsschriftsatz vom 15. Juni 2022 erneut eine Terminüberschneidung vor und beantragte Terminverlegung. Die Bußgeldrichterin lehnte mit Beschluss vom 21. Juni 2022 die abermals beantragte Terminverlegung ab und stellte die Vertretung durch einen anderen Verteidiger anheim. Hieraufhin brachte der Verteidiger nunmehr vor, dass sich der Betroffene am avisierten Hauptverhandlungstermin im Erholungsurlaub befinde. Zugleich legte der gegen den Gerichtsbeschluss vom 21. Juni 2022 Beschwerde ein. Mit Anwaltsschriftsatz vom 11. Juli 2022 legte der Verteidiger eine Reservierungsbestätigung einer „Vermietung und Verpachtung J. Sch.“ aus R. vor, wonach der Betroffene eine Ferienwohnung zu einem Gesamtpreis von 3.150,00 € einschließlich Endreinigung im Zeitraum vom 18. Juli 2022 ab 16:00 Uhr bis zum 13. August 2022 (29 Tage bzw. 28 Nächte) in N… gemietet habe.

Unter dem Datum des 13. Juli 2022 half das Bußgeldgericht der Beschwerde nicht ab und legte die Sache zur Entscheidung dem Landgericht Neuruppin vor, das mit Beschluss vom 14. Juli 2022 (11 Qs 39/22) das eingelegte Rechtsmittel als unzulässig verwarf.

Nachdem weder der Betroffene noch sein Verteidiger zum Hauptverhandlungstermin am 20. Juli 2022 erschienen waren, hat das Bußgeldgericht gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 2. Dezember 2020 verworfen.

Nach der am 27. Juli 2022 erfolgten förmlichen Zustellung des schriftlichen Urteils hat der Verteidiger unter dem Datum des 28. Juli 2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt sowie gegen die Gerichtsentscheidung vom 20. Juli 2022 „Rechtsbeschwerde“ eingelegt. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung mit Beschluss vom 26. August 2022 als unbegründet zurückgewiesen; die dagegen am 5. September 2022 eingelegte Beschwerde hat das Landgericht Neuruppin mit Beschluss vom 6. Oktober 2022 (11 Qs 61/22) ebenfalls als unbegründet verworfen.

Hinsichtlich des als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde auszulegenden weiteren Rechtsmittels des Betroffenen vom 28. Juli 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg mit Stellungnahme vom 21. November 2021 beantragt, dieses als unbegründet zu verwerfen. Dem ist der Betroffene mit Anwaltsschriftsatz vom 5. Dezember 2022 entgegengetreten.




II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Der zulässig gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Senats bedarf insoweit keiner Begründung (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).

Lediglich zur Klarstellung merkt der Senat an:

1. Die erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs genügt nicht den an § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG iVm. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen.

Die Pflicht zum Erscheinen vor Gericht auf entsprechende Ladung hin ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Betroffenen, die grundsätzlich der Regelung familiärer und geschäftlicher Angelegenheiten und der Erfüllung beruflicher Obliegenheiten vorgeht. Aus privaten Gründen kann demgemäß das Nichterscheinen eines Angeklagten zur Hauptverhandlung allenfalls in Ausnahmefällen dann genügend entschuldigt sein, wenn es sich um unaufschiebbare geschäftliche oder berufliche Angelegenheiten von solcher Bedeutung handelt, dass ihnen gegenüber die öffentlich-rechtliche Pflicht, sich als Betroffener vor Gericht zu stellen, zurücktreten muss. Hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegungspflicht für eine Gehörsrüge nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO iVm. §§ 80 Abs. 3, 79 Abs. 3 OWiG sind Ausführungen erforderlich, die eine Beurteilung der Bedeutung der zu erledigenden Angelegenheit nach Wichtigkeit und Dringlichkeit einerseits gegenüber der öffentlich-rechtlichen Pflicht zum Erscheinen andererseits ermöglichen (vgl. Kammergericht VRS 133, 33 f.; OLG Hamm, VRS 39, 208 ff.; Senatsbeschluss vom 27.03.2008; 1 Ss 19/08). Dazu muss der Betroffene das Entschuldigungsvorbringen dem Rechtsbeschwerdegericht ausreichend darlegen. Es genügt also nicht, wenn er das Ergebnis seiner eigenen Abwägung oder Beurteilung vorträgt und behauptet, durch die Erledigung privater Angelegenheiten, hier: Inanspruchnahme von Erholungsurlaub, am Erscheinen in der Hauptverhandlung gehindert zu sein. Da nach dem Vortrag des Betroffenen der Erholungsurlaub erst zwei Tage vor der Hauptverhandlung begann, hätte es insbesondere einer Darlegung bedurft, weshalb der Betroffene nicht in der Lage gewesen war, den 4 Wochen währenden Erholungsurlaub, zwei Tage später anzutreten oder den Urlaub insgesamt um wenige Tage zu verschieben. Es hätte für eine zulässige Verfahrensrüge der Darlegung bedurft, weshalb eine Verlegung des Urlaubs von nur zwei Tagen oder eine Verschiebung des gesamten Urlaubs um zwei Tage mit „erheblichen Nachteilen“ verbunden wäre. Dies mag vielleicht bei einer Reise ins entfernte Ausland oder bei einer aufwändigen Pauschalreise naheliegen, aber nicht bei einer Inlandsreise (vgl. KG a.a.O.). Denkbar wären „erhebliche Nachteile“ auch bei einer beruflich nicht widerrufbaren Bewilligung von Urlaub, aber auch hierzu enthält die Rechtsmittelschrift keine Ausführungen. Es fehlt auch an Darlegungen zu der Frage, weshalb der Betroffene nicht in der Lage gewesen war, notfalls unter Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln, von einem im Inland gelegenen Ferienort zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Oranienburg anzureisen.


2. Soweit der Betroffene einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens zu rügen scheint, ist anzumerken, dass er mit einer solchen allgemeinen Verfahrensrüge bei einer - wie hier - erkannten Geldbuße von nicht mehr als 100,00 € gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG von Gesetzes wegen ausgeschlossen ist.

Dessen ungeachtet ist eine Urlaubsreise im Inland kein schwerwiegender Hinderungsgrund, da ein solcher Urlaub - wie oben dargelegt - zwecks Teilnahme an der Hauptverhandlung kurzfristig unterbrochen oder verschoben werden kann. Dies mag zwar lästig sein, liegt aber gemessen an der vorrangigen Pflicht zur Teilnahme an der Hauptverhandlung im Bereich des Zumutbaren (vgl. OLG Saarbrücken, NJW 1975, 1613, 1615). Auch die finanziellen Auswirkungen halten sich bei einem Mietpreis für ein Ferienhaus in Höhe von ca. 110 Euro pro Tag in Grenzen. Im Übrigen konnte der Betroffene nach neunmaliger Verlegungen der Hauptverhandlung, deren Gründe überwiegend in seiner Sphäre bzw. in der seines Anwalts liegen, nicht weiter damit rechnen, dass das Bußgeldgericht Terminverlegungsanträgen großzügig nachkommt.

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