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BGH Urteil vom 22.11.2022 - VI ZR 344/21 - Zur Anwendung der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO ("rechts vor links") auf öffentlichen Parkplätzen

BGH v. 22.11.2022: Zur Anwendung der Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO ("rechts vor links") auf öffentlichen Parkplätzen




Der BGH (Urteil vom 22.11.2022 - VI ZR 344/21) hat entschieden:

   Die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO ("rechts vor links") findet auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukomm

Siehe auch
Zur Geltung der Vorfahrtregel "rechts vor links" auf Parkplätzen und in Parkhäusern
und
Grundregel des Straßenverkehrs - gegenseitige Rücksichtnahme und Vermeidung von Behinderungen, Gefährdungen, Belästigungen und Schäden

Tatbestand:


Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall am 15. August 2018 auf dem Parkplatz eines Baumarkts geltend. Die durch markierte Parkbuchten gekennzeichneten Parkflächen des Parkplatzes waren durch sich teilweise kreuzende, durch ihre Pflasterung nicht von den Parkbuchten abgehobene Fahrspuren erschlossen. Eine Beschilderung zur Regelung der Vorfahrt oder Fahrbahnmarkierungen (mit Ausnahme der Markierungen der Parkbuchten) existierten nicht.

Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Pkw eine zwischen den Parkflächen befindliche Fahrgasse, der Beklagte zu 1 mit seinem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw aus Sicht des Klägers von links kommend eine diese Gasse kreuzende Fahrspur. Die wechselseitigen Blickfelder des Klägers und des Beklagten zu 1 waren dabei durch einen parkenden Sattelzug erheblich eingeschränkt. Im Kreuzungsbereich kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge.

Die Beklagte zu 2 regulierte den klägerischen Schaden unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 %. Mit seiner Klage begehrt der Kläger von den Beklagten als Gesamtschuldner den Ausgleich auch seines restlichen Schadens nach einer Quote von 100 %.

Das Amtsgericht hat der Klage unter Annahme einer Haftungsquote von 70 % zu 30 % zu Lasten der Beklagten teilweise stattgegeben. Die Berufung des Klägers ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.




Entscheidungsgründe:


I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in juris (Az. 14 S 136/20) veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der Kläger könne von den Beklagten keine weitergehenden Zahlungen verlangen. Die vom Amtsgericht zugrunde gelegte Haftungsquote sei nicht zu beanstanden, eine darüber hinausgehende Quote zugunsten des Klägers komme nicht in Betracht.

Vorliegend hänge gemäß § 17 Abs. 1 StVG der Umfang der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden sei. In dem hier zu beurteilenden Fall sei zu Lasten des Beklagten zu 1 wegen seiner nicht an die konkrete Verkehrssituation angepassten Fahrgeschwindigkeit ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO, nicht hingegen, wie der Kläger meine, ein Verstoß gegen § 8 StVO festzustellen. Zwar gelte die Straßenverkehrsordnung grundsätzlich auch auf privaten Parkplätzen, wenn diese - wie hier - für die Allgemeinheit zugänglich gemacht worden seien. Eine direkte Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO ("An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt") komme jedoch nicht in Betracht. Denn bei den sich hier treffenden Fahrgassen auf dem privaten Parkplatzgelände handele es sich nicht um eine "Kreuzung" im Sinne der StVO. Eine Kreuzung liege vor, wenn "zwei Straßen" sich schnitten, so dass sich jede von ihnen über den Schnittpunkt hinaus fortsetze. Eine "Straße" im Sinne des § 8 StVO liege dabei nur bei Fahrbahnen vor, die dem fließenden Verkehr dienten, d.h. einem Verkehr, bei dem es den Teilnehmern auf ein möglichst ungehindertes Vorwärtskommen, auf ein zügiges Zurücklegen einer Strecke ankomme. Nach gängiger Rechtsprechung komme es insoweit auf die baulichen Besonderheiten des Einzelfalls an. Entscheidende Merkmale für das Vorliegen einer Straße seien etwa Markierungen auf der Fahrbahn, Bordsteine oder das Fehlen von Parkboxen entlang der Fahrbahn.

Es könne dahinstehen, ob es sich bei der von dem Beklagten zu 1 genutzten Fahrspur um eine Straße im obigen Sinne gehandelt habe. Denn jedenfalls bei der von dem Kläger selbst genutzten Fahrspur habe es sich in keinem Fall um eine Straße im obigen Sinne gehandelt, sondern um einen Fahrbereich, der nach der baulichen Beschaffenheit ausschließlich der Parkplatzsuche und dem Rangieren gedient habe, so dass insgesamt keine aus zwei sich treffenden Straßen gebildete "Kreuzung" im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO vorgelegen habe. Es gebe auch weder eine tragfähige Begründung für eine analoge Anwendung von § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf die streitgegenständliche Verkehrssituation noch Veranlassung, die Vorfahrtsregelung "rechts vor links" als Teil der Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO Anwendung finden zu lassen. Denn ein derartiges "Hineinlesen" der Regelung "rechts vor links" in die Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO setze zumindest voraus, dass eine bauliche Verkehrssituation vorliege, in der bei objektiver Betrachtung jeder verständige Verkehrsteilnehmer zu der Ansicht kommen müsse, dass in der jeweiligen Situation sinnvoller Weise nur die Regelung "rechts vor links" Anwendung finden könne. Eine derartige Situation habe hier aufgrund der baulichen Ausgestaltung des Parkplatzes nicht vorgelegen.

Da auf Seiten des Klägers ebenfalls eine Verletzung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots vorliege, weil er im Zeitpunkt der Kollision im Hinblick auf die unklare Verkehrssituation zu schnell gefahren sei, wenn auch deutlich weniger schnell als der Beklagte zu 1, ergebe sich auch zur Überzeugung des Berufungsgerichts die bereits erstinstanzlich erkannte Haftungsquote.




II.

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das angefochtene Urteil hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Nicht zu beanstanden und von der Revision nicht angegriffen ist zunächst der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach sowohl der Kläger als auch die Beklagten grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden beim Betrieb von Kraftfahrzeugen entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Haftungsverteilung in der Folge nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG richtet.

2. Grundsätzlich ist die Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG - wie im Rahmen des § 254 BGB - Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 8. März 2022 - VI ZR 1308/20, VersR 2022, 722 Rn. 8 mwN). Eine Überprüfung der vom Berufungsgericht vorgenommenen Abwägung nach diesen Grundsätzen lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers nicht erkennen. Insbesondere hat das Berufungsgericht entgegen der Ansicht der Revision zu Recht in seine Abwägung keinen Verstoß des Beklagten zu 1 gegen die in § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO normierte Vorfahrtsregel "rechts vor links" eingestellt. Denn diese Regel findet im Streitfall weder unmittelbar noch mittelbar im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in für das Abwägungsergebnis relevanter Weise Anwendung.




a) Die Regeln der StVO sind auf einem - hier vorliegenden - öffentlich zugänglichen Parkplatz allerdings grundsätzlich anwendbar, so dass etwa von den Nutzern des Parkplatzes das sich aus § 1 StVO ergebende Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme zu beachten ist (vgl. Senatsurteile vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn. 11 mwN; vom 26. Januar 2016 - VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 Rn. 11; vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 66/16, NJW 2017, 1175 Rn. 9). Unterschiedlich wird in obergerichtlicher Rechtsprechung und Literatur jedoch beurteilt, welche Bedeutung der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf öffentlichen Parkplätzen zukommt (vgl. auch die Darstellungen zum Meinungsstand bei Siegel, NJW 2019, 2502 ff., und Freymann, DAR 2018, 242, 245). Der Senat hat sich bislang hierzu noch nicht geäußert.

aa) Nach überwiegender Meinung gilt die Vorfahrtsregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf einem öffentlichen Parkplatzgelände - unmittelbar oder in entsprechender Anwendung - nur dann, wenn die dort aufeinanderstoßenden Fahrspuren einen eindeutigen Straßencharakter aufweisen. Ansonsten müssen sich die Kraftfahrer über die Vorfahrt verständigen (vgl. etwa OLG Frankfurt, NJW-RR 2022, 1194 und Urteil vom 8. September 2009 - 14 U 45/09, BeckRS 2010, 1841; OLG Hamm, r+s 1994, 52; OLG Oldenburg, VersR 1983, 1043; OLG Düsseldorf, DAR 2000, 175; OLG München, r+s 2020, 476; KG, MDR 2018, 1435; OLG Köln, VRS 48, 453, 454; OLG Koblenz, VRS 48, 133, 134; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl., § 8 StVO Rn. 31a; Heß in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl., § 8 StVO Rn. 15; Xanke, Praxiskommentar Straßenverkehrsrecht, § 8 StVO Rn. 21; Schurig, StVO, 17. Aufl., § 8 Ziff. 2.7.7; Walther in Heidelberger Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 8 StVO Rn. 105; Schröder in Lütkes/Bachmeier/Müller/Rebler, Straßenverkehr, AL 360, § 8 StVO Rn. 45; Bachmohr/Quarch in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Aufl. § 8 StVO Rn. 7; Siegel, NJW 2019, 2502, 2504; Freymann, DAR 2018, 242, 245; Lempp, Verkehrsjurist 3/2012, 1, 2). Ob einer Fahrspur Straßencharakter zukommt, wird dabei danach beurteilt, ob die baulichen Verhältnisse für den Verkehrsteilnehmer vertraute typische Straßenmerkmale erkennen lassen, wobei Unterschiede in der Gewichtung einzelner baulicher Merkmale, wie etwa Fahrbahnmarkierungen, Fahrspurbreite oder Asphaltierung bestehen (vgl. dazu näher Siegel, NJW 2019, 2502, 2503). In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung rückt dabei die Bedeutung der für den Verkehrsteilnehmer erkennbaren Funktion der Fahrspuren in den Vordergrund, wobei der Straßencharakter verneint wird, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2022, 1194 Rn. 22; OLG München, r+s 2020, 476 Rn. 6; entsprechender Schwerpunkt in der Literatur bei Siegel, NJW 2019, 2502, 2504; Freymann, DAR 2018, 242, 245).

Nach anderer Ansicht ist die Vorfahrtsregel "rechts vor links" auf öffentlichen Parkplätzen weitgehend unabhängig vom Straßencharakter der aufeinander zulaufenden Fahrspuren direkt oder entsprechend anwendbar (vgl. OLG Nürnberg, NJW-RR 2014, 1308, 1309, juris Rn. 19; OLG Celle, Urteil vom 8. August 2006 - 14 U 36/06, juris Rn. 9; OLG Hamm, VRS 47, 455, 456: "unmissverständliche Wegführung" ausreichend; ebenso OLG Nürnberg, Urteil vom 29. April 1977 - 1 U 175/76, juris Rn. 27; vgl. auch Bender in MüKo StVR, § 8 StVO Rn. 15). Schließlich wird vertreten, die Wertung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO sei auf öffentlichen Parkplätzen stets im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zu berücksichtigen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 2017, 1100, 1101, juris Rn. 50; OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1099, 1100; für Tankstellengelände OLG Köln, NZV 1994, 438, 439; Spelz in Freymann/Wellner, juris PK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 1.12.2021, § 8 StVO Rn. 76).


bb) Der Senat ist der Auffassung, dass § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO Anwendung findet, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt. Dies ergibt sich aus dem Regelungsgegenstand und dem Zweck der Vorschrift.

(1) Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Dabei muss es sich bei den aufeinanderstoßenden Fahrbahnen um Straßen handeln (vgl. Senatsurteil vom 5. Februar 1974 - VI ZR 195/72, NJW 1974, 949, 950, juris Rn. 9). Die gesetzliche Vorfahrtsregelung soll den zügigen Verkehr auf bevorrechtigten Straßen gewährleisten und damit durch klare und sichere Verkehrsregeln auch der Sicherheit des Straßenverkehrs dienen (vgl. Senatsurteile vom 27. Mai 2014 - VI ZR 279/13, VersR 2014, 894 Rn. 11; vom 9. März 1971 - VI ZR 137/69, BGHZ 56, 1, 4, juris Rn. 15).

(2) Ein Parkplatz ist dagegen - als Ganzes betrachtet - keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die - vorbehaltlich spezifischer Regelungen durch den Eigentümer oder Betreiber - grundsätzlich in jeder Richtung befahren werden darf. Parkflächenmarkierungen, die den Platz in Parkplätze und Fahrspuren aufteilen, ändern für sich genommen daran nichts, so dass durch solche Markierungen entstehenden Fahrbahnen - wie allein durch die tatsächliche Anordnung der geparkten Fahrzeuge gebildeten Gassen - kein Straßencharakter zukommt (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 29. April 1977 - 1 U 175/76, juris Rn. 26; OLG Köln, VRS 48, 453, 454 f.; OLG Koblenz, VRS 48, 133, 134; OLG Stuttgart, VRS 45, 313, 314). Die auf Parkplätzen vorhandenen Fahrspuren dienen zudem typischerweise nicht - wie es der Zweckrichtung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO entspräche - der möglichst zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern der Erschließung der Parkmöglichkeiten durch Eröffnung von Rangierräumen und der Ermöglichung von Be- und Entladevorgängen, wobei die Fahrbahnen regelmäßig sowohl von Kraftfahrern als auch Fußgängern genutzt werden. Eine Bejahung des Straßencharakters und damit eine - dann unmittelbare - Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO kommt daher auf Parkplätzen nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich durch die bauliche Gestaltung der Fahrspuren und die sonstigen örtlichen Gegebenheiten für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass die Fahrbahnen nicht der Aufteilung und unmittelbaren Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen.

(3) Fehlt es an einem solchen eindeutigen Straßencharakter, kommt auf öffentlichen Parkplätzen auch keine entsprechende oder mittelbare Anwendung der Vorfahrtsregel "rechts vor links" im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Anders als § 9 Abs. 5 StVO (vgl. dazu Senatsurteile vom 15. Dezember 2015 - VI ZR 6/15, NJW 2016, 1098 Rn. 11; vom 26. Januar 2016 - VI ZR 179/15, NJW 2016, 1100 Rn. 11; vom 11. Oktober 2016 - VI ZR 66/16, NJW 2017, 1175 Rn. 9) enthält die auf den fließenden Verkehr zweckgerichtete Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO keine Wertung, die auf die Situation auf Parkplätzen übertragbar wäre. Der fließende Verkehr ist auf das Vorwärtskommen gerichtet, der Verkehrsfluss soll nach Möglichkeit nicht gestört werden. Dagegen wird, wie schon ausgeführt, auf einem Parkplatz das allgemeine Tempo durch den Park- und Verladebetrieb bestimmt, der einer zügigen Fahrweise entgegensteht. Die auf einem Parkplatz aufgrund der erforderlichen Rücksichtnahme auf ein- und ausparkende Kraftfahrer und die Fahrbahnen nutzende Fußgänger gebotene geringe Geschwindigkeit der Fahrzeuge erfordert keine strengen, automatisch anwendbaren Vorfahrtsregeln. Der Sicherheit ist es in der typischen, durch Ablenkungen von der Beachtung des Verkehrsflusses geprägten Situation auf einem Parkplatz dienlicher, wenn die sich begegnenden Fahrzeuglenker aufeinander Rücksicht nehmen und über die Vorfahrt verständigen müssen (vgl. zu den insoweit vergleichbaren Verhältnissen auf einem nicht öffentlichen Parkplatz Senatsurteil vom 9. Oktober 1962 - VI ZR 249/61, NJW 1963, 152, 153; zum öffentlichen Parkplatz OLG Stuttgart, VRS 45, 313, 314).



Dass diese Verständigung entsprechend der Behauptung des Klägers in der Praxis wohl oftmals entsprechend der eingeschliffenen Regel "rechts vor links" erfolgen wird und viele Verkehrsteilnehmer von der Geltung dieser Regel auch auf Parkplätzen ausgehen mögen, rechtfertigt es nicht, bei der Konkretisierung der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht nach § 1 Abs. 2 StVO dem von links kommenden Kraftfahrer eine höhere Sorgfaltspflicht aufzuerlegen, die sich im Rahmen der Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 StVG zu seinem Nachteil auswirkt (anders OLG Saarbrücken, NJW 1974, 1099, 1100; für Tankstellengelände OLG Köln, NZV 1994, 438, 439, juris Rn. 8). Allerdings muss auf Parkplätzen damit gerechnet werden, dass sich der von rechts kommende Kraftfahrer - irrig - für vorfahrtberechtigt hält. Dies ist aber kein Grund, den von rechts Kommenden zu privilegieren, der seinerseits beachten muss, dass die gesetzliche Vorfahrtsregel auf Parkplätzen grundsätzlich nicht gilt.

b) Nach diesen Grundsätzen kommt im Streitfall ein im Rahmen der Abwägung nach § 17 StVG für die Haftungsverteilung relevanter Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der vom Kläger genutzten Fahrspur kein Straßencharakter zukam. Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts befuhr der Kläger im Kollisionszeitpunkt eine sich lediglich durch die Markierungen der Parkflächen ergebende Gasse, die ausschließlich der Parkplatzsuche und dem Rangieren diente.

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