Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Saarbrücken Beschluss vom 11.01.2023 - Ss 62/22 (1 Ss 39/22) - Zur Festestellung der Verwerflichkeit des angedrohten Übels bei einer Nötigung durch Androhung einer Straftat

OLG Saarbrücken v. 11.01.2023: Zur Festestellung der Verwerflichkeit des angedrohten Übels bei einer Nötigung durch Androhung einer Straftat




Das Oberlandesgericht Saarbrücken (Beschluss vom 11.01.2023 - Ss 62/22 (1 Ss 39/22)) hat entschieden:

   Rechtswidrig ist eine - auch versuchte - Nötigung nach § 240 Abs. 2 StGB vielmehr nur dann, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Dabei bedarf es im Regelfall einer positiven Feststellung der Verwerflichkeit durch das Tatgericht, das Nötigungsmittel und Nötigungszweck unter einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in einer Gesamtwürdigung zueinander in Beziehung zu setzen hat. - Die erforderliche Abwägung ist nicht bereits dann entbehrlich, wenn das empfindliche Übel, mit dem der Täter droht, in der - als solche nicht strafbewehrten - Ankündigung einer Straftat besteht. Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn die Ankündigung der Straftat ihrerseits nach § 241 StGB strafbar ist, da in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung, die das Strafrecht als „ultima ratio“ begreift, strafbare Handlungen ohne weiteres auch verwerflich sind, wenn nicht (ausnahmsweise) ein Rechtfertigungsgrund eingreift.

Siehe auch
Nötigung im Straßenverkehr
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Gründe:


Der näheren Erörterung bedarf insoweit nur Folgendes:

Das angefochtene Urteil unterliegt nicht deshalb der Aufhebung, weil es keine Ausführungen zur Frage der Verwerflichkeit der dem Angeklagten zur Last gelegten versuchten Nötigung enthält. Zwar handelt es sich beim Tatbestand der Nötigung um einen offenen Tatbestand, der die Rechtswidrigkeit der Tat nicht indiziert. Rechtswidrig ist eine - auch versuchte - Nötigung nach § 240 Abs. 2 StGB vielmehr nur dann, wenn der Einsatz des Nötigungsmittels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Dabei bedarf es im Regelfall einer positiven Feststellung der Verwerflichkeit durch das Tatgericht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 25. Mai 1992 - 1 Ss 85/92 -; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. April 2011 - 2 Ss 45/10 -, juris; Senatsbeschluss vom 30. November 2021 - Ss 83/2021 (76/21) -; vgl. auch Fischer, StGB, 69. Aufl., § 240 Rdnr. 38a; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdnr. 118), das Nötigungsmittel und Nötigungszweck unter einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls in einer Gesamtwürdigung zueinander in Beziehung zu setzen hat (vgl. BVerfGE 73, 247, 255; BGHSt 2, 196 und 35, 274; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2015 - 1 (8) Ss 510/13 -, juris; Senatsbeschluss a.a.O.; Fischer a.a.O., § 240 Rdnr. 42; Eisele in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 240 Rdnr. 17). Denn angesichts der außerordentlichen Weite und Ungenauigkeit des Nötigungstatbestandes nach § 240 Abs. 1 StGB bedarf es dieses Korrektivs, um ein tatbestandsmäßiges Verhalten nicht nur als sittlich zu missbilligendes und im sozialethischen Sinne als anstößig anzusehendes Tun, sondern zugleich als gesteigertes sozial unerträgliches strafwürdiges kriminelles Unrecht einzustufen (BayObLG NJW 1989, 1621; OLG Koblenz a.a.O.; Senatsbeschluss a.a.O.; BVerfG, Urteil vom 11. November 1986 - 1 BvR 713/83 -; Fischer a.a.O., § 240 Rdnr. 38).




Die erforderliche Abwägung ist nicht bereits dann entbehrlich, wenn das empfindliche Übel, mit dem der Täter droht, in der - als solche nicht strafbewehrten - Ankündigung einer Straftat besteht (OLG Koblenz, a.a.O.; Altvater/Coen in: LK-StGB a.a.O., § 240 Rdnr. 120). Etwas anderes hat jedoch dann zu gelten, wenn die Ankündigung der Straftat ihrerseits nach § 241 StGB strafbar ist, da in einer widerspruchsfreien Rechtsordnung, die das Strafrecht als "ultima ratio" begreift, strafbare Handlungen ohne weiteres auch verwerflich sind, wenn nicht (ausnahmsweise) ein Rechtfertigungsgrund eingreift (Altvater/Coen in: LK-StGB a.a.O., § 240 Rdnr. 119 f.). In Fällen dieser Art ist die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert, ohne dass es auf eine Abwägung ankommt; dass die Bedrohung hinter der Nötigung zurücktritt, spielt insoweit keine Rolle (Altvater/Coen in: LK-StGB a.a.O., § 240 Rdnr. 120).

Unter Anwendung dieser Grundsätze war eine positive Feststellung der Rechtswidrigkeit durch das Landgericht ausnahmsweise entbehrlich, da die von dem Angeklagten ausgesprochene Drohung - wovon auch die Berufungskammer ausgegangen ist - den Tatbestand einer Bedrohung (§ 241 StGB) erfüllt.

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