Das Verkehrslexikon

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OLG Dresden Beschluss vom 01.11.2005 - Ss (OWi) 353/05) - Zum Augenblicksversagen beim Übersehen eines Ortsschildes durch eine Ortsfremden

OLG Dresden v. 01.11.2005: Zum Augenblicksversagen beim Übersehen eines Ortsschildes durch eine Ortsfremden




Das OLG Dresden (Beschluss vom 01.11.2005 - Ss (OWi) 353/05)) hat zum Augenblicksversagen beim Übersehen eines Ortseingangsschildes entschieden:

   Übersieht ein Ortsfremder, der eine gut ausgebaute vierspurige Straße befährt, das die Geschwindigkeit begrenzende Ortseingangsschild, weil er aufgrund der örtlichen Bebauung den Eindruck hat, er befände sich noch außerorts, dann liegt – falls keine Anhaltspunkte für grobe Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit vorliegen – ein Augenblicksversagen vor, das ein Absehen vom Regelfahrverbot rechtfertigt.

Siehe auch
Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen
und
Geschwindigkeitsverstöße im Ordnungswidrigkeitenrecht

Zum Sachverhalt:


Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt, ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat angeordnet und die Privilegierung des § 25 Abs. 2a StVG gewährt. Die Rechtsbeschwerde des Betr. führte zum Wegfall des Fahrverbots.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Erwägungen des AG zur Anordnung des Fahrverbotes halten sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zutreffend ist das AG davon ausgegangen, dass der von dem Betr. begangene Verstoß gem. § 1, 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV, Nr. f I:3 BKat i.V.m. Tab. 1 Buchst. c lfd. Nr. 11.3.6 mit einer Geldbuße in Höhe von 100 EUR und i. d. R. auch mit einem Fahrverbot für die Dauer von einem Monat zu ahnden ist.

Die vom AG getroffenen Feststellungen tragen jedoch die Verhängung des Regelfahrverbotes nicht.

Alleinige Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbotes wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist auch bei Taten, bei denen diese Rechtsfolge nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i. d. R. in Betracht kommt, § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG. Danach kann ein Fahrverbot verhängt werden, wenn ein Betr. eine OWi nach § 24 StVG unter grober oder beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Das Gewicht des Verkehrsverstoßes begründet jedoch in objektiver Hinsicht allein noch nicht die Annahme einer groben Pflichtverletzung. Vielmehr muss dem Täter auch in subjektiver Hinsicht eine besondere Verantwortungslosigkeit vorgeworfen werden können.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Vielmehr liegt nach den Feststellungen des AG ein sogenanntes Augenblicksversagen vor, das auch seinerseits nicht auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht.



Nach den Feststellungen des AG befuhr der Betr. die M.allee, bei der es sich um eine gut ausgebaute vierspurige Straße handelt. Dabei übersah er das die Geschwindigkeit begrenzende Ortseingangsschild. Der Betr. war ortsfremd und hatte aufgrund der örtlichen Bebauung den Eindruck, er befände sich noch außerorts. Nach den somit durch das AG festgestellten äußeren Gegebenheiten des Tatorts musste sich dem Betr. gerade nicht aufdrängen, dass er sich innerhalb einer geschlossenen Ortschaft befindet.

Soweit das AG die grobe Pflichtverletzung in subjektiver Hinsicht daraus herleitet, dass die Ortseingangsschilder deutlich an beiden Seiten der in stadteinwärtiger Richtung befindlichen Fahrbahn aufgestellt seien, stellt es damit jedoch lediglich fest, dass der Betr. die maßgebliche geschwindigkeitsbegrenzende Anordnung hätte erkennen können und müssen, ihn insoweit also überhaupt ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft. Ein Augenblicksversagen, d. h. ein Übersehen der - grundsätzlich sichtbaren - Ortseingangsschilder infolge momentaner Unaufmerksamkeit, ist hierdurch jedoch gerade nicht ausgeschlossen.

Anhaltspunkte dafür, dass das Augenblicksversagen seinerseits auf grober Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhte, etwa weil sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufgrund anderer Umstände aufdrängen musste (vgl. BGHSt 43, 241), liegen nach den amtsgerichtlichen Feststellungen nicht vor. Dies gilt insbesondere für die vor dem Ortseingangsschild wiederholt angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 80 km/h. Der Betr. ist mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 81 km/h festgestellt worden. Damit hat der Betr. die dem Ortseingangsschild vorhergehenden Geschwindigkeitsbeschränkungen nur ganz unwesentlich überschritten, so dass ihm eine weitere Pflichtverletzung gerade nicht vorgeworfen werden kann.

Der Rechtsfehler zwingt nicht zur Aufhebung des Urteils, sondern führt zu einer eigenen Sachentscheidung des Senats (§ 79 Abs. 6 OWiG). Es kann ausgeschlossen werden, dass eine neue Hauptverhandlung weitere Erkenntnisse zu erbringen vermag.



Der vorliegende Fall gibt Anlass zu folgender Bemerkung:

Der hier inmitten stehende Sachverhalt unterscheidet sich trotzt desselben Tatortes in einem wesentlichen Punkt von dem Verfahren, in dem der Senat mit Beschluss vom 18. 4. 2005 (Az.: Ss [OWi] 233/05) eine Rechtsbeschwerde des Betr. als offensichtlich unbegründet verworfen hat. Dort hatte der Betr. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um mindestens 47 km/h überschritten. Dem damaligen Betr. war deshalb - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - auch in subjektiver Hinsicht eine grobe Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen, weil er nicht nur die durch das Ortseingangsschild angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, sondern auch die zuvor durch Z. 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h bereits in erheblicher Weise (um 17 km/h) überschritten hatte. In einem solchen Fall beruht der Verkehrsverstoß nicht auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit, die zur Annahme eines Augenblicksversagens führt, sondern auf der Nichtbeachtung weiterer Sorgfaltspflichten (OLG Dresden NJW 2005, 2100). ..."

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