Das Verkehrslexikon

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Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen - augenblickliche Unaufmerksamkeit, die jedem passieren kann

Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen




Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines



Einleitung:


Von einem sog. Augenblicksversagen spricht man dann, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einer augenblicklichen Unaufmerksamkeit beruht, die jedem sorgfältigen Verkehrsteilnehmer unterlaufen kann.

Besonders, wenn hierdurch ein geschwindigkeitsbegrenzendes Schild oder das Rotlicht einer Ampel übersehen wird, ist zu untersuchen, ob der daraus resultierende Verstoß nicht auf ein milder zu beurteilendes Augenblicksversagen zurückzuführen ist.


Im Ordnungswidrigkeitenrecht führt ein solches Augenblicksversagen in der Regel keineswegs zur Verfahrenseinstellung und nur in sehr seltenen Fällen zu einer Verringerung der Regelbuße; wohl aber kann ein an sich verwirktes Regelfahrverbot entfallen.

Zum Begriff des Augenblicksversagens hat das OLG Bamberg (Beschluss vom 22.12.2015 - 3 Ss OWi 1326/15)ausgeführt:

   "Mit dem gegen ein bußgeldrechtliches Fahrverbot inflationär eingewandten, aus der zivilrechtlichen Judikatur übernommenen Schlagwort des sog. 'Augenblicksversagens‘ wird - wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend ausführt - begrifflich zunächst nur ein (Fehl-) Verhalten bzw. 'Versagen‘ des Betroffenen umschrieben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelnde für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, nämlich nur für einen 'Moment‘ oder nur für einen 'Augenblick' lang die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Allein hieraus lässt sich allerdings nicht schon ein ausreichender Anlass ableiten, den Schuldvorwurf herabzustufen, sofern - wie hier - alle sonstigen (objektiven) Merkmale der groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz1 1. Alt. StVG ohne weiteres gegeben sind. Denn eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine nur kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Gebot oder Verbot übersieht (BGH, Urteil vom 08.07.1992 - IV ZR 223/91 = BGHZ 119, 147/149 f. = NJW 1992, 2418 = DAR 1992, 369 = VerkMitt 1992, Nr. 78 = ZfS1992, 378 = VRS 84 [1993], 18; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11.09.1997 - 4 StR 638/96 = BGHSt 43, 241/249 ff. = NJW 1997,3252 = NZV 1997, 525).




b) Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung mit Blick auf die Anordnung, die Dauer oder den Umfang eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots setzt vielmehr stets die Feststellung weiterer, in der Person des Handelnden liegender besonderer Umstände voraus, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände in einem gegenüber dem Regelfall milderen Licht erscheinen lassen (BGH a.a.O.; vgl. zuletzt auch OLG Düsseldorf DAR 2015, 213). Derartige besondere Umstände, etwa ein unübersichtliches, besonders schwieriges, überraschendes oder gar verwirrendes Verkehrsgeschehen, die im Einzelfall einen Wegfall des Fahrverbots rechtfertigen könnten, zeigen die Feststellungen und Wertungen des Amtsgerichts indes gerade nicht auf und legen ein solches auch nicht nahe. Jede andere Sicht der Dinge wäre mit der Intention des Verordnungsgebers unvereinbar, wonach grundsätzlich, nämlich soweit der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV erfüllt ist, das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert ist, weshalb es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf."

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Weiterführende Links:


Stichwörter zum Thema Fahrverbot

Fahrverbot im Strafverfahren

Regelfahrverbot

Fahrverbot bei Rotlichtverstößen - Einzelfälle

Fahrverbot bei Geschwindigkeitsüberschreitungen - Einzelfälle

Absehen vom Fahrverbot allgemein

Fahrverbot und sog. Augenblicksversagen

Absehen vom Fahrverbot wegen Existenzgefährdung oder drohendem Verlust des Arbeitsplatzes






Allgemeines:


BGH v. 11.09.1997:
Die Anordnung eines Fahrverbots gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers kommt auch bei einer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Betracht, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruht, dass der Betr. infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste

OLG Braunschweig v. 15.03.1999:
Die Grundsätze, die der BGH zum Augenblicksversagen bei "groben" Pflichtwidrigkeiten entwickelt hat (DAR 1997, 450), gelten entsprechend auch für Fälle "beharrlicher" Pflichtwidrigkeiten, da die Grundkonstellationen in beiden Fallgruppen einander entsprechen. Eine "beharrliche" Pflichtwidrigkeit kann daher, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zur "groben" Pflichtwidrigkeit, nicht angenommen werden, wenn der Verkehrsverstoß auf ein Augenblicksversagen zurückgeht, das auch ein sorgfältiger und pflichtbewusster Kraftfahrer nicht immer vermeiden kann.

OLG Hamm v. 04.11.2004:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine grobe Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nicht gegeben, wenn die dem Kraftfahrzeugführer vorgeworfene Ordnungswidrigkeit auf einem Augenblicksversagen beruht, das auch bei einem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer nicht immer vermieden werden kann.

Unter einem "Augenblick" ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine sehr kurze Zeitspanne zu verstehen. Unter einem "Augenblicksversagen" kann daher auch nur ein sehr kurzfristiges Fehlverhalten bzw. Außerachtlassen der unter den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verstanden werden.

OLG Hamm v. 13.12.2005:
Die Grundsätze des Augenblicksversagens können nicht dazu herangezogen werden, um überhaupt jeden Fahrlässigkeitsvorwurf gegen den Betroffenen entfallen zu lassen

OLG Braunschweig v. 15.03.1999:
Im Falle des Augenblicksversagens ist es allein entscheidend, dass die subjektive Vorwerfbarkeit der Ordnungswidrigkeit besonders gering ist; nicht entscheidend ist es hingegen, wie deutlich der objektive Tatbestand des jeweiligen Merkmals erfüllt ist, d. h. wie viele Wiederholungen beim Regelfall der "beharrlichen" Pflichtwidrigkeit vorliegen.

OLG Koblenz v. 20.09.2004:
Ausführlich zu grober Pflichtverletzung, Gleichgültigkeit und Augenblicksversagen

OLG Hamm v. 23.05.2005:
Bei einer leichten oder momentanen Unaufmerksamkeit, so z.B. wenn der Betroffene durch eine Adressensuche abgelenkt ist, muss von einem Fahrverbot abgesehen werden, weil dann bereits auf der Tatbestandsebene die Voraussetzungen für dessen Verhängung nicht vorliegen.

OLG Hamm v. 19.10.2009:
Hält ein Kfz-Führer zunächst an einer für ihn Rot abstrahlenden Fußgängerampel an und lässt zwei Passanten vorbei, um dann bei noch rotem Ampellicht zu starten und weiter zu fahren, dann liegt ein sog. qualifizierter Rotlichtverstoß vor, bei dem die Verhängung eines Fahrverbots geboten ist. Es handelt sich nicht um ein Augenblicksversagen,, wenn dafür keine besonderen Umstände sprechen, die vom Betroffenen geltend gemacht werden müssen.

OLG Düsseldorf v. 05.03.2010:
Die Möglichkeit, dass der Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Verkehrszeichen übersehen hat, muss der Tatrichter dann in Rechnung stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder der Betroffene dies im Bußgeldverfahren einwendet. Soweit der Betroffene geltend macht, infolge eines entschuldbaren Augenblicksversagens das die Geschwindigkeit begrenzende Verkehrszeichen an der Messstelle übersehen zu haben, ist das Amtsgericht gehalten, nähere Feststellungen zur Art und Weise der Geschwindigkeitsbeschränkung und zu den örtlichen Gegebenheiten zu treffen, damit dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit zur Prüfung der Frage eröffnet ist, ob der Wahrnehmungsfehler vorwerfbar ist.

OLG Bamberg v. 17.07.2012:
Macht der Betroffene geltend, aufgrund einer Probefahrt mit einem ihm unbekannten und ungewohnten Fahrzeug eine innerörtliche Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit übersehen zu haben, scheidet eine Ausnahme von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot aufgrund besonderer Tatumstände, insbesondere die Anerkennung eines privilegierendes sog. Augenblicksversagens, regelmäßig aus (Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2002, 82f.).




OLG Oldenburg v. 22.05.2013:
Ohne aus dem Verkehrszentralregister ersichtliche Anhaltspunkte, muss das Tatgericht, bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Regelfalls der beharrlichen Geschwindigkeitsüberschreitung, nicht ermitteln, ob bei der ersten - durch einen Bußgeldbescheid geahndeten - Tat, ein sog. Augenblicksversagen vorgelegen hat.

OLG Oldenburg v. 26.09.2013:
Im Falle des Übersehens eines die zulässige Höchstgeschwindigkeit begrenzenden Verkehrszeichens reicht es für die Verneinung eines Augenblicksversagens nicht aus, wenn lediglich festgestellt wird, dass sich die Straße "aufgrund von starken Fahrbahnschäden in einem äußerst schlechten Zustand" befunden habe.

OLG Düsseldorf v. 14.03.2014:

 1.  Der Ausdruck "Augenblicksversagen" beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Verletzung gegeben sind.

 2.  Ein „Augenblicksversagen“ (oder kurzzeitiges Fehlverhalten, das nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft; BGHSt 43, 241, 246; BGH [Z], NJW 2003, 1118, 1119; Burmann/Heß-Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. [2012], § 25 StVG Rdnr. 15 f mwN), das nicht als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG (oder schadensrechtlich nicht als grob fahrlässig) zu bewerten ist, kann (muss aber nicht) vorgelegen haben, wenn der oder die Betroffene

  -  ein unübersichtliches Verkehrsgeschehen falsch gedeutet oder eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat,

  -  auf eine besonders schwierige, insbesondere überraschend eingetretene Verkehrslage falsch reagiert oder

  -  ein Verkehrszeichen schlicht übersehen hat und die sichtbaren äußeren Umstände auch nicht auf eine Beschränkung oder ein Ge- oder Verbot hingedeutet haben (wie etwa: Kreuzung auf Ampel oder Stoppschild, geschlossene Bebauung, Tunnel oder Baustelle auf Geschwindigkeitsbeschränkung; vgl. BGHSt aaO, 251 f).

AG Landstuhl v. 22.09.2014:
Von einem als Regelfolge anzuordnenden Fahrverbot kann wegen fehlenden Handlungsunwerts abgesehen werden, wenn die Verkennung einer Sonderrechtssituation nach § 35 StVO zu einer Fehleinschätzung führt, die einem Augenblicksversagen ähnlich ist.

OLG Bamberg v. 22.12.2015:
Mit dem gegen ein bußgeldrechtliches Fahrverbot eingewandten sog. 'Augenblicksversagen' wird begrifflich zunächst nur ein Versagen des Betroffenen umschrieben, das dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelnde für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum, nämlich nur für einen 'Moment' oder nur für einen 'Augenblick' lang die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Die Anerkennung einer Privilegierung mit Blick auf die Anordnung, die Dauer oder den Umfang eines bußgeldrechtlichen Fahrverbots setzt stets die Feststellung weiterer, in der Person des Handelnden liegender besonderer Umstände voraus, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände, etwa eines unübersichtlichen, besonders schwierigen, überraschenden oder verwirrendes Verkehrsgeschehens, in einem gegenüber dem Regelfall milderen Licht im Sinne eines herabgesetzten Handlungsunwerts erscheinen lassen.




OLG Bamberg v. 04.01.2016:
Von einem ein Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot rechtfertigenden sog. Augenblicksversagen kann nur für den Fall einer momentanen Unaufmerksamkeit bzw. eines kurzzeitiges Fehlverhaltens ausgegangenen werden, wie es auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterlaufen kann. Für den Begriff des Augenblicksversagens ist deshalb kennzeichnend, dass es sich um eine gleichsam spontane Fehlreaktion innerhalb eines Verkehrsgeschehens handeln muss. Dies ist aber dann nicht der Fall ist, wenn das fragliche Fehlverhalten des Betroffenen jener Fehlreaktion bereits vorgelagert war.

KG Berlin v. 07.07.2016:
Kannte der Betroffene den Kreuzungsbereich aus eigener Erfahrung und lag für ihn erkennbar eine geänderte Verkehrsführung vor, was ihm zu verringerter Geschwindigkeit sowie zu erhöhter Aufmerksamkeit Anlass geben musste, wodurch er auch auf eine verkürzte Gelbphase hätte reagieren können, kann sein Rotlichtverstoß nicht als „Augenblicksversagen aufgrund besonderer Umstände" eingestuft werden. Deshalb liegt kein besonderer Ausnahmefall vor, der es rechtfertigen könnte, von der Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen.

OLG Jena v. 06.11.2016:
Wendet der Betroffene zum Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung im Rahmen der Hauptverhandlung ein, er habe wahrscheinlich die Beschilderung der Geschwindigkeitsbegrenzung nicht gesehen, so dass es sich um ein "Augenblicksversagen" gehandelt habe, muss das Gericht die Art und Weise der Beschilderung feststellen und sodann - in einem zweiten Schritt - erörtern, ob von einem "Augenblicksversagen" des Betroffenen ausgegangen werden kann oder ob das Nichtwahrnehmen der Beschilderung grob pflichtwidrig war und zur Anordnung des Fahrverbots führen kann.

AG Potsdam v. 07.02.2017:
Von der Anordnung eines Regelfahrverbots wegen einer besonderen Pflichtwidrigkeit kann abgesehen werden, wenn der Betroffene nur einmalig ein einseitig rechts aufgestelltes Verkehrszeichen (hier: 274.1 - „Beginn einer Tempo 30-Zone“) passiert, bevor seine Geschwindigkeit gemessen wurde und sich sonst für den Fahrer keine Anhaltspunkte für eine 30er-Zone ergeben haben.

OLG Brandenburg v. 20.02.2017:
Beruft sich der Betroffene auf so genanntes Augenblicksversagen und ist ihm diese Einlassung nicht zu widerlegen, gilt die Besonderheit, dass mit dem Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar das objektive Gewicht des Verkehrsverstoßes steigt, nicht jedoch dessen subjektive Vorwerfbarkeit. Diese besteht - unabhängig vom Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit - nur darin, dass der Betroffene das die Geschwindigkeit beschränkende Verkehrszeichen nicht wahrgenommen hat.

KG Berlin v. 17.01.2018:

  1.  Der Ausdruck „Augenblicksversagen" beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Ge- oder Verbot übersieht. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl. BGHZ 119, 147).

  2.  Ein „Augenblicksversagen" oder kurzzeitiges Fehlverhalten, das nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft, das nicht als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG oder schadensrechtlich nicht als grob fahrlässig zu bewerten ist, kann (muss aber nicht) vorgelegen haben, wenn der Betroffene

  (1.)  ein unübersichtliches Verkehrsgeschehen falsch gedeutet oder eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat,

  (2.)  auf eine besonders schwierige, insbesondere überraschend eingetretene Verkehrslage falsch reagiert oder

  (3.)  ein Verkehrszeichen schlicht übersehen hat und die sichtbaren äußeren Umstände auch nicht auf eine Beschränkung oder ein Ge- oder Verbot hingedeutet haben (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. März 2014 – IV-1 RBs 183/13 – = DAR 2015, 213, juris).

AG Helmstedt v. 21.06.2018:

  1.  Allein aus einer spontanen Fehlreaktion innerhalb eines Verkehrsgeschehens lässt sich nicht schon ein ausreichender Anlass ableiten, den Schuldvorwurf herabzustufen, sofern alle sonstigen objektiven Merkmale der groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ohne weiteres gegeben sind.

  2.  Die Anerkennung einer Privilegierungswirkung mit Blick auf die Anordnung eines Fahrverbots setzt daher stets die Feststellung weiterer, in der Person des Betroffenen liegender besonderer Umstände voraus, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände in einem gegenüber dem Regelfall milderen Licht erscheinen lassen.

OLG Bamberg v. 06.11.2018::
Macht der Betroffene anlässlich eines ihm vorgeworfenen und mit einem Regelfahrverbot geahndeten Abstandsverstoßes geltend, auf die Funktion eines in seinem Fahrzeug als Bestandteil eines Fahrerassistenz-Pakets verbauten sog. Abstandspiloten vertraut zu haben, ist dies mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Pflichten eines Fahrzeugführers unvereinbar; erst recht scheidet die Anerkennung eines privilegierenden sog. Augenblicksversagens aus.



OLG Brandenburg v. 01.07.2019:
Die Anordnung eines Fahrverbotes ist auch dann nicht angezeigt, wenn ein Verkehrsverstoß nicht auf einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, sondern lediglich auf einem augenblicklichen Wahrnehmungsfehler beruht, die jedem sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann (grundlegend BGHSt 43, 241 ff.; OLG Hamm NZV 2005, 489).

Ein solcher Wahrnehmungsfehler kann jedoch seinerseits als grob pflichtwidrig angesehen werden. Auf nur einfache Fahrlässigkeit kann sich derjenige nicht berufen, welcher die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob pflichtwidriger Weise unterlassen hat (BGHSt 43, 241; OLG Karlsruhe VRs 111, 489).

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