Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 03.11.1987 - VI ZR 95/87 - Zur freien Beweiswürdigung von Zeugenaussagen von Beifahrern, Freunden und Verwandten

BGH v. 03.11.1987: Zur freien Beweiswürdigung von Zeugenaussagen von Beifahrern, Freunden und Verwandten




Der BGH (Urteil vom 03.11.1987 - VI ZR 95/87) ist einer sog. Beifahrerrechtsprechung (wie schon in der Vergangenheit mehrfach) entgegengetreten:

   Es verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kfz (vgl. sogenannte "Beifahrerrechtsprechung") oder von Verwandten oder Freunden der Unfallbeteiligten nur für den Fall Beweiswert zuzuerkennen, dass sonstige objektive Gesichtspunkte für die Richtigkeit der Aussagen sprechen.

Siehe auch
Zeugen - Zeugenbeweis
und
Beweiswürdigung

Aus den Entscheidungsgründen:


“... Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie beruht auf einer Billigung der sogenannten Beifahrerrechtsprechung des LG und deren Erstreckung auch auf Verwandte und Freunde in einem nachfolgenden Fahrzeug. Diese "Beifahrerrechtsprechung" besagt, dass - wie in dem Landgerichtlichen Urteil formuliert wird - den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Fahrzeuge "nur dann Beweiswert zuerkannt werden kann, wenn sonstige objektive Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit sprechen". Eine solche Behandlung der Zeugenaussagen von Fahrzeuginsassen stellt jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, schon im Ansatz einen Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO dar. Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für unwahr zu erachten ist. Damit ist es nicht zu vereinbaren, wenn den Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kfz nur für den Fall Beweiswert beigemessen wird, dass sonstige objektive Anhaltspunkte für ihre Richtigkeit sprechen.




Bei einer solchen Handhabung wird die Entscheidung nicht, wie es nach § 286 Abs. 1 ZPO geboten ist, auf eine individuelle Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme, sondern in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise auf eine abstrakte Beweisregel gegründet, die das Gesetz nicht kennt (vgl. auch § 286 Abs. 2 ZPO). Eine derartige Beweisregel kann sich auch nicht auf einen allgemeinen Erfahrungssatz stützen. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass die Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kfz stets von einem - wie es das Berufungsgericht ausdrückt - "Solidarisierungseffekt" beeinflusst und deshalb grundsätzlich unbrauchbar sind (zu einer vergleichbaren Fallgestaltung BGH vom 30.9.1974 - II ZR 11/73 = VersR 74, 1196 (1197) = NJW 74, 2283). Ebensowenig können Aussagen von Unfallzeugen, die mit einem Unfallbeteiligten - wie hier die Zeuginnen H. und S. mit dem Bekl. - verwandt oder verschwägert sind, als von vornherein parteiisch und unzuverlässig gelten (s. z. B. OLG Köln MDR 72, 957). Zwar sind bei der Würdigung der Zeugenaussagen Umstände wie die verwandtschaftliche oder freundschaftliche Verbundenheit mit einem Beteiligten jeweils gebührend zu berücksichtigen. Auch auf die Möglichkeit, dass sich ein Zeuge, der Insasse eines unfallbeteiligten Kfz war, bewusst oder unbewusst mit dem Fahrer solidarisiert, ist Bedacht zu nehmen. Es geht jedoch nicht an, einer Zeugenaussage aus solchen Gründen ohne weitere Würdigung von vornherein jeglichen Beweiswert abzusprechen, wenn ihre Richtigkeit nicht durch sonstige Umstände bestätigt wird (BGH aaO).




Hiernach durfte das Berufungsgericht die Aussagen der Unfallzeugen nicht in der geschehenen Art und Weise allein wegen der Mitfahrer- und Verwandteneigenschaft der Zeugen als unbeachtlich ansehen, so dass die angefochtene Entscheidung mit der bisherigen Begründung nicht bestehenbleiben kann. Vielmehr bedarf es einer konkreten tatrichterlichen Würdigung der Zeugenaussagen nach ihrer objektiven Stimmigkeit und der persönlichen Glaubwürdigkeit der Zeugen. Dabei gilt es, nach Wahrhaftigkeits- und Unwahrhaftigkeitskriterien im Aussageverhalten und in dem Inhalt sowie der Struktur der Aussage selbst zu suchen (vgl. Rüßmann in AK-ZPO vor § 373 Rdn. 43). ..."

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