Der Zeugenbeweis gilt allgemein als das schwächste Beweismittel, weil die Ergebnisse der Aussagepsychologie belegen, dass Zeugenaussagen ganz besonders zeitlichen Veränderungen unterliegen und infolge von unbewussten Vorgängen bis ins Gegenteil des ursprünglich einmal Wahrgenommenen verkehrt werden können.
Schon die Vernehmung mehrerer Zeugen eines Verkehrsunfalls ergibt umso mehr verschiedene Unfallverläufe, je mehr Zeugen vorhanden sind.
In der Regel sind daher stichhaltiger objektive Beweismittel und Indizien verlässlicher als Zeugenaussagen, die zudem oft noch durch eine psychische Nähe (z. B. Verwandtschaft, Insasse) oder aber auch Gegnerschaft (Nachbarstreit, Partnerschaftsstreit) geprägt sein können.
Gleich wohl wird auch die Ansicht vertreten, dass einem angebotenen Zeugenbeweis nachgegangen werden muss, bevor das Gericht die Beweiswürdigung anhand von Indizien vornimmt, vgl. insoweit OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.07.2010 - 22 U 14/10)
OLG Frankfurt am Main v. 15.10.1976:
Die Abtretung der Ersatzansprüche durch den wirtschaftlich bei einem Verkehrsunfall Geschädigten an einen nahen Angehörigen ist ein verständliches Mittel, um sich in einem Prozess des Angehörigen gegen den Schädiger die Stellung eines Zeugen und damit die gleichen Beweismöglichkeiten zu verschaffen, wie sie dem Halter in der Person des Fahrers zur Verfügung stehen.
LG Berlin v. 16.07.1990:
Bei Verkehrsunfällen, bei denen lediglich der einen Partei der Fahrer oder Beifahrer als Zeuge zur Verfügung steht, muss das Gericht nach § 141 ZPO das persönliche Erscheinen des anderen unfallbeteiligten Fahrers anordnen.
BVerfG v. 29.12.1993:
Der den Zivilprozess beherrschende Gedanke des Beibringungsgrundsatzes wird missachtet, wenn ein Gericht trotz Fehlens eines entsprechenden Beweisantritts einen Urkundenbeweis verwertet (hier: in Parallelverfahren protokollierte Aussage der Ehefrau des Klägers). Eine derartige prozessordnungswidrige, von Amts wegen erfolgte Verwendung des Beweismittels ist mit der gegenüber den anwaltlich vertretenen Parteien gebotenen richterlichen Neutralität und Distanz nicht vereinbar und verletzt GG Art 3 Abs 1 in seiner Ausprägung als Willkürverbot.
BGH v. 30.11.1999:
Die urkundenbeweisliche Verwertung der Niederschrift über eine Zeugenaussage in einem anderen Verfahren ermöglicht regelmäßig auch dann keine verfahrensrechtlich zulässige Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Zeugen, wenn sich in der Akte des anderen Verfahrens Vermerke über die Umstände der seinerzeitigen Vernehmung finden.
KG Berlin v. 08.11.2001:
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass die Aussage eines Zeugen, der sich nicht bereits am Unfallort den aufnehmenden Polizeibeamten als Zeuge vorstellt, sondern sich erst später auf eine Zeitungsanzeige hin meldet, grundsätzlich einen geringeren Beweiswert hat.
KG Berlin v. 24.01.2002:
Ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass Personen, die überwiegend in einer bestimmten Art und Weise am Straßenverkehr teilnehmen (als Pkw-Fahrer, als Lkw-Fahrer, als Kradfahrer, als Radfahrer oder als Fußgänger) sich im Fall eines Unfalls im Zweifel mit demjenigen Unfallbeteiligten solidarisieren, der in derselben Art und Weise wie sie am Straßenverkehr teilnimmt, ist dem Gericht nicht bekannt.
KG Berlin v. 06.07.2009:
Hat sich eine Partei erstinstanzlich ausdrücklich mit der Verwertung von schriftlichen Zeugenaussagen einverstanden erklärt, ist es ihr verwehrt, in der Berufungsinstanz noch einen erfolgreichen Antrag auf mündliche Anhörung der Zeugen zu stellen.
BGH v. 17.02.2010:
Zur Frage der Verwertbarkeit der Aussage eines Zeugen über den Inhalt eines Telefonats, das er ohne Einwilligung des Gesprächspartners mitgehört hat (im Anschluss an BGH, Urteil vom 18. Februar 2003, XI ZR 165/02, NJW 2003, 1727 und BGH, 12. Januar 2005, XII ZR 227/03, BGHZ 162, 1).
OLG Frankfurt am Main v. 20.07.2010:
Tritt der Kläger Beweis für den Hergang eines Unfalls durch Zeugenvernehmung an, muss das Gericht im Regelfall erst eine Beweisaufnahme durchführen, bevor es aufgrund sonstiger Indizien von einer Manipulation ausgeht. Unterlässt das erstinstanzliche Gericht jegliche Beweisaufnahme und hört sich nicht die Parteien an, liegt ein zur Zurückverweisung führender erheblicher Verstoß gegen Art. 103 GG vor.
BGH v. 04.11.2010:
Es verstößt gegen den zivilprozessualen Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn ein Gericht Aussagen, die Zeugen vor ihm in einem anderen Verfahren gemacht haben, als gerichtsbekannt verwertet. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme in einem anderen Verfahren können im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden, wenn dies von der beweispflichtigen Partei beantragt wird (BGH, Urteil vom 30. November 1999 - VI ZR 207/98, NJW 2000, 1420, 1421).
OLG Frankfurt am Main v. 08.02.2011:
Die Sicherheit einer Zeugenaussage lässt keinen Rückschluss auf Ihre objektive Richtigkeit zu; ebenso gibt es auch im Verkehrsunfallprozess keine Vermutung für die Wahrheitsgemäßheit einer Aussage. Es sind valide Realitätskriterien erforderlich, um eine Überzeugung im Rahmen des § 286 ZPO zu begründen.
OLG München v. 27.01.2012:
Es ist verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht bei bestrittenem Unfallhergang einen durch Beweisantrag angebotenen Zeugenbeweis nicht erhebt, weil es die Zeugenaussage für "eher ungeeignet" hält.
OLG Hamburg v. 02.07.2015:
Ein Geständnis, mit welchem pauschal die Richtigkeit mehrerer hundert differenzierter Einzeldaten bestätigt worden ist, muss nach der Natur der Sache, hier in Gestalt menschlicher Wahrnhmungs- und Merkfähigkeiten, i.d.R. Zweifeln begegnen.
OLG München v. 13.11.2015:
Einer Anhörung der Partei kommt grundsätzlichen Bedeutung besonders dann zu, wenn ohne sie die Aufklärung eines strittigen Unfallhergangs aussichtslos erscheint. Entsprechendes gilt, wenn der Fahrer des Klägerfahrzeugs als Unfallbeteiligter, der nicht Partei des Rechtsstreits ist, nicht als Zeuge vernommen wird.
KG Berlin v-11.04.2016:
Ein Betroffener kann auch dann aufgrund einer Zeugenbekundung verurteilt werden (hier: wegen eines Rotlichtverstoßes), wenn sich der Zeuge an den konkreten Vorfall nicht erinnern kann. Voraussetzung hierfür ist, dass seine früheren Angaben - etwa durch Vorhalt - in die Hauptverhandlung eingeführt werden und der Zeuge bestätigt, sie in den niedergelegten Form getätigt oder überprüft zu haben (Anschluss BGH, 12. Dezember 1989, 5 StR 495/89, StV 1990, 485). Dies ist insbesondere dann möglich, wenn die Beweisperson - wie hier - kein Zufallszeuge ist, sondern sich im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit der Beobachtung gleichförmiger Vorgänge befasst.
KG Berlin v. 03.05.2017:
Auf Grund der Komplexität und Fehlerträchtigkeit bei der Überführung eines Angeklagten auf Grund der Aussage und des Wiedererkennens einer einzelnen Beweisperson ist der Tatrichter grundsätzlich verpflichtet, die Bekundungen des Zeugen wiederzugeben, auf denen dessen Wertung beruht, dass er den Angeklagten als den Täter wiedererkenne, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben und diese Täterbeschreibung des Zeugen zum Äußeren und zum Erscheinungsbild des Angeklagten in der Hauptverhandlung in Beziehung zu setzen.
OLG Oldenburg v. 05.10.2021:
Umfang der Beweisaufnahme bei Vorhandensein eines Messfotos und Benennung einer anderen Person als Fahrer durch den Betroffene - Umfang der Beweisaufnahme bei Vorhandensein eines Messfotos und Benennung einer anderen Person als Fahrer durch den Betroffenen.
OLG Zweibrücken v. 02.08.2016:
Völlig ungeeignet kann ein Zeuge sein, wenn er für lange zurückliegende Vorgänge benannt ist und es unmöglich erscheint, dass er diese zuverlässig in seinem Gedächtnis behalten hat. Dies hat der Tatrichter anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände, die dafür oder dagegen sprechen, dass der Zeuge die in sein Wissen gestellten Wahrnehmungen im Gedächtnis behalten hat, zu beurteilen. Hierbei ist in Grenzen eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung und dabei auch der Freibeweis zulässig und geboten, wobei jedoch feststehen muss, dass eine verwertbare Aussage keinesfalls zu erwarten ist.
OLG Düsseldorf v. 03.05.1991:
Die Ablehnung eines Antrags auf Anhörung von "Gegenzeugen" ist nach der Vernehmung nur eines Belastungszeugen bei besonderen Umständen des Einzelfalles nach OWiG § 77 Abs 2 Nr 1 zulässig. Derartige besondere Umstände sind zu bejahen, wenn die Aussage eines dem Gericht als zuverlässig bekannten, den Verkehrsverstoß beobachtenden Polizeibeamten durch die Benennung von zwei in den Vorfall verwickelten Entlastungszeugen entkräftet werden soll, bei denen es sich um Kollegen des Betroffenen handelt.
KG Berlin v. 05.12.2011:
Ein Antrag auf Vernehmung eines Entlastungszeugen wird in der Regel nicht abgelehnt werden können, sofern die Aufklärungspflicht seine Anhörung gebietet, wenn sein unter Beweis gestelltes Wissen den Bekundungen eine einzigen Belastungszeugen gegenüber steht und seine Benennung das Ziel hat, dessen Aussage zu widerlegen. Das gilt auch für die Fälle, in denen nicht ein einzelner Zeuge den Betroffenen belastet, sondern zwei durch eine gemeinsame Diensthandlung verbundene Polizeibeamte ausgesagt haben.
KG Berlin v. 13.05.2015:
Ein Beweisantrag ist auch dann gegeben, wenn der Betroffene die nach seiner Auffassung zu vernehmenden Polizeibeamten nicht benennt. Denn bei der Benennung eines Zeugen genügt der Vortrag derjenigen Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichen, ihn zu ermitteln oder zu identifizieren, so z.B. wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist.
OLG Nürnberg v. 03.02.2016:
Wird ein angebotener Zeugenbeweis - vorliegend zu einem Unfallhergang und einer durch den Unfall verursachten Verletzung - nicht erhoben, weil das Gericht dessen Bekundungen wegen seiner bereits gewonnenen Überzeugung kein Gewicht mehr beimisst, stellt dies eine unzulässige Beweisantizipation dar. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG und stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.
Verwertung strafprozessualer Zeugenaussagen im Haftpflichtprozess:
BGH v. 14.02.1967:
Die Bitte um Wiederholung einer im Strafprozess erfolgten Beweisaufnahme bedeutet im Haftpflichtprozess die erstmalige Antretung eines Zeugenbeweises iS des ZPO § 373 und ist nicht als Antrag auf wiederholte Vernehmung nach ZPO § 398 anzusehen.
OLG München v. 14.02.2014:
Unerreichbarkeit eines Zeugen ist nur anzunehmen, wenn er länger als drei Monate vernehmungsunfähig ist, im Ausland lebt und sein Erscheinen definitiv abgelehnt hat oder nicht am Gerichtsort erscheinen muss. Ob eine Unerreichbarkeit eines Zeugen auch gegeben ist, wenn eine kommissarische Vernehmung im Rechtshilfeweg nach § 363 ZPO mangels persönlichem Eindruck von dem Zeugen für die Überzeugungsbildung und Wahrheitsfindung nicht genügt, ist strittig, wird aber - insbesondere in neuerer Zeit - zu Recht überwiegend verneint.
OLG Bamberg v. 02.03.2015:
Die nur telefonische richterliche Anhörung eines Zeugen bewirkt keine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG (Anschluss an OLG Köln, Beschluss vom 23. Januar 1979, Ss 1067/78 = DAR 1980, 55).
LG Dortmund v. 23.04.2010:
Der Versicherungsnehmer ist im Rahmen der ihn treffenden Aufklärungsobliegenheit verpflichtet, die Unfallzeugen anzugeben. Es entlastet ihn nicht vom Vorwurf der Obliegenheitsverletzung (nach VVG a.F.), wenn er eine Zeugin ggü. dem Versicherer nicht angibt, damit die Lebensgefährtin nicht von dieser erfährt.
OLG Karlsruhe (Urteil vom 06.04.2021 - 12 U 333/20):
Es liegt in der Regel keine grob fahrlässige oder vorsätzliche Obliegenheitsverletzung vor, wenn der Versicherungsnehmer die Frage des Versicherers „Gibt es Zeugen, die den Unfall beobachtet haben?“ dahingehend missversteht, dass damit nur außerhalb des versicherten Fahrzeugs befindliche Personen gemeint sind und den Beifahrer nicht als Zeugen des Unfalls benennt.
BGH v. 09.05.2000:
Zum Verteidigerverhalten bei der Beweisführung durch Zeugenbenennung
OLG Stuttgart v. 12.04.2010:
Die bloße Behauptung, ein/e Zeuge/in (hier der eine Geschwindigkeitsmessung durchführende Polizeibeamte) sei dem Gericht als besonders zuverlässig bekannt, lässt - zumindest in dieser pauschalen Form - keinen Rückschluss auf die Zuverlässigkeit der Angaben oder der Vorgehensweise des Zeugen im betreffenden Fall zu.
OLG Hamm v. 04.08.2011:
Nach §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 222 Abs. 1 Satz 1 StPO hat das Gericht dem Betroffenen die zur Hauptverhandlung geladenen Zeugen rechtzeitig namhaft zu machen. Dies gilt auch dann, wenn die Zeugen bereits im Bußgeldbescheid aufgeführt waren. Dies gilt auch und vor allem, wenn sowohl der Verteidiger wie der Betroffene selbst befugterweise nicht in der Hauptverhandlung anwesend sind.
OLG Hamm v. 20.08.2014:
Der bloßen inhaltlichen Protokollierung einer Zeugenaussage wohnt nicht die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO inne. Soll eine Protokollierung nach § 273 Abs. 3 StPO vorgenommen werden, so muss dies eindeutig erkennbar sein.
OLG Bamberg v. 02.03.2015:
Die nur telefonische richterliche Anhörung eines Zeugen bewirkt keine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG (Anschluss an OLG Köln, Beschluss vom 23. Januar 1979, Ss 1067/78 = DAR 1980, 55).
OLG Brandenburg v. 20.06.2019::
Die Möglichkeit der vereinfachten Beweisaufnahme durch fernmündliche Befragung gilt nur für die Einholung von behördlichen Erklärungen gilt, nicht jedoch für die Vernehmung von Zeugen. Die fernmündliche Zeugenvernehmung im Rahmen der Hauptverhandlung ist keine zulässige Beweiserhebung nach § 77a OWiG. Dass der Betroffene der telefonischen Vernehmung und der Verwertung der dabei gewonnenen Aussage zugestimmt hat, rechtfertigt keine andere Bewertung.