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Kammergericht Urteil vom 26.09.2005 - 12 U 57/04 - Zur Beweiswürdigung bei Abweichung von der ursprünglichen Unfalldarstellung

KG Berlin v. 26.09.2005: Zur Beweiswürdigung bei Abweichung von der ursprünglichen Unfalldarstellung




Das Kammergericht (Urteil vom 26.09.2005 - 12 U 57/04) hat entschieden:



   Wird die ursprüngliche Unfalldarstellung des Klägers durch die Beweisaufnahme nicht bestätigt, führt dies nur dann zur Abweisung der Klage, wenn die Abweichungen für die begehrte Rechtsfolge erheblich sind.

Siehe auch
Beweiswürdigung
und
Urteile und Urteilsanforderungen in den verschiedenen Verfahrensarten




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Es stellt sich daher die Frage, ob ein Anspruch auf Schadensersatz aus Verkehrsunfall bereits deshalb entfällt, weil der Anspruchsteller, hier der Kläger, das Unfallgeschehen nicht in allen Einzelheiten exakt vorträgt, sondern sich im Rahmen einer Beweisaufnahme Abweichungen zwischen dem behaupteten und dem tatsächlichen bzw. nach Beweisaufnahme feststehenden Hergang des Schadensereignisses ergeben. Nach Auffassung des Gerichts ist dies nicht der Fall. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu den Anforderungen an die Darlegungslast (Substantiierung), wonach ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs schlüssig und damit erheblich ist, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen und nähere Einzelheiten nur dann erforderlich sind, wenn diese für die Rechtsfolge von Bedeutung sind (BGH NJW 1991, 2707, 2709; BGH NJW-RR 1999, 361, ständige Rechtsprechung), können Abweichungen im Sachvortrag des Klägers vom Ergebnis der Beweisaufnahme nur dann zur Klageabweisung führen, wenn diese Abweichungen für die in Anspruch genommene Rechtsfolge von Bedeutung sind.



Dies ist hier nicht der Fall. Fährt ein Kraftfahrer mit seinem Pkw rückwärts von einem anderen Straßenteil aus in die Fahrbahn ein, so spricht gegen ihn grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins. Dieser Beweis des ersten Anscheins würde nicht bereits dadurch entkräftet, dass der rückwärts Einfahrende beweist, dass sein Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision - möglicherweise nur für Sekundenbruchteile - bereits zum Stillstand gekommen ist, sondern erst wenn feststünde, dass sein Fahrzeug bereits so lange gestanden hat, dass der auf der Fahrbahn fahrende Kraftfahrer bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt dazu in der Lage gewesen wäre, unfallverhütend zu reagieren (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 1989 - 12 U 5185/97 -, ständige Rechtsprechung).

Dementsprechend wird in der ständigen Rechtsprechung der Berliner Verkehrsgerichte derartigen Abweichungen zwischen der klägerischen Sachverhaltsdarstellung und dem tatsächlich erwiesenen Unfallhergang in Fällen, in denen die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung nicht den Einwand erhebt, es handele sich um ein manipuliertes Unfallereignis, keinerlei Beachtung geschenkt. Eine sachliche Rechtfertigung dafür, derartige Abweichungen in der Unfalldarstellung in Fällen der vorliegenden Art anders zu beurteilen, ist nicht ersichtlich. Es würden sich auch kaum lösbare Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben. Behauptet etwa der Kläger eine Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 80 km/h und ermittelt ein Sachverständiger später eine Ausgangsgeschwindigkeit von lediglich 70 bis 75 km/h, so stellt sich die Frage, ob dies auf der Grundlage der vom Landgericht vertretenen Rechtsansicht bereits zur Klageabweisung führen soll, oder erst dann, wenn die Abweichung der tatsächlich festgestellten von der behaupteten Ausgangsgeschwindigkeit größer ist. Gleiches gilt etwa, wenn der Kläger einen Kollisionswinkel von ca. 90° behauptet, ein Sachverständiger aber später den Kollisionswinkel mit 85° oder 80° ermittelt.

Nach Auffassung des Gerichts können etwaige Widersprüche/Ungereimtheiten bei der Unfalldarstellung durch den Anspruchsteller, wenn sie ansonsten für die in Anspruch genommene Rechtsfolge ohne Bedeutung sind, erst bei der Prüfung der Frage von Bedeutung sein, ob aufgrund einer ungewöhnlichen Häufung von Indizien eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für ein manipuliertes Unfallereignis spricht (vgl. dazu unten 5.). ..."

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